Ducati Scrambler offroadWas passiert eigentlich, wenn man einen echten Trendmuffel auf ein hippes Bike wie die neue Ducati Scrambler setzt? Klaus „durfte“ es für uns ausprobieren … 

aus Kradblatt 5/15
von Klaus Herder

Ducati Scrambler 2015 – jenseits des Hypes

Ducati Scrambler FrontIn den gut 52 Jahren meines bisherigen Lebens habe ich mich irgendwie zum Hype-Verweigerer und zum Nicht-Konsumenten von Dingen und Dienstleistungen, die „man“ unbedingt haben/nutzen/sehen/hören muss entwickelt. Darauf bin ich weder besonders stolz, noch ist es mir unangenehm – es hat sich einfach so ergeben.
Vermutlich in einer frühen Prägungsphase, als mir meine alten Herrschaften zwar fast alles erlaubt, aber praktisch nichts finanziert haben. Was in der Praxis dazu führte, dass ich mangels Masse erst Jawa- statt Zündapp-Mofa fuhr und später auf einer 250er-MZ statt auf einer 450er-Honda unterwegs war – wohlgemerkt als gebürtiger Hamburger, nicht als Ossi. Erschwerend kommt hinzu, dass die beste aller Ehefrauen mich bisweilen als „alten Muffelkopp“ oder auch „Misan­thropen“ bezeichnet, nur weil ich ab und an die Bezeichnung „Lemminge“ in den Mund nehme, wenn von einigen meiner Mitmenschen die Rede ist. Es ist wie es ist, ich habe durch meine gewisse Sturheit womöglich einige gute Filme verpasst (oder sind E.T. und Titanic tatsächlich so lausig, wie ich vermute?) und vielleicht sogar einige wegweisende Technik-Neuerungen spurlos vorbeiziehen lassen. Aber ein Leben ohne Flachbild-Fernseher, Smartphone und Fahrer-Assistenzsysteme ist möglich und durchaus angenehm – ich bin der beste Beweis.

Diese zugegebenermaßen etwas ausschweifenden Einleitungsworte sollen dem geneigten Leser verdeutlichen, in welchen Interessenkonflikt ich geriet, als mir, im Rahmen eines Themenfindungs-Telefonats, der Kradblatt-Chef folgenden Vorschlag unterbreitete: „Mach doch mal was über die neue Ducati Scrambler. Die ist momentan total angesagt!“ Total angesagt – diese beiden Worte lösen bei mir normalerweise sofort einen Verweigerungsreiz aus. Andererseits: er ist der Boss und er bezahlt mich.

Ducati Scrambler HeckAls alte Schreibhure organisierte ich mir also zwecks Einstiegslektüre die Scrambler-Pressemappe. In der ich dann im Rahmen des üblichen Marketing-Gelabers so wunderbare Formulierungen wie „authentische Kreativität und freie Ausdrucksform“, „Post-Heri­tage-Design“, „Heritage-Feeling“ und „exklusive Personalisierungs- und Life­style-Optionen“ lesen durfte. Außerdem legten die Marketing-Schwätzer viel Wert darauf, dass Ducati mit der Scrambler „nicht nur ein Motorrad, sondern eine neue Marke“ präsentiert und damit „eine ganz neue Welt an Motorrädern, Zubehör und Bekleidung, bei der die eigene Selbstdarstellung das letzte Wort hat“. Verkauft wird einem das bei den Ducati-Vertragshändlern dann auch noch in speziell dekorierter Ecke als „Land of joy“ – als ob Motorradfahren sonst eine Strafe wäre …

Na prima, ein Lifestyle-Hobel für hippe vollbärtige Karohemdträger mit wichtiger Wollmütze, die in Sachen Selbstdarstellung noch etwas Nachholbedarf haben – das hat mir gerade noch gefehlt.

Egal, Stichwort Schreibhure: Im Anschluss an die Pressemappe organisierte ich mir daher eine leibhaftige Ducati Scrambler. Genauer gesagt: eine Ducati Scrambler Icon, denn außer der roten, 8390 Mark teuren (und in Gelb 100 Euro mehr kostenden) Einstiegs-Scrambler gibt es noch drei Schwestermodelle: Scrambler Urban Enduro, Scrambler Full Throttle und Scrambler Classic, die technisch alle identisch sind, sich in Sachen Ausstattung und Dekoration aber unterscheiden und jeweils 1400 Euro mehr als das Basismodell kosten.

