aus bma 06/01

von Achim Lerch

Glück auf
… (genauer: Glickauf) ist im Erzgebirge, was das „Moin” in Norddeutschland: Der typische Gruß zu jeder Tageszeit. Kein Wunder, wurde das Leben der Menschen hier doch seit dem 12. Jahrhundert vom Bergbau geprägt. Nachdem das „Silberfieber”, an das noch heute die von Zwickau bis Dresden führende Silberstraße erinnert, vorüber war, lebte der Bergbau nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal kurz auf, als die Wismut AG nach Uran schürfte.
Heutzutage sind es mehr Nussknacker, Schwibbögen und Holzspielzeug, welche das Erzgebirge berühmt machen. Aber auch einige Festungen und Burgen, allen voran die Augustusburg im Vorerzgebirge. Motorradfahrer besuchen das in 516 Metern Höhe thronende Renaissance-Schloss vor allem des berühmten Motorradmuseums wegen: 170 Exponate aus einem Jahrhundert Motorradgeschichte sind hier zu bestaunen, da muss man schon etwas Zeit mitbringen. Jedes Jahr im Januar ist die Burg außerdem Schauplatz eines Motorradtreffens für die Winterfahrer unter uns. Jetzt, Anfang April, ist der Winter zwar vorbei, aber recht kalt ist es trotzdem noch, und über die Höhen fegt ein eisiger Wind, als ich von der Augustusburg zu einer Runde durch das östliche Erzgebirge aufbreche, die mich an diesem Tag bis ins Elbsandsteingebirge führen soll. Über Eppendorf und Mulda gelange ich nach Frauenstein, und über zahllose Umleitungen, die von ebenso reger wie notwendiger Straßensanierung allerorten zeugen, weiter nach Schmiedeberg und Glashütte. Abseits der Bundesstraßen ist hier in der Tat Enduroland – der Zustand der Straßen ist für straff gefederte Sportler oder Chopper weniger geeignet.

 

