Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 7/25 von Marcus Lacroix
Bedienerfehler oder überempfindliche Technik?

An meinem schönen teuren Motorrad sind die Bremsscheiben verzogen. Schicke Brembo Oro mit fetten Brembo M50 Monoblock-Sätteln. Die sehen nicht nur wichtig aus, die verzögern auch wirklich ordentlich. Da hätte man vor gar nicht langer Zeit Rennen mit gewinnen können. Heutzutage schmücken diverse Hersteller ihre Bikes mit edler Ausstattung, um Kunden anzulocken – für den Alltag meistens überdimensioniert.
So weit, so ärgerlich, das kann aber ja schon mal vorkommen. Nun ist es aber nicht das erste Mal, dass meine Bremsscheiben heftig pulsieren und somit als Deko enden. Letztes Mal gab es die von Brembo noch auf Kulanz, der Zug ist aber abgefahren.
Als internetaffiner Mensch greift man bei Problemen ja direkt zur Suchmaschine (statt zu Google lieber zu Ecosia.org, die pflanzen Bäume) und findet diverse Leidensgenossen auf der ganzen Welt. Und nachdem ich mein Problem auf der Kradblatt Facebook-Seite geschildert hatte, entwickelte sich auch dort eine schöne Diskussion rund um krumme Scheiben – von „kenn ich auch“ bis „noch nie gehabt“, das Ganze zudem markenunabhängig. Motorradhändler haben auch schon die eine oder andere Bremsscheibe auf Garantie bzw. Kulanz getauscht, sofern Bremsenhersteller oder Importeure nicht einfach auf „Bedienerfehler“ verweisen.
Den schwarzen Peter weiterzugeben finde ich etwas einfach. Als Bediener will ich doch nur, dass mein Motorrad in jeder Situation sicher zum Stehen kommt. Ich will mir nicht anhören müssen, dass ich die Bremsanlage erst warmfahren soll um ein Verziehen der Scheiben zu verhindern. Das mag auf der Renne funktionieren, ganz gewiss aber nicht im Touren-Alltag. Und wenn das teure, aus dem Rennsport abgeleitete Bremswerk einen etwas höheren Pflegeaufwand hat (Stichwort Floater), schreibt das bitte in eure Bedienungsanleitungen!
Was bitteschön sind „Floater“, fragen sich jetzt manche von euch. Kurz gesagt sind Floater diese runden „Nieten“, die den Innen- mit dem Außenring der Bremsscheibe verbinden. Der Außenring ist dadurch beweglich, die Scheibe „schwimmt“. Eine umfassendere Beschreibung findet ihr auf <dieser> Website.Diese Floater müssen freigängig sein, damit sie ihrer Arbeit nachkommen können. Gammeln sie durch Bremsabrieb und womöglich noch Winterbetrieb fest, verzieht sich eine Scheibe schneller und der Austausch kostet i.d.R. einige hundert Euro nur an Material. Anschaulich erklärt „Delboy’s Garage“ auf YouTube die Zusammenhänge und die Reinigung der Floater, das Video verlinken wir euch auch (Vielen Dank an moppetfoto.de für den Tipp). Aber auch von anderen Gründen hört und liest man, z.B.: Passabfahrt mit viel Bremserei, unten im Tal an einer Ampel mit gezogener Bremse gewartet – zack, Scheibe krumm durch ungleichmäßige Hitzeabführung.
Worauf ich bei der ganzen Sache hinaus will? Hersteller sollten bei all dem schönen Hightech-BlingBling die Alltagstauglichkeit nicht außer Acht lassen, auch wenn hierzulande Motorräder statistisch kaum über 2000 km im Jahr bewegt werden. Und wenn mein Mopped schon eine Hightech-Mimose ist, möchte ich gerne ehrlich darüber aufgeklärt werden. Dann nehme ich entweder den erhöhten Aufwand und die Kosten in Kauf oder ich entscheide mich für ein anderes, pflegeleichteres Motorrad. Aber stellt Kunden bitte nicht hinterher als doof hin …
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Nachtrag:
einen weiteren Grund für eine ungleichmäßige Bremswirkung erklärte mir die Tage im persönlichen Gespräch (ohne Aufzeichnungsgeräte 😉 ) ein Techniker.
Oft ist nicht die Scheibe krumm sondern die Qualität des Stahl-Rohlings einfach schlecht. Die Scheiben sind zwar voll maßhaltig, die Struktur des Stahls ist aber ungleichmäßig.
In der Produktion werden die Oberflächen mit einer gleichmäßigen Rauigkeit geschliffen. Bremst man diese erste „Schicht“ nun weg – was dem Techniker zufolge je nach Kunden und Fahrstil auch +/- 5000 km dauern kann – kommt die ungleichmäßige Reibwirkung des Stahls zum tragen.
Der Kunde reklamiert dann eine verzogene Scheibe, der Händler tauscht die im Idealfall auf Garantie oder Kulanz aus. Das wird i.d.R. 1x gemacht und danach hat der Kunde den schwarzen Peter.
Qualität kostet und gespart wird an allen Ecken und Kanten – oder eben den Scheiben. Die Bremswirkung ist ja trotzdem gegeben und das ganze betrifft auch „Platzhirsche“ …
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