Ducati Scrambler von obenEs fällt mir nicht ganz leicht es zuzugeben, aber das knallgelbe Schätzchen macht bereits auf den ersten Blick ziemlich an. In natura noch deutlich mehr als in der bis zur Schmerzgrenze ausgedehnten Vor-Messe-Berichterstattungs- und Anheizphase. Da steht ein herrlich schnörkelloses Motor-Rad im wahrsten Sinne des Wortes vor einem, und spätestens bei der ersten Sitzprobe ist es einem schnurzpiepegal, ob das Teil nun Retro, Post-Heritage oder römisch-katholisch ist. Das ist einfach wunderbar schlicht und unaufgeregt, und wer etwas genauer hinschaut, entdeckt jede Menge richtig lecker gemachte Details: Tankdeckel mit „BORN FREE 1962″-Schriftzug (in Anlehnung an Ducatis erste Scrambler – oder ist doch das Geburtsjahr des Probefahrers gemeint?), klassisches Gaszuggehäuse, Lampeneinfassung mit LED-Lichtkranz als Standlicht, Alublenden am 13,5-Liter-Tank, Alu-Bananenschwinge und noch viel mehr – alles wirklich sehr, sehr schön anzuschauen.

Ducati ScramblerIn sehr moderaten 790 mm Sitzhöhe hockt der Fahrer aufrecht-lässig hinterm ultrabreiten und relativ hoch montierten Lenker. Für Menschen bis 1,80 m passt die Ergonomie perfekt, längere Kaliber stoßen womöglich beim Nach-hinten-Rutschen auf eine etwas störende Polsterkante und werden nach ein, zwei Stunden Scrambler-Fahren nach einer Pause verlangen, die den Haxen etwas Entspannung bietet – der Kniewinkel ist für sehr lange Menschen auf Dauer etwas spitz. Für stundenlangen Soziusbetrieb ist die Sitzbank etwas zu kurz, für den partnerschaftlichen Feierabend-Quickie zur nächsten Eisdiele langt die Sitzgelegenheit aber allemal. Der Bremshebel lässt sich vierfach verstellen, der Kupplungshebel leider nicht – kein Drama, die benötigte Handkraft fällt moderat aus, und mit der Griffweite kommen auch kleinere Greifer gut klar. Notfalls hilft der Zubehörhandel.
Außer den konventionellen Gas- und Kupplungszügen gibt’s im „Cockpit“ nicht viel zu sehen. Halt, stopp, da ist noch was: leicht rechtslastig montiert thront ein schlichtes Digital-Rundinstrument überm Lenker, das theoretisch über Tempo, Drehzahl, Uhrzeit, Benzinstand/Reichweite und sogar Lufttemperatur informiert und neben den Gesamtkilometern auch zweimal Tageskilometer zählt, in der Praxis aber schlecht bis gar nicht abzulesen ist. Was eigentlich niemanden belasten muss, denn spätestens dann, wenn der luftgekühlte 90-Grad-V-Twin läuft und die vollgetankt 189 kg leichte Maschine in Wallung kommt, ist ganz großes Kino angesagt – und das spielt sich garantiert nicht auf dem winzigen Tacho-Display ab.

Ducati Scrambler offroadBesagter Streifen ist ein typischer Gute-Laune-Film, der Herz und Hirn gleichermaßen berührt. Dafür sorgen das spielerische Gute-Laune-Handling und der perfekt abgestimmte Gute-Laune-Motor. Als Fahrer fragt man sich unwillkürlich, wann man zuletzt so entspannt, so locker und mit so einem breiten Grinsen im Gesicht unterwegs war. Dabei haben die Scrambler-Macher gar kein Hexenwerk bemühen müssen, um ein solch wunderbares Spielzeug auf die vorn 18 und hinten 17 Zoll messenden Räder zu stellen. Ein Stahl-Gitterrohrrahmen gehört praktisch zum Ducati-Standardsortiment, und der 803 cm³ große Zweiventiler ist ein alter Bekannter. Nämlich der ursprünglich bereits zur Ausmusterung anstehende Motor aus der Monster 796. Für den Scrambler-Einsatz bekam das bewährte Schätzchen aber eine zweite Chance. Die Italiener spendierten allerdings einige Modifikationen und „entschärften“ den Vauzwo. Wo früher zwei Drosselklappenkörper für Frischgasdurchsatz sorgten, beschickt nun ein 50-mm-Einzeltäter den Nachschub. Zusammen mit zahmeren Steuerzeiten kostete das zwar 12 PS Spitzenleistung, doch dafür werden nun ein wesentlich sanfteres Ansprechen und eine um Lichtjahre harmonischere Leistungsentfaltung geboten. Rucken und Hacken sind für den Scrambler-Motor Fremdworte, Drehmoment- und Leistungseinbrüche kennt der Twin ebenfalls nicht. 75 PS bei 8250/min und maximal 68 Nm bei 5750/min sind allemal genug, um immer und überall besagtes Grinsen ins Fahrergesicht zu zaubern. Ganz abgesehen davon, dass so ein luftgekühlter Motor um Welten besser aussieht als alles, was Ducati an wasserumspülten Trieblingen im Programm hat. Und richtig gut klingen kann der altgediente Luftikus ebenfalls: kernig unter Last, frech bratzelnd im Schiebebetrieb – na klar, das ist schließlich eine Ducati! Was auch fürs Getriebe gilt: Die sechs Gänge möchten auf kurzen und knochentrockenen Schaltwegen von einem Fuß eingelegt werden, der genau weiß was er will und das auch mit Nachdruck umsetzt. Dann klappt’s auch mit der satten Rastung.

