aus bma 7/01

von Fred Klein

Wir, das sind Christa und Fred, sind beide Mitte 30 und leidenschaftliche Motorradfahrer seit ca. 18 Jahren. Christa fährt seit über 10 Jahren eine Suzuki GSX 550 ES, Bj. 86, und ich neuerdings eine BMW GS 1000, Bj. 89. Meine alte Suzuki GSX 1100 brachte es nicht mehr.
Im Mai starteten wir zu einer dreiwöchigen Urlaubstour mit den Motorrädern nach England und Irland. Unsere beiden größten Sorgen waren die Angst vor dem Linksverkehr und vor dem Wetter – obwohl laut Statistik die Monate Mai und Juni zu den regenärmsten in England gehören. Mal sehen!
Unsere Anfahrt führte uns über die Autobahn durch das Ruhrgebiet, dann weiter nach Holland, Belgien und Frankreich. Auf Grund des schlechten Wetters haben wir für die Anfahrt von ca. 700 Kilometern bis nach Calais/Frankreich zwei Tage gebraucht. Wir sind durch den neuen Eurotunnel, der das Festland mit der Insel verbindet, per Shuttlezug gereist, was pro Person incl. Fahrzeug 140 DM gekostet hat. Was für ein merkwürdiges Gefühl, wenn man bedenkt, wieviel Wasser wir über uns hatten. Nach nur ca. einer halben Stunde hatten wir englischen Boden unter den Rädern. Die komplette Eurotunnel-Anlage ähnelt einem riesigen Güterbahnhof, unserer Meinung nach viel zu groß gebaut, es herrschte nur wenig Betrieb.

 

Von nun an mussten wir in den kommenden zweieinhalb Wochen die linke Straßenseite benutzen. Unser Streckenverlauf: Vom Eurotunnel bei Folkstone ging es per Autobahn über London, Birmingham, Wolverhampton und Shrewsbury nach Bala und in Wales die Küste entlang bis nach Pembroke Hafen. Wie sich jetzt herausstellte, sollten wir unsere mitgebrachten Campingutensilien wie Zelt, Schlafsäcke etc. nicht einmal benutzen können, da es das Wetter nicht zugelassen hat. Es gab in jeder noch so kleinen Stadt Bed and Breakfast.
Wir fuhren in Wales durch herrliche Hügellandschaften, ab und zu kam auch die Sonne durch. Die Umstellung auf den Linksverkehr hat nur ein paar Stunden gedauert. Immer wieder hielten wir an, um Gebäude zu fotografieren, die sich von den anderen durch Farbgestaltung und Aussehen hervorhoben. Herrlich zu fahren und anzusehen war der abwechslungsreiche Küstenstrich von Wales. Wenn nur nicht immer dieser starke Wind wäre. In den zahlreichen, meist kleineren Häfen lagen die Boote bei Ebbe auf dem Trockenen, bedingt durch den großen Tidenhub von etwa sechs Metern.
Pembroke ist eine kleine Industrie- und Hafenstadt mit ca. 15.000 Einwohnern und dem größten und besten Naturhafen von Wales. Unweit von hier, an der Küste von Fishguard, zerbrach vor einigen Jahren der Öltanker Sea Empress. Von hier aus ging es nach Irland. Die Überfahrt ist für Motorräder kostenlos, pro Person kostet es 24 Pfund. Bis hierher sind wir 1800 Kilometer gefahren. Die Überfahrt dauerte knapp vier Stunden, die längsten vier Stunden meines Lebens. Wir hatten sehr starken Wellengang, ich musste ans Deck, um frische Luft zu schnappen und um mich nicht zu übergeben.
