aus Kradblatt 10/16, Text: Jogi / penta-media.de
Fotos: Jörg van Senden, Daniel Riesen, Peter Aansorgh, Toni Sacher
Mit dem Motorrad durch die Provence

Lavendelbluete Provence mit Endurofun Tours Wenn man an die Provence denkt, kommen einem sofort Wein, Käse, Kräuter und Lavendel in den Sinn. Sie hat jedoch wesentlich mehr zu bieten, was insbesondere uns Motorradfahrer begeistern kann. Wir haben uns eine Woche lang mit dem Motorrad auf den Weg gemacht, um das Terrain zu erkunden und Eindrücke zu gewinnen.

Die Provence gehört heute verwaltungstechnisch zur Region PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur) und liegt an der Mittelmeerküste im Südosten Frankreichs. Ihre größten Städte sind Marseille, Nizza, Toulon, Aix-en-Provence (historische Hauptstadt), Avignon, Arles, Orange und Carpentras.

Rosans Provence mit Endurofun ToursVon Hamburg aus ging es zunächst zügig mit PKW und Motorradtrailer zum Weingut der Domaine des Cabasse, mitten im Weinanbaugebiet Côtes du Rhône gelegen. Die Distanz beträgt in etwa 1500 km. Das Weingut diente nicht nur als Treffpunkt für unsere Reisegruppe, sondern gab uns auch die Gelegenheit etwas über den Weinanbau und seine Besonderheiten in diesem Gebiet zu erfahren. Einige große Namen, wie Château Neuf du Pape, Gigondas, Bandol und Palette machten es berühmt. Die Böden, das Mittelmeerklima und die trockene Wirkung des Mistrals sorgen für ideale Bedingungen für den Weinanbau. Eine ausgiebige Weinprobe durfte natürlich nicht ausbleiben.

Weinprobe Provence mit Endurofun ToursViele Weingüter in der Region sind auf Gäste eingestellt und bieten nicht nur Degustationen und Lehrstunden über das Thema Wein an, sondern auch Gastro­nomie und Übernachtungsmöglichkeiten. Besonders Letztere machen nach einer Weinprobe wirklich Sinn.

Mit der Domaine de Cabasse hatten wir es gut getroffen, denn nicht nur an den komfortablen Zimmern, sondern auch am Außenpool und der exzellenten Küche fanden wir durchaus Gefallen. Wir durften unsere Fahrzeuge auf dem Gelände des Weingutes stehen lassen und machten uns am nächsten Tag gemeinsam mit den Motorrädern zu unserer knapp 1.400 km langen Rundreise auf.

Ockerfelsen bei RousillionUnsere erste Etappe führte uns auf den Gipfel des Mont Ventoux in 1911 Meter Höhe, wo wir eine Verabredung im Chalet Reynard mit Monsieur Faure hatten. Er ist Präsident des Vereins, der jährlich das „Classic Ventoux“ Motorradrennen veranstaltet. An dem Rennen nehmen in erster Linie historische Motorräder teil. Die Strecke auf den Mont Ventoux ist auch bei den Rennradfahrern sehr beliebt. Man sollte stets darauf gefasst sein, plötzlich ein Rudel von ihnen hinter der nächsten Kurve vor sich zu haben.

Weiter ging es nach Sault, auch Hauptstadt des Lavendels genannt. Der Lavendel blüht zwischen Juni und Juli und wird ab einer Höhe von 300 Metern angebaut. Die Blütezeit variiert von Jahr zu Jahr leicht, denn sie wird nicht nur von der Lage der Felder und dem Zustand Böden bestimmt, sondern auch von klimatischen Schwankungen und noch einigen anderen Faktoren. So blühen auch nicht alle Felder gleichzeitig. Der Lavendel wird
in erster Linie für Parfum und parfümierte Produkte genutzt, wie Seife und kosmetische Artikel. Auch für die Imker und ihre Bienen ist der Lavendel ein Segen. Aromatischer Lavendel-Honig wird in jedem Dorf am Straßenrand angeboten.

Besichtigung Ockerabbau bei RousillionWo Lavendel blüht, tummeln sich immer zahlreiche Touristen, um sich inmitten der Blütenpracht fotografieren zu lassen. Da waren auch wir keine Ausnahme.

