Ducati Streetfighter S Modell 2009
Diese Ducati ist ein Liebhaberobjekt für echte Kenner und Könner – und eigentlich viel zu schade, um aus Marketinggründen einen solch blödsinnigen, völlig unpassenden und eigentlich längst abgenudelten Namen wie „Streetfighter” zu tragen.

aus bma 10/09

von Klaus Herder

Ducati Streetfighter S Modell 2009Ein ganz großes Dilemma jeder ursprünglich noch so revolutionären oder gar anarchistischen Bewegung ist, dass ihre Symbole garantiert irgendwann von den Zeitgeist-Kaspern und Lifestyle-Deppen vereinnahmt werden. Da laufen dann unglaublich mutige Bürger-Bubis mit Che-Guevara-T-Shirts herum, und grenzdebile Girlie-Darstellerinnen finden es todschick, wenn Massenmörder Mao ihr Handtäschen schmückt. Damit auch wirklich der letzte Blödmann kapiert, wer da abgebildet ist, steht auf den T-Shirts „Che“ und – richtig vermutet – auf dem Handtäschchen „Mao”.

Doch nicht nur die Klamotten-Branche veranstaltet diesen Zirkus, auch immer mehr Motorradhersteller landen bei der Marktlücken-Suche in ursprünglich eher unkommerziellen Gefilden. Heraus kommen dann „Custom-Bikes” ab Werk und in Großserie – ein Widerspruch an sich – oder so tolle Modellnamen wie „Harley-Davidson Softail Rocker”. Ja nee, ist klar, das kommt natürlich vom englischen „to rock“ (schaukeln) und hat nur etwas mit der Hinterradaufhängung zu tun und nicht mit den bösen Jungs in Lederjacken. Wer’s glaubt…

Einen Spitzenplatz in der aktuellen Peinlichkeits-Hitparade in Sachen Namensfindung hat Ducati verdient. Die jüngste Nacktdarstellerin aus Bologna heißt „Streetfighter“, also nach einer Bewegung, die mit nagelneuen, ziemlich teuren und in Großserie gefertigten Hightech-Spielzeugen aus Italien ursprünglich nichts, aber auch wirklich gar nichts am Hut hatte. Wir erinnern uns: Als in den späten 80er Jahren (vorwiegend britische) Jungspunde ihre vollverschalten Japo-Hobel dem Gott der (Kurven-)Geschwindigkeit geopfert hatten, ersetzten sie mangels Masse die Vollverkleidungen, Höcker, Stummellenker und überhaupt alles, was bei einem Supersportler als Sturzteil zu viel Geld kostet, durch günstige und damit meist artfremde Gebrauchtteile oder ließen es am besten gleich ganz weg. Heraus kamen unverkleidete Dauer-Baustellen, und aus der finanziellen Not wurde eine schrauberische Tugend, deren Ziel äußerst individuelle Maschinen waren. Natürlich kam es so, wie es immer kommt, wenn Menschen ihr Hobby immer exzessiver betreiben: Die Szene wurde professioneller und damit auch kommerzieller. Doch eins blieb: Es ging um möglichst individuelle Umbauten und garantiert nicht ums Böse-Buben-Image ab Werk.

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Ducati Streetfighter S Modell 2009Doch genau das präsentierte Ducati in Form der Streetfighter auf der Motorradmesse EICMA 2008 in Mailand. Namenstechnisch blieb man sich damit treu, denn die bis dahin böseste Nackte im Ducati-Programm zeigte auch schon bei der Modellbezeichnung mit der Holzhammermethode, wie unglaublich gefährlich sie ist: Monster! Doch Ende 2008 hatte es sich langsam ausgemonstert, und das Topmodell Monster S4R war nur noch eine unter vielen leistungsstarken Unverkleideten. Den Job der Über-Monster musste also die Streetfighter übernehmen, und damit das klappen konnte, erinnerten sich die Ducati-Verantwortlichen erfreulicherweise an eine Maxime, die für echte Streetfighter tatsächlich stilbildend ist: Die Basis ist immer ein gestripptes Superbike, an dessen Motor nichts gemacht werden sollte. Zumindest nichts Leistungssenkendes.