In Rosslare Hafen in Irland angekommen, sah unsere Strecke wie folgt aus: Von Rosslare ging es nach Kilkenny, Carlow, zur Küste nach Dublin. Von Dublin nach Nordirland, Belfast und Larne, von dort mit der Fähre nach Schottland. Für Irland hatten wir etwa eine Woche geplant. Zu wenig für dieses schöne Fleckchen Erde. Irland hat 4,4 Mio. Einwohner, incl. Nordirland. Sie sind zu 99 % katholischer als die Polen oder selbst der Papst. Irren ist menschlich, aber Iren sind menschlicher. Sie haben keine großen Reichtümer, aber sehr viel Zeit. Ein Reichtum, den sie singend, sagend, erzählend und trinkend sattsam nutzen. Zeit, die sie aber auch gerne in Gastfreundschaft investieren. Wenn Du nach Irland kommst, wirst Du das Gefühl nicht los, irgendwie haben sie auf Dich gewartet. So freundlich und unkompliziert wie auf Europas grünster Insel wird man als Fremder nirgendwo sonst begrüßt. In Irland ist man nicht Tourist, hier ist man Gast.
Unsere Strecke führte uns durch verkehrsarme Gegenden und eindrucksvolle Landschaften. Oft hielten wir an, um einen Schnappschuss zu machen und eine kleine Pause einzulegen. Kilkenny ist eine reizvolle, mittelalterlich geprägte Stadt. Hier kommt auch das Guiness Bier her. Prost!
Wir verließen Kilkenny, kamen auf dem Weg zur Küste Richting Dublin durch den Ort Carlow, wo uns ein Gebäude das Gefühl gab, wir wären in Rom. Das Gerichtsgebäude ist ein verkleinerter Nachbau des Pantheons.
Dublin ist mit 660.000 Einwohnern die Hauptstadt der unabhängigen Republik Irland, wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt des Landes. Für uns ein Riesenmoloch mit Gestank, Verkehrschaos und Hektik. Grund genug, hier nicht zu verweilen. Wir machten einen großen Sprung von Dublin nach Nordirland. Plötzlich hatte meine BMW Probleme, sie fing an zu qualmen. Von nun an musste ich alle 400 Kilometer die rechte Kerze austauschen und ständig Öl nachfüllen. Wir nutzten sehr oft die Gelegenheit, um Rast zu machen. Meine Gedanken schweiften übers Wasser, denn am nächsten Tag ging unsere Fähre von Larne nach Cairnryan in Schottland – hoffentlich bleibt die Irische See ruhig… würg? Am nächsten Morgen ein letzter Blick von der Fähre zurück auf diese sonderbare Insel, die sich auch Eire nennt.
Schottland ist Gegenstand von Witzen über Geiz, Männer in Röcken, Dudelsack und Whiskey. Es ist das Land der Sagen, Mythen und der Clans. Das sollte für die nächste Woche unsere Heimat sein. Ein paar Angaben zum Streckenverlauf: Von Cairnryan die Küste hoch über Ayr, Greenock, Fort William’s, Inverness, Banff, den Whiskey Trail runter bis Perth, Edinburgh, Barwick, Newcastle, Middlesbrough, Scarborough, Hull, Kings Lynn, quer rüber nach Ipswich und zum Fährhafen Harwich.
Zweienhalb Stunden Überfahrt ohne nennenswerte Erlebnisse, die See war Gott sei Dank ruhig. Pro person und Krad Kosten von 80 DM. Auch das Wetter war uns wohl gesonnen.
Was wollten wir mehr, gute Straßen, wenig Verkehr: die besten Voraussetzungen fürs Motorradfahren. Das einzig Störende war wieder der sturmartige Wind. Ailsa Craig, ein kuppelförmiger Fels von 335 m Höhe und 1,6 km Durchmesser ist ein bedeutender Brutplatz für 70.000 Seevögel. Dort hin wurden früher in Ungnade gefallene Mönche verbannt. Weiter ging‘s nach Ayr, Kulturpause in Cluzean Castle. Es ist weder besonders alt noch besonders geschichtsträchtig, für uns aber spektakulär.
Wir waren jetzt im West-Highland, vor dem aus dem 18. Jahrhundert stammenden Castle Inverary. Nach einem Brand im Jahre 1975 ist es wieder unversehrt zu bewundern. In ganz Großbritannien einmalig, seiner vier runden Ecktürme wegen.
