NortronElektrischer Umbau einer Norton Atlas zur NorTron. Aus Spaß am Basteln …

aus Kradblatt 1/16
von Jogi / penta-media.de

Elektrische Norton Atlas – die NorTron

ELMO und NORTRON im Hochbahn Zelt beim HH Stadpark RevivalAuf dem Hamburger Stadtpark Revival entdeckten wir zu unserem Erstaunen am Stand der Hamburger Hochbahn AG ein zweites Elektro-Motorrad: Direkt neben ELMO, dem Auszubildenden-Projekt, von dem wir bereits im letzten Jahr berichteten, stand eine elektrifizierte Norton Atlas mit dem legendären Federbettrahmen aus dem Jahre 1965.

Verantwortlich für die Umrüstung des Oldtimers ist Jürgen Kunzendorf, der auch der geistige Vater und Ideen-Stifter des ELMO-Projektes ist. Er stellte dafür die Cagiva Mito zur Verfügung, an der Christian Häcker seine Azubis in Leistungselektronik, Steuerungs- und Regelungstechnik ausbildet. Es ging dabei nie um Leistung, Tempo oder Reichweite sondern darum, den Jugendlichen technische Abläufe, Funktionen der Steuerelektronik und vor allen Dingen Teamfähigkeit
zu vermitteln.

Nortron Gabelstapler 48 Volt MotorWas die Theorie der Sicherheitstechnik angeht, wurden gewisse Anleihen bei der U-Bahn gemacht, so Jürgen, denn die Fahrzeuge sollen nicht nur fahren, sondern im Fall einer Störung auch sicher wieder zum Stehen kommen. Fail-Save wird dieses Prinzip in Fachkreisen genannt. Die Technik muss Fehler erkennen und den Hauptschalter zur Stromquelle jederzeit unterbrechen können, damit z. B. Kurzschlüsse nicht zu Bränden führen. All das sollen die Azubis bei diesem Projekt lernen und natürlich haben sie sich auch mit Karosserie- und Lackarbeiten auseinander zu setzen. Inzwischen steht ELMO kurz vor der Straßenzulassung.

Nortron Besuch bei Juergen in der WerkstattDie Norton ist nicht das erste Motorrad, an dem sich der Elektro-Ingenieur in seiner Freizeit austobt. Bereits früher hatte er schon einmal eine 125 ccm Yamaha AS3 elektrifiziert und Versuche damit auf dem Heidbergring unternommen. Auch in Oschersleben war Jürgen schon auf der Rennstrecke aktiv.

Die Kritik vieler Anwohner, die sich durch den Lärm der Verbrennungsmotoren gestört sehen, brachte ihn auf den Gedanken, dass der leise Elektroantrieb als Beitrag zur Lösung dieses Konfliktes hilfreich sein könnte.

Nortron elektrischer Burnout

Für den Alltag ist der Elektroantrieb durch seine begrenzte Reichweite und zu lange Ladezeiten zurzeit noch kein vollwertiger Ersatz für den Verbrennungsmotor, aber für ein paar Runden auf der Rennstrecke oder einem Enduro-Übungsgelände reicht es allemal. Der Einfall eine Husaberg-Enduro elektrisch umzurüsten wurde jedoch schnell wieder verworfen, denn der schmale Rahmen der Maschine eignete sich nicht besonders gut, um die großen und schweren Akku-Pakete zu tragen. Da kam die alte Norton gerade richtig. 

Nortron Steuereinheit mit extra Akku PackDie Ideen zum Umbau setzt Jürgen eigenhändig in seinem Werkstatt-Schuppen um und hat Spaß daran, auf diesem Wege seine beruflichen Fähigkeiten und die seine Leidenschaft für Motorräder zu kombinieren. Nicht nur mit Lötkolben und Messgerät kann er umgehen, auch die Handhabung einer Drehbank und des autogenen Schweißgerätes ist ihm vertraut. Die Kombination von Hobby und Beruf kommt bei Motorradfahrern die in Mechaniker-Berufen tätig sind recht häufig vor, die Kombination mit Berufen aus dem Elektrobereich ist dagegen eher selten zu finden. Viele von uns haben in jungen Jahren begonnen an ihren Mofas herumzuschrauben und sich dabei immer mehr gesteigert. Einige beachtliche Custom-Bikes sind so entstanden. Aber wer traut sich als Amateur schon an Elektrotechnik und Steuerelektronik heran?

Statt des Verbrenners wurde in der Norton ein 48 Volt Gabelstapler-Motor verbaut und über eine Kette mit dem Getriebe verbunden. So wurde aus der Norton eine Nortron.

Unter normalen Umständen benötigt der kräftige Gleichstrom-Reihenschluss- Elektromotor auf Grund seines hohen Drehmoments keine Untersetzung. Auch der Drehzahlbereich ist so breit, dass ein Getriebe eigentlich überflüssig wäre. Um eine aufwendige neue Kraftübertragung zum Hinterrad jedoch zu vermeiden, ist das Getriebe einfach drin geblieben. Schließlich handelt es sich um ein privates Low-Budget-Projekt, weshalb auch nur relativ preiswerte Blei-Akkus verwendet wurden. Der Nebeneffekt ist jedoch nicht unerfreulich. Im 2,6-fach untersetzten 1. Gang, bekommt das Hinterrad entsprechend mehr Kraft. Dadurch beschleunigt die Nortron nicht nur richtig gut, auch ein Burnout ist kein Problem.

