aus bma 05/04
von Frank Sachau
Im Süden Frankreichs, am Fuß der Pyrenäen, liegt das Gebiet der Corbières. Dieser Landstrich beherbergt eine Vielzahl von Burgen und Ruinen, stumme Zeugen der Katharer, einer christlichen Glaubensbewegung, die hier ihre wechselhafte Geschichte im 12. und 13. Jahrhundert durchlebte. Die Erinnerung an jene Epoche wird bis heute gepflegt und bietet lebendige Zeitgeschichte zum „Erfahren” und „Begreifen”.
In Fontcouverte und Fabrezan öffnen die ersten Geschäfte. Ratternd heben sich Rollläden, quietschend werden Scherengitter zur Seite geschoben. Kaufleute fahren Schatten spendende Markisen aus, frisches Obst und Gemüse findet seinen Platz in der Auslage vor der Tür. Zeit, Reiseproviant zu fassen. Knuspriges Stangenweißbrot, Gänseleberpastete, Melone und Mineralwasser wandern in die Motorradkoffer. Außerhalb der Ortschaften begegnen wir Weinbauern, die die kühleren Morgenstunden für ihre Arbeit in Frankreichs größtem Weinanbaugebiet nutzen. Corbiéres-Weine sind sehr schmackhafte, leichte Rotweine. Sicherlich haben auch schon die Begründer der Benediktinerabtei von Lagrasse diesen süffigen Rebensaft zu schätzen gewusst. Den schönsten Blick auf die über 1100 Jahre alte Abtei hat man von der Straße oberhalb des Ortes. Die freundliche Dame am Empfang verwahrt unsere Helme und Jacken, während Anja und ich durch die Räume streifen. Es lohnt sich, den 40 Meter hohen Turm zu besteigen und die Aussicht auf den Ort und das Orbieu-Tal zu genießen.
Die Straße wird schmaler, die Talwände rücken zusammen, ein schneller Blick hoch auf das Chateau de Durfort, hinein in die Schluchten des Termenet. Nach der Ortsdurchfahrt von Termes windet sich der Fahrweg aufwärts, im Rückspiegel tut sich eine riesige Trümmerwüste auf – die Reste der Burg von Termes. Sie wurde erst im 17. Jahrhundert zerstört, weil eine Räuberbande von dort vertrieben werden sollte.
Ist anschließend der Col de Bedos erreicht, geht’s rechts weiter. Vier Kilometer nach Monthoumet Blinker links, Richtung Soulatgé, dann ist es nicht mehr weit bis zur Gorge de Galamus. Achtung, Kopf einziehen, hier ist Vorsicht geboten, denn die Felswände lassen nur wenig Platz für die knapp zweispurige, vier Kilometer lange Schluchtstrecke. In Jahrtausenden hat sich der Agly seinen Weg durch die Felsen geschaffen. Selten lässt die gewundene Straße einen Blick in die Tiefe zu. Am Schluchtausgang stoßen wir auf die südliche Grenze der Corbières, hier beginnt die raue Bergwelt der Pyrenäen. Die Aude begrenzt zum Westen, im Osten liegt das Mittelmeer mit seinen traumhaften Stränden, die Montagne Noire bilden den nördlichen Abschluss.
Lange vor der Katharerepoche war der gesamte Mittelmeerraum fest in der Hand Roms. Alternde, verdiente Legionäre beschenkte der Kaiser mit einem Stückchen Land, um Ruhe und Ordnung und römisches Kulturgut in den besetzten Ländern zu verbreiten. Eine steinerne Erinnerung an die Römer findet sich 15 Kilometer südlich in Ansignan, ein Aquädukt überspannt dort den Lauf des Agly. Bis heute funktioniert die antike Wasserleitung im ersten Stock perfekt, und bietet einen besonderen Clou: Eine Etage tiefer können wir trockenen Fußes auf das andere Ufer gelangen. Anschließend machen wir kehrt und fahren durch die Gorges zurück, denn nur wenige Kilometer entfernt liegen die berühmtesten Katharerburgen: Chateau de Peyrepertuse und Chateau de Queribus.
