Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 10/19
von Mathias Thomaschek, www.zweirad-online.de
Motorradfahrer spalten sich zu sehr selbst …
Als vor 50 Jahren „Easy Rider“ in die Kinos kam, war das weit mehr als ein Roadmovie, in dem zwei kiffende Hippies mit umgebauten ehemaligen Polizeimotorrädern einen Boom auslösten, der bis heute anhält.
In diesem Film, der dem konservativen Amerika einen Spiegel vorhalten sollte, ging es unter anderem auch um Toleranz, um das Miteinander mit Menschen, die anders waren und dachten als der Rest.
Hat mich damals schwer beeindruckt, und ich war und bin immer noch der Meinung, dass Toleranz, Akzeptanz und in einer gewissen Art und Weise auch Gleichmut die beste Möglichkeit ist, friedlich und stressfrei durchs Leben zu kommen.
Früher – ihr wisst schon – als alles noch viel besser war, da waren wir Biker in unseren Lederjacken die Rebellen, die sich genau wie die Filmprotagonisten gegen das bürgerliche Establishment auflehnten, die Krach machten, ihre eigene Musik hörten und wilde Dinge taten. Oder zumindest so taten, als ob.
Was heute davon übriggeblieben ist, das kann jeder selbst beurteilen. Fahrt einfach zu einem Bikertreff, setzt euch still auf eine Bierbank, beobachtet die Leute mal eine Stunde lang und hört ihnen zu. Von Rebellion und „Born to be wild!“ ist da nicht mehr viel zu spüren.
Leider aber auch nicht mehr von der früher so gelobten Toleranz untereinander. Ein eingeschworener Haufen, so wir je einer waren, sind wir längst nicht mehr. Der Harley-Fahrer z.B. redet heute nicht mit, sondern lästert nur über den GoldWing-Fahrer; der wiederum unterhält sich natürlich nicht mit Jemandem, der keine 30.000 € für sein Motorrad ausgegeben hat. Weil er es einfach nicht konnte. Nein, nein, man will schon unter sich sein, begibt sich nicht in die Niederungen anderer Marken, deren Produkte in den eigenen Augen sowieso minderwertig sind.
Leute, muss das wirklich sein? Dass wir, die so freiheitsliebenden, mutigen und vermeintlich Wilden uns schon untereinander in verschiedene Schubladen stopfen. Eigentlich ist die Straße doch für alle da, und die Kurven für alle gleich. Egal, ob wir auf einem Musikdampfer der Halbtonnerklasse mit angebautem Küchenbuffet, einer Rennsemmel mit den Fußrasten unter den Ohren, auf einer hohen Enduro oder einer 125er sitzen.
Kleiner Einwurf an dieser Stelle: Ja, BMW GS-Fahrer sind auch Biker, die eben mit ihrem Motorrad auf ihre Weise Spaß haben. Und die wir genauso auch dann grüßen sollten, wenn sie manchmal in beängstigend großen Rudeln auftreten. Ist halt so und es ist doch nichts Schlimmes dabei!
Ich habe in meinem Leben gelernt, zuerst jeden, mit dem ich kommunizieren will, als freundliches, tolerantes und aufgeschlossenes Wesen einzustufen. Er kann mich ja immer noch davon überzeugen, dass er ein Riesendepp ist. Vorher ist er mein Freund.
Also, ihr Biker da draußen: Nehmt einfach hin, dass es unter uns Leute gibt, die ihr Hobby auf andere Art und Weise ausüben als wir selbst. Missioniert nicht, lasst die Schubladen zu und seht lächelnd darüber hinweg. Bemüht euch lieber, die nächste Kurve so perfekt, wie es nur irgendwie geht, zu fahren. Das zählt, sonst nichts!
Ich wünsche Euch einen schönen Restherbst und einen traumhaften knitterfreien Saisonabschluss.
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