aus Kradblatt 7/20 von Marcus Lacroix

Die Macht des großen Akkus

Energica Eva Ribelle, Modell 2020

Die beste Gelegenheit für einen Motorraddealer, seinen Kunden für den Kauf des nächsten neuen Bikes anzufixen ist ja, wenn dieser seine Maschine zur Inspektion bringt. Ganz harmlos heißt es dann „ich hätte da das neue Modell xyz, kannste ja mal eine Runde drehen, während wir dir deine solange fertig machen“. Ja, schon klar – der Händler kennt seine Kunden und welcher Motorradfahrer sagt da schon „lass mal stecken“?!

So geschehen auch Anfang Juni, als ich meine elektrische 2019er Energica Eva EsseEsse9 Special (siehe Kradblatt 1/20) zur 10.000 km Inspektion zur Firma Otten Elektromobilität (Industriestr. 22, 49716 Meppen) gebracht habe. Daniel stellte mir die 2020er Ribelle vollgeladen hin und wünschte mir augenzwinkernd viel Spaß und er sei auf mein Feedback gespannt.

Dominanz: 21,5 kWh und CCS bietet aktuell kein anderer Hersteller an
Dominanz: 21,5 kWh und CCS bietet aktuell kein anderer Hersteller

Die Ribelle ist meiner Esse eigentlich sehr ähnlich, Fahrwerk und allgemeine Ausstattung sind fast gleich. Das Bodywork macht einen auf Streetfighter, der Lenker ist flacher, die Sitzposition etwas tiefer und sportlicher. Der Motor darf 145 Pferde und 215 Nm (quasi aus dem Stand!) entfesseln, meiner ist auf 109 PS und 180 Nm gedrosselt – was ja auch nicht wenig ist. Größter Unterschied ist allerdings der Akku, bei Elektromotorrädern der Gewichtsbringer schlechthin. Während mein 2019er Akku 13,4 kWh bunkert, bringt es die 2020er Ribelle auf 21,5 kWh – ein Kapazitätszuwachs von fetten 60%. Und der kommt noch mit einer Gewichtsreduktion von ca. 15 Kilogramm daher. 

Beim direkten Umstieg das erste Grinsen – die Ribelle fühlt sich tatsächlich leichter an, als diese 15 kg Differenz vermuten lassen. Der neue Akkublock bringt den Schwerpunkt offenbar ein ganzes Stück tiefer. Auch optisch unterscheidet er sich deutlich, wobei meiner mit seinen Kühlrippen doch hübscher ist. Seitliche schwarze Kunststoffplatten dienen vermutlich der Schallreduktion. Beim Fahren ist die Ribelle subjektiv auch etwas leiser – ohne dass eine Energica wirklich leise ist, verglichen mit Zero oder Harley.

Von oben: Energica Eva Ribelle, Modell 2020 Abfahrt – ich fühle mich sofort wohl auf dem Motorrad. Klar, von der Bedienung her ist ja auch alles vertraut. ABS, Traktionskontrolle, Fahr- und Rekuperationsmodi sind unverändert. Wie gewohnt fahre ich im Sportmodus und mit voller Reku – zum einen steht einem die volle Motorleistung ungebremst zur Verfügung (Gripverlust regelt die TK super raus), zum anderen spart man sich beim Verzögern häufig den Griff zu den radialen Brembos und bekommt noch etwas Energie zurück. Spannt man allerdings den Hahn, feuert einen die Ribelle deutlich stärker vorwärts als meine Esse. 145 PS sind dabei eher unspektakulär, die Vmax ist ebenfalls bei 200 km/h abgeriegelt (210 nach Tacho, reichen für ein Naked Bike allemal) – aber das Drehmoment, holla die Waldfee, das rockt wirklich!