Unsere Fahrt führte weiter über Rousillon, eines der schönsten Dörfer Frankreichs, gelegen in der Ockerlandschaft. Ocker wird unterirdisch in Minen abgebaut. Es dient nicht nur als Farbstoff für Kleidung und Textilien, sondern wird auch als Füllstoff bei der Gummiverarbeitung verwendet. Auch in dem einen oder anderen Motorradreifen dürfte Ocker zu finden sein. Wir haben die inzwischen stillgelegten Ockerminen von Bruoux in Gargas besucht. Über 40 km lang erstrecken sich ihre Gänge und Galerien durch den Berg. Bevor sie 2009 stillgelegt und als touristische Attraktion umgerüstet wurden, hatte man über viele Jahre hinweg ihr spezielles Klima für die Zucht von Speisepilzen genutzt. Besonders heiter geht es zu Halloween in der Mine zu. Dann werden die Besucher als Orks, Hobbits und Zwerge verkleidet durch die spärlich beleuchteten Gänge geschickt, um ein wenig „Herr der Ringe“ spielen zu dürfen. Das ist für alle Beteiligten ein mörderischer Spaß.

Blick auf MarseilleWir beendeten die erste Etappe in Fontaine-de-Vaucluse, wo man einen Spaziergang zum größten Quelltopf Europas machen kann. Das Wasser strömt dort direkt aus dem Fels. Das Vaucluse-Gebirge ist unter anderem bekannt für seine Trüffel.

Am nächsten Tag fuhren wir nach Marseille, flächenmäßig größer als Paris und mit über 850.000 Einwohnern die größte Stadt der Provence. Einen wunderschönen Blick über die Stadt, den Hafen und die vorgelagerten Inseln hat man von der Basilika Notre-Dame de la Garde aus. Auch das Innere der Basilika ist sehr sehenswert. Da wir zur Zeit der EM dort waren, pilgerten zahlreiche Touristen und Fußball-Fans zur Basilika, um dort für ihre Teams himmlischen Beistand zu erbitten. Man kann mit dem Motorrad direkt bis vor die Basilika fahren und es auch ohne Probleme dort abstellen. Die Steigungen sind jedoch extrem. Man sollte immer in Bewegung bleiben und überlegen, wo man ggf. quer zum Stehen kommen könnte, damit das Anfahren danach auch gelingt.

Basilika von MarseilleUnser eigentliches Ziel in Marseille war jedoch das „Musée de la Moto“, ein Motorrad-Museum, das die Geschichte des Motorrades von 1885 bis heute anhand der privaten Fahrzeugsammlung der Familie Nougier wiederspiegelt. Viele französische Motorradmarken, die es früher gab, waren mir bis dahin gar nicht bekannt. Absolut sehenswert.
Die dritte Etappe führte uns wieder hinaus aus dem Verkehrschaos des Molochs, zurück in die Berge über die Route de Gineste, über Gémenos, hinauf auf den Col de l’Espigoulier. Wir wurden mit fantastischen Ausblicken belohnt. Die Serpentinen hinauf zum Gipfel sind der Traum eines jeden Motorradfahrers, aber auch anscheinend jeden Rennradfahrers. Auch wenn man sich gegenseitig des Öfteren im Wege ist, ist das Verhältnis zwischen beiden trotzdem sportlich-locker und entspannt. Weiter ging es nach Tourtour, das als eines der schönsten Dörfer Frankreichs gilt.

KaesereiEin kleiner Käse-Imbiss erwartete uns auf einer Ziegenfarm mit angeschlossener Käserei in Châteaudouble. Eine leckere Mahlzeit muss nicht immer aufwendig sein. Da sich der Himmel langsam bezog, fuhren wir zügig weiter über die Corniche Sublime bis zu den Schluchten des Verdon. Als es stark zu regnen begann und auch die Beleuchtung nichts mehr für Fotos hergab, suchten wir recht zügig unser Hotel in La Palud-sur-Verdon auf. Im Hotel & Spa des Gorges du Verdon fanden wir alles, was man sich nach einem anstrengenden Ritt nur wünschen kann. Es ist genau das Richtige, wenn man sich mal etwas Besonderes gönnen möchte. Ein günstigeres Biker Hotel gibt es ebenfalls im Ort. Kaum eingecheckt regnete es wie aus vollen Kübeln. Regen und Gewitter können den Bergen ein beeindruckendes Erlebnis sein, zumindest, wenn man im Trockenen sitzt. Der Widerhall des Donners von den steilen Bergwänden klingt laut und bedrohlich. Wassermassen stürzen sich dem Gefälle folgend die Straße hinab und bilden kleine Wellen an der Oberfläche. Ich konnte es kaum glauben, als man mir sagte, dass wir morgen wieder strahlenden Sonnenschein erwarten dürften. Die extremen Wetterumschwünge in den Bergen sind für uns Hanseaten geradezu unglaublich.

