aus bma 8/12
von Konstantin Winkler

FN M 67In Belgien gab es zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg viele Motorradmarken: Die „Fabrique Nationale d’Armes des Guerre“ – kurz FN – war die bekannteste. Noch heute werden in Herstal Waffen von Weltruf hergestellt. Im Jahr 1901 begann die Motorradproduktion mit einem 135 ccm kleinen Einzylinder-Viertakter. 1904 dann die große Sensation auf dem Pariser Salon: Das erste Serien-Motorrrad der Zweiradgeschichte mit einem Vierzylinder-Motor. Er war längs eingebaut und statt des zur vorletzten Jahrhundertwende üblichen Keilriemens führte eine Kardanwelle zum Hinterrad. Das erste noch kupplungs- und getriebelose Modell hatte 362 ccm. Bis 1926 baute FN seine legendären Vierzylinder, zum Schluss mit 748 ccm und Kettenantrieb.

Ebenso populär waren die ab 1922 gebauten Einzylinder-Blockmotoren, besonders die 1927 erschienene M 70. Diese seitengesteuerte 350er wurde bald unter dem Naman „Sahara” weltbekannt, weil drei belgische Militärfahrer mit diesem Modell eine 8.000 km lange Sahara-Durchquerung schafften. Und das mit nur 9 PS!

FN M 67 CockpitParallel dazu wurde auch eine wesentlich sportlichere 500er gebaut: Die M 67 von 1929 hatte ebenfalls einen Blockmotor, war aber kopfgesteuert. Ihre beiden Ventile sind nicht gekapselt. Im Gegensatz zu den langen Stoßstangen, die in einem verchromten Rohr laufen. Das sieht nach Königswellenantrieb aus, doch die Nocken sitzen unten im Motor, nicht oben im Zylinderkopf. OHV statt OHC!

Von den harmlosen Eckdaten dieser FN darf man sich nicht täuschen lassen. 496 ccm, 16 PS und 135 Kilo Leergewicht hören sich nach gutmütiger Anfängermaschine an. Doch der langhubige Motor – 85 mm Bohrung und 87 mm Hub – muss erst einmal zum Leben erweckt werden. Ist der französische Gurtner-Zweischieber-Vergaser gut geflutet, wird es ernst: Den Totpunkt erfühlen und den Kickstarter Richtung Erdmittelpunkt treten. Von den ersten Zündungen an ist klar: Der Motor ist starr mit dem Rahmen verschraubt. Im Leerlauf schüttelt sich der gesamte Vorbau: Lenker, Gabel, Vorderrad; alles tanzt im Takt des riesigen Kolbens. Die Passanten am Straßenrand könnten denken, jemand bändige einen Presslufthammer. Im Zylinder brennt es. Und der Vergaser giert nach Luft, die er ohne Filter inhaliert.

FN M 67Obwohl die FN noch Verlustschmierung hat, verbrennt sie relativ wenig Öl. Der Vorrat des „schwarzen Goldes” befindet sich auch nicht – wie bei Harley und Co. damals üblich – in einer separaten Tankhälfte, sondern direkt im Motorblock. Das ist ungewöhnlich. Die Öl­­- pumpe mit Schauglas ist am Kurbelgehäuse befestigt. Mit einer Vierkantwelle greift sie in den vorstehenden Kurbelwellenzapfen. Die Fördermenge kann mittels einer geriffelten Schraube eingestellt werden. Ein Blick aufs Schauglas an der rechten Motorseite verrät, ob alles (Tröpfchen für Tröpfchen) wie geschmiert läuft. Dickflüssiges 50er Einbereichsöl muss es sein.

So anspruchslos wie das Dreigang- Getriebe ist auch dessen Schmierung. Die Betriebsanleitung sagt dazu auf Seite 27: „Nach Abnehmen der Einfüllverschraubung fülle man 250 bis 300 ccm Oel in den Kasten. Für diesen Zweck kann gebrauchtes Oel, nachdem es sorgfältig filtriert worden ist, genommen werden. Man kann auch ein Gemisch von Oel und Fett im Verhältnis 2/3 Oel und 1/3 Fett nehmen.”

FN M 67 VentiltriebButterweich und gut zu dosieren sind die 14(!) Kupplungsscheiben, deren Metall-Lamellen im Ölbad laufen. Der Motor läuft, die Bullriding-Gaudi kann beginnen. Und der Fahrer darf sich nur mit der linken Hand festhalten, weil die rechte Ordnung in die Zahnradsammlung bringen muss. Wer beim Einkuppeln zu zimperlich mit dem Gashebel umgeht, hat Pech gehabt und darf die Startprozedur von vorne beginnen.

Dass die FN manchmal Assoziationen an spanabhebende Me­tall­- bearbeitung weckt, liegt am Getriebe. Selbiges will mit Nachdruck geschaltet werden und gibt gerne deftige Geräusche von sich. Zaghafte Schaltvorgänge werden als mangelndes Durchsetzungsvermögen inter­pretiert und mit herausspringenden Gängen geahndet. Beim Gasgeben wird der Motor nicht nur lauter, sondern das Motorrad auch schneller. Alsbald steht der erste Gangwechsel an. Mit etwas Übung gelingt es ohne Protest der Getriebezahnräder.

Die leicht vorgebeugte Sitzposition und der breite Lenker vermitteln einen guten Kontakt zum Motorrad. Die breiten Wulstreifen der Größe 720 x 120 folgen spurtreu des Bikers Lenkbefehlen. Unruhe in die Lenkung bringen lediglich kurvige Holperstrecken. Doch niedrige Sitzhöhe und guter Knieschluss lassen den Fahrer die Reaktionen der FN bestens erfühlen.

FN-M67_FrontDer Rahmen ist ein so genannter geschlossener dreieckiger Wiegenrahmen. Das bedeutet, dass die zwei Unterzüge unter dem Motorblock verlaufen und an einem Verbindungsstück befestigt werden. Die beiden Oberzüge verlaufen ebenfalls direkt vom Lenkkopf zur Hinterradbefestigung. Das alles ist so stabil, dass auch ein Beiwagen angebaut werden kann. Der Rahmen ist deshalb auch mit Augen für die Seitenwagenbefestigung ausgestattet.

Die Vorderradgabel ist sehr weich und durch die beiden außenliegenden Schwinghebel seitenstabil. Sie ruht auf zwei Spiralfedern, die auf Druck arbeiten. Geht es bergab oder nähert man sich einer Kreuzung, muss erst einmal das Tempo mit Bedacht gemindert werden. Die Bremsen verzögern nur mäßig, wenn man den Innenzughebel betätigt und mit dem Fuß beherzt zutritt. Vorsicht ist geboten bei Vorkriegsmotorrädern: Mitunter sitzt der Fußbremshebel auf der linken Seite!

Straßen, Kurven, Landschaften – all das wird im Sattel einer FN zur Kulisse in einem Breitwand-Epos, in dem der Fahrer sowohl Betrachter als auch Hauptdarsteller ist. Die M 67 enfaltet beim Fahren ihren eigenen großen Charme, wenn sie Steigungen und Gefälle ebenso souverän meistert wie vor Jahrzehnten, als sie noch zu dem modernsten Motorrad ihrer Klasse gehörte. Die Leute verrenken sich die Hälse, wenn sie über die Straßen tu­ckert. Auch viele, viele Jahre nach ihrer Erstzulassung zieht sie die Blicke auf sich. Nur eines hat sich geändert. Heutzutage gilt die Bewunderung dem Fahrzeug, damals mehr dem Fahrer.