aus Kradblatt 2/19, von Jürgen ‚JvS‘ Theiner
Motorprosa – Geschichten aus der Kurve

Ein Blick über den Tellerrand … BMW C evolution - Foto: www.moppetfoto.de

Unerwartet bekam ich die Gelegenheit, den Elektro-Maxi-Scooter „C evolution“ von BMW Probe zu fahren. ELEKTRO – SCOOTER – von BMW, also für mich eigentlich drei No-Gos auf einmal? Die wollten überwunden werden. 

Am Anfang ist der Sattel: breit und mächtig, selbst die Polstergarnitur meiner Harley Road King ist dagegen ein Puppenmöbel. Wegen der schieren Größe bekomme ich mein Bein nicht darüber geschwungen und bleibe mit dem Unterschenkel am Soziussitz hängen – ein souveräner Auftritt gleich zu Beginn. Der angedeutete Durchstiegs-Tunnel hätte das elegante Aufsitzen leichter gemacht.

Es ist einfach alles anders an diesem Fahrzeug. Der Zündschlüssel steckt irgendwo zwischen den Knien, zündet aber nichts, sondern bootet eine irre Menge an Systemen. Vor mir baut sich ein mächtiges Windschild mit zwei gewaltigen Rückspiegeln auf – das könnte auch an einer BMW GS verbaut werden. In den Tiefen des Cockpits steht ein farbenfrohes und lebendiges Display, Tablet-mäßig. Und ich weiß nicht, wohin mit meinen Füßen.

BMW C evolution - Foto: www.moppetfoto.deNach 25 Jahren auf „richtigen“ Motorrädern stellt mich diese gefühlt kuriose Ergonomie vor einige Herausforderungen. Ich sitze eigentlich gemütlich und lässig auf dem 280 kg schweren Gefährt, aber weil nahezu alle vom Motorrad gewohnten Bedienelemente (Kupplungs- und Schalthebel, Fußbremse) nicht vorhanden sind, kommen meine Automatismen schon jetzt, noch im Stand, durcheinander. Die trotz Heizung superdünnen Lenkergriffe verwirren mich komplett.

Der C meldet sich: „Ready“. Die Jungs, die ich heute begleiten darf, sind inzwischen lautlos, da auf gleichem Gerät unterwegs, davongesegelt. 

Ich fühle mich wie ein Fahrschüler: ein Motorrad nur mit einem Dreh der rechten Hand zu beschleunigen, ohne Kuppeln und Drehzahl-Zauberei, das ist mir neu. Auch die Breite des Batterie-Tunnels ist nicht ohne – so breitbeinig wie auf diesem Fahrzeug steht man selten vor einem Stoppschild.

Es geht über einen schmalen und steilen Weg bergauf. Vor mir tobt das Leben, wirft sich offensichtlich schwerelos durch die Kurven. Ich versuche noch, dabei immer weiter zurückfallend, die Elektro-Maschine unter mir zu verstehen: wie lenkt das ein, wie fährt sich das um die Kehren, wie beschleunigt und wie bremst das? Es ist mir äußerst ungewohnt, ohne Motorbremse in Kurven zu fahren, dabei nicht kuppeln und nicht schalten zu müssen – ich taumle aufgrund dieser neuen Freiheit wie angeschossen und schlecht getroffen um die Ecken. Zusätzlich laufen die für mich ungewohnt kleinen Räder etwas instabil. Als mich schließlich, allein im Wald, die Angst beschleicht, ich könnte den Anschluss an das Rudel vor mir komplett verlieren, drehe ich den „Gas“-Griff beherzt nach hinten …

 Wohoooo … Elektro-Power!

BMW C evolution - Foto: www.moppetfoto.deDas leise Summen unter mir wird minimal lauter, die Tonlage wechselt, ansatzlos schießt es mich die Steigung hoch. Diesen spontanen Druck beim kleinsten Zupfer am rechten Griff, den kenne ich so selbst von meiner KTM 1290 Superduke R nicht. Das ist heftig!