Und so steht sie nun vor uns, eine unverschalte Kombination aus Ducati 1098 und 1198. Mit dem einfachen Herunterreißen der Verkleidung war es natürlich nicht getan. Der französische Ducati-Designer Damien Basset hatte viel Detailarbeit zu erledigen, damit die Streetfighter stimmig wirkte. Front und Heck sind praktisch komplett neu. Die kleine Scheinwerfermaske ist eine Miniaturversion der Superbike-Verkleidung. Das Heck sieht zwar sehr nach 1198 aus, ist aber viel schmaler, deutlich kürzer und auch flacher als das der Superbike-Schwester. Alle sichtbaren Kunststoffteile sind Neukonstruktionen. Damit nicht genug: Das eher unansehnliche Gewirr von Schläuchen, Leitungen und hässlichen Abdeckungen, das unter der Superbike-Verschalung nicht weiter störte, musste tageslichttauglich gemacht werden. Das ist auf der rechten Seite mit den beiden fetten Endtöpfen der 2-in-1-in-2-Auspuffanlage, dem dazugehörigen Rohr-Kunstwerk aus armdicken Krümmern und den Karbonabdeckungen über den Zahnriemenschächten auch sehr gut gelungen. Die linke Seite sieht dagegen deutlich weniger aufgeräumt aus. Vor lauter Design-Freude blieb der praktische Nutzen vereinzelt auf der Strecke. So zum Beispiel beim Hitzeschutzblech der Auspuffkrümmer, das absolut unglücklich neben der rechten Fußraste sitzt und den Fahrerfuß von der ohnehin schon rutschigen, ohne Gummiauflage auskommenden Raste verdrängen will. Noch ein Beispiel: Während beim Superbike ein Wasser- und ein Ölkühler für thermische Gesundheit sorgen, sind bei der Streetfighter zwei Wasserkühler (die übrigens von KTM gefertigt werden) übereinander montiert. Die Sache funktioniert, doch dass der untere von beiden extrem tief und damit direkt im Steinschlagbereich des Vorderrads liegt, hat aber offensichtlich niemand bedacht – Genie und Wahnsinn waren bei italienischen Konstruktionen immer schon Partner.

Deutlich durchdachtere Lösungen gibt es von der Fahrwerksseite zu vermelden: Der Hauptrahmen ist bis auf eine Querstrebe mit denen von 1098 und 1198 baugleich, das stählerne Rahmenheck ist neu. Der um 1,1 Grad flacher stehende Lenkkopf, ein 10 mm längerer Nachlauf und die um 35 mm verlängerte Schwinge vergrößerten den Radstand und dienten als stabilitätsfördernde Maßnahmen.

Ducati Streetfighter S CockpitFür Vortrieb sorgt der „Testastretta Evoluzione-Motor” aus der 1098. Zumindest größtenteils, denn aus der 1098 stammen alle leistungsbestimmenden Bauteile wie Köpfe, Nockenwellen, Zylinder, Kolben und Einspritzanlage. Das leichtere Gehäuse inklusive Innereien wie Kurbelwelle und Getriebe steuert allerdings die 1198 bei. Ducati versprach ursprünglich 155 PS bei 9500 U/min, also fünf weniger als bei der 1098. Für diesen durchaus zu verschmerzenden Leistungsverlust ist ein deutlich kürzerer Ansaugschnorchel verantwortlich, der Rest inklusive Airbox blieb unangetastet und ist pure Superbike-Technik. In den Fahrzeugscheinen der ersten Streetfighter-Testmaschinen sind noch 148 PS zu finden, was aber niemanden beunruhigen muss, denn auf den einschlägigen Prüfständen konnten dann doch wieder 159 echte PS gemessen werden.

Um die nutzen zu können, muss sich der möglichst nicht unter 1,70 Meter messende Fahrer erst einmal häuslich einrichten. Hinter dem etwas kürzeren, mit 16,5 Litern aber trotzdem einen Liter mehr fassenden Tank ist man zwar 2 cm höher als auf dem Superbike untergebracht, doch die dickere und weichere Polsterung macht das wieder wett. Der Alu-Lenker ist recht tief montiert, seine Enden sind leicht nach unten gekröpft. Der Sitz steigt nach hinten an, der Fahrer kippt damit automatisch in Richtung Vorderrad nimmt eine Lauerstellung ein, die etwas bequemer als auf dem Superbike ist, mit Komfort aber trotzdem nichts zu tun hat. Fehlbedienungen am Anlasserknöpfchen sind ausgeschlossen, denn der aktivierte Killschalter überdeckt den Starter.

