aus bma 12/02

von Holger Brandt

12. August, Hochsommer. Wir starten in Hamburg bei Witterung wie aus der 3-Wetter-Taft-Reklame: 15 Grad, Dauerregen und Wind. Bis zum Verladebahnhof Altona sind wir durchgeregnet. Dann 36 Stunden Bahnfahrt bis Frejus in Südfrankreich. In Köln steigen noch Chris und Tom zu. Nette Jungs, mit denen wir noch einen halben Tag die Berge in Frankreich unsicher machen. Der „nette” französische Tankwart will für das Prüfen des Luftdrucks fünf DM haben, weil wir nicht auch tanken. Wir verzichten und fahren weiter. Michael mit seiner BMW GS 100 PD und ich auf meiner Yamaha 750 Super Ténéré, wollen durch Italien fahren und in Brindisi auf die Fähre in die Türkei. Unsere Vorstellung möglichst nur Landstraßen zu fahren geben wir schnell auf, weil wir nur Kilometer fressen aber keine Strecke schaffen würden. Also ab Nizza auf die Autobahn. In Albenga wollen wir das erste Mal auf den Campingplatz. Albenga entpuppt als hässlicher Moloch. Drei Abweisungen auf den Campingplätzen haben zur Folge, dass wir im Freien übernachten.
Am folgenden Morgen schmeiße ich meine XTZ auf die Seite. Beim Ausklappen des Seitenständers bin ich zu unkonzentriert. Die Kiste ist nicht zu halten und bleibt einen halben Meter vor einem fünf Meter tiefen Abhang liegen. Auf den Schreck wird der Angstschweiß erst einmal im glasklaren Bergfluss abgespült.
Am Meer bei DalamanAuf der Autobahn Richtung Livorno fahren wir bis Lucca. Da die hohen Autobahngebühren (ca. 40 DM pro Maschine) ursprünglich nicht eingeplant waren, schmerzen sie doppelt. Ärgerlich auch, dass Autos und Zweiräder das gleiche kosten. Man muss allerdings dazu sagen, dass die Autobahn auf unserem Stück durch unzählige Tunnel führt (geschätzte 60 bis 80). Wenn man sich vorstellt, dass für auf der Strecke Hamburg-Flensburg so aufwändige Bauwerke von Nöten wären, hätten wir hier zu Lande wohl auch schon längst eine Autobahnmaut.
Ab Lucca fahren wir über Landstraße in die Toscana, die sich auch im heißen Hochsommer als herrlicher Fleckchen Erde präsentiert. Um nicht wieder auf einem Campingplatz abgewiesen zu werden, rufen wir mittags einen Platz in Maria Amiata an. Wir dürfen kommen. Also fahren wir auf der S 439 über Pomarance nach Roccastrada durch viele Kurven und schöne Landschaft auf unseren Campingplatz, der ganz ordentlich ist.
Die Mopeds laufen tadellos, nur der Profilverschleiß unserer Reifen (Conti TKC 80 und Metzeler Enduro 3) macht uns ein wenig zu schaffen. In Italien bringen uns die Roller- und Motorradfahrer mit ihrem halsbrecherischen Fahrstil zum Erstaunen. Schutzkleidung sucht man vergebens.

 

Unsere Reise führt uns weiter an den See in Bolsena. Über Rom und Neapel fahren wir zur angeblich schönsten Küstenstraße der Welt, Amalfi. Wir fahren auf den obersten Punkt dieser beeindruckenden Küstenregion. Noch berauscht von den tollen Kurven fragen wir nach einem Campingplatz.
