Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 1/15
von Berthold Reinken
Der Kontroll-Alptraum für Biker!?
Ich nehme Platz auf der Sitzbank des Motorrades. Nach Einschalten der Zündung fährt der Bordcomputer so elend langsam hoch wie mein angeblich moderner Fernseher. Auf dem hochauflösenden Farbdisplay erscheint die Begrüßung des Herstellers mit Marken-Logo: „Guten Tag Herr Reinken, wir begrüßen Sie zur Ausfahrt mit Ihrer ZT 2000. Ihr Blutdruck und der Herzrhythmus sind o.k. Sie sind fit für das Motorradfahren.
Die Überprüfung Ihres Fahrsicherheitsanzuges hat ergeben, dass der Kinnriemen ihres Integralhelmes zu locker ist. Nach dem Festziehen des Riemens wird der Anlasser zum Starten des Motors freigegeben.“ Ich gehorche und ziehe nach. Auf dem Display erscheint „Startfreigabe nach Zielauswahl“. Ich gebe das Ziel ein und auf dem Schirm erscheint eine Liste von möglichen Fahrtrouten. Ich wähle eine Route aus. „Auf der ausgewählten Route ist mit starkem Regen zu rechnen. Dafür reicht das Restprofil des Hinterreifens nicht aus. Bitte wählen Sie eine andere Route oder wechseln Sie den Reifen.“ Nach Auswahl einer anderen Route lese ich: „Auf dieser Route gibt es einige Straßenunebenheiten. Innerhalb einer Strecke von 25 Kilometern wird Ihre Geschwindigkeit automatisch auf 70 km/h begrenzt. Wollen Sie jetzt den Motor starten?“ Nein!!! Ich will nicht mehr! Ich habe Schweißansammlungen unter meinem Helm und löse den Kinnriemen. Ein lauter Warnton ertönt. Auf dem Display erscheint „Motor-Start blockiert“. Ich schreie, springe ab und lande mit der Bettdecke auf dem Fußboden neben meinem Bett.
So einen schrecklichen Traum habe ich schon lange nicht mehr gehabt. Woher kommen denn derart perverse Verwirrungen in meinem Gehirn. Aus dem Nichts? Oder mache ich mir doch langsam in meinem Innersten Sorgen über den ausufernden Sicherheitswahn, die immer schlimmer werdende Vernetzung aller Dinge und den Irrsinn der Ingenieure und Entwickler, immer weiter irgend welchen Blödsinn zu erfinden, weil sie ja sonst arbeitslos werden.Vielleicht baut ein großer deutscher Motorradhersteller bald einen Krad-Simulator, so dass man zum Fahren nicht mehr aus dem Haus muss. Natürlich mit Anbindung an Facebook, so dass ich unter meinen 8700 Freunden sicher jemanden finde, der sich jetzt auch in seinem Wohnzimmer auf den Simulator setzt und mit mir zusammen eine Tour fährt. Auf dem großen Monitor vor mir sehe ich natürlich nicht nur die Kurven und die Landschaft sondern auch meine mitfahrenden Freunde und kann ihre Fahrweise studieren. Und an einem Simulator-Treff laden wir uns dann alle einen Kaffee aus dem Internet runter. Wenn man bedenkt, dass man das Geld für Steuern, Versicherungen, Reifen, Inspektionen, Benzin, Bußgelder, Bekleidung usw. spart, darf so ein Teil auch richtig teuer sein. Unmöglich? Schon möglich! Ob ich das noch erleben muss?
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Wir wissen nicht, ob Berthold den Film „Surrogates – Mein zweites Ich“ aus dem Jahr 2009 vor seinem Traum gesehen hat. Der Simulator ist demnach schon im Jahr 2054 absolut alltäglich. Verlernen wir zu leben? Kommentiert das Vorwort hier auf unserer Website, per Facebook, E-Mail oder schreibt per Post wie ihr darüber denkt…
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Kommentare
3 Kommentare zu “Editorial 01/15 – Der Alptraum…”
Lieber Berthold Reinken,
…keine „perverse Verwirrung Ihres Gehirns“ oder Traum sondern leider schleichende Verwirklichung der Begrenzung unserer Freiwilligkeit in Entscheidungen.
In immer mehr Bereichen findet dieser Prozeß statt. Zunächst als nützlich erscheinendes freiwilliges Angebot, später werden Gesetze und Verpflichtungen „draufgepflanzt“.“Alte Wege“unzugänglich gemacht.