Derartigen Vorwärtsdrang ohne großes Getöse zu erleben, auch das kann meine benzingetränkte Seele nicht verarbeiten. Die reinen technischen Daten von „nur“ 72 Nm Drehmoment lassen diesen Wums nicht mal erahnen – aber das ist eben der Unterschied zwischen Verbrenner- und Elektromotor: selbst in der mächtigen Superduke müssen Geschwindigkeit, gewählte Gangstufe und Gasgriff-Stellung zumindest (irgendwie) zusammenpassen, damit der Motor die Landschaft schneller machen kann – der C evolution aber schiebt immer und überall.

Die erste nennenswert enge Kehre fliegt heran – mit 25 Jahren Stilfser Joch-Fahren auf allen möglichen Motorrädern und Autos im Blut erschrecke ich mich erneut. Von der angelernten und gewohnten Hektik an den Bedien-Elementen eines „normalen“ Fahrzeugs kann ich mich nicht lösen und verzweifle fast an der Kurve. Dabei ist es doch ganz einfach: Bremsen, Umlegen, Strom geben, fertig. Man muss sich halt drauf einstellen (können).

Herum ums Eck: die kleinen Räder sorgen zwar für nervöses Handling, aber das satte Gewicht garantiert fette Straßenlage und der spielfreie Antrieb erlaubt elegantes Surfen durch die Biegungen des Weges. Natürlich ist alles elektronisch geregelt, ABS und Traktionskontrolle arbeiten bestens, ich kann mich fahrdynamisch austoben. 

Sehr genial auch der Rückwärts-Gang, der später beim Rangieren für ein gutes Foto im Abendlicht äußerst hilfreich ist und das nominelle Gewicht des Elektro-Cs um mindestens 100 kg reduziert.

BMW C evolution - Foto: www.moppetfoto.deBeeindruckend … 

Beeindruckt stehe ich am Waldrand, hoch oben über dem Vinschgau, und versuche im untergehenden Sonnenlicht meine Gedanken zu sortieren. 

All das, was meine eigenen Motorräder ausmacht – sei es Design und Fahrwerk (Ducati 748S), Sound und Luxus (Harley-Davidson Road King) oder immense Power bei minimalem Gewicht (KTM 1290 Superduke R) – hat dieses Gefährt nicht. Es erlaubt keine Hochgeschwindigkeits-Kurvenfahrten, unterm Hintern vibriert, rüttelt und stampft nichts, es kann keine Wheelies, Drifts oder Stoppies. Es hat also Nichts von all dem, was mich in den letzten Jahren immer wieder in die Geschäfte und zu meinen Kreditberatern getrieben hat. Aber es fährt so einzigartig, so speziell und so süchtig machend, dass ich es nicht erwarten kann, damit wieder ins Tal hinunter zu fahren. 

Der Elektro-Scooter ist mit mehreren Fahr-Modi ausgestattet, da ist für jeden Wunsch etwas dabei: er kann mit reduzierter Leistung, aber dafür höherer Reichweite, gefahren werden und umgekehrt, es gibt einen Segel-Modus, im dem bei geschlossenem Elektro-Griff ungebremst dahingerollt werden kann, und es gibt eine Rekuperier-Einstellung, in der der „Gas“-Griff auch die Bremse ist. Will heißen – schließt man den „Gas“-Griff, bremst der C evolution und lädt gleichzeitig die Batterie wieder auf. Genau in diesen Fahrmodus wechsle ich jetzt.

DAS fühlt sich nun wesentlich besser an als bei der Herfahrt – es reicht, vor den doch ziemlich steilen Kehren einfach den Elektro-Griff zu schließen, um auf passende Geschwindigkeit zu kommen. Das wird zwar argen Reifenverschleiß an der Hinterachse zur Folge haben, dafür spart man auf lange Sicht an Bremsbelägen. 

Der tiefe Schwerpunkt erlaubt ultra­-freches Metern durch die Serpentinen, und im Unterschied zu meiner Superduke, die im Schiebebetrieb heftigst aus dem Auspuff knallt, summt der Elek­tro-Maxi-Scooter leise, unspektakulär und wahrscheinlich auch schneller in Richtung Talsohle.

Dafür halten sich die Kids am Straßenrand nicht demonstrativ die Ohren zu, sondern winken freundlich. Ist mir ebenfalls gänzlich neu.

