Das Streben nach Perfektion

aus Kradblatt 3/25, Text: Michael Praschak, Fotos: Ducati

Die Panigale - schon im Stand eine absolute Schönheit
Die Panigale – schon im Stand eine absolute Schönheit

Ducati hat es wieder einmal geschafft. Im Juli 2024 stellten die Italiener im Rahmen der World Ducati Week die neue Ducati Panigale V4 vor und hätten mit dem neuen Motorrad kaum mehr Aufsehen erregen können. Erstaunlicherweise waren es weniger die Leistungswerte und technische Neuerungen, die für Unruhe sorgten. Es war vorrangig das außergewöhnliche Design, das für mächtig Gesprächsstoff sorgte. Warum so viel Aufregung? Weil die Neue gleich mit zwei Eigenheiten des aktuellen Ducati Superbikes bricht, die als fast unumstößlich schienen: dem inzwischen fast ikonischen Design der Panigale V4 und der Ducati-typischen Einarmschwinge. 

Standesgemäße Präsentation auf der Rennstrecke
Standesgemäße Präsentation auf der Rennstrecke

Für die Italiener bedeutet die 2025er Panigale den nächsten Schritt in einer langen Reihe von erfolgreichen Superbike-Modellen. Angefangen bei der 851 über die legendäre 916 bis hin zur ersten V2-Panigale ist das nun vorgestellte Modell die siebte Generation des sportlichen Flaggschiffs aus Borgo Panigale. 

Eingefleischte Ducati-Fans werden jetzt sagen: „Halt, so eine Situation gab es doch schon mal!“. Richtig. Bereits im Jahr 2003 gab es eine ähnliche disruptive Innovation aus Bologna. Damals verabschiedete man sich vom legendären Design der 916-Familie von Massimo Tamburini und Sergio Robbiano und kehrte mit der Einführung der Ducati 999 auch der Einarmschwinge das erste Mal den Rücken. Nach nur 4 Jahren rudert man aber bereits wieder zurück und die 2007 präsentierte 1098 erinnerte nicht nur wieder stark an die 916, das Hinterrad wurde auch wieder durch eine Einarmschwinge geführt.

Nun also wieder ein Kehrtwende und eine neue Schwinge, die in der englischen Pressemitteilung „Ducati Hollow Symmetrical Swingarm“ bezeichnet wird. Eine Nomenklatur, die zwar schon die Komplexität des Bauteils erahnen lässt – hinter der Kunststoffabdeckung auf der linken Seite befindet sich ein Hohlraum mit filigraner Struktur – aber keinen Hinweis darauf gibt, wie schwer Ducati die Abkehr vom einarmigen Pendant gefallen ist und wie viel Aufwand betrieben wurde. 

Michael muss sich ziemlich zusammenfalten
Michael muss sich ziemlich zusammenfalten

Erstaunlicherweise begann die Entwicklung der neuen Panigale V4 tatsächlich bei der Schwinge, nachdem die Rennabteilung Ducati Corse den Wunsch nach einer deutlich verbesserten Hinterradführung geäußert hatte. Im Lastenheft stand dabei auch die Gestaltung der bestmöglichen Einarmschwinge, die in Serienproduktion zu fertigen ist. Am Ende sollten ein Eins-zu-eins-Vergleich und die Performance entscheiden. Und das Ergebnis war eindeutig. Die neue symmetrische Schwinge ist nicht nur beeindruckende 2,7 Kilogramm leichter, jeder Testfahrer zog die symmetrische Schwinge vor und attestierte dieser auch deutlich mehr Gefühl in maximaler Schräglage. Ursächlich hierfür ist laut Ducati die um 37 Prozent reduzierte Seitensteifigkeit. 

Abkehr von der Einarmschwinge
Abkehr von der Einarmschwinge

Am überarbeiteten Rahmen wurde die Seitensteifigkeit sogar um 40 Prozent reduziert, das Gewicht sank von 4,2 Kilogramm auf nun noch 3,47. Der Trend hin zu weniger steifen Chassisbauteilen stammt aus der MotoGP und ist der neuen Reifengeneration geschuldet, die sowohl in der Prototypen-Weltmeisterschaft als auch in der WSBK noch größere Schräglagen erlauben, was mehr Gefühl durch weniger steife Komponenten in eben jenen erfordert.

