aus bma 12/10 – Fahrbericht

Text: Vic Mackey
Fotos: KH, VM & Ducati

Ducati Multistrada MTS 1200 S 2010„Als ich ein kleiner Junge war, sagte man mir, dass man die Welt nicht auf Knopfdruck ändern kann…”, so der Ducati-Werbetext zur neuen Multistrada 1200.

BLÖDSINN – ich weiß ja nicht wo und wann der Junge aufgewachsen ist, aber als Kind der „Generation Privatfernsehen” lernte ich sehr wohl, dass sich die Welt auf Knopfdruck ändert. Innerhalb von Sekunden ritt ich entweder mit den Cartwrights über die Ponderosa, jagte Verbrecher in den Straßen von San Francisco oder entdeckte unendliche Weiten. Kraftfahrzeuge konnten schwimmen, tauchen und manchmal sogar fliegen, gaben ihren Fahrer gute Ratschläge oder waren wenigsten auf der Straße so schnell unterwegs wie im schwersten Gelände.

Ihr seht schon, die fahrende Realität traf mich hart. Unbegreiflich war für mich, dass ich mich auf ein Einsatzgebiet beschränken sollte. Ein stylisches Bike, ein schnelles Bike oder ein Bike für die Abenteuer dieser Welt. Offensichtlich haben einige Fahrzeugentwickler die gleichen Programme geschaut wie ich. Immerhin liegen sogenannte „Multipurpose Bikes” voll im Trend der Zeit. Anfänglich begnügte man sich ja noch mit schlichten Wortkombinationen wie „Sport-Tourer” oder „Reise-Enduros”, doch mittlerweile will man die ganze Palette abdecken. Quasi von der „grünen Hölle” auf direktem Weg bis zur Wüste Gobi.

Ducati Multistrada MTS 1200 S 2010Ducati entschied sich zu diesem Zweck einen alten Namen wieder zu beleben – Multistrada. „Wie anders sollten wir sie nennen?!” , hörte man aus Bologna. Damit gingen die roten Macher ein Risiko ein, denn die alte Multi war nicht gerade ein Hit. Sie war ein kommerzieller Flop, um ehrlich zu sein. Ich denke, selbst bei Ducati wird mir da niemand ernsthaft widersprechen wollen.

Die ersten Erlkönigbilder ließen dann auch schon vermuten in welche Richtung es mit der Neuen gehen sollte. Man „wolle und könne keine zweite (BMW) GS bauen”, erklärte Claudio Domenicali zwar noch im Vorfeld der Präsentation auf der letztjährigen EICMA, aber die getarnte Optik ließ bereits Anleihen des bayerischen Schnabeltiers erahnen. Der ungetarnte Blick auf die neue MTS1200 zeigt aber vielmehr den zackigen Schnabel eines Greifvogels – ja eines Habichts. Erinnerungen werden wach. Als Pendant zum Knight Rider auf vier Rädern gab es in den 80ern ein Supermotorrad names „Street Hawk”. Als Kind war ich ein absoluter Anhänger dieser ziemlich erfolglosen TV-Serie und träumte von einer solchen Maschine. Sollte mein Traum nun also in Erfüllung gehen?!

Ducati Multistrada MTS 1200 S 2010Ich musste mich weit hinten anstellen, um eine Pressetestmaschine zu bekommen. Kaum ein anderes Motorrad (vielleicht noch die bayerische Tausender) hat in diesem Jahr für soviel Aufsehen gesorgt. Zur herbstlichen Übernahme stand dann schließlich doch eine reich bestückte Multistrada S Sport zur Verfügung, ausgestattet mit allem Zubehör, was wir für unseren Test brauchten. Zur Modellpolitik der MTS-Reihe sei kurz einleitend etwas gesagt. Das herausragende Feature der Multistrada, welches sie erst so richtig zu dem macht, was sie ist, ist das elektronisch verstellbare Fahrwerk aus dem Hause Öhlins. Dieses führt in Verbindung mit vier differenzierten Motormappings und Einstellungen der Traktionskontrolle DTC zur entsprechenden Anzahl von sogenannten „Riding Modes” und damit zu den vier Kategorien Sport, Touring, Urban und Enduro. Diese exklusive Kombo ist der Variante „S“ vorbehalten. Die einfachere Version ohne S und ohne e-Fahrwerk kostet rund 3000 Euro weniger. Wer die eigentliche Sensation erfahren möchte, sollte schon 18.000 Euro im Haushalt freimachen, wie es auch die meisten der bisherigen Käufer getan haben. Dann unterscheidet man noch die Varianten „Sport“ und „Touring“. Erstere hat jede Menge Carbonteile, die Zweite einen Hauptständer, Griffheizung und Koffer serienmäßig. Beide Versionen kann man zur jeweils anderen aufrüsten. So wurde in unserem Fall aus einer „S-Sport“ eben eine „S-Sport-Touring“.

Ducati Multistrada MTS 1200 S 2010Mit zusätzlich fülligeren Kofferdeckeln kann die Multi so richtig Ladung bunkern und mit einem höheren Windschild, zur ohnehin serienmäßigen aber manuellen Höhen­verstellung, ist man gut gegen den heranbrausenden Fahrtwind gerüstet. Beides aus dem hauseigenen Zubehörprogramm der Italiener. Schließlich wollten wir mit der neuen Duc ordentlich Tourenkilometer machen und entführten sie zum Saisonabschluss in die Dolomiten. Runden drehen um die Sellagruppe und Co., das bevorzugte Revier viele Stelzensportler. Hier in diesen Kurven und Kehren haben die Bologneser vier Jahre an ihrer Entwicklung gefeilt.

Mein Testfahrer und Tourenkumpel Klaus ist quasi hier zuhause. Geniale Routen plant er aus dem Kopf. Karten braucht er nicht, Navis sind ihm ein Graus. Jedes Mal wenn er in den Sattel der Multi steigt schaltet er zu allererst das ansonsten wirklich hervorragend führende Garmin „Nüvi” Navi aus dem Ducati Corse Zubehör aus. Es wäre ihm peinlich danach zu fahren. Mit dem Navi deaktiviert er dann auch seine routinierte Zurückhaltung, sobald wir die Fahrzeuge tauschen. Auf der MTS gehen die 150 Gäule ziemlich schnell mit ihm durch. Da wedelt er wieder die Pässe hoch, wie einst im Mai. Regelmäßig regelt die DTC sanftmütig seinen überschwänglichen Vortrieb, wenn es über Frostaufbruch zerfurchte Straßen geht.

Bei der Zigarettenpause kann er dann nur