Serpentinen am Col de l EspigoulierTatsächlich strahlte am nächsten Morgen die Sonne und wir konnten die noch am Vortag unmöglichen Fotos in den Gorges du Verdon nachholen. Voilà!

Über St. André-les-Alpes und Colmar schlängelten wir uns aus dem Tal der Ubaye die enge Pass-Straße auf den Col d’Allos hinauf. Ein lebensmüdes Murmeltier sprang mir direkt vor mein Vorderrad. Zum Glück ist nichts passiert. Hier liegt auch im Juni noch Schnee und wie auf Knopfdruck begann es von einer Minute auf die andere zu grieseln. So beeilten wir uns mit dem Gipfel-Foto auf 2250 Metern Höhe und rollten den Berg auf der anderen Seite wieder hinunter bis nach Barcelonnette, einer hübschen und gepflegten Stadt, wo wir eine Mittagspause einlegten.

Am Lac de Serre PonconWeiter ging es vorbei am Lac de Serre-­Ponçon, Europas größtem Stausee, der sich in strahlendem Saphierblau über 29 km² erstreckt. Die Idee den oberen Lauf des Flusses Durance zu stauen entstand bereits zwischen 1843–1856, nachdem katastrophale Überschwemmungen am Unterlauf des Flusses die Stadt Avignon arg in Mitleidenschaft zogen. Erst von 1955–1961 konnte das gigantische Projekt realisiert werden. Dazu wurde ein 124 m hoher und 630 m langer Damm errichtet, der an seiner Basis 123 m dick ist. 14 Millionen m³ Material wurden in ihm verbaut. 1500 Einwohner mussten wegen der Flutung seines Beckens umgesiedelt werden, das bis zu 120 m Tiefe erreicht. Auch eine Bahnstrecke und zwei Nationalstraßen wurden für das Vorhaben verlegt. Dafür ist die Stadt Avignon nun vor Überflutungen geschützt. Der Stausee bietet ein riesiges Reservoir an Trinkwasser und dient außerdem zur landwirtschaftlichen Bewässerung des Umlandes. Auch zur Energiegewinnung wird seine Wasserkraft genutzt. Da der Lac de Serre-­Ponçon wunderschön ist, hat der See der Region zusätzlich eine lukrative touristische Einnahmequelle beschert.

Unser Tag endete in Gap, wo wir am nächsten Morgen die Domaine de Charance besuchten. Das Erholungsgebiet ist von Wanderwegen und Lehrpfaden durchzogen, die dem Besucher einheimische Tiere und Pflanzen näherbringen sollen. Das alte Schloss dient der Öffentlichkeit als Kulturzentrum. Sein Garten beherbergt heute noch die alten Rosensorten, an denen sich früher die Herrschaften erfreuten, bevor sie die Domaine de Charance dem Volk zurückgaben.

Von Gap aus schloss sich langsam der Kreis unserer Rundreise. Wir machten noch ein Picknick in Rosans, einer urigen Kleinstadt, die mit ihren engen Gassen eine sehr reizvolle Foto-Kulisse bietet, die wir uns nicht entgehen lassen wollten.

Wie immer war die Zeit viel zu kurz und wir wären gerne noch etwas länger geblieben. Zum Trost haben wir uns einige Kisten erstklassigen Rotwein aus der Domaine de Cabasse mitgenommen, deren Flaschen uns daheim noch manchen Abend mit einem Lächeln im Gesicht an diese schöne Reise zurückdenken lassen werden.

Info-Links:
www.tourisme-paca.com
www.provenceguide.com
www.visitprovence.com
www.tourismepaca.fr
www.visitvar.fr
www.alpes-haute-provence.com
www.hautes-alpes.net
www.endurofuntours.com