Der Twin lässt sich etwas bitten und springt erst nach einiger Orgelei an. Die Betätigung der Trockenkupplung ist natürlich immer noch ein kräftezehrendes Geschäft, aber es dürfte ja mittlerweile klar sein, dass hier praktisch unveränderte Ducati-Superbiketechnik für Vortrieb sorgt. Also bitte keine Beschwerden! Dann schon lieber Begeisterung für den herrlichen Sound: Pumpe, Grollen, Pulsieren – eine Ducati ist und bleibt nun mal der schönste Klangkörper auf zwei Rädern, wobei die aus alten Tagen bekannten mechanischen Nebengeräusche (Kupplung!) mittlerweile fast ganz der Vergangenheit angehören. Hier wird richtig gut getönt, nicht gerasselt. Neben der Kupplung fordert auch die Gasannahme unterhalb von 3500 U/min gewisse Nehmerqualitäten des Fahrers. Nennen wir die Reaktion auf Gasbefehle mal „etwas hemdsärmlig”. Fordert der Fahrer in den Drehzahl-Niederungen Volllast, rappelt und zappelt der Twin ungeniert. Erst wirkt der Vierventiler etwas unentschlossen, dann packt er umso energischer zu. Und genau diese Mischung nervt in der Stadt oder wenn die Straße serpentinenmäßig eng wird.

Ducati Streetfighter S Modell 2009Doch sobald das mäßig übersichtliche Drehzahl-Balkendiagramm im völlig überladenen Mini-Cockpit einen Wert oberhalb besagter 3500 Touren vermeldet, ist die Duc wie ausgewechselt: Perfekte Gasannahme, herrliche Drehfreude und ab 4000 U/min immer über 100 Nm Drehmoment. Immer! Der Spitzenwert von 115 Nm wird erst bei 9500 U/min auf die Kurbelwelle gestemmt, doch so hoch wird in der Praxis kaum jemand den Motor jubeln lassen; denn das, was zwischen 7000 und 8000 U/min abgeht, ist schon sehr viel mehr, als Otto Normalheizer im öffentlichen Straßenverkehr ruhigen Gewissens einsetzen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die Übersetzung exakt der des Superbikes entspricht, für ein unverkleidetes Motorrad also nicht nur etwas zu lang ist. Anders gesagt: Die Höchstgeschwindigkeit von echten 263 km/h wird man vermutlich nicht allzu oft ausreizen wollen. Wer es aber partout wissen will, wie es ist, wenn einen der Drehzahlbegrenzer bei 10700 U/min im sechsten und letzten Gang einfängt, wird vermutlich erstaunt sein, dass die Streetfighter auch bei diesem Tempo noch superstabil über die Bahn brennt.

Besagte Stabilität hat allerdings ihren Preis. Vollgetankt wiegt die Ducati zwar nur 198 Kilogramm, doch übermäßige Handlichkeit sollte man daraus lieber nicht schlussfolgern. Beim Abwinkeln ist zwar noch kein übermäßiger Kraftaufwand erforderlich, doch danach geht die Arbeit los. Um die Fuhre auf Kurs zu halten, ist ständig eine harte Hand gefragt. Von allein macht die Streetfighter gar nichts, man muss sie permanent bei den Hörnern packen. Besonders am Kurvenausgang sollte ihr der Fahrer sehr klar machen, wohin die Reise gehen soll, denn ohne korrigierende Eingriffe wählt die Italienerin viel zu weite Bögen. Die Kombination viel Leistung, wenig Masse und breiter Lenker sorgt für eine gehörige Portion Sensibilität. Die Ducati fordert ihren Fahrer immer, entspanntes Laufenlassen ist überhaupt nicht ihr Ding. Wer nicht aktiv und voll konzentriert bei der Sache ist, wird mit Bockigkeit bestraft und eiert planlos durch die Kurven. Mit klarer Ansage beim Kurvenbolzen ist es aber nicht getan. Auch die Bremsen verlangen nach einer ganz besonderen Behandlung. Die Vierkolben-Monobloc-Brembos mögen auf der Rennstrecke ihre Berechtigung haben, doch auf öffentlichem Geläuf sind die Brutalo-Anker einfach zuviel des Guten. Da ist ebenfalls volle Konzentration gefragt, denn Grobmotorik am verstellbaren Handhebel wird mit ausgeprägter Giftigkeit bestraft. Dass für die Streetfighter kein ABS lieferbar ist, macht die Sache nicht einfacher. Um es ganz deutlich zu sagen: Dieses Motorrad ist sehr, sehr anstrengend! Besonders dann, wenn der Belag nicht potteben und die Kurve schon ziemlich eng ist.

