aus bma 07/04

von Klaus Herder

Ducati ST3Ich werde es einfach nicht mehr los. Dieses Dauergrinsen hält nun schon über zwei Stunden an. Rund 200 Kilometer Landstraße liegen hinter mir, der 21-Liter-Tank ist immer noch halbvoll, und meine ebenfalls äußerst gut gelaunte Sozia macht keine Anstalten, nach einer Pause zu verlangen. Ich fühle mich auf der recht weich gepolsterten und großzügig dimensionierten Sitzbank auch noch sauwohl.
Weiter geht’s. Die Hände greifen an goldrichtig platzierte Lenkerhälften, die sich in der Höhe um zwei Zentimeter verstellen lassen. Verstellbare Handhebel? Gibt’s hier natürlich auch – und zwar für Kupplung UND Bremse. Die Bordsteckdose brauche ich zur Zeit ebenso wenig wie die über einen Stellmotor erfolgende Leuchtweitenregulierung, aber was macht eigentlich der ebenfalls serienmäßige Bordcomputer? Der zeigt neben der Momentan- und Durchschnittsgeschwindigkeit auch die Uhrzeit, die Kühlmitteltemperatur, die Tages- und Gesamtkilometerleistung sowie einfach alles zum Thema Spritverbrauch (also Momentan-, Durchschnitts- und Gesamtverbrauch, Restreichweite sowie Restfüllmenge). Ein großer, übersichtlicher Drehzahlmesser informiert analog über die Kurbelwellenumdrehungen. Den rückwärtigen Verkehr zeigen die beiden Rückspiegel nahezu perfekt. Alles passt, alles funktioniert, alles ist ergonomisch bestens umgesetzt. Der Wind- und Wetterschutz hinter der breiten und hohen Verkleidung ist hervorragend, von Verwirbelungen keine Spur. Abblend- und Fernlich strahlen taghell. Was ist los, handelt es sich hier womöglich um einen Livebericht von der BMW-Tourerfront? Mitnichten. Ich lümmel mich tatsächlich auf einer Ducati ST3, der neuesten Vertreterin der seit 1997 um Fernreisende buhlenden ST- („Sport Touring”) Kollektion.

 

