aus bma 12/08

von Klaus Herder

Moto Guzzi V7 Modell 2008Ein altbekannter, etwas abgewandelter Werbespruch lautet „V-Zweizylinder – es kommt darauf an, was man daraus macht.” Zwei schöne Beispiele dafür, wie man es hervorragend machen kann, und wie man es vielleicht lieber nicht machen sollte, sind die beiden traditionsreichen Hersteller Harley-Davidson und Moto Guzzi.
Beide Unternehmen haben eine lange Geschichte, bei beiden Firmen kam der V-Zweizylinder erst später ins Programm, doch bei beiden Herstellern war es ebendieser Motorentyp, der ihnen – salopp gesagt – den Arsch gerettet hat und für den der jeweilige Firmenname heute ganz selbstverständlich steht. Harley und Guzzi ohne V-Twin? Undenkbar.
Doch während die Amis ihre V2-Historie und den hausgemachten „Mythos” mit einer schon bewundernswerten Professionalität und Penetranz so extrem erfolgreich vermarkten, dass es fast schon blutig aus den Ohren kommt, wurschteln die Italiener seit Jahren erfolglos im Niemandsland der Vergangenheitsbewältigung. Die vermeintlichen „Kultbikes” aus Mandello del Lario wurden mal etwas zu modern verpackt, dann doch halbherzig auf Legende getrimmt. Es gab sie als Fast-Enduro, als Fast-Tourer und als Fast-Sportler, doch eine einheitliche Modellpolitik oder gar Vermarktungs-Strategie war nur selten oder gar nicht zu erkennen. Eine klare Linie? Fehlanzeige. Regelmäßig wiederkehrende Beinahe-Pleiten und Komplett-Übernahmen (zuletzt 2004 durch den Piaggio-Konzern) machten die Sache nicht einfacher.

Der „Erfolg” gibt Moto Guzzi Recht: Von Januar bis September 2008 wurden in Deutschland nur 1008 neue Guzzis zugelassen, der üppige Marktanteil liegt damit bei 1,1 Prozent. Man möchte lieber gar nicht wissen, wie viele davon Händler-Zulassungen waren. Die bestverkaufte Guzzi taucht auf Platz 108 der Bestenliste auf: Die Griso 1100 mit 164 Stück. Ein traditionsreiches, nicht nur für Moto Guzzi wegweisendes Modell wie die California landet mit 95 Stück abgeschlagen auf Platz 138, den sie sich mit der fast schon vergessenen MZ 1000 teilen darf.

 

Moto Guzzi V7 Modell 2008Ein Versuch, die eigene Geschichte doch etwas konsequenter als Verkaufshilfe zu nutzen, ist die Mitte 2008 präsentierte V7 Classic. V7 – das ist ein ganz besonderes Kürzel, denn mit ebendiesem Modell begann für Moto Guzzi vor 41 Jahren die Motorrad Neuzeit. Guzzis erster V-Twin war Ende der 50er Jahre ursprünglich als Alternativ-Antrieb für den Fiat 500 konzipiert worden (und NICHT als Betonmischer-Motor, was fälschlicherweise immer wieder kolportiert wird), diente dann in schwer modifizierter Form als Motor für ein mäßig erfolgreiches Militär-Dreirad und sorgte 1966 dafür, dass Moto Guzzi den Wettbewerb um einen Behördenauftrag gewann. Ab 1967 wurde die zivile V7 verkauft, die Guzzis Ruf als Bigbike-Hersteller begründete. Die V7 und ihre Schwester/Nachfolge-Modelle passten perfekt in die Zeit. Aus Japan kamen tolle Motoren in überforderten Fahrwerken, die Engländer bauten hervorragende Fahrwerke mit veralteten Motoren, und nur die italienischen Marken schafften Anfang der 70er Jahre den Spagat und lieferten fahrwerks- und motormäßig aktuelle Technik. Benelli, Ducati, Laverda und MV Agusta bescherten der italienischen Motorradindustrie ein paar goldene Jahre.