Zu dem Paket passen die Pirelli Diabolo Rosso 3 super. Ich hatte meine Esse ja auf Pirelli Angel GT2 umbereift, da mir die Pirelli Phantom nicht lagen und die GT2 laufen wirklich gut. Fast 8.000 Kilometer haben sie schon gehalten und sind noch für ein paar mehr gut (ich schätze min. 2 tkm). Aber scheiß auf Laufleistung, nächstes Mal kommen die Rosso 3 drauf. Spaß kostet und wenn man schon eher wenig zum Fahren kommt, darf es auch ein sportlicher Reifen sein. Die Performance im direkten Vergleich überzeugt einfach. 

Die Marzocchi-Gabel macht auch in der Ribelle einen ordentlichen Job, das Bitubo-Federbein gefällt mir auch da nicht – mein nachgerüstetes Hyperpro spricht sensibler an, nach wie vor ein „must have“ und sein Geld wert. Die Heizgriffe bräuchte ich eher nicht, Key­less-Ride ist bei den 2020er Modellen dafür eine praktische Option im Konfigurator. Die Funktionen der Energica-App inkl. Cockpit-­Anbindung des Smartphones sind nach wie vor ausbaubar.

Von links: Energica Eva Ribelle, Modell 2020Und während mir das alles unterwegs so durch den Kopf geht, fällt der Blick auf die Restreichweiten und Akkustand-­Anzeige. WOW – das ist wirklich ein Unterschied. Während ich bei meinem Akkuschrauber, wie ich meine Esse nenne, meistens nach 100 Kilometern Landstraße den nächsten Schnelllader im Hinterkopf habe (rund 30 km Reserve sind dann i.d.R. noch vorhanden), zeigt die Ribelle noch 45% Akkuladung an! Da mag manch ein Verbrenner-Fahrer drüber schmunzeln, EV-Fahrer ticken diesbezüglich aber anders. Und so stromer ich weiter über Land- und Bundesstraßen. Zuhause stehen dann nach knapp 180 km noch 2% Leistung bereit. Zur Not könnte man da langsam fahrend noch 20 km rausquetschen. Aaaaah – ich brauche diesen Akku! Unbedingt und sofort!

Nachdem ich eine Nacht drüber geschlafen und mein Konto geprüft habe, bin ich wieder etwas entspannter. Der Wertverlust, wenn man ein Fahrzeug nach einem Jahr verkauft, ist einfach zu hoch. Und um mich weiter zu beruhigen: die Sitzposition auf meiner gefällt mir auch besser. Wobei es die EsseEsse9 optional jetzt auch mit dem großen Akku gibt (und mit 200 Nm). Durch die wachsende Zahl an Schnellladern komme ich mit meinem Akku eigentlich gut klar. 10.000 km in 12 Monaten fahren manche auch mit ihrem Verbrenner nicht. Der große Akku lädt außerdem nicht schneller, hätte beim Schnellladen allerdings den Vorteil, dass man sich leichter im idealen Ladefenster bis 80% bewegen kann. Oberhalb von 80% sinkt die Ladegeschwindigkeit, da die Zellen von der Elektronik ausbalanciert werden. Aber nein, das kann ich mir aktuell wirklich nicht schönrechnen …

Die Ribelle kostet als Basismodell bei 19% MwSt etwas über 27 Riesen, die EsseEsse9 knapp 24,9 k€. Dazu nimmt man gerne noch ein paar Carbonteile und andere Extras und bewegt sich dann auf dem Niveau z. B. einer voll ausgestatteten BMW GS. Das ist schon ein Haufen Kohle! Und eine EV-Prämie für Motorräder gibt es derzeit leider nicht.

Egal welche Marke ihr fahrt, den Blick eures Vertragshändlers kennt ihr sicherlich – und Daniel sah es mir bei der Rückkehr auch direkt an, er hat mich angefixt. Er muss jetzt nur noch warten … 

Wer sich selbst ein Bild machen möchte, erreicht Daniel Matthäus von der Firma Otten unter 05931-495950 oder www.otten.de für mehr Infos.