aus bma 7/09, von Gunther Niemann

KorsikaGanz in Ruhe wollte ich am Abend des ersten Urlaubstages den Inhalt meiner Tasche mit allen Dokumenten, Bargeld, Kredit- und EC Karte auf verschiedene Aufbewahrungsorte sortieren. Dazu kam es nicht mehr. Wir brechen beide, Anne im Beiwagen und ich als Fahrer, aus einer ziemlichen Stresssituation in den Urlaub auf.

Mit dem Autoreisezug kommen wir relativ entspannt nach Lörrach, von dort fahren wir das weiße BMW Gespann Richtung Gotthardpass und sind angesichts der ersten Passkurven fast schon in Urlaubsstimmung. Im kleinen Örtchen Hospental am Fuße des Gotthardpasses halten wir an, um ein Käffchen zu trinken. Ich lege meine Tasche auf dem Seitenkoffer ab, um noch einen Stein unters Hinterrad zu legen. Warum auch immer – wir entscheiden uns um, wollen erst durch ein paar schöne Kurven schwingen und dann oben am Gotthardpass Kaffee trinken. Also aufsitzen, losfahren… Ihr ahnt was nun kommt und was mir in 35 Motorradreisejahren auf vier Kontinenten noch nicht passiert ist: Nach zwei Minuten fährt es mir wie ein siedend heißer Blitz in den Kopf: Wo ist meine Tasche? Auf dem Koffer jedenfalls nicht mehr und auch sonst nicht im, am oder unterm Motorrad – sie ist weg! Ich bin quasi nackt, nicht mehr existent. Bargeld, Kreditkarte, EC Karte, Bahntickets, sämtliche Papiere für Person- und Fahrzeug – weg! Eine Sekunde Unachtsamkeit und der Urlaub, kaum begonnen, ist schon in Frage gestellt. Anne reagiert ganz ruhig und macht mir Mut. Im Ort fragen, Straße abfahren sind die nächsten Schritte. Nichts. Wir fahren zur Polizei nach Andermatt. Nichts abgegeben bisher, aber eine Verlustanzeige wird aufgenommen und uns Mut gemacht, dass doch oft wenigstens die Papiere abgegeben werden. Ich darf vom Polizeitelefon meine Karten sperren lassen. Man will uns auf Annes Handy informieren, wenn eine positive Meldung eingeht. Die umliegenden Polizeizentralen sind informiert. Noch mal die Straße abfahren bringt: nichts. Bei einem Kaffee beratschlagen wir. Anne hat noch etwas Bargeld in ihrem Portemonnaie und eine EC Karte. Aber ohne Ausweise nach Korsika? Ich will es versuchen, wir haben ja die Bestätigung der Polizei. Wir entscheiden, wenigstens schon ein Stück weiter zu fahren, drei Wochen Urlaub sind schließlich keine Ewigkeit. Am Lago Maggiore finden wir ein einigermaßen günstiges Zimmer für die Nacht. Zumindest müssen wir doch jetzt mal 2-3 Glas Wein auf den Schreck trinken. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

KorsikaNächster Morgen, 8.30 Uhr. Wir packen unsere Sachen zusammen, irgendwie muss es ja weitergehen, da klingelt das Handy. Annes Lippen formen sich zu einem Lächeln. „Ja, dann kommen wir am besten schnellstmöglich vorbei. Ja, wir versuchen vor der Mittagspause…” „Gunther”, sagt sie, „Deine Tasche wurde abgegeben!” Ein Schweizer Motorradfahrer hat sie in einer Kurve am Straßenrand hinter einem Pfeiler gefunden und abgegeben, nichts fehlt. Großartig, dass es noch solche Menschen gibt!
Ein drittes Mal geht es also in die langgezogenen Kurven des Gotthard Passes (2100m). Dieses Mal genießen wir die Fahrt, fahren dann Autobahn über Mailand Richtung Parma, biegen aber kurz vor Parma ab, um noch schöne Kurven zu fahren und abseits der großen Reiseströme die kleinen Bergdörfer zu genießen.

Am nächsten Mittag erreichen wir Livorno und finden im großen Hafengebiet die Korsika Fähren. Moby und Corsika Ferries fahren nur noch einmal morgens. Für 60 Euro wollen wir nicht an Bord übernachten, sondern gucken lieber nach, ob der Turm von Pisa noch etwas schiefer geworden ist und finden kurz hinter Pisa in Richtung Lucca eine wunderschöne toskanische Unterkunft – sogar mit Pool. Die Altstadt von Lucca, umgeben von der am besten erhaltenen Stadtmauer Italiens aus dem 16.Jh., ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Am nächsten Morgen stehen wir um 6.00 Uhr auf, packen und wollen los zur Fähre – da ruft Anne: „Warte noch, mein Portemonnaie ist weg. Ich hab schon alles durchsucht. Lass uns mal unsere Gastgeber wecken.” Die gucken müde, aber freundlich und mitleidsvoll. „Gestern Abend Lucca? Oh, oh” meint er nur mit einer entsprechenden Handbewegung, „da muss man sein Geld besonders festhalten…”
Wir wollen es nicht glauben – Tasche weg, Tasche wieder da, Portemonnaie weg … fahren im Tiefflug nach Lucca, finden im Gewirr der Einbahnstraßen das Restaurant, wo wir essen waren. Nein, hier wurde kein Portemonnaie gefunden.

