Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 9/17
von Holger Gehrke
Zwischen Teufel und Spielcasino am Meer
Sprachliche Irrungen zu Hondas legendärem Dauerläufer Deauville.
101 PS sind bei Bikern wenig beliebt, bei Versicherungen indes schon. Denn ab 100 PS wird’s teurer, und zwar deutlich. 101 Dalmatiner in Walt Disneys Film hingegen haben einst das Volk begeistert. Gewiss, das ist auch schon ein paar Jahre her, aber besonders „die Böse“ mit Namen „Cruella de Vil“ hat sich so nachhaltig in die Gemüter eingeprägt, dass es bis ins heutige Sprachempfinden durchschlägt.
Dabei war die Namensschöpfung für diese Dame in genialer Form genau das, was die Römer früher „nomen est omen“ nannten: Der Name steht für die Figur, für den Charakter, für das Spezielle und Besondere einer Person oder einer Sache. „Cruella“ enthält „cruel“ = grausam; „de Vil“ wird bewusst oder unbewusst als „devil“ = Teufel mitgelesen. „Cruella de Vil“ ist also die grausame Teufelin, die über (Hunde-)Leichen geht.
Das sitzt so tief in unserem Sprachempfinden, dass eines der besten, weil alltagstauglichsten Motorräder aus dem Honda-Sortiment, bis heute darunter leiden muss: die formvollendet-verkleidete, in rundlichen Formen all überall glänzende NT 650 V. Sie trägt den stolzen Beinamen „Deauville“.
Ausgesprochen, jedenfalls vom Hersteller so beabsichtigt: „Dohwill“. Das sagt aber kein Biker, sagt nicht einmal der Honda-Gebrauchtbikeverkäufer. Als wären in den stylischen und in zwei Breiten erhältlichen Koffern, in denen man sogar ein französisches Baguette quer durchstecken kann, noch ein paar gequälte Dalmatinerwelpen verborgen.
Alle sagen „de Vil“. Teuflische Sprachverwirrung, die dem gemütlich-zuverlässigen Dauerläufer wahrlich nicht gerecht wird. „Deauville“ hingegen ist ein nobler französischer Badeort an der Kanalküste, unweit des weit schöneren Touristenmagnetes „Honfleur“. Wer mit dem Bike über die grandiose Seine-Brücke „Pont de Normandie“ – übrigens kostenlos im Gegensatz zu Autos – kommt, sieht beide Orte schon vor sich liegen. Während Honfleur ein alter Fischerort mit Charme und Charakter ist (wenn die Touristen mal weg sind), sich über Jahrhunderte entwickelt hat, ist Deauville in kürzester Zeit aus dem Nichts geschaffen worden. Gewissermaßen das französische Las Vegas, nur halt nicht in der Wüste, sondern am Meer. Hier sammelte sich das große Geld, hier verbrachten die reichen Pariser ihren Sommerurlaub: Tags am Strand, nachts im Casino, nie auf einer Honda-Deauville.
Aber auf dieses Flair zielten die Honda-Namensgeber ab. Warum auch immer. Würde eher für eine Harley passen oder besser noch Boss Hoss. Vielleicht ist auch das mit ein Grund, warum kaum ein Biker diesen Motorradnamen richtig ausspricht und immer stattdessen die teuflische Dalamatiner-Tusse bemüht. Obwohl: die wäre vermutlich bei ihrem Lebensstil auch lieber nach Deauville als nach Honfleur gefahren.
Liebe Biker! Gönnt doch der guten, alten NT 650 V ihren von ihren Erschaffern zugedachten wirklichen Namen! Sie hatte eh schon so viel Spott zu ertragen, als man sie als „Schwulenschaukel“ oder „weichgespülte Mini-Pan“ beschimpfte. Das hat sie nicht verdient! Verdient hat sie das noble Flair einer „Deauville“ (gesprochen Dohwill) und nicht das teuflische „de Vil“ der Dalmatiner-grausamen „Cruella“!
Packt euch ein Baguette quer in die Koffer, fahrt mautfrei über die grandiose Pont de Normandie, setzt euch in Deauville an den breiten Strand und genießt dort den Tag! Und vergesst alle Dalmatiner-Tussen …
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