Auch das neue Design und die überarbeitete Ergonomie der 2025er Panigale sind aus der MotoGP abgeleitet. Waren zum Beispiel die Winglets der letzten Generation dem Aerodynamikpaket der V4 ergänzend hinzugefügt, wurde die Verkleidung der neuesten Generation komplett neu entwickelt. Die stark veränderte Form der Front mit der jetzt höheren Scheibe sorgt laut Ducati nicht nur für 4% weniger Windwiderstand, sondern auch für eine deutlich verbesserte Luftzufuhr zu Wasser- und Ölkühler.

Übersichtliche Bedienung
Übersichtliche Bedienung

Neben der neuen Optik und dem grundlegend überarbeiteten Chassis gibt es aber noch eine weitere, unsichtbare Revolution, die auf 10 Jahre Erfahrung aus der MotoGP beruht: die Elektronik. Die 2025er Panigale V4 S verfügt über gleich zwei Systeme, die es in dieser Art in keiner Serien-Ducati gab. Das Erste ist der Ducati Vehicle Observer (DVO), wie er in ähnlicher Form auch bei den Ducati-MotoGP-Bikes zum Einsatz kommt. Neben den Daten der IMU simuliert hier der Algorithmus des DVO 70 weitere Sensoren und soll so das Regelverhalten von Traktions- und Wheelie-Kontrolle sowie die Launch Control aufs nächste Level heben. Damit aber noch nicht genug. Das in Zusammenarbeit mit Bosch entwickelte Race eCBS soll es jetzt jedem ermöglichen, von der Kurventechnik der Profis zu profitieren. Während die Hinterradbremse von Normalos auf der Rennstrecke in der Regel nicht angerührt wird, nutzen Profis diese, um das Turning des Motorrads zu verbessern und engere Linien zu fahren. Damit das nun auch Normalsterblichen gelingt, bremst das Ducati Race eCBS am Kurveneingang nach dem Lösen der Vorderradbremse automatisch noch das Hinterrad. Stellt sich am Ende die entscheidende Frage: was bringt das dem durchschnittlichen Fahrer?

Die Performance der Ducati ist beeindruckend
Die Performance der Ducati ist beeindruckend

Um diese Frage zu beantworten, hat Ducati zur Präsentation auf den extrem anspruchsvollen Kurs von Vallelunga in der Nähe von Rom geladen. Was den Kurs so besonders macht? Die 4,11 Kilometer lange Strecke ist der Kurs, auf der die neuen Panigale maßgeblich entwickelt wurde. Daneben wurden zwar auch Tests in Misano, Mugello, Cremona oder auch Jerez gefahren, aufgrund des sehr technischen und abwechslungsreichen Charakters der Strecke, wird hier aber ein Großteil der Testkilometer abgespult. Dabei bietet Vallelunga von Hochgeschwindigkeitspassagen bis zu Erste-Gange-Passagen alles, was das Fahren auf der Rennstrecke interessant und fordernd macht. Für Streckenneulinge auf der im Standardtrimm 216 PS starken V4 besonders herausfordernd: es gibt hier kaum Phasen, die nicht in Schräglage gefahren werden. Einzig die kurze Gegengerade bietet etwas Gelegenheit zum Durchatmen.

Glücklicherweise geht es im ersten Turn mit Test- und Entwicklungsfahrer Allessandro Valia als Instruktor auf die Strecke. Bummeltempo ist hinter dem schnellen Ducati-Mann aber nicht angesagt und die neue Panigale lässt schon im ersten Turn ihre Klasse aufblitzen. Die fällt schon auf dem Weg durch die Boxengasse auf. Wer will, kann den an der V4 S serienmäßigen Pit Limiter nutzen, was aber fast schade wäre, da das aus der Panigale V4 R übernommen e-Gas mit perfektem Ansprechverhalten verwöhnt.

Das Datarecording offenbart die eigenen Schwächen
Das Datarecording offenbart die eigenen Schwächen

Eine weitere Feinheit fällt ebenfalls schon nach nur wenigen Kurven auf. Wie für ein Motorrad in dieser Kategorie üblich, erfolgt der Wechsel der Gangstufen in beiden Richtung spielerisch via Blipper. Bemerkenswert ist aber, wie sauber die Schaltvorgänge über den Hebel eingeleitet werden können. Der Schalthebel ist optimal positioniert und sowohl beim Hoch- als auch beim Runterschalten mühelos zu erreichen. Darüber hinaus fühlt es sich so an, als würde der Schaltvorgang auf direktem Wege und ohne Spiel in der Umlenkung ans Getriebe übertragen. Eine Aufnahme für konventionelles und umgedrehtes Schaltschema ist ebenfalls vorhanden. 