Die D 14 schlängelt sich am Fuß eines Bergrückens entlang, erst kurz vor der Ortschaft Duilhac erkennt man die auf dem Grat gebaute Festung, ihr Profil gleicht einem Schiff. Der 800 Meter hohe Felsen bot sich als perfekter Platz für diesen kühnen Bau an. Eine schmale Straße, an deren Ende haarige Kehren warten, führt hinauf zu den Parkplätzen. Der Eintrittskartenverkäufer lächelt wissend, als wir uns in Motorradfahrerkluft an den Aufstieg machen.
Nach 20 Minuten stehen wir, klitschnass geschwitzt und völlig außer Atem, in der alten Burg die neue, obere, ist nur über eine Treppe aus 60 in den Fels gehauenen Stufen erreichbar, daneben gähnt der Abgrund. Das Panorama bietet Höchstleistungen: kleine, gewundene Schluchten, dürre Hochebenen, Bergkämme und dichte Wälder und als Sahnehäubchen obenauf, der Blick nach Queribus.
Die Zitadelle von Queribus erinnert an ein Luftschloss. Hoch über den Bergen trotzte der mächtige, eckige Turm allen Belagerern. Von hier oben hat man einen traumhaften Blick bis auf das azurblaue Mittelmeer. Nur einen Katzensprung entfernt liegt Padern, mit seiner alten Burgruine oberhalb des Ortes. Bei einer Rast unter Platanen erlebe ich einen Tagtraum: Menschen auf der Flucht ziehen an uns vorbei, Alte, Kranke, Frauen und Kinder. Die letzten Habseligkeiten notdürftig zusammengerafft. Christen, die nichts mehr mit dem Prunk und der Verschwendung der Katholischen Kirche des Mittelalters zu tun haben wollen. Die Katharerbewegung lehnt Steuern und Kirchenbauten ab, sieht Mann und Frau als gleichberechtigt an und verlangt nach einem einfachen, reinen Glauben. Wer von ihnen nach einem strengen Moralkodex lebt, kann es bis zum „Vollkommenen” bringen, einem Leben, das von Enthaltsamkeit, Gebet und Arbeit bestimmt ist. Die konservative Kirche beginnt zwei Kreuzzüge gegen die Ketzer. Wer nicht abschwört, landet auf dem Scheiterhaufen. Überall in Südfrankreich wird gemordet und gebrandschatzt. Die Katharer fliehen vor den anrückenden Kreuzrittern in die Burgen sympathisierender Adliger.
Durch die Frage, wo es denn weitergeht, aus meinem Traum gerissen, werfe ich einen Blick auf die Karte. Unsere Wahl fällt auf einen weiteren Ruinenbesuch, es lockt die Burg von Aguilar, die einst das Becken von Tuchan bewachte. Entlang der D 611 nach Durban, bis kurz hinter Tuchan ein unbefestigter Wirtschaftsweg abzweigt und durch Weinberge den fast 400 Meter hohen Festungshügel hinauf führt. Nach dieser Schottereinlage und einem Rundgang durch das alte Gemäuer ist es Zeit, mal wieder am Gasgriff zu drehen, die 35 Kilometer bis zur Kreuzung bei Thézan sind schnell gemacht.
Kurven über Kurven, die Reifenflanken sind gefordert, wir wechseln von einer Schräglage in die andere. Der südfranzösische Asphalt ist prima griffig, aber sehr gefräßig, das Profil wird sichtbar abgeraspelt. Hand vom Gas, langsam rollen wir durch Moux. In diesem kleinen Nest an der D 111 zwischen Lézignan und Capendu sind Motorradfahrer nichts besonderes, denn seit vielen Jahren dient ein altes Anwesen inmitten der Weinberge als „Basislager” für Corbières-Reisende.
Liebevoll renoviert und voll auf die Bedürfnisse von Zweiradfahrern eingerichtet, bietet das „Maison Las Clauzes” für jeden etwas, vom Zeltplatz übers Doppelzimmer, bis hin zur „Honey-Moon-Suite”. Eine Garage fürs Bike, inklusive Wasch- und Schrauberplatz ist selbstverständlich vorhanden. Abends, wenn die Sonne den Innenhof in ein warmes Licht taucht, trifft man sich hier zum Benzingespräch und tauscht Tourentipps aus. Das Gefühl von „Leben wie Gott in Frankreich” stellt sich als krönender Abschluss eines Tages ein, sobald die Weine der Dorfwinzer auf den Tisch kommen.