Am nächsten Morgen sind wir gut ausgeruht um die folgenden sehr anstrengenden 30 Kilometer anzugehen. Für diesen Abschnitt braucht man gute Kondition und Nerven. Bei großer Hitze in sehr engen Straßen und völlig überfüllten Städten, bei denen immer ein nicht zu überholender Linienbus oder die Müllabfuhr vor einem fährt, brauchen wir fast zwei Stunden um die Region zu verlassen. Unter diesen Bedingungen wird uns heiß unterm Helm. Michis luftgekühlter Boxer fängt an zu stöhnen, und auch das Motoröl sehnt sich nach Abkühlung. Die Amalfi-Region ist wirklich sehr schön, man sollte aber eine andere Jahreszeit wählen.
Es geht Richtung Potenza zur „Sohle” des italienischen Stiefel. Die hier mautfreie Autobahn haben wir nach kurzer Fahrt praktisch für uns allein. Der Weg führt durch eine schroffe und einsame Berglandschaft über schön geschwungene Autobahnbrücken. An einer einsamen Tankstelle scheint die Zeit still zu stehen, wir kommen uns vor wie im Death Valley. Aber auch hier stört uns, wie überall in Italien, die unglaubliche Umweltverschmutzung. Papier, Kartons und vor allen Dingen Plastik liegen auf jedem Rast- und Campingplatz herum.
Am Abend bleiben wir auf einem Campingplatz in Lido di Metaponto. Abends fahren wir noch in die Stadt. Fastfood und fliegende Händler lassen heimische Gefühle aufkommen, also bloß schnell zurück zum Zelt und ab an den Strand. Gegen 22 Uhr ist auf dem Campingplatz plötzlich Open-air-Disco angesagt. Michael und ich trauen unseren Augen kaum. Die Camper/Innen geben sich wie unter Gruppenhypnose einer Art „Ententanz” hin. Danach spielt der DJ wie aus heiterem Himmel mal eben Sinatras „New York, New York”, gefolgt von einer Art Zirkusartistenmusik. Dann kommt wieder „New York” und noch einmal die Zirkusmusik. Direkt danach erklingt „Spiel mir das Lied vom Tod”. Wir wenden uns mit Grauen ab.
Am nächsten Tag geht’s im kurzen Galopp nach Brindisi, wo wir auf die Fähre nach Çesme/Türkei fahren. Die Jungs auf dem Schiff drücken uns zwei Bändchen in die Hand, mit denen ich zu Weihnachten nicht einmal Pakete einpacken würde. Zum Glück haben wir doch eigene Spanngurte mitgenommen. Bei ruhiger See kommen wir 42 Stunden später in Çesme an, sechs Stunden später als geplant.
Es ist heiß und die nervigen Zollformalitäten wegen der Mopeds treiben uns zusätzlich den Schweiß auf die Stirn. Der Bürokratismus und das Verhalten der Beamten lässt uns die Faust in der Tasche ballen.
Der Hausstrand in unserem Zielort Göçek.Wir fahren 340 Kilometer an der Westküste entlang nach Göçek, wo wir 18 Tage bleiben. Autobahnen gibt es in der Türkei kaum, die Landstraßen sind ganz grob asphaltiert. Bei Nässe ist Vorsicht geboten. Ebenso im Dunkeln, weil unbeleuchtete Eselkarren und Fahrräder die Fahrbahn kreuzen. Die Türken fahren etwas eigenwillig, allerdings ist der Verkehr in ländlichen Gegenden eher gering, was die Sache überschaubar macht. Das Tankstellennetz ist erstaunlicherweise dichter als bei uns. An uns zieht eine tolle Landschaft vorbei. Durch Bergregionen und über Flüsse geht es durch nette kleine Ortschaften, an denen es an jeder Ecke etwas zu essen und trinken gibt. Unser Urlaubsort liegt zwischen Dalaman und Fethiye.