Ducati ST3Nun steht Ducati gemeinhin nicht unbedingt für Klapphelm-Gemütlichkeit und ABS-Faszination. Ducati ist für Otto Normalmotorradfahrer gleich- bedeutend mit Sport. Superbike-WM, MotoGP – egal, nur zügig muss es sein. Mit Ducati verbindet auch niemand Telelever, Paralever oder Unilever. Eine Ducati definiert sich über ihren 90-Grad-V-Zweizylinder. Womit ich wieder bei der ST3 wäre und alle vor lauter Tourer-Geschwafel schwer irritierten Ducati-Fans beruhigen kann: Keine Sorge, auch in der ST3 steckt ein Sportmotor – und was für einer! Die 3 in der Typenbezeichnung steht für Dreiventiler. Wie bitte? Genau: zwei kleine Einlassventile, ein größeres Auslassventil – bei Honda gibt’s das schon ewig, für Ducati ist eine solche Ventilanordnung aber Neuland. Ein Dreiventiler ist nicht nur theoretisch eine ziemlich clevere Sache, denn er kann den mächtigen Antritt eines großvolumigen Zweiventilers mit der Drehfreude und der Leistung eines Vierventilers kombinieren. Dafür braucht er weniger Bauteile als ein Vierventiler und kann deshalb auch deutlich leichter ausfallen.
Ducati fuhr in der ST-Reihe bislang dreigleisig. Einstiegsmodell war die ST2, die mit einem 83-PS-Zweiventiler mit 944 ccm bestückt war. Der vierventilige 916er-Motor steckte in der 105 PS starken ST4; wenn’s etwas mehr sein sollte, war die ST4S erste Wahl. Das eher unscheinbare S stand für 117 PS aus 996 ccm und eine bessere Ausstattung, die zuletzt sogar mit einem ABS aufgewertet werden konnte.
Die ST-Modelle waren ordentliche Motorräder, doch so richtig zündete die Baureihe in Deutschland nicht. Die ST2 war einfach zu brav und unter Volllast etwas schwächlich, die ST4 war preislich zu weit entfernt und im unteren Drehzahlbereich in Sachen Laufkultur und Leistungsentfaltung nicht gerade eine Offenbarung. Ducati suchte also den goldenen Mittelweg, schmiss die ST2 und die ST4 (ohne S) aus dem Programm und griff sich dafür den luftgekühlten 1000er-Motor, der auch die Multistrada, die Supersport 1000 und die Monster 1000 antreibt. Kurbelgehäuse, Kurbelwelle, Sechsganggetriebe, Kupplung, Lichtmaschine und E-Starter blieben unverändert. Hinzu kamen eine Wasserpumpe; völlig neu sind die wassergekühlten Zylinder, die Kolben und Pleuel und natürlich die mit je drei Ventilen und zwei Zündkerzen bestückten Zylinder mitsamt desmodromischer Zwangssteuerung. Im Unterschied zum Vierventiler kümmert sich in den ST3-Zylinderköpfen nur jeweils eine Nockenwelle um den Ventiltrieb. Weniger Teile gleich weniger Masse und kompaktere Form – macht für jeden Zylinder satte drei Kilogramm Gewichtsersparnis. Gesunde 102 PS bei 8750 U/min und ordentliche 93 Nm bei 7250 U/min soll der 992-Kubik-Twin bringen. Tut er wohl auch, denn die gefühlten Fahrleistungen lassen diese Angaben als eher untertrieben durchgehen.
CockpitDoch bevor kräftig am Kabel gezogen werden kann, darf man beim Anlassen ein gefühlvolles Händchen beweisen. Wer den lenkerfesten Chokehebel nämlich unsensibel bis zum Anschlag legt, wird mit Leerlaufdrehzahlen nicht unter 4000 U/min bestraft. Etwas weniger Hebelweg tut es auch, und bereits nach ein paar Metern kann auf die Kaltstarthilfe ganz verzichtet werden. Dass man auf einer Ducati unterwegs ist, merkt man spätestens beim ersten Griff zum Kupplungshebel, denn da ist kräftiges Zupacken gefragt. Fein dosierbar ist die traditionell laut rasselnde Trockenkupplung aber trotzdem.
Untermalt von einem sonoren Grollen schiebt die ST3 bereits aus Standgasdrehzahl mächtig vorwärts. Wer es darauf anlegt, kann ab 1500 U/min den sechsten Gang nutzen, ohne sich über Ruckeln oder Sprotzen aufregen zu müssen. Im Normalfall liegt der ideale Arbeitsbereich aber zwischen 3000 und 8000 Touren. Da fühlt sich der Twin pudelwohl und macht mit einer goldrichtigen Mischung aus bäriger Antrittsstärke und üppiger Drehfreude jede Menge Spaß. Besser kann ein Motor eigentlich nicht am Gas hängen, der Zweizylinder ist perfekt abgestimmt. Aus dem Keller ist immer ausreichend Druck vorhanden, und obenrum ist erst bei 10.000 U/min wirklich Schluss. In absoluten Zahlen heißt das: Von 0 auf Tempo 100 vergehen 3,6 Sekunden, von 60 bis 100 km/h benötigt die Duc in der Durchzugsprüfung sehr gute 3,9 Sekunden, und als Höchstgeschwindigkeit gibt der Hersteller klassenübliche 230 km/h an.
Das Dreiventiler-Experiment ist vollauf geglückt, die ST3 hat von beiden Konzepten wirklich nur die positiven Eigenschaften übernommen. Um das Motorenglück perfekt zu machen, hält sich der von einer elektronisch gesteuerten Marelli-Einspritzanlage befeuerte Twin beim Spritverbrauch sehr zurück. Wer es gemütlich angehen lässt (was allerdings schwer fällt) fackelt vier Liter Super ab, im gemischten Normalbetrieb braucht die vollgetankt 229 Kilogramm wiegende ST3 nur knapp über fünf Liter auf 100 Kilometern.
Gibt’s denn über den Motor wirklich gar nichts zu meckern? Doch, gibt es: Für die Einhaltung der Euro 2-Norm sorgt bei der Ducati nämlich nur ein ungeregelter Katalysator. Von der (Einspritz-)Technik her wäre ein geregelter Kat problemlos machbar, doch da haben die Kaufleute wohl etwas zu sehr mitgeredet. Zweiter, ebenfalls eher kleiner Wermutstropfen: Die ST3 muss zwar nur alle 10.000 Kilometer zum Service, doch dann wird es Ducati-typisch richtig teuer, die Inspektionskosten liegen deutlich über denen der Konkurrenzmodelle.
Ducati ST3Vor lauter Motor-Schwärmerei hätte ich fast das Fahrwerk vergessen. Machen wir es kurz: keine Überraschungen, nichts wirklich Neues. Der Motor hängt im bewährten Gitterrohrrahmen aus Stahl. Die nur in der Federbasis verstellbare Showa-Upside-down-Gabel ist eher straff abgestimmt und benimmt sich ab und an etwas bockig. Doch dafür haben die mächtig zupackenden Brembo-Stopper keine Chance, die Gabel zum Durchschlagen zu bringen – was den gemeinen Ultraspätbremser durchaus freuen dürfte. Das von Sachs gelieferte und voll einstellbare Zentralfederbein macht dafür eher in Komfort und spricht recht sensibel an. Wer eine perfekt passende Balance zwischen Vorder- und Hinterhand bekommen möchte, muss schon etwas mehr Abstimmungszeit investieren, doch wen stört das bei einer Ducati wirklich? Bei der Serien-Bereifung im gängigen Sportler-Format (120/70 ZR 17 vorn und 180/55 ZR 17 hinten) besteht kein akuter Handlungsbedarf. Die Pirelli Diablo machen auf der ST3 einen ordentlichen und gut berechenbaren Job. Wer die verstellbaren Schalldämpfer in der unteren (Koffermontage-) Position fährt und extrem flott ums Eck schwenkt, darf sich allerdings nicht über hässliche Kratzgeräusche wundern. Der serienmäßige Hauptständer stellt sich sehr schrägen Schräglagen ebenfalls erfolgreich entgegen und setzt auf, doch bis es soweit ist, muss schon gewaltig angegast werden. Im normalen bis zügigen tourensportlichen Betrieb gibt es keinen ungewollten Bodenkontakt.
Für die ST3 in Rot, Gelb oder Silber verlangt der Ducati-Dealer des Vertrauens 10.995 Euro plus Nebenkosten (zirka 200 Euro). Wer die Duc mit Träger und zwei 30-Liter-Koffern behängen möchte, muss rund 730 Euro extra raustun. Damit spielt die Ducati preislich im gesunden Sporttourer-Mittelfeld und dafür gibt es einen hervorragenden, unglaublich Spaß machenden Motor in einem ordentlichen Fahrwerk, sehr guten Wind- und Wetterschutz sowie eine nahezu komplette Ausstattung. Ein ABS gibt es für die ST3 (bisher) zwar nicht, doch dafür sind immerhin ein Bügelschloss, eine ausklappbare Aufbockhilfe und eine Warnblinkanlage serienmäßig. Bei einer Ducati!