Kies knirscht unter den Sohlen unserer Endurostiefel, als wir uns am frühen Morgen auf den Weg zur Garage machen. Wir sind früh aufgestanden, um in die Montagne Noire zu fahren – der letzte Ausläufer des Zentralmassivs, in dem Riquet, der geniale Planer des Canal du Midi, zahlreiche Quellen entdeckt hatte, die die Wasserversorgung des Kanals zwischen Atlantik und Mittelmeer während der Trockenperiode sichern sollten.
Pierre-Paul Riquet, geboren im Jahr 1604, war wie besessen von dem Gedanken, Atlantik und Mittelmeer durch einen Kanal zu verbinden. Als Spinner und Fantasten ausgelacht, waren schon viele Baumeister an den zu erwartenden Kosten und Problemen gescheitert. Riquet schaffte es, bis zu Colbert, dem Finanzminister König Ludwig XIV. vorzudringen und Gehör zu finden, galt es doch, das wirtschaftlich am Boden liegende Südfrankreich zu fördern. Pläne wurden erstellt, Verträge geschlossen, dann folgte der erste Spatenstich 1666. Die Eröffnung seines genialen Meisterwerks am 15. Mai 1681 durfte Riquet nicht mehr erleben. Er verstarb sieben Monate vorher, völlig verarmt, weil er seine letzten Mittel in das Projekt gesteckt hatte.
Wir überqueren den Lauf der Aude und folgen der Hauptstraße bis Homps. Hinter Minerve tauschen wir Asphalt gegen Piste. Die Freude über die wunderschöne Landschaft währt nicht sehr lange. Mit heftigem Getöse prasseln unzählige Steine gegen den Motorschutz. Eine Staubfahne folgt unserer kleinen Gruppe. Meine Fotoausrüstung wird sich wohl in tausend Einzelteile zerlegen. Ich wiederhole ständig den Rat eines erfahrenen Endurofahrers – Lenker lockerlassen, die Fuhre sucht sich selbst den Weg! Wir stehen in den Rasten, durchqueren Knie hohes Gras und folgen unserem „Tourguide” – er kennt die Gegend wie seine Westentasche.
Bei St. Pons haben wir dann endlich wieder festen Boden unter den Rädern. Ein 360 Grad-Panorama verspricht uns der Blick auf die Generalkarte. Hinter dem Kürzel N.D. de Tredos verbirgt sich ein uralter Kirchenbau, umgeben von schattigen Obstbäumen. Eine quietschende, aber funktionsfähige Pumpe schenkt uns eine willkommene Erfrischung. Die anschließende Etappe Olargues – Col de Fontfroide – Fraisse – Anglès – Mazamet bringt endlosen Kurvenspass, gepaart mit Ausblicken ins Land, und Fahrten durch unglaublich dunkle Wälder. Jede Regenwolke scheint sich hier zu erleichtern. Die D 118 führt in Richtung Carcassonne, doch wir machen einen kleinen Umweg, folgen dem Lauf des Orbiel nach Lastours, um den vier Festungstürmen aus der Katharerzeit einen Besuch abzustatten.
Der Legende nach ließ Simon de Montfort, Befehlshaber aller Kreuzritter, zehn Männer aus dem Ort Bram gefangen nehmen. Neun von ihnen wurden aufs Äußerste misshandelt, der zehnte, mit den Geschundenen im Schlepptau, hatte die Botschaft zu überbringen, den Verteidigern von Lastours würde es ebenso ergehen, sollten sie nicht aufgeben. Carcassonne, die besterhaltene mittelalterliche Festung Europas, mutet ein wenig wie Disneyworld an.