Ducati Scrambler CockpitDieser herrliche Motor hängt also mittragend im piekfein verarbeiteten Gitterrohrrahmen aus Stahl. Das 110 mm breit bereifte Vorderrad wird von einer Upside-down-Gabel auf Kurs gehalten. Das 180 mm breite Hinterradgummi (Pirelli MT 60 RS) behält dank eines linksseitig montierten Zentralfederbeins zuverlässig Bodenkontakt. Vorn und hinten stehen jeweils 150 mm Federweg zur Verfügung, verstellt werden kann nur die Federbasis an der Hinterhand. „Supersensibel“ trifft die Grundabstimmung nicht wirklich. Und auch ein einfaches „sensibel“ wird der Sache nicht ganz gerecht. Dafür agieren die Federelemente dann doch zu sehr auf der eher harten Seite der Macht, doch irgendwie passt das zum knackigen und ehrlichen Charakter der Scrambler. Und das passt vor allem zum besagten Gute-Laune-Handling; denn wenn das Spielmobil superleicht und bestens berechenbar einlenkt, sauber auf Kurs bleibt und auch nichts gegen ziemlich schräge Schräglagen hat, verrutscht auch bei überraschend auftauchenden Fahrbahnverwerfungen rein gar nichts. Okay, die werden recht trocken an den Fahrer weitergereicht, aber genau so wollen wir das doch auch, wenn wir uns ein italienisches Fabrikat gönnen, oder?!

Ducati Scrambler SchwingeAn ein italienisches Motorrad gehören natürlich auch italienische Bremsen. Na klar: Brembo, und zwar vom Feinsten in Form einer familienpizzagroßen 330-mm-Einzelscheibe, die fein dosierbar von einem Vierkolben-Radial-Festsattel in die Zange genommen wird. Praktisch die halbe Panigale-Anlage und für die Scrambler eine goldrichtige Wahl. Wer zügig ankern will, muss schon etwas kräftiger zupacken, aber auch das passt zum grundehrlichen Motor-Rad-Charakter der Scrambler. Hinten hat die Scrambler übrigens auch eine Bremse. Diese überraschende Information soll genügen und muss einen nicht weiter belasten. Blockieren kann vorn und hinten nichts, dafür sorgt ein erfreulich spät eingreifendes Bosch 9.1-ABS.

Der Leser mag aus den obenstehenden Zeilen den Eindruck gewinnen, dass der Autor ebendieser Zeilen eine gewisse Begeisterung für die Scrambler hegt. Eine womöglich ziemlich große Begeisterung. Und damit hat der Leser absolut Recht. Was zuzugeben dem Autor etwas schwer fällt, denn immerhin ist die maximal 195 km/h schnelle, in rund vier Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigende und selten mehr als fünf Liter verbrauchende Sahneschnitte momentan total angesagt, und „man“ muss sie unbedingt haben.

Einigen wir uns auf einen Kompromiss: Das ganze abgefahrene Marketing-Gedöns rund um die Scrambler ist tatsächlich nervig und kann getrost ignoriert werden. Und ob irgendwelche Hipster den Stuhl klasse finden, kann einem ebenfalls total egal sein. Am Ende ist die Scrambler garantiert kein hippes Zeitgeist-Eisen, sondern einfach nur ein toll gemachtes und bildschönes Motorrad ohne (Elektronik-)Schnickschnack, das sogar Hype-Verweigerer begeistern kann.