Steigert man das Tempo, findet man auch sehr schnell an den Änderungen an Ergonomie und Aerodynamik gefallen. Der ein oder andere mag sich an der neuen Optik reiben, im Rennstrecken Einsatz ist der Mehrwert indiskutabel. Laut Ducati bietet die neu gestaltete Verkleidung vier Prozent weniger Luftwiderstand und dank der höheren Scheibe und der um 10 Millimeter nach innen gewanderten Fußrasten kann man sich besser im Windschutz der Verkleidung positionieren. Ebenfalls hilfreich ist die neue Sitzposition. Die Sitzhöhe beträgt zwar unverändert schwindelerregende 850 Millimeter (zum Vergleich: 2025er Monster 820 mm), der Sitz ist nun aber 50 Millimeter breiter, 35 Millimeter länger und fällt weniger steil nach vorne ab. Dank der zusätzlichen Länge können auch größere Fahrer weiter nach hinten rutschen und sich so besser auf dem ebenfalls neu gestalteten Tank positionieren, der flachere Verlauf hilft in der Bremsphase, die breitere Form sorgt für mehr Halt in Schräglage. 

Elektronisches Öhlins Fahrwerk, umkehrbares Schaltschema usw.
Elektronisches Öhlins Fahrwerk, umkehrbares Schaltschema usw.

 Die Vorteile spürt man in Vallelunga in zwei Sektionen mehr als deutlich. Sowohl auf der kurzen Gegengeraden beschleunigt man im fünften Gang voll bis kurz vor dem Begrenzer, auf Start-Ziel erreichen ganz schnelle Fahrer auch den sechsten Gang. Die Besonderheit: auf der Start-Ziel beschleunigt man aus einer Zweiter-Gang-Rechts voll, fährt dann einen ultraschnellen Linksknick im fünften oder sechsten Gang, bremst kurz und wechselt dann im Fünften in die „Curva Grande“, um dann im Idealfall bei Volllast wieder auf links zu wechseln. Das meiste davon spielt sich bei weit über 200 km/h ab. Da schafft jeder ergonomische Vorteil einen spürbaren Vertrauenszuwachs. Speziell in diesen anspruchsvollen Sektionen fallen zwei weitere Eigenschaften auf, die die neue Panigale besonders auszeichnen: ihre Stabilität und Agilität. Keine Unruhe zügelt hier den Mut und damit den Vortrieb des Piloten und auch das Umlegen gelingt überraschend einfach. 

Das dennoch sehr viel Luft nach oben ist, verrät nach den ersten Turns der Blick ins Data Recording. Ducati bietet für die Panigale einen 2-Data-Logger als Zubehör, Software natürlich inklusive. Damit während der Präsentation das volle Potential genutzt werden kann, steht jedem Tester ein eigener Daten-Ingenieur zur Verfügung. Die harte Wahrheit: besonders auf der Bremse und beim Beschleunigen am Kurvenausgang ist im Vergleich zum Testfahrer sehr viel Luft nach oben. Vor allem in der Beschleunigungsphase ein Grund: während der lebensbejahende Tester eher verhalten am Kabel zieht, vertraut der Ducati-Fahrer dem Assistenzsystem voll und pflegt eher einen digitalen Einsatz des Gasgriffs. Da die Leuchte der Traktionskontrolle im neuen, hervorragend ablesbaren 6,9 Zoll-TFT-Display kaum aktiv ist, wird die Elektronik von „Medium“ auf scharf (Power Modus „Full“, nur der 1. Gang mit Drehmoment-Management und eCBS auf Level 1) gestellt und es geht wieder raus auf die Strecke.

Der Drehmomentgipfel von gut 121 Newtonmeter steht zwar jetzt erst bei 11.250 Umdrehungen an, im Full-Modus geht die Panigale, dank des entfesselten Drehmomentverlaufs in den Gängen zwei bis sechs, jetzt dennoch mit spürbar mehr Vehemenz zu Sache. Wie kräftig der 1.103 Kubik V4 anreißt, merkt man aber auch im Fullmodus nur an den zusätzlichen Körnern, die man braucht, um mit dem Motorrad mitzuhalten. Die Panigale selbst lässt sich in keiner Situation aus der Ruhe bringen. 

