Retro und das was Motorrad- & Zubehörhersteller dafür halten ist in aller Munde. Woher kommt der Trend?

Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 6/16
von Mathias Thomaschek
www.zweirad-online.de

Plötzlich Retro …

Mathias Thomaschek

Was wäre die Motorradwelt ohne ihre Trends? Menschen, die in dieser Branche schon länger unterwegs sind, stehen regelmäßig auf diversen Messen und Präsentationen vor Fahrzeugen in einem Design, nach dem sich noch vor drei Jahren niemand umgedreht hätte. Jetzt bejubelt nicht nur die Fachpresse, sondern auch das zweiradelnde Volk die Neuheiten, als wäre sie messiasmäßig vom Himmel gefallen.

Jetzt ist Retro angesagt. Was nichts weiter bedeutet, als moderne Technik in ein längst abgelegtes Design zu stecken. Die Customizer arbeiten schon lange nach diesem Prinzip und bauen Fahrzeuge auf, die aussehen, als hätten sie die letzten 50 Jahre vergessen in einem Heuschober verbracht. Aber ein Starrrahmen macht noch keinen Oldie – unterm Blech (manchmal auch schon unterm Plastik) steckt feinste Technik von der kontaktlosen Zündung bis zur als Vergaser getarnten Einspritzanlage. Und bestens getarnte Federelemente
Aber warum fährt jetzt plötzlich jeder auf diesen neuen Trend ab? Ich glaube, das liegt auch viel an dem, was man uns stilistisch in den letzten Jahrzehnten vorgesetzt hat. Böse dreinschauende Motorräder mit einem Scheinwerferblick wie Charles Bronson in „Spiel mir das Lied vom Tod“, dazu aggressive Formen mit vielen Zacken und Kanten, die eigentlich mehr zu Star Wars passen. Dank modernster Werkzeugbautechnik, die die Preise für noch so komplizierte Spritzgussformen in den Keller rauschen ließ, konnten diese verzwickten Kunststoffteile zu wirtschaftlich interessanten Preisen gefertigt werden. Und sorgte anfangs jeder Besitzer eines „Ich bin böse“- Motorrades für Aufmerksamkeit beim Bikertreff, so wurde dieser Trend irgendwann langweilig.

Die Welt, in der sich inzwischen so viel Böses ereignet, sehnt sich dazu nicht nur nach Andrea Berg und Helene Fischer, sondern auch nach harmonischen – ja einfach schönen Formen. Und weil diese alle schon mal vor der CNC-Ära da waren, wird aus dem neuen Stil eben ruckzuck Retro. So einfach ist das. Und putzen lässt sich das auch schöner.

Am deutlichsten spiegelt sich Retro in der Hitliste der Neuzulassungen wieder. Sieht man einmal von einer in anderen Sphären schwebenden BMW R 1200 GS ab, dann sind die Aufsteiger des Jahres mit ganz wenigen Ausnahmen wieder harmonische und „runde“ Motorräder, bei denen man förmlich spüren kann, dass sie mehr mit der Hand als mit dem Computer entworfen wurden. Design-Ikone Hans A. Muth hat das irgendwie schon vorausgesehen und mir vor fünf Jahren in den Block diktiert: „Nehmt den Desig­nern die Computer weg, dann werden die Motorräder wieder schön.“
Passend zur äußeren Form gibt es auch bei der technischen Ausstattung ein gewisses Downsizing. Drehmoment ist inzwischen mehr gefragt als Leistung.

Ein typischer Vertreter der neuen Generation ist die Triumph Street Twin (Kradblatt 5/16). Und sie ist nicht die einzige ihrer Art, denkt man an eine BMW R nineT oder eine Ducati Scrambler. Yamaha legt noch eins drauf: mit den „Faster Sons“-Modellen wird moderne Technik mit Elementen aus der „Weißt du noch“-Zeit veredelt. Und Harley war schon immer Retro (siehe Fahrbericht Seite 4ff).

Und jetzt noch zum Schluss die Antwort für alle „Ja aber“- Zeitgenossen. Ja, Kawasakis W650 hat sich vor zehn Jahren ebenso wenig verkaufen lassen wie eine Enfield Bullet. Nicht, weil das damals schlechte Motorräder waren, sondern einfach, weil damals die Zeit für Retro noch nicht reif war.

Was haltet ihr von dem Retro-Trend? Gefühlsduselei ewig gestriger oder logische Weiterentwicklung? Kommentiert diesen Artikel auf unserer Facebook-Seite, hier oder klassisch per E-Mail oder Post.

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