Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 04/19 von Julia Kaltenberg, www.maedchenmotorrad.de
Foto: www.Motorrausch.de

Warum sind wir so intolerant?

Julia Kaltenberg, www.maedchenmotorrad.de - Foto: www.Motorrausch.de

Wir sind die Besten! Wann hat das eigentlich angefangen, dass reale und virtuelle Biker sich so unterscheiden? Wo ist die so hoch gelobte Toleranz und die überall auf der Welt verbreitete Freundlichkeit untereinander?! Was ich damit meine? 

Gehe ich an einen Bikertreff (oder auch in das pittoreske Straßencafé), so komme ich schnell mit anderen Motorradfahrern ins Gespräch. Wir finden schnell Themen und Gemeinsamkeiten und können aber genauso leidenschaftlich freundlich und herzlich über unsere Unterschiede diskutieren. Ein überzeugter Harleyfahrer zeigt mir das neueste Airbrush, welches ich bewundere und er bestaunt an meiner Reiseenduro die Unmengen an mitgeschlepptem Gepäck. Wollen wir tauschen? Auf keinen Fall! Aber jeder wertschätzt den anderen für eben seine Interpretation der Freiheit auf zwei Rädern! 

Gleiches gilt für das Schrauben. Da bummelt man durch Alleen von den unterschiedlichsten Motorrädern, bestaunt die einen, holt sich Anregungen bei den anderen, schwätzt mit Selbstschraubern und tauscht Erfahrungen mit Werkstätten aus. Es geht aber nie darum, was von beidem besser ist! 

An der Eisdiele schwatzen Sonntagsfahrer mit Weltreisenden und jeder freut sich über die Erzählungen des anderen, auch wenn diese vielleicht nicht seiner Vorstellung von Motorradfahren entsprechen. 

In den sozialen Medien ist aber das Wort „sozial“ eher Schall und Rauch. Da wird nach Jahreskilometern gefragt und jeder unter 10.000 Kilometern soll angeblich besser das Hobby wechseln. Mag jemand Chopper, ist er eh kein echter Biker und BMW Boxer GS-Fahrer dürfen eh schon gar keine Bilder mehr ihrer Bikes posten, möchten sie nicht mit Schimpf und Schande untergehen.

Ach ja, die Superbikes! Wären deren Besitzer nicht bei Facebook, könnte man niemanden als Organspender oder bereiften Mörder bezeichnen! Und, derzeit das populärste Thema: Saisonkennzeichen! Nur Weicheier haben angeblich solche und wer nicht schon im Januar die ersten 4000 km unter die Räder genommen hat, sollte es den Rest des Jahres auch besser nicht versuchen. 

Ebenfalls nicht zu verachten ist die Intoleranz gegenüber Neuem und jenseits der angeblichen Norm liegendem. Kennt ihr nicht? Dann sucht mal nach Posts über die Honda X-ADV, die Yamaha Niken oder gar Elektromotorräder wie z.B. von Zero oder Energica. Man muss nicht alles gut oder hübsch finden, aber konstruktive Kritik liest sich für mich definitiv anders. 

Ich gestehe, dass mir daher über den Winter oftmals die Lust an den virtuellen Motorrad-Foren vergeht. Ich wünsche mir Fotos von vergangenen Reisen, sehnsüchtige Berichte über ferne Länder, konstruktive Beiträge zu den diversen Themen – und dabei sind kontroverse, aber wertschätzende Diskussionen so gewünscht wie dringend notwendig. Aber wir sollten virtuell so miteinander umgehen, wie wir es in der realen Wert praktizieren. Es geht uns allen doch um das Gleiche: Den Spaß am Motorradfahren, an der Technik, der Landschaft und den tollen Begegnungen mit anderen Menschen! Seid wertschätzend oder „einfach mal die Klappe halten“, bevor man jemanden anderes mit seinen abschätzigen Bemerkungen trifft oder ihm im schlimmsten Fall sogar das geliebte Hobby versaut.

In diesem Sinne: Ich freue mich, dass die Saison endlich wieder los geht und wir uns – wo auch immer – evtl. mal im realen Leben treffen. Das ist schließlich immer noch das Beste!