Besagte 41 Jahre später ist die Papierform etwas ernüchternd: Nur sechs PS und 40 ccm mehr sowie gut 30 Kilo weniger machen den Unterschied zwischen Guzzis jüngstem Retro-Streich und der legendären Namensgeberin aus. Doch während die Ahnin ein ausgewachsenes Männermotorrad war, wirkt die Enkelin fast zierlich. Kein Wunder, stammen doch wesentliche Teile aus Guzzis Einsteigermotorrad-Baukasten: Motor, Rahmen, Kardan, Schwinge sowie Gabel und Bremsen stammen von der braven Breva 750. Was kein Nachteil sein muss, denn bereits die erste Kontaktaufnahme macht die neue V7 auf Anhieb sympathisch. Auf der tiefen (810 mm Sitzhöhe), flachen und goldrichtig gepolsterten Sitzbank ist der Allerwerteste bestens untergebracht. Der perfekt gekröpfte Lenker bringt den Fahrer in eine leicht nach vorn geneigte, klassisch-versammelte Sitzposition. Der Knieschluss am 17-Liter-Tank gelingt bestens, der Kniewinkel fällt für Menschen über Eins-achtzig aber erstaunlich sportlich aus. Sehr viel länger sollte der Fahrer aber auch nicht sein. Wie gesagt: Die Guzzi ist ein eher zierliches Motorrad, da sollten die Proportionen doch zumindest ansatzweise passen.

Moto Guzzi V7 Modell 2008Der G-Kat bestückte 744-Kubik-Twin wird in Zeiten von Euro 3 natürlich von einer Einspritzanlage mit Sprit versorgt, was aber nicht automatisch ein Kaltstartprogramm des Motormanagements bedingt. Und tatsächlich: Bei der V7 darf noch mit dem Chokehebel an der linken Lenkerarmatur gespielt werden, was in diesem klassischen Umfeld durchaus Charme hat. Der luftgekühlte Zweiventiler springt per E-Starter auf den ersten zarten Knopfdruck an und pröttelt dezent grummelnd vor sich hin. Kerniges Guzzi-Ballern? Leider Fehlanzeige. Das, was da den hübschen Zigarren-Töpfen entfleucht, klingt durchaus nett und typisch nach Guzzi, ist aber etwas zu artig. Der maximal 48 PS bei 6800 U/min leistende und 55 Nm bei 3600 U/min stemmende Vauzwo macht dafür aber wenigstens das, was Guzzi-Twins auch früher schon machten: Bei jedem Gasstoß im Stand neigt er sich kräftig zur Seite und in Richtung Oberschenkel. Das Rückdrehmoment der Schwungmasse auf der längsliegenden Kurbelwelle ist der Grund dafür. Ein Schweizer Kollege umschrieb diese Lebensäußerungen sehr passend wie folgt: „Ein herzerwärmendes Gefühl, wie das Anlehnungsbedürfnis eines Berner Sennhundes, der um ein paar Kopfkraul-Einheiten bittet.”

Was fällt einem sonst beim Stichwort „Berner Sennhund” ein? Richtig: Absolute Gutmütigkeit. Genau das strahlt der Guzzi-Twin aus. Was nicht mit Lahmarschigkeit verwechselt werden sollte. Der nach alter Väter Sitte mit untenliegender Nockenwelle und Stoßstangen bestückte Motor nimmt sehr sauber Gas an, läuft ungemein kultiviert, vibriert nur ganz wenig und vermittelt mit seiner gleichmäßigen Leistungsentfaltung sehr viel Gelassenheit. Da kommt garantiert keine Hektik auf, die V7 ist ein rezeptfreies Beruhigungsmittel. Aus dem Stand vergehen sechs Sekunden, um die 210 Kilo Kampfgewicht plus Fahrer auf Tempo 100 zu bringen. Wer die Ohren anlegt und sich duckt, ist mit Tacho 170 unterwegs, was echten 160 km/h entsprechen dürfte. Das sind zwar keine berauschenden Werte, doch beide Übungen haben sowieso nur theoretischen Wert, denn die V7 Classic ist natürlich nicht für Beschleunigungs-Orgien und auch nicht für die Autobahn-Vollgasjagd gebaut. Im wuseligen Stadtverkehr und auf möglichst kurvigen Landstraßen fühlt sie sich viel wohler. Wie bitte, Stadtverkehr? Richtig gelesen, denn der bequeme, guten Überblick bietende Arbeitsplatz, die Bedienungsfreundlichkeit (z. B. fein dosierbare Kupplung), der aus niedrigsten Drehzahlen sauber anschiebende Motor und die für das spielerisches Handling mitverantwortliche Schmalspurbereifung (100/90-18 vorn, 130/80-17) machen die Guzzi zum idealen Durchwuseler. In Italien wird die V7 als Alternative zum Großroller beworben – völlig zu Recht.