Das Dashboard bietet vielfältige Infos und Einstellmöglichkeiten
Das Dashboard bietet vielfältige Infos und Einstellmöglichkeiten

Einen großen Unterschied macht in der zweiten Tageshälfte aber die geänderte Einstellung in den beiden 1. Gang-Kurven. Auf Level 1 greift das automatische Bremssystem eCBS fürs Hinterrad beim Lösen der Vorderradbremse spürbar mehr ein und ermöglicht so enge Linien, die vorher nicht ansatzweise zu erreichbar waren. Sind die Bremsstabilität und die formidable Verzögerung der Kombination aus 330er Scheiben und den brandneuen Hypure-Sätteln vom Brembo schon ein echtes Highlight, generiert das Bremssystem noch mal einen spürbaren Mehrwert. Der Effekt ist so ausgeprägt, dass man sich tatsächlich erst daran gewöhnen muss, die Kurve etwas schneller anzufahren, um die Zeitersparnis dank der durch das eCBS engeren Linie am Kurvenausgang nicht wieder zu verspielen. Absolut beeindruckend, wie diese Technik die Fähigkeiten des Fahrers erweitern kann.

Selbst im Wohnzimmer wäre die Ducati Panigale V4 S ein Schmuckstück
Selbst im Wohnzimmer wäre die Ducati Panigale V4 S ein Schmuckstück

Fast unbemerkt bleibt bei diesen riesigen Entwicklungssprüngen die tolle Arbeit, die das elektronische Fahrwerk der Panigale V4 S verrichtet. Sowohl die NPX-30-Gabel als auch das TTX36 Federbein der S-Version sind mit Smart EC 3.0 von Öhlins ausgestattet. An einer Stelle fällt dann aber doch immer wieder auf, auf welch herausragendem Niveau auch das Fahrwerk operiert. Im letzten Streckenabschnitt gibt es mit Sektion „Esse“ eine Links-Recht-Kombination, deren Eingang nicht nur blind sondern auch extrem wellig ist. Dank des piekfeinen Ansprechverhaltens und tollen Feedbacks der Dämpfer hat man schnell volles Vertrauen, die Geschwindigkeit wird höher und das in voller Schräglage fein arbeitende Fahrwerk sorgt für ein noch breiteres Grinsen unter dem Helm.

Fazit:

Im Motorsport ist Ducati in den letzten Jahren von Erfolg zu Erfolg gefahren. Alvaro Bautista hat mit zwei WM-Titeln auf der V4 R in der Superbike-WM das Potential der Panigale gezeigt, Siege mit den unterschiedlichsten Fahrern und zwei WM-Titel mit Pecco Bagnaia in der MotoGP beweisen, welch großartige Entwicklungsarbeit man in Bologna in den letzten 15 Jahren geleistet hat. Nun steht mit der neuen V4 S ein Motorrad bei den Ducati Händlern, in welches das gesammelte WM-Know-how geflossen ist und das wie das Ducati MotoGP-Motorrad
von unterschiedlichsten Fahrern schnell bewegt werden kann. Dabei gelingt es der neuen Panigale unabhängig vom Erfahrungsgrad des Piloten, die verfügbare Performance besser zu nutzen. 

Die neue Panigale wurde nur für einen Zweck gebaut: schnelles Fahren auf der Rennstrecke. Ducati gibt an, das 94% des Motorrads neu entwickelt wurden. Jedes Detail davon wurde für mehr Performance unter Rennstreckenbedingungen optimiert. Natürlich gibt neben den Riding Modes Race A und B auch einen Sport, Road und Wet-Modus für den Straßenbetrieb und Ducati hat alles dafür getan, trotz der immensen Leistungswerte auch mit dem Under-Engine-Auspuff die Euro5+ Norm zu erfüllen. Dennoch ist die Ducati ein Rennmotorrad, dessen Potential nur auf abgesperrtem Terrain ansatzweise erfahren werden kann. Dort braucht man in Zukunft für vollkommenes Glück aber nicht mehr, als die Panigale V4 S für 34.790 € zuzüglich Liefernebenkosten. Gut, vielleicht gönnt man sich noch ein paar Carbonteile aus dem Ducati-Zubehörkatalog und die Akrapovič-Racing-Anlage (rund 4.000 €), um die möglichen 228 PS des V4 zu erreichen. Dann ist aber wirklich Schluss. Bis die nächste Panigale kommt. Ducati hat nämlich fest versprochen, auch in Zukunft Superbikes zu bauen.

Mehr Infos gibts bei den Ducati-Vertragshändlern