Ein paar Tage später machen wir eine Tour in die Berge. Unser Tourguide ist Klaus, ein Deutscher, der hier lebt. Er fährt eine Honda Dominator in voller Enduroausrüstung.Die Route führt zunächst über feste Schotterpisten und Waldboden. Der Untergrund ist für unsere Reiseenduros noch gut zu bewältigen. An einer Flußquelle mit Trinkwasserqualität wird gebadet und gegessen. Danach fahren wir weiter hoch in die Berge. Der Untergrund wird schlechter. Auf dem letzten Stück „mahlen” wir mit unseren Maschinen im ersten Gang den Berg hinauf. Wir fahren auf ganz losem Geröll und Steinen. Kurz bevor wir das Handtuch schmeißen wollen, sind wir oben angekommen.
Der Ausblick entschädigt für das Geschinde von Mensch und Maschine. Bei sehr guter Sicht könnte man bis nach Rhodos schauen. Wir befinden uns auf etwa 1.000 Meter, hier oben ist eine Feuerstation eingerichtet. Von den netten Aufsehern werden wir zum Tee eingeladen. Wir entdecken zwei alte bulgarische Zweitakter, die uns an Jawas erinnern. Diese tolle Stimmung, mit unseren Mopeds im Hintergrund, saugen wir in uns auf. Die Abfahrt vom Berg wieder runter ist natürlich auch nicht ohne, und wir kommen uns wie Helden vor.
Die nächsten Tage wird ausgespannt, die Motorräder werden gründlich inspiziert, schließlich sollen sie uns noch zurück nach Hamburg bringen.
Dann fahren wir nach Kas. Die Landstraße ist teilweise so wenig befahren, dass uns auf 25 oder 30 Kilometern nur zwei bis drei Fahrzeuge begegnen. Die letzten 20 Kilometer nach Kas fährt man direkt an der Steilküste entlang: Ein Traum und ein absolutes Muss, wenn man mit dem Motorrad in dieser Region unterwegs ist. Es finden sich ganz kleine Badebuchten wie aus Hochglanzreisemagazinen, an denen man ungestört baden und sonnen kann.
Eigentlich wollten wir über Bulgarien und Rumänien die Rückreise antreten, aber davon nehmen wir Abstand und buchen die Fähre von Mamaris nach Rhodos. Die zweistündige Überfahrt für zwei Personen und zwei Motorräder kostet uns 175 US-Dollar! Dabei ist der Kahn nur eine Art Barkasse, auf deren Heck sechs Autos und ein paar Zweiräder Platz haben. Bei ruhiger See wird diese 30 Meter Nussschale trotzdem dermaßen hin und her geworfen, dass uns schlecht wird. So viel zum Fährverkehr Türkei-Griechenland.
Kein Autofriedhof!Schon bei der Abfahrt in der Türkei schwächelte meine Batterie. Als wir von der „Fähre” runter wollen, hat sie endgültig den Geist aufgegeben. Die Ursache des Übels ist schnell gefunden: Der Patient ist knochentrocken. Nachdem ich staunend den Befund zur Kenntnis genommen habe, frage ich einen Taxifahrer nach Batteriewasser. Im Handumdrehen kriegt die Batterie das notwendige Nass, das Moped springt willig an. Ich weiß mir keine andere Erklärung, als dass die Hitze in Italien und in der Türkei das Wasser schlichtweg verdampft hat. Weiter geht es mit der „Super Fast Ferry Line” nach Piräus. Die Fähre ist ein Inselhüpfer und steuert über Nacht mehrere Inseln an. Morgens legen wir in Piräus an.
Von der Ostküste fahren wir über die Straße von Korinth nach Patras. Da die nächste Fähre erst am Abend geht, haben wir für die 200 Kilometer den ganzen Tag Zeit. Die Landstraße direkt am Wasser erweist sich als ganz tolle Etappe. Die grüne Markierung in der Landkarte ist voll berechtigt! Wir lassen uns treiben. Wenig Autos, leckerer griechischer Salat und Baden im Meer. Auch die letzten Tage des Urlaub sind großartig.