Elektrisierend …

BMW C evolution an der Ladesäule Die uns begleitende Superduke von Uli verlangt im Tal nach Benzin – mit dem C evolution stehe ich ratlos an der Tankstelle. Außer für eine gelegentliche Reifendruck-Kontrolle und evtl. einen Schluck Wasser für die fliegenverschmierte Scheibe wird man dort nicht mehr anhalten.

Ich wechsle auf das V2-Monster von Uli, die 2017er Superduke. Auf einmal erscheint mir dieses Fahren als kompliziert – 6 Gänge wollen sortiert werden, und dafür muss ich mit fast allen meinen Gliedmaßen arbeiten. Der Klang des Motors ändert sich ständig, der Schub ebenfalls, bei niedriger Drehzahl ruckelt der Antrieb, es hämmert metallisch, es knistert, die Kette rasselt – und beim Abstellen auf dem Buschenschank-Parkplatz riecht es nach nicht ganz verbranntem Benzin und auf dem Auspuff kochenden Naturprodukten. 

BMW C evolution - Ladebuchse Ich betrieb also sehr viel mehr Spektakel und Aufwand als die elektrifizierten Jungs, nur um wieder als Letzter anzukommen – in den Kehren und Kurven hoch nach Tanas wurde ich gnadenlos, lautlos und mühelos abgeledert.

Die Fazite

Nun, das lautstarke und genüssliche Verbrennen von Benzin in einem Motorrad bereitet mir mein halbes Leben lang schon schelmische Freude. Ich kann daran nichts Anstrengendes, Unangenehmes, wenn möglich zu Vermeidendes finden – ich liebe es. OK, spätestens nach 200 km muss ich mir eine Tankstelle suchen, Filter und Motoröl wollen regelmäßig getauscht werden, die Motoren verlangen professionelle Pflege in preis—intensiven Werkstätten, außerdem hält der Staat für meine älteste, kleinste und schwächste Maschine die KFZ-Steuer-hand am weitesten auf.

200 km kommt der C evolution zwar nicht, und auch das „Volltanken“ dauert damit ein wenig länger. Ansonsten ist dieses Ding einfach nur „Aufgesessen – Losgefahren“, und in wenigen Jahren wird auch ein Elektro-Motorrad ausreichende Reichweite bei alltagstauglicher Ladegeschwindigkeit hergeben. Die leise, dabei äußerst heftige Fahrdynamik dieses Elek­tro-Maxi-Scooters beeindruckt – die Uferstraße des Gardasees werde ich aber immer lieber mit der rasselnden, bollernden, sich verschluckenden Road King entlangfahren.

Wind- und Wetterschutz dieses Maxi-Scooters sind konzeptbedingt natürlich Klasse und als kostensparendes, umweltschonendes Zur-Arbeit-Fahr-Mobil wäre der C evolution wirklich eine Überlegung wert. Der heftige Preis steht dem allerdings entgegen. Aber: Es bleibt spannend!

Danke …

Vielen Dank an Erich und Stefan vom Bio-Landhotel Anna in Schlanders, die mir diese Riesen-Batterie auf zwei Rädern unterschoben. Den C-Evolution und andere BMW-Modelle kann man im Bio-Landhotel mieten, Touren und weitere Aktivitäten werden ebenfalls angeboten. Alle Infos gibt es online unter www.vill.it.

Vielen Dank auch an Uli von www.moppetfoto.de für seine genialen Bilder. Uli kann man für eigene Events buchen!

BMW C evolution - alles anders unter der VerkleidungBMW C evolution

  • Motor: permanenterregter Synchronmotor mit Oberflächenmagneten
  • Nennleistung: 35 kW (48 PS)
  • max Drehmoment:  72 Nm von 0 bis 4.650 U/min
  • Vmax: 129 km/h (abgeregelt)
  • Batterie: Lithium-Ionen, luftgekühlt
  • Batteriespannung: 133 V (nominal)
  • Gewicht: 275 kg
  • Preis: ab 14.150 € (1/2019)
    Weitere Fahrzeug-Infos bei BMW und bei Wikipedia.