Ducati Streetfighter S Modell 2009Wer sich allerdings auf das Spiel einlässt und der Zicke seinen Willen deutlich macht, konzentriert und feinmotorisch geschickt mit ihr umgeht, wird mit Glücksmomenten belohnt, die vermutlich nur wenige andere Motorräder zu bieten haben. „Ja, ich habe das Biest bezwungen!” lautet dann womöglich der Jubelruf am Ende eines anstrengenden Landstraßen-Tages. Die Streetfighter ist ein kompromissloses Sportgerät, und dazu passt ein Ausstattungsdetail, das direkt aus dem Rennsport kommt: DTC, Ducati Traction Control, eine über die linke Lenkerarmatur in acht Empfindlichkeitsstufen einstellbare Traktionskontrolle, die bei der hier vorgestellten Streetfighter S zur Serienausstattung gehört. Drehzahlsensoren an Vorder- und Hinterrad ermitteln, ob’s irgendwo ungewollten Hinterradschlupf gibt. Die Regelelektronik greift zuerst in den Zündzeitpunkt ein. Je nach Intensität des Eingriffs leuchten dann ein, zwei oder alle drei kleinen Schaltblitz-Warnleuchten im Cockpit auf. Sollte das nicht ausreichen, wird die Einspritzung Stück für Stück zurückgefahren, nun brennt auch die große Warnleuchte. Burnouts und Wheelies sind trotzdem möglich, und die ganze Sache lässt sich auch komplett abschalten. Die DTC funktioniert absolut zuverlässig, was aber nichts an der Frage ändert, ob ein (Sport-)ABS nicht doch vielleicht das wichtigere Steuerelektronik-Feature gewesen wäre.

Stichwort Streetfighter S: Wer für sie 18.700 Euro statt 14.790 Euro für die normale und zwei Kilo schwerere Basis-Streetfighter bezahlt, bekommt neben dem DTC auch noch ein paar nette Kohlefaserteile (Vorderradkotflügel, Zahnriemenabdeckungen), ein Datenanalyse-System, mit dem sich Informationen für die Datarecording-Auswertung am Heimcomputer sammeln lassen, Marchesini-Fünfspeichen-Schmiederäder und vor allem Öhlins- statt Showa-Federelemente. Besagte Öhlins-Edelteile lassen sich natürlich voll einstellen. Das ist Segen und Fluch zugleich, denn die Ducati reagiert sehr deutlich, nennen wir es ruhig sensibel, aufs Herumspielen an Zug- und Druckstufe oder auch nur der Federvorspannung. Mit viel Erfahrung lässt sich eine goldrichtige und ganz persönliche Abstimmung finden, die der Grundabstimmung (vorn eher zu soft, hinten etwas zu straff) deutlich überlegen ist. Mit etwas weniger Erfahrung verirrt man sich beim Experimentieren aber hoffnungslos in den Öhlins-Weiten, was die Ducati natürlich sofort zum Anlass nimmt, sich noch etwas zickiger zu benehmen.

Sollte an dieser Stelle der Eindruck erweckt worden sein, dass die erstaunlich sparsame (nie über 6 Liter) und sehr gut verarbeitete Streetfighter/Streetfighter S ein ganz spezielles, für eine doch recht überschaubare Zielgruppe gemachtes Motorrad ist, dann war genau das der Sinn der vorausgehenden Worte. Im Unterschied zum Che-T-Shirt oder zum Mao-Täschchen kann mit diesem Motorrad eben nicht jeder Idiot glücklich werden. Diese Ducati ist ein Liebhaberobjekt für echte Kenner und Könner – und eigentlich viel zu schade, um aus Marketinggründen einen solch blödsinnigen, völlig unpassenden und eigentlich längst abgenudelten Namen wie „Streetfighter” zu tragen.

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