Ein beliebtes Ausflugsziel, das heute nur noch von Touristen belagert wird. Wir stellen unsere Motorräder auf einem bewachten Parkplatz direkt an der mächtigen Stadtmauer ab und schlendern durch die engen Gassen. Stunden später treiben wir die Bikes durch das breite Tal der Aude, passieren verschlafene Nester und folgen dem Canal du Midi entlang gen Osten. Der tiefblaue Nachthimmel mit dem schönsten Sternenzelt hat sich schon lange übers Land gelegt, als wir aus den unterwegs gekauften, deutschsprachigen Geschichtsbüchern mehr über den Niedergang der Katharer erfahren: Angeblich retteten sich die letzten Andersdenkenden mit einem sagenhaften Schatz in die Festung Montségur. Nach langer Belagerung durch feigen Verrat besiegt, fiel die letzte Bastion 1244 in Feindeshand. Der Schatz aber wurde nie gefunden! Der finale Scheiterhaufen loderte im Jahr 1321 – in Villerouge-Termenès wurde Guillaume Bélibaste bei lebendigen Leib verbrannt, er galt als letzter „Vollkommener”. Mehr als 150 Jahre dauerte der Kampf der Katharer gegen ihre mächtigsten Feinde – die Katholische Kirche und der König von Frankreich.
Reiseinfo:
Allgemeines:
Der Landstrich der Corbières in Südfrankreich gilt als Land der Katharer. In dünn besiedeltem Gebiet bieten grandiose Landschaften herrliche Kontraste voller Überraschungen. Von kahlen Bergrücken blickt man gen Westen bis ans Mittelmeer, dessen weite Strände zum Baden einladen. Felsiges und verbranntes Land grenzt im Süden an die Ausläufer der Pyrenäen. Der Norden bietet die dunklen Wälder der Montagne Noire mit zahlreichen Seen und Wasserläufen. Im Osten bilden die Schluchten der noch jungen Aude ein natürliches Hindernis.
Die Festungen:
Das gesamte Gebiet ist übersät mit intakten Festungen oder Ruinen, die weder von, noch für die Katharer erbaut wurden. Viele Burgen bieten einen organisierten Empfang. Dort sind neben dem üblichen Andenkenkitsch auch hervorragende Geschichtsbücher erhältlich. Fotofreunden ist der grandiose Bildband „Vivre le Pays Cathare” von Gérard Sioen zu empfehlen.
Die Abteien:
Als lohnende Ausflugsziele bieten sich die Abtei von Fontfroide, die Benediktinerabtei von Lagrasse und die kleine, romanische Kirche Saint-Martin-des Puits an. Die Öffnungszeiten sind saisonabhängig!
Anreise:
Ganz bequem per Autoreisezug bis nach Narbonne. Informationen täglich von 8.00 bis 22.00 Uhr unter 0180/5241224 oder rund um die Uhr im Internet: „www.dbautozug.de”. Wer Zeit hat, nutzt die attraktive Route Basel-Gotthard-Rhonetal-Französische Hochalpen-Rhonealpen-Avignon-Montpellier.
Reisezeit/Klima:
Frühling und Herbst bieten milde Temperaturen, im Sommer ist es in der Lederkluft kaum auszuhalten. Selbst im Winter kann in den Corbières das Motorradfahren Spaß machen. Zur Weinlese ist jedes Dorf auf den Beinen.
Unterkunft:
Maison Las Clauzes, F-11700 Moux, Tel & Fax 0033 – (0)468439237
E-mail: holger@las-clauzes.de, Internet: www.las-clauzes.de
Zeltplatz / Einfachquartiere mit Doppelstockbetten mit Du/WC / Doppelzimmer mit Du/WC / Ferienwohnung, 2 Zimmer, rollstuhlgerecht. Garage, Schrauberplatz, Waschgelegenheit. Leihmotorräder. Trial-Lehrgänge mit dem französischen Ex-Champion, Enduro-Wander-Wochen, Biker-Weihnachten
Anmeldung unbedingt erforderlich!
Literatur / Karten:
Dirk Schäfer „Lust auf Pyrenäen”. 10 ausgesuchte Motorradtouren durch die Pyrenäen und das angrenzende Vorland. 100 Seiten, stimmungsvolle Farbfotos, zahlreiche Karten, Übernachtungstipps und jede Menge Informationen. Highlights-Verlag, ISBN 3-933385-18-0. 11 Euro.
Michelin Midi-Pyrénées Nr. 235 Maßstab 1.200000, unbedingt in Frankreich kaufen, dort viel billiger!
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