 

Es ist 7.15 Uhr, um 9.00 Uhr fährt die Fähre. „Anne, was jetzt – Fähre oder nicht Fähre?” – „Los, Fähre” sagt sie und ich setze wieder zum Tiefflug an. 8.35 Uhr sind wir dort, die Luke ist noch weit offen, Ticketkontrolle und auf’s Schiff! 8.45 Uhr – durchatmen, 9.00 Uhr – die Fähre legt ab. Mit uns, aber ohne Annes Portemonnaie, etwas Bargeld ist weg – und auch ihre Kreditkarte, die sie sonst immer getrennt aufbewahrt. Noch von der Fähre aus lassen wir Annes Karte sperren. Wir haben also nur noch mein Bargeld. Die Rechnerei beginnt. Wir fahren von Bastia an der im Vergleich zur WestkĂĽste eher langweiligen OstkĂĽste nach SĂĽden. Vor allem auf den letzten ca. 100 Kilometern vor Bonifacio gibt es traumhafte Strandbuchten. Wir wollen aber nach Bonifacio, um näher an der Hauptstadt Ajacchio zu sein und auch schnell in den Bergen sein zu können, da wir noch nicht genau wissen wie und wo wir an Geld kommen. Bei der Routenplanung auf Korsika muss man fast auf jeder Strecke Kurven, Kurven, Kurven einkalkulieren. Da können 150 Kilometer schnell zu einem Tagesausflug werden!

KorsikaDer erste Besuch der kleinen Hafenstadt Bonifacio führt uns in eine kleine Bank. Die Mitarbeiterin der SG-Bank ist äußerst hilfsbereit. Ich darf sowohl ein Fax an meine Bank schicken als auch telefonieren. Es ist Freitag. Mittwoch oder Donnerstag soll das Geld da sein. Wir gehen von Donnerstag aus und rechnen, was wir pro Tag ausgeben dürfen. Korsische Telefonzellen werden uns vertraut – Telefonate mit meiner Hausbank (Krisenmanagement Geld schicken glatte “6”) wechseln mit Nachfragen bei der Bank in Bonifacio.
Bonifacio – der Hafen ist ein Postkartenmotiv, die Festung mit den engen Gassen der Altstadt thront hoch auf einem Kreidefelsen. Beim Essen gehen auf Korsika darf man davon ausgehen, dass Nudelgerichte und Pizzen nicht teurer sind als bei uns, der Wein eher preiswerter, Fleisch und Fisch sehr teuer sind. Angesichts unserer Situation trinken wir lieber ein Glas Wein mehr, als uns ein exklusives Essen zu erlauben.

Wir haben einen schönen Campingplatz gefunden, nur wenige Kilometer sind es zu wunderschönen kleinen und fast menschenleeren Strandbuchten. In Porto Vecchio, ca. 25 km nördlich von Bonifacio, finden wir ein nettes Altstadtviertel vor mit Restaurants und kleinen Läden zum Stöbern. Im Yachthafen liegen noch größere und teurere Schiffe als in Bonifacio – manche Leute sind eben richtig “gestopft”! Anne nimmt gern mit meinem Jewell Beiwagenboot vorlieb, das als Doppelsitzer natürlich auch viel Luxus bietet.
Wir wollen natürlich auch in die Berge. Um die Campingrechnung noch nicht bezahlen zu müssen und da wir eh hier wieder zur Bank wollen, lassen wir das Zelt stehen. Campingplätze auf Korsika kosten übrigens zwischen 15 bis Anfang 20 Euro für 2 Personen, Zelt & Gespann. Vorbuchen muss man unserer Erfahrung nach nicht.

Auf Korsika sollte man eigentlich auch Bergwandern, es muss ja nicht gleich die sechzehntägige Nord-SĂĽd- Tour sein – schon gar nicht im Juli/August, wenn es wirklich sengend heiĂź ist. Wer kann, fährt sowieso besser im FrĂĽhjahr oder Herbst.
Wir machen uns auf nach Corte, geographischer Mittelpunkt der Insel und einst Hauptstadt des unabhängigen Korsika. Auf den engen Bergstraßen heißt es mit unserem recht breiten Teil bei Gegenverkehr schon mal etwas zu zirkeln. Außerdem ist der Asphalt gerade in den Kurven durch Witterungseinflüsse oft aufgeworfen – also Konzentration und nicht nur die Landschaft bestaunen.