Die aktuellen Fahrwerte lassen sich mit „beschleunigt flott und schafft ca. 100 km/h Spitze“, einfach umreißen. Die Akku-Kapazität reicht für ca. 10 Minuten Fahrt oder eine Reichweite von 10 Kilometern. Mit Eisenphosphat-Akkus wäre bestimmt für eine halbe Stunde ausreichend Saft vorhanden, meint Jürgen, aber die Dinger sind einfach zu teuer.

Nortron Cockpit

Um das Motorrad zum Leben zu erwecken muss lediglich über einen Knopf am Lenker das Hauptrelais zu den Akkus geschlossen und über einen separaten Schalter die Steuerung für den E-Motor eingeschaltet werden. Anschließend braucht man nur noch am Potenziometer-Gasgriff zu drehen und schon setzt sich die Maschine mit pfeifendem Regler in Bewegung.

Da die Nortron keine Straßenzulassung hat und das auch nicht geplant ist, konnte alles an überflüssigem Ballast weggelassen werden. Spiegel, Hupe und Beleuchtung sucht man vergebens. „Ich bin ein Minimalist“, bemerkt Jürgen. 

Nortron klassisch sportliche Sitzposition

Um mit der Nortron auf dem Heidbergring zu fahren und zu experimentieren braucht man das nicht. 

Verbesserungspotenzial ist noch reichlich vorhanden. Da es sich – wie erwähnt – um ein privates Low-Budget-Projekt handelt, darf es jedoch nicht viel kosten und so geht es nur schrittweise voran. Die Freude am Konstruieren und der Funktion stehen im Vordergrund. Kommerzielle Hintergedanken hat Jürgen nicht.
Um die Spannung von 48 Volt für den Gabelstapler-Motor zu erreichen, wurden vier 12 Volt Akkus in Reihe geschaltet (4 x 12 = 48, bei einer Parallelschaltung bleibt es bei 12 Volt, dafür erhöht sich die maximale Stromstärke). Einer davon ist immer als erster erschöpft, denn die Kapazitäten der Batterien sind nie genau gleich. Deshalb wird gerade an einer Akku-Überwachung gearbeitet, die die Spannung der einzelnen Akkus überwacht und rechtzeitig reagiert, so dass der Akku mit der geringsten Ladung nicht dadurch zerstört werden kann, dass Strom aus den anderen durch ihn hindurchfließt. Außerdem wäre es schön, wenn sich die Extra-Akkus, welche die Steuerung mit Energie versorgen, aus den Fahr-Akkus selbstständig wieder aufladen würden.
Nortron Klassische Duplex TrommelbremseBeim Hamburger Stadtpark Revival konnte Jürgen mit seiner Nortron bereits ganze vier Runden mithalten. Mit neuen Akkus und verbesserter Steuerung soll es nächstes Jahr für den gesamten Lauf reichen. Sein Fazit im Stadtpark: Die Performance reichte zum Mitschwimmen, aber der wirkliche Punch fehlte. Es müssen auf jeden Fall neue Akkus her! 

Das Getriebe ist nicht unbedingt erforderlich. Bin fast nur im dritten Gang gefahren. Dafür lohnt das Mitschleppen dieser Extrakilos nicht.
Die Steuerung muss als erstes verbessert werden. Leider sind die Power Mosfets sauteuer.
Vielleicht findet sich mit diesem Artikel ja ein Sponsor. Freie Werbefläche wäre an der Nortron genug vorhanden.

Oldtimer-Freunden, die eine Träne im Auge haben weil es nun eine Original-Norton weniger gibt sei gesagt, dass alle Veränderungseingriffe reversibel durchgeführt wurden. Sämtliche Teile liegen sauber geordnet und in Kartons verpackt im Regal. „Nur so für den Fall, dass ich irgendwann keine Lust mehr auf Elektroantriebe habe und es wieder knallen und stinken muss …“, feixt der Ingenieur.
Mehr Infos und Bilder gibt es auf Facebook unter „NORTRON“ und Jürgen erreicht man per E-Mail unter Juergen.Kunzendorf@hamburg.de

Technische Daten

– Motor: Gleichstrom Reihenschluss
– Leistung: max. 20 PS
– Nennleistung: 8 PS bei 3300 U/Min
– Akku: Blei-Vlies 4 x 12 V, 35 Ah = 1680 Wh
– Steuerung: POWER MOS FET
– Rahmen: Norton Atlas 750
– Radaufhängung vorn: Norton Roadholder, Lenkkopf kegelrollengelagert
– Radaufhängung hinten: Norton Atlas modifiziert mit Kegelrollenlagerung, ölgedämpfte Teleskopstoßdämpfer, Federvorspannung 3-fach einstellbar, Dämpfung 5-fach einstellbar
– Bremsen: Grimeca Doppel-Duplex-Bremse vorn, Norton Atlas original hinten
– Räder und Bereifung: vorn 1,85×18 mit 90/90×19, hinten 2,15×18 mit 120/80×18
– Gewicht: 165 kg voll geladen