Doch richtig artgerecht wird der Hingucker am besten jenseits des Ortsschilds bewegt. Um mit dem recht kurz übersetzten Fünfganggetriebe klar zu kommen, ist saubere Arbeit gefragt. Mal eben so im Getriebe rühren ist nicht. Die mit relativ langen Schaltwegen versehene Box möchte klare Befehle haben, dann flutscht es auch. Ab 1500 U/min darf das Gas grobmotorisch aufgezogen werden, richtig Leben kommt aber erst ab 2500 Touren in die Bude. Bis gut 6000 U/min macht der Twin dann einen guten Job, darüber geht’s bis zum Begrenzer bei 7800 U/min etwas zäh und gestresst zur Sache. In der Praxis zeigt der klassischen Veglia-Boretti-Instrumenten nachempfundene Drehzahlmesser meist Werte um 4500 bis 5000 U/min an. Ein Bereich, in dem sich der Motor pudelwohl fühlt.

Die ausgeprägte, bereits im Stadtverkehr deutlich zu spürende Handlichkeit sorgt auch auf der Landstraße dafür, dass man mit der vermeintlich leistungsschwachen Guzzi erstaunlich munter ums Eck biegen kann. Der Kardan hält sich mit störenden Einflüssen absolut zurück, die famosen Metzeler Lasertec sind eine feine Klebeversicherung. Schräglagenfreiheit gibt’s ausreichend, und die Arbeit an der breiten Lenkstange macht einfach nur Spaß. Ein runder, schwingender Fahrstil stell sich praktisch von ganz allein ein. Wer mit der V7 nicht auf Anhieb gut klar kommt, sollte sich die grundsätzliche Frage stellen, ob Motorradfahren für ihn das richtige Hobby ist.

Moto Guzzi V7 Modell 2008Von der plüschigen Schwülstigkeit vermeintlich einsteigerfreundlicher Softchopper ist die Guzzi aber gottlob Lichtjahre entfernt. Hey, es ist eine Moto Guzzi, eine Italienerin! Und die hat gefälligst sportlich straff zu sein. Ist sie auch. Die Dämpferabstimmung der Marzocchi-Telegabel könnte sogar noch etwas mehr Straffheit vertragen, doch dafür machen die Sachs-Federbeine ziemlich deutlich klar, was unter „Italienischer Schule” zu verstehen ist. Im Zweipersonenbetrieb passt die Angelegenheit bestens, das ordentliche Platzangebot macht die Sozius-Mitnahme zu einer ganz leichten Übung. Eine gewisse Härte ist auch beim Ankern gefragt, denn   um die vordere Soloscheibe in ihrer Rotation zu zügeln, muss schon kräftig am leider nicht verstellbaren Hebel gezogen werden. Sehen wir es positiv: Der Stopper ist ausgesprochen anfänger- und einsteigertauglich, denn die Gefahr des Überbremsens ist ziemlich gering.

Die Moto Guzzi V7 Classic kostet offiziell 8200 Euro, Vorführer mit sehr wenig Kilometern werden mit maximal 7500 Euro gehandelt. Ob ganz neu oder fast neu – diese Tarife sind überaus fair, denn die ausschließlich im Weiß der V7 Special von 1970 lieferbare Classic ist ordentlich verarbeitet und bietet bei aller Grazie sehr viel Motorrad fürs Geld. Die Puristen mag stören, dass relativ viel Kunststoff zum Einsatz kommt (u. a. Tank, Kotflügel, Seitendeckel) und dass auch der üppig verbaute Chrom-Zierrat recht häufig eine Plaste- und Elaste-Basis hat. Doch Rost-Resistenz und Gewichtsersparnis haben (neben den geringeren Produktionskosten…) doch auch ihr Gutes. Die Moto Guzzi V7 Classic ist eine gute Wahl für alle Neu- und Wiedereinsteiger, denen die üblichen 600er- und 650er-Verdächtigen aus Japan einfach zu banal sind, und die etwas stilvoller unterwegs sein wollen. Und sie ist ein tolles Zweit- und Sonntagvormittags-Mopped für Menschen über 40, die eine klassische Guzzi immer schon gut fanden, sich an echtes Alteisen aber aus Zeit- und Nervenspargründen nicht heranwagen.

Moto Guzzi hat jedenfalls endlich die Kraft der eigenen Geschichte mit einem passenden V-Twin kombiniert. In Sachen Vermarktung sollten die Italiener aber vielleicht noch etwas Gas geben, denn die in Deutschland bis Ende September zugelassenen 67 Stück sind ganz sicher steigerungsfähig.