Corte sieht teils recht marode aus – bzw. hat einen morbiden Charme. Auf einer Felsspitze thront die Citadelle, wir thronen schon bald auf den Stühlen eines der einladenden Restaurants bei Spaghetti frutti di mare und eiskaltem Weißwein. Unsere fünfstündige Bergwanderung ist grandios. Wir schaffen es noch vorm Gewitter zu den schönen grün schillernden und eiskalten Badegumpen (kl. Bergseen). Die Aussichten unterwegs sind fantastisch! Die Beine freuen sich, mal richtig gefordert zu werden, die Arme, sich vom Gespannfahren auszuruhen.

Der Ausflug in die wunderschöne Restonica Schlucht (kostenpflichtiges Parken) per Motorrad ist viel zu kurz, aber wir mĂĽssen noch rechtzeitig zur Telefonzelle, um die französische und unsere Bank zu erreichen. Das Geld ist noch nicht da, auch am Donnerstag – wir sind wieder in Bonifacio – nicht. Freitagmorgen – wir haben noch 9 Euro, mache ich der Kollegin in meiner Bank lautstark klar: „Ich bin heute um 15.00 Uhr in der SG-Bank, wenn dann nicht das Geld da ist, dann mach ich bei Ihnen einen richtigen Tanz! Um 15.10 Uhr konnte ich tatsächlich das Geld in Empfang nehmen. Geht doch! Tipp: Ăśberweisung ist das eine, Zahlungsanweisung das Schnellere – das geht innerhalb von Stunden, nicht Tagen. Nun hatten wir noch eine Woche Urlaub vor uns.

KorsikaWir fahren die Westküste hoch, lassen die napoleonträchtige Hauptstadt Ajacchio links liegen, fahren noch mal kleinste Bergstraßen, springen schnell an einer wieder fast menschenleeren Strandbucht ins Wasser, lassen Cargese (zu touristisch) hinter uns und sind am späten Nachmittag fasziniert von den bizarren Felsen (Les Calanche) bei Piana. Wahrhaft ein steinerner Märchenwald, rot glänzend in der Abendsonne.

In Porto finden wir einen schön gelegenen Camping Municipal (die sind i.d.R. gut und billig) Der Golf von Porto zählt zu den Naturdenkmälern der Welt., der der Küste vorgelagerte genuesische Wachturm ist das Wahrzeichen von Porto. Es gibt sehr nette Lokale mit Meerblick und einen großen Strand. Auf dem Weg nach Bastia zur Fähre übernachten wir in dem schönen Städtchen L`lle Rousse. Der morgendliche Markt bietet Oliven und Konfitüre, Käse, frisches Brot und frischen Fisch und natürlich Obst. Abends laden unzählige nette Restaurants zum gemütlichen Essen ein.

Die BMW schnurrt zuverlässig durch die letzten Berge und Kurven bis Bastia, wo eine weitere Überraschung extra für uns an der Fähre bereitgehalten wird: Wir hatten in Livorno bei Moby Lines ein Ticket für die Hin- und Rückfahrt erworben; ausdrücklich habe ich dafür ein Motorrad mit Beiwagen angemeldet. Was in Livorno beim Einchecken völlig o.k. war, ist es dann in Bastia nicht. Sehr barsch schickt mich der Moby Kontrolleur beim ersten Check ins Hafenbüro: mein Gespann sei als Auto zu bezahlen.

Ziemlich sauer gehe ich zum BĂĽro, die können einen sonst ja gnadenlos stehen lassen und nicht mitnehmen. Im BĂĽro erwartet mich ein weiterer unverschämter Moby Mitarbeiter. Ich frage nach dem Boss, der sein BĂĽro aber angeblich ganz woanders hat. Ich lasse es nun drauf ankommen: Vor Auffahrt auf das Schiff erneute Kontrolle – wir erkennen gleich den Giftzwerg von vorhin. Einem Mitarbeiter in Zivil (Schreibtischtäter) zeige ich mein Livorno-Ticket – er reiĂźt daran, will es haben, schreit mich an. Es geht hin und her, nĂĽtzt aber nichts, wollen wir mit, muss ich nochmals ins BĂĽro. Im Laufschritt – BĂĽro geschlossen. Ich klopfe an die verhängten Fenster und – ein Wunder: Der unverschämte Typ von vorhin macht auf, hat schon das gestempelte Ticket in der Hand, sagt „Boss gesagt ok!” Da ich Ă„hnliches mit Moby Lines vor Jahren schon mal auf Elba erlebt habe, gibt’s nur einen Tipp: wenn möglich nehmt eine andere Fährgesellschaft!
Wir jedenfalls fahren durch unzählige Serpentinen der Garfagnana Richtung Autobahn und erleben einen kleinen Schock am Iseo See: der Campingplatz ist gepackt voll, für eine Nacht gibt’s noch eine kleine Lücke. Wir sind doch nicht als Sardinen in den Urlaub gefahren! Über den 2300 Meter hohen Foscagno Pass erreichen wir Livignio – zollfreie Zone, da macht Tanken und Einkaufen ja richtig Spaß! Unser Geld allerdings ist knapp.

