Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 3/22 von Mathias Thomaschek, www.zweirad-online.de

Fährst du schon oder wartest du noch?

Mathias ThomaschekWas haben wir im Westen früher über die DDR und ihre Versorgung mit Kraftfahrzeugen gelacht! 15 Jahre galten als Standardzeitraum von der Bestellung eines Trabbis bis zu dessen Auslieferung. Außer, man kannte einen, der einen kannte. Oder man hatte das richtige Abzeichen am Revers. Alles Geschichte – die gerade in Gesamtdeutschland zurückkehrt. Jetzt stehen die Schlangen vor Impf- und/oder Testzentren. Da lacht keiner mehr. 

Und wie ist es bei Motorrädern? Da gibt es einen Unterschied zu ehemaligen Ostzonenzeiten. Dort bekam man ein Fahrzeug zwar nach einer gefühlten Ewigkeit – aber dann bekam man es (meistens) auch.

Wer dagegen heute den Fachhändler seines Vertrauens unter Androhung einer größeren Geldsumme zur Bestellung eines Traummotorrades nötigt – erntet oft nur ein müdes Kopfschütteln.

Das gab es in den letzten Jahrzehnten auch schon immer wieder mal. Weil Großserienbikes nicht auf Bestellung gebaut werden, sondern in Chargen wie die Semmeln beim Bäcker, waren neue Modelle, die wie eine Bombe einschlugen, für ein Modelljahr ausverkauft, bevor die Saison rum war. Konnte passieren, war aber die Ausnahme. Die wiederum ist in diesem Frühjahr die Möglichkeit, ein neues Fahrzeug nicht nur in der gewünschten Farbe oder Ausstattungsvariante, sondern überhaupt zu erwerben.

Fatalerweise zieht sich diese Liefersituation, glaubt man den Insiderinformationen des Fachhandels, quer durch alle Marken. Und was noch schlimmer ist: Der Fachhandel kann nicht nur nicht liefern, sondern er kann nicht einmal sagen, ob und wann er liefern kann. Weil der Importeur oder Hersteller ihm Verfügbarkeitslisten online stellt, die eine Halbwertzeit ähnlich den Benzinpreisen haben. Was um 9 Uhr noch in KW 10 lieferbar war, ist um 9.05 Uhr plötzlich erst in KW 38 und damit pünktlich zum Saisonende verfügbar. Das muss aber nicht so bleiben. Vielleicht stolpert das Lieferdatum bis dahin noch ein paar mehr Mal hin und her. In manchen fernöstlichen Ländern fahren so die Züge. Ohne Fahrplan; wenn ein Zug kommt, ist er da! Fertig.

Ein auf Neuverkäufe angewiesener Motorradhändler möchte ich momentan nicht unbedingt sein. Es sei denn, ich vertrete eine dieser neuen chinesischen Motorradmarken. Glaubt man den Importeuren, so dürfte die pünktliche Lieferung hier kein Problem sein. Der Verschwörungstheoretiker bastelt daraus munter die Story von der priorisierten Belieferung des einheimischen Marktes mit den wenigen verfügbaren Mikrochips. Während – wieder so ein Gerücht – Porsche hunderte Haushaltsgeräte (Mikrowellen) aufkauft, nur um an die darin verbauten Mikrochips zu gelangen. Damit endlich einige Topmodelle aus Zuffenhausen, die den baugleichen Chip benötigen, ausgeliefert werden können.

Uns als Endverbraucher bleibt in dieser grotesken Situation nur ein Trost: Nehmen was da ist oder die Alte weiterzufahren. Oder, wenn es auch anderen so wie mir geht und das Bike schon verkauft ist, zu hoffen, dass das Schiff mit der Neuen nicht auf einer Ölspur im Weltmeer ausrutscht. Preisdiskussionen kann man sich übrigens ganz sparen.

KW 10, hat mein Händler gesagt. Ok, kann ich erwarten. In Rot hat er gesagt. Na ja. Und in Schwarz? KW 17. Das ginge ja auch noch. Bis er „2023“ hinterherschiebt …