Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 09/19 von Marcus Lacroix
Möglichkeiten der EU beim Führerschein ausschöpfen
Was gab es doch im Juni für einen kollektiven Aufschrei in den Medien – auch unter Motorradfahrern! Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat doch tatsächlich die Überlegung angestellt, man könnte Autofahrern den Zugang zum A1-Führerschein (ja, die 125er Klasse) erleichtern und auf umfangreiche Prüfungen verzichten. Sodom und Gomera (RIP, Else Kling), Verkehrschaos und massenweise Tote prognostizieren die Bedenkenträger. Die dafür angeführte und vielfach kopierte Statistik aus Österreich wird übrigens vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V. unter www.rwi-essen.de/unstatistik/92/ hinterfragt und zerlegt.
Aber Moment mal, wird der etwas angegraute Leser um die 50 jetzt einwerfen wollen, da hatten wir doch schon mal was in den 1990er Jahren. Korrekt, denn wer seinen PKW-Führerschein vor dem 1. April 1980 gemacht hat, durfte (und darf) damit auch 125er ohne jedwede Schulung oder Prüfung fahren. Und selbst der Aufstieg in den A2 (Motorräder bis 48 PS) ist mittlerweile mit recht geringem Aufwand möglich. Damals gab es einen 125er Boom und viele, die so eingestiegen sind, machten später einen Schein für „richtige“ Motorräder. Mittlerweile ist der Bedarf in dem Bereich altersbedingt aber ziemlich gesättigt und ich habe schon damals nicht verstanden, warum die Regelung auf einen Stichtag begrenzt wurde statt sie fließend zu gestalten.
Nach EU-Recht ist es gar kein Problem. Italienische PKW-Führerscheine umfassen die Klasse A1. Und auch österreichische PKW-Führerscheine der Klasse B umfassen die Klasse A1, wenn mindestens 5 Jahre ununterbrochener Besitz der Klasse B besteht und der Nachweis des praktischen Fahrunterrichtes von insgesamt mindestens 6 Stunden in Fahrschulen oder bei einem Automobilclub nachgewiesen wurde. Und die beiden Länder sind nicht alleine.
Warum also dieser kollektive deutsche Aufschrei, wenn aus dem Verkehrsministerium endlich mal eine gute (ok, in Österreich geklaute) Idee kommt? Herr Scheuer hat schließlich nicht vorgeschlagen, völlig Ahnungslose mit 200 PS Raketen auf die Menschheit loszulassen.
Jeder PKW-Führerscheinneuling darf die leistungsstärksten Wagen pilotieren, ein erfahrener Autofahrer soll aber mit einer vernünftigen Einweisung nicht in der Lage sein, eine 15 PS / 125er sicher durch den Verkehr zu bewegen? Sorry, aber dann müsste der Großteil unserer älteren Leser angesichts ihrer ziemlich rudimentären Fahrschulausbildung längst unter der Erde liegen. Denn trotz des angeblich immer schlimmer werdenden Verkehrs bleibt eines immer gleich: jeweils ein Fahrzeug vor, hinter und neben mir! Um sicher zu fahren bedarf es vor allem Erfahrung – keine Prüfungen! Und da bringen nach meiner Überzeugung ein paar ordentliche Fahr-Sicherheitstrainings mehr als alle vorgeschriebenen Übungs-Fahrstunden in der Fahrschule!
Gerade in Verbindung mit den immer interessanter werdenden elektrischen Leichtkrafträdern und -rollern bietet sich hier eine neue Chance, den Verkehr in unseren Städten flexibler zu gestalten. Und warum sollte in Deutschland nicht klappen, was in anderen europäische Länder geht? Letztendlich profitieren davon auch noch Zweiradhandel und Fahrschulen. Wenn Automobilkonzerne allerdings befürchten, dadurch weniger PKW zu verkaufen, wundert mich der Gegenwind nicht. Ich hoffe sehr, Herr Scheuer oder sein/e Amtsnachfolger/in blieben am Ball und setzen mögliches EU-Recht endlich auch bei uns um.
Auf Change.org gibt es eine Petition zu dem Thema, ich habe dort unterschrieben!
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