Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 10/21 von Mathias Thomaschek, www.zweirad-online.de

Einfach mal wieder einfach nur fahren …

Mathias Thomaschek - ZweiradWird man im Laufe seines Lebens eigentlich immer mimosenhafter, zickiger und empfindlicher? Ich beobachte derartiges gerade bei mir. Und zwar immer dann, wenn ich Motorrad fahren will.

Bereits beim Morgenkaffee grüble ich, ob ich das Gore-Tex-bewehrte oder das aus Mesh-Material genähte Bikergewand wählen soll. Angeblich werden es heute bis zu 24 Grad, für den Mesh-Kittel also bereits Wohlfühltemperatur. Aber hat der Wettermann da nicht von „Nachmittag vereinzelt Gewitter“ schwadroniert? Gut, dann packe ich eben eine Regenkombi ein. Angeblich regnet es ja nie, wenn man die dabei hat. 

Aber für die Regenklamotten brauche ich den großen Tankrucksack. Den muss ich erst einräumen: Visierputzzeug, Reservebrille, Ladeadapter und Kabel für das Smartphone. Dazu Einmalhandschuhe aus dem alten Verbandskasten für Notreparaturen am offenen Motor, Taschentücher, Augenspray gegen Heuschnupfen, ein zweites Paar Handschuhe (warum auch immer) Smartphone, Geldbeutel, Wasserflasche. Habe ich was vergessen? Ach ja, die Ohrenstöpsel in die Ärmeltasche, die FFP2-Maske in die rechte Jackentasche. Es wäre angebracht, zur Stressvermeidung noch die Fahrzeugpapiere einzustecken, alle anderen Dokumente befinden sich zentral im Geldbeutel.

Es geht bereits auf Mittag zu und ich eile zur Tür. Haaaalt! Navi vergessen! Zurück und schnell in die rechte Hosentasche geschoben. Wann habe ich eigentlich meinen Blauzahn am Helm aufgeladen, auf dass mir die Dame den rechten Weg ins Ohr flötet? Egal jetzt, los! Am Motorrad wird alles zügig verstaut und die Jacke geschlossen. Wo ist das Halstuch? Natürlich auf der Garderobe. Nein, jetzt laufe ich nicht noch mal zurück, gebe Wespen eine Chance!

Helm auf, Schloss zu, Handschuhe an. Einer fällt runter. Mist, nochmal absteigen. Handschuh aufgehoben, wieder aufgestiegen. So, jetzt aber! Die Handschuhe sitzen, die Ärmel sind vorschriftsmäßig geschlossen. Los jetzt! Wo ist der Zündschlüssel? Natürlich habe ich ihn eingesteckt, komme aber auf dem Motorrad sitzend mit den Handschuhen nicht mehr an die rechte Hosentasche.

Spätestens dieser Moment, in dem man merkt, dass der Blutdruck in den Kickdown und die Laune endgültig in den Keller geht, führt bei mir in letzter Zeit zu Gedankenspielen: so ein Cabrio wäre doch auch ganz nett. Aufsperren, Rucksack mit allen Dingen zum Überleben auf den Rücksitz, Türe zu, Zündung an – los!

Bin ich der einzige Im-Alter-alles- Verkomplizierer auf dieser Welt? Gut, so extrem ist es nicht ständig, aber wenn’s hektisch wird, wird es schlimm bei mir. Bin ich zu alt zum Motorradfahren? Oder denke ich nur zu kompliziert? Oder mach ich mir für die Zukunft eine Checkliste wie die Piloten in der kommerziellen Luftfahrt, die ich dann vor jedem Start Punkt für Punkt abarbeite?

Früher – so habe ich es in Erinnerung – bin ich einfach aufs Motorrad gestiegen und losgefahren. Okay, früher gab es auch noch nicht so viel Zeug zum Mitnehmen für alle Fälle; ich besaß nur einen Motorradanzug, und die Visiere haben wir im Extremfall an der Tanke gereinigt.

Mein guter Vorsatz lautet für den Rest dieser Saison: Zurück zur Schlichtheit und nicht so viel denken. Ich arbeite schon mal daran.

Wem es ähnlich geht, der darf mir gerne schreiben. Dann bin ich nicht so allein …