aus Kradblatt 11/19 von Lutz Kramer
Vom Grüßen, der Elektrifizierung des Fahrzeuges
und den ganz harten Bikern …
Je größer das Bike, desto härter der Fahrer – diese einfache Regel gilt schon immer und hat auch in der heutigen Zeit noch Bestand glaube ich. Und ich bin einer von den ganz harten, die nur mit Lederkombi bekleidet, Schlafsack und Zahnbürste im Gepäck ohne Karte mal eben zu einer Party nach Italien fahren: Wenn es in den Alpen bei 6 °C regnet, wird die Kombi eben nass und im Stau von Meran auch, dann nur von innen nach außen. Das war eine echt coole Zeit, die allerdings, wenn ich ehrlich bin, schon mehr als 30 Jahre zurück liegt …
Egal, mein jetziges Bike, eine 78er Honda GL1000, kommt aus dieser Zeit, war mit 1000 cm³ und 4 Zylindern fast das Fetteste, was es zu kaufen gab und deswegen bin ich heute immer noch hart. Und mit diesem Gedanken im Kopf will ich Ganzjahresfahrer werden. Allerdings auf einem Roller, kein Motorrad hätte
sowas verdient. Und damit nicht genug, aus Kostengründen – Geiz ist geil – sollte es ein elektrischer sein. Damit bin ich zwar „nur noch“ Rollerfahrer, noch dazu ein elektrischer und habe in diesem Zustand sämtliche Image-Ansprüche auf Härte verwirkt, aber wenn ich meine Regenklamotten anziehe, erkennt mich keiner, denn sonst ist schwarz und Leder angesagt …
Kurz und gut, der Gebrauchtmarkt machte es diesen Spätsommer möglich, einen der qualitativ hochwertigeren Roller aus mehr oder weniger heimischer Produktion (leider finden sich auch an diesem chinesische Teile) zum günstigen Kurs in meiner Nähe zu kaufen und mit einem Zusatzakku nachzurüsten, da mein Arbeitsweg 25 km in einfacher Richtung beträgt und einmal Laden am Tag reichen soll. Das Leben hat schließlich mehr zu bieten, als die Suche nach einer Steckdose! Und es musste einer aus der peinlichen 50er Klasse sein, weil sich nur damit die unerträgliche Baustellensituation auf der A27 Lesumbrücke (die Bremer wissen, was gemeint ist) sinnvoll umgehen lässt.
Damit sich die ganze Aktion EHRLICH rechnet, muss also meinen
E-Roller bei 2.800 € Kaufpreis und einem Stromverbrauch von 3 kWh/100 km entsprechend 90 ct/100 km gegenüber dem durchschnittlichen Spritverbrauch meines Audi von 10 l/100 km erst mal so ca. 23.000 km fahren. Ok, das wird eine Weile dauern, in den vergangenen sechs Wochen habe ich gerade mal 1000 km geschafft, aber: die Zusage einer mindestens 1.000-fachen Aufladung der Akkus sollte eine Lebensdauer von 50.000 km+x ergeben, folglich rechnet sich das eines Tages. Dazu kommt, dass besagte 1.000 km bislang sehr viel Spaß gemacht haben, also müsste der Fahrspaß in diese Rechnung eigentlich mit einbezogen werden!
Und so ganz nebenbei haben diese 1.000 km auch noch mein Weltbild verändert! Ich frage mich mittlerweile, ob nicht all die Rollerfahrer, die ich bislang als Autofahrer gedisst und als Motorradfahrer ungegrüßt vorbeiziehen lassen habe, doch die härteren Biker sind: Die alles andere als komfortablen 12-Zöller lassen den Rücken mehr als die Konis der GL am Geschehen teilhaben und beugen so dem gefürchteten Sekundenschlaf am Lenker bei Tempo 45 vor. Und schon der September zeigt, dass Sicherheit und Fahrspaß mit Dunkelheit und Regen drastisch abnehmen und das Gefühl, auch dann noch im Weg zu sein, wenn man sich auf den 30 cm Teer zwischen dem weißen und dem grünen Streifen bewegt, immer stärker wird.
Also ihr kleinhubraumigen „daily drivers“, die ihr ohne ABS, TCS, DCT undwasweißichnicht bei Wind und Wetter unterwegs seid: nehmt hiermit meinen vollen Respekt entgegen und lasst euch zukünftig grüßen! Drückt mir die Daumen, dass ich hart genug für die verbleibenden 49.000 km bleibe und haltet euch immer vor Augen, dass es etwas auf dieser Welt gibt, dass nur ihr könnt: Grüßt mal BMW- und Harley-Fahrer ganz lässig mit dem „Peace-Gruß“ und denkt an das, was daraufhin in deren Köpfen vor sich geht! Es macht einen Höllenspaß, sich die empörten Gemüter hinter den Visieren gerade dieser Klientel vorzustellen, die sich ja nicht einmal von jedem Motorradfahrer grüßen lassen wollen! Roll-on, sicher und mit Spaß!
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