Nach einem kurzen Fotostop am Schloss Weesenstein erreiche ich schließlich bei Pirna die Elbe, der ich dann bis Bad Schandau folge. Die Felsendome des Elbsandsteingebirges sind weithin sichtbar und erinnern ein wenig an Bilder aus amerikanischen Nationalparks. Hier lohnt es sich sicher, einmal mit mehr Zeit und Wanderschuhen im Gepäck zu touren. Führte die Strecke bislang vielfach über offene Hochebenen, tauche ich jetzt ein in dunkle Nadelwälder, wo klare Gebirgsbäche der Straße ihren kurvigen Verlauf vorschreiben.
Irgendwo in einem Dorfgasthaus lasse ich mir eine Portion Hausmacher Sülze mit Bratkartoffeln schmecken, für deutlich unter zehn Mark. Gunnersdorf, Bielatal und Altenberg heißen die Stationen, bis ich vor der achteckigen Kirche in der Spielzeugmacherstadt Seiffen den Seitenständer ausklappe. Dem 1776-1779 erbauten Gotteshaus diente die Dresdner Frauenkirche als Vorbild. Ansonsten dreht sich in Seiffen alles um Holzspielzeug aller Art, um Räuchermännchen und Pyramiden, Schwibbögen und Nussknacker. Wer mag, kann in einer der Werkstätten den Spielzeugmachern bei der Arbeit zuschauen oder sich im Spielzeugmuseum informieren, z.B. auch über die nur hier beheimatete Tradition des Reifendrehens.
Ich für meinen Teil drehe lieber noch etwas am Gasgriff und verlasse Seiffen in Richtung Rübenau. Über Reitzenhain geht es hinauf in die Wolken, genauer nach Wolkenstein, die Stadt mit Festung, die kurios auf einem Felsen errichtet wurde – nahe den Wolken eben. Noch ein Stück durch das schöne Zschopautal, an der Festung Scharfenstein vorbei, gelange ich schließlich über das Dörfchen mit dem schönen Namen Venusberg zurück nach Kemtau, wo wir in einem Ferienhaus Quartier bezogen haben.
Nach einer frostigen Nacht dauert es am nächsten Morgen seine Zeit, bis der Boxer auf der B 95 Richtung Annaberg-Buchholz Betriebstemperatur erreicht hat; da die Straßen außerdem nass sind und es hinter Ehrenfriedersdorf zu regnen anfängt, ist also erst einmal gemächliche Fahrweise angesagt. Vorbei am Frohnauer Hammer, wo man im Technikmuseum die alten Eisenhämmer noch in Aktion sehen kann, geht es über Schlettau und Crottendorf nach Oberwiesenthal, das sich selbst stolz die höchstgelegene Stadt Deutschlands nennt. Tatsächlich liegt hier in 914 Metern Meereshöhe noch etwas Schnee.
Nach einer wärmenden Tasse Kaffee im traditionsreichen Café Enderlein und einem obligatorischen Foto an der berühmten Postmeilensäule steht der Fichtelberg auf dem Programm, mit 1214 Metern die höchste Erhebung des Erzgebirges. Zum Glück ist uns nun auch Petrus wohlgesonnen, der Himmel reißt auf, und die Sonne lacht. So können wir wenigstens die gute Aussicht vom Gipfel genießen, bevor die Kälte uns zur Weiterfahrt treibt.
Entlang der tschechischen Grenze führt uns die Route über Tellerhäuser, Rittersgrün und Johanngeorgenstadt nach Wildenthal, wo es Zeit für die Mittagspause ist. Die nachmittägliche Trägheit, die sich nach einer deftigen Mahlzeit einstellt, verfliegt dann rasch, als wir von Schräglage zu Schräglage wechselnd über Eibenstock die Bergmannstadt Aue ansteuern, bis 1990 Zentrum des Uranerzbergbaus. Von hier erreichen wir über Zwönitz und Auerbach schließlich wieder Kemtau.
Auch am nächsten Morgen ist es noch recht frisch, so dass ich auf der herrlich kurvigen, aber im Wald schattigen B 180 Richtung Gornau sehr sensibel mit dem Gasgriff umgehe. Eine große Schleife führt mich an diesem Vormittag über Waldkirchen, Grünhainichen, Lengefeld, Pockau, Marienberg, Großrückerswalde, Annaberg-Buchholz, Wiesenbad, Wolkenstein und Scharfenstein nach Zschopau. Der Ort hat eine lange Tradition als Motorradstadt: 1907 gründete der dänische Ingenieur Jörgen Skafte Rasmussen hier eine Maschinenfabrik, in der 1922 das erste Motorrad namens „Reichsfahrtmodell” gefertigt wurde, bekannt unter dem Markennamen DKW. Der Markenname MZ für „Motorradwerke Zschopau” wurde 1956 eingeführt. In DDR-Zeiten verkürzten die Zweitakter aus dem Vorerzgebirge so manchem die Wartezeit auf den Trabbi oder Wartburg. Nach Liquidation durch die Treuhand nach der Wende folgte 1992 die Neugründung unter dem Namen „Motorrad- und Zweiradwerk GmbH”. Seit 1996 im Besitz der Hong Leong Industries Berhad aus Malaysia, werden im Werk in Zschopau heute vor allem Yamaha-Motoren in den MZ-Modellen Scorpion (Straße) und Baghira (Enduro) verbaut. Die Belegschaft ist mit viel Engagement bei der Sache und hofft auf Licht am Ende des Tunnels. Nicht zuletzt die Neuentwicklung eines eigenen 125er Motors soll dazu beitragen, indem der Motorradnachwuchs für die Traditionsmarke gewonnen wird.
Neben Bergbau- und Motorradtechnik lässt sich im Erzgebirge auch ein Stück Eisenbahngeschichte hautnah erleben, und so tausche ich an diesem Nachmittag den „Dampfhammer” des 1100er Boxers gegen einen Dampfhammer ganz anderen Kalibers: Eine alte Dampflok zieht die Fichtelbergbahn von Cranzahl nach Oberwiesenthal. Ein besonderes Vergnügen, die gemütliche Fahrt im Salonwagen bei Kaffee und Kuchen zu genießen. Und gleichzeitig ein würdiger Abschluss unseres Kurztrips ins Erzgebirge. Zur Nachahmung empfohlen.