Die Fähre von Patras nach Ancona ist plötzlich der pure Luxus, leider aber auch die Preise für Lebensmittel und Getränke. Wir buchen die kostengünstige Deckpassage und schlummern im Schlafsack auf dem 10. Deck des Luxusliners mit rund 100 Lastwagen im Schiffsbauch. Am nächsten Tag lassen wir es uns auf dem Sonnendeck mit Swimmingpool gutgehen. Wir genießen die Sonne, ohne zu ahnen, dass dies die letzten Sonnenstrahlen für die nächsten 24 Stunden sein sollen.
Es ist Anfang September, Wetter wie aus der… Das kennen wir doch schon? Uns erwarten in Italien wieder Regen und Kälte. Dann folgt der Tiefpunkt der Reise. Zum Wetter gesellt sich noch der Umstand, dass in Italien letzter Ferientag ist. Vor Rimini tobt das Chaos. Ganz Italien hat sich hier verabredet, um gemeisam zur gleichen Zeit nach Hause zu fahren. Ich habe noch nie so viele Wohnmobile und so endlose Staus erlebt. Auf den Zufahrten zu den Autobahnen und vor den Mautstationen sieht es nicht besser aus. Wie an der Kasse bei Ikea am Samstagmittag.
Wir tasten uns mit den Zweirädern ganz vorsichtig immer auf dem Mittelstreifen entlang vorwärts. Autounfälle am Stück und die Fahrweise der Italiener (grausam) lassen uns mit voll geschärften Sinnen fahren.
Wir geben schließlich doch auf und fahren landeinwärts Richtung Bologna und Imola zum Gardasee. Wir haben kaum Kilometer geschafft, es ist schon spät am Abend, und wir fahren die Nacht durch.
Die Szenerie auf der Autobahn wirkt unwirklich. Wir werden stundenlang von Sturmböen und Gewitter begleitet (zum Glück ohne Regen). Wir stellen uns unter Autobahnbrücken unter, weil wir denken, dass im nächsten Augenblick der Himmel seine Schleusen öffnet und wir weggespült werden.
Morgens um 5 Uhr erreichen wir die Raststätte Gardasee. Wir sind duchgefroren und wärmen uns mit Tee. Dann holen wir die Schlafsacke raus und legen uns in voller Kluft erstmal eine halbe Stunde zum Schlafen auf den Asphalt.
Als es hell wird, geht es weiter zum Gardasee Richtung Meran. Morgens umfahren wir die östliche Seite des Sees. Übermüdet frühstücken wir vor einem Supermarkt. Die Sonne scheint! Uns geht es gut. Die Etappe endet zwischen Bozen und Meran in einem schlichten, groovig tapezierten Doppelzimmer – original aus den siebziger-Jahren.
Morgens geht es über den Jaufenpass. Super Kuven, tolles Panorama, rote Bäckchen und steife Glieder. Es fehlt eigentlich nur der Schnee… Aber Hauptsache wir sind cool, weil wir nicht wie andere Biker mit dem Autozug bis München, sondern eben von der Türkei kommend die Berge erstürmen.
Stürmisch wird auch die Abfahrt, auf der wir die einzige wirklich gefährliche Situation auf der gesamten Reise erleben – ausgerechnet mit einem anderen Biker. Ein durchgeknallter Kawa-Fahrer kommt mir nach einer Kurve auf der Geraden mit „Hallo” auf meiner Spur entgegen. Wir können unsere Motorräder noch so gerade aneinander vorbei bewegen. Wäre ich mit dem Auto unterwegs gewesen, hätte er die Passhöhe sicher nicht erreicht. Ich fluche und denke, für solche Typen werden dann später an den Landstraßen die Kreuze aufgebaut.
Wir fahren über den Brenner und übernachten nochmals in der Nähe von Wasserburg. Am nächsten Morgen ist das Wetter so schlecht, dass wir entgegen unser Planung auf die Autobahn gehen und die restlichen 800 der insgesamt fast 5.000 Kilometer nach Hamburg schnell durchzuziehen.