Eine weitere Bergwanderung ist kostenlos. Anne, die ewig nicht mehr in den Bergen gewandert ist, ist fasziniert. Hinter jeder Wegkurve erschließt sich ein neues Panorama. Über den knapp 2400 Meter hohen Flüela Pass (brrr!) geht es Richtung Lörrach und per Autoreisezug nach Hamburg. Tja, da waren wir wieder zu Hause und – ratet mal: Richtig – dringend urlaubsreif!

Rast in den AlpenAnnes Meinung – Wiedereinstieg nicht unmöglich.
Seit 25 Jahren habe ich keinen Campingurlaub mehr gemacht! Und ebenso lange habe ich auch nicht mehr auf einem Motorrad gesessen. Und – ich meine, wir kannten uns noch kaum, da fragt dieser Mensch mich doch tatsächlich, ob ich mir auch einen Campingurlaub vorstellen könnte. So mit Zelt und ab und an selbst kochen. Aber das war noch nicht alles. Kaum hatte ich den Schock dieser Frage ĂĽberwunden und mir ein „Naja, das mĂĽsste man mal sehen” abgerungen, da kam schon der nächste Hammer: „Und wĂĽrdest Du auch per Motorrad in Urlaub fahren? Also nicht hinten drauf, sondern ganz komfortabel im Beiwagen?” – „Ganz komfortabel” , hab ich nur gedacht – „das kann er wohl anderen erzählen! Und Helm und Nierengurt habe ich doch längst entsorgt”.

Aber neugierig geworden bin ich schon. Und als er meinte, er fĂĽhre immerhin schon fast 38 Jahre Motorrad, da wollte ich’s dann wenigstens mal ausprobieren. In seinem Garten haben wir das Zelt zu Probe aufgebaut. Immerhin kein Krauchzelt, sondern Stehhhöhe und ein kleines Vorzelt. Und die Probefahrt im Beiwagen – von warmem Sommerwetter begĂĽnstigt – war nun echt klasse. Ist ja ein bisschen wie Cabrio fahren und doch wieder anders. Und das Brummen des BMW Motors im Ohr ist durchaus nicht unangenehm. Also habe ich mich auf das Wagnis eingelassen. Drei Wochen Korsika mit Zelt und Gespann. Ich dabei – 53 Jahre alt und Mutter von drei Kindern! Hier mein Fazit:

Also das Motorradfahren als Passagier im Beiwagen ist schon toll, ein ganz besonderes Gefühl. Ziemlich hautnah ist man dabei, Landschaften fliegen vorbei, Kurven bekommt man auch als solche mit und den Duft von Pflanzen und Gräsern hat man direkt und unverfälscht in der Nase. Da ich Gunther als sicheren Fahrer kennen gelernt habe, hatte ich auch absolut keine Angst! Was das Campen an geht, ist das Urteil schon differenzierter. Im Zelt auf den Thermo-Matten zu schlafen – ok. Südliche Abende draußen vorm Zelt bei Kerzenschein kann (ohne Mücken oder lärmende Nachbarn) sehr romantisch sein. Aber bei den Sanitäranlagen habe ich doch andere Ansprüche als mit 25!

Mich da an Waschbecken, in eine Reihe sich zähneputzender, waschender oder schminkender Frauen einzureihen ist gewöhnungsbedĂĽrftig. Ebenso leicht siffige Toiletten, die Nachbarn nur durch dĂĽnne Pappwände getrennt, Papierrolle unterm Arm stehen, bis was frei ist… nee, da habe ich inzwischen andere AnsprĂĽche. Aber: es gibt durchaus Campingplätze, die diesen nachkommen. Da muss man dann eben etwas länger suchen!

Zum Schluss noch einen Satz zum Thema Autoreisezug. So schön es ist, statt im Stau zu stehen in einer Nacht schon mal 800 km vorangekommen zu sein – das reine VergnĂĽgen ist es nicht, seine schmale Pritsche im Halbdunkel per Leiter zu erklimmen und sich dann irgendwie in dieses Bett genannte Abenteuer zu manövrieren. Zu Beginn des Urlaubs – na ja! Aber fĂĽr den RĂĽckweg ziehe ich dann doch den Beiwagen vor …fahrn, fahrn, auf der Autobahn!