Fort Williams war nicht mehr weit. Das damalige Fort existiert nicht mehr, der Ort steht heute der Touristeninvasion offen. Hier ist der Ausgangspunkt für die Besteigung des höchsten Bergs in Großbritannien, den Ben Nevis mit schneebedecktem Gipfel, 1343 Meter hoch. Er besteht aus Granitgestein, das durch Eis und Witterung zerrieben wurde, diesmal mit wolkenbedecktem Gipfel. Der Aufstieg dauerte sieben Stunden, es musste immer mit Schneefall gerechnet werden, da die monatliche Durchschnittstemperatur um null Grad ist.
Wir machten uns auf den Weg nach Loch Ness. Immer wieder atemberaubende landschaftliche Eindrücke und idyllische Orte. Loch Ness war erreicht. Bei nur 1,5 Kilometern Breite bringt es der See immerhin auf 325 Meter Tiefe. auf mehr aus zwei Dritteln seiner 36 Kilometer Länge ist er über 200 Meter tief. Eigenartig ist, dass er selbst im Winter nicht zufriert. Nessie, das Ungeheuer, tauchte natürlich nicht auf.
Weiter ging’s auf der sehr gut zu fahrenden A 82 direkt nach Inverness. Ca. 20 Kilometer unmittelbar neben Loch Ness entlang. Inverness, oft als Hauptstadt der Highlands bezeichnet, ist mit seinem 38.000 Einwohnern die weitaus größte Stadt im hohen Norden, die unmittelbar in einer saftig grünen, hügeligen Landschaft liegt. Weiter ging es durch die vom Goldregen gelb blühende Landschaft und kleine Dörfer mit herrlichen Herrenhäusern entlang des Malt-Whiskey-Trails zu Glenfiddich-Distillery. Endlich inmitten der Grampian Mountains bei Glenfiddich angelangt entdeckten wir das große Firmenlogo der ältesten Malzwhiskey-Brennerei in Großbritannien, die auch heute noch seit fünf Generationen in Privatbesitz ist. Ein starker Malzgeruch zog auf dem ganzen Gelände durch unsere Nasen, was wir als sehr angenehm empfanden.
Wir machten einen Zwischenstopp in Tomintoul, dem höchstgelegenen Dorf der Highlands auf etwa 1000 Metern Höhe. 20 Kilometer weiter folgte die zweite Whiskey-Distillery Glenlivet. Auch dort machten wir eine Besichtigung, Wenn schon, denn schon. Wir trauten unseren Augen nicht. Und: hier wird auf 800 Metern Höhe Torf abgebaut, deshalb auch der Name Hochmoortorf.
Die beste Jahreszeit für die Reise ins Hochland ist der August und der September, dann ist die gesamte Bergwelt von violetten Farbtönen überzogen, es blüht die Erika, und es sieht nicht ganz so düster aus wie im Juni, als wir in den Highlands unterwegs waren.
Nochmal ein letzter Blick zur Küste bei Harwich, am nächsten Abend ging unsere Fähre. Auf Deck war es bitterkalt, wir hatten Pullman Schlafsitze, wo ich es neun Stunden gerade so aushalten konnte. die Nordsee zeigte sich von ihrer besten Seite, mit einem ruhigen Seegang. Pro Person mussten wir 140 DM bezahlen incl. Motorräder. Von Hoek van Holland ging es die letzten 400 Kilometer schnurstracks nach Hause, natürlich bei sonnigem Wetter – typisch.
In diesen drei Wochen fuhren wir 4400 Kilometer mit dem Motorrad, 300 Kilometer mit Fähren und 50 Kilometer im Shuttlezug durch den Eurotunnel. Von 23 Urlaubstagen fuhren wir 16 Tage mit der Regenkombi, die Mopeds verbrauchten zusammen 580 Liter Benzin, die BMW sieben Liter Öl wegen Ventilführungsschaden. Die Suzuki brauchte nur einen neuen Spiegel, durchs Umfallen bedingt. Die weite Anfahrt zum Eurotunnel würden wir nicht mehr machen, denn nach Holland sind es nur 400 Kilometer, nach Calais aber 700 Kilometer.