Z.B. möchten Versicherer gern die Daten unserer „Fitnesskontroll-Bänder“ samt Ernährungsprotokollen(kein Scherz), die mit ach solcher Nützlichkeit und Spaß und Motivation auf den Markt gedrückt werden. Demnach soll der Beitrag berechnet und „zahlungsbestraft“werden, wer sich nicht an die entsprechenden Ernährungs-und Fitnessregeln hält, etc.
Frage mich allerdings,wie die das rechtfertigen wollen angesichts eines Mega rauchenden Helmut Schmidt-Methusalems z.B.
Motorradproduzenten wollen eben mit neuen Anreizen verkaufen, Dienstleister wollen einsparen….Grundsätzlich geht es immer um Geld.
Gewinnmaximierung,Einspar-Effizienz… und das auf Kosten unserer Freiwilligkeit und Freiheit.Natürlich kann ich diskutieren,warum ich teurere Versicherungsbeiträge zahlen soll, weil andere sich mit lauter Spaß auf´s Mett packen oder die Kiste klauen lassen, weil nicht richtig gesichert.Das meine Krankenversicherung teurer ist, weil einige im Beitrags-pool unnötig Kosten verursachen, etc. Aber wie weit soll dieses gegenseitige Aufrechnen und Berechnen und Kontrollieren der Selbstverantwortung und „zur Verantwortung ziehen“ gehen? Ich meine, das führt letztendlich zu einem Kontrollstaat mit Freiheits-und Kontrollmanie und zwanghafter Gleichmachung.
Da ist mir meine Freiheit echt lieber – auch wenn ich die der anderen in Teilen mitfinanziere. Das ist es mir wert.Denn gelenkt zu werden fühlt sich nicht schön an. Hatten wir schonmal und passiert gerade wieder.
Nur wesentlich subtiler.
Viele sehen es nicht(vielleicht weil die super Bonuspunkte die Augen verpixeln),andere sehen es und machen unkritisch trotzdem mit.
Öfter mal kritisch hinterfragen,mit weniger zufrieden sein und NEIN sagen können,ist mein Rat.Auch wenn Bequemlichkeit und aktueller Mega-Trend,etc.lockt.
Dann könnt Ihr zukünftig morgens in Ruhe die Zeitung lesen,statt in der Zeit zu checken,was ihr denn für den Tag alles richtig machen müsst an Dingen,die andere für richtig halten und Euch dafür bezahlen lassen.
In diesem Sinne beste Grüße
Jens Friedebold
Hallo Motorradfahrer!
Der Alptraum hat begonnen,man nennt die kleinen „Helferlein“ Sicherheits-Assistenten. Bei modernen „Wohnzimmerfahrrädern“ ist der Traum fast Wirklichkeit geworden. Aber eins wird sicher Programmiert werden, bei Verkehrsverstößen, wird der Bordcomputer automatisch das Busgeld überweisen.
Lieber Berthold Reinken,
Ihr Editorial in der Januar Ausgabe 2015 hat mich sehr amüsiert…Zumindest solange, bis mir klar wurde, dass es sich bei Ihren Ausführungen nicht um eine, auf die Motorrad Szene adaptierte, Persiflage von Orwells Klassiker „1984“ handelt. In Ihren Ausführungen bringen Sie statt dessen Ihre Angst vor „ausufernden Sicherheitswahn“ und der Weiterentwicklung der Motorrad-Technologie zum Ausdruck.
Meiner Meinung nach, sollte jeder Motorradfahrer selbst entscheiden, wie viel er in Sicherheit investiert. Es soll jedem einzelnen obliegen, ob er in gelb, oder in Badehose fahren möchte. Allerdings befürchte ich, dass Ihr Text nicht die Toleranz unter den Motorradfahrern fördert, sondern (mal wieder) zur Kritik über Warnwestenträger aufruft.
Ein Thema, dass langsam nur noch ermüdet…
Was die Motorrad-Technologie anbelangt, möchte ich mein ABS nicht mehr missen. Auch so ein „Blödsinn“, den sich Ingenieure aus Angst vor drohender Arbeitslsigkeit haben einfallen lassen.
Aber auch hier gilt für jeden Motorradfahrer die freie Fahrzeug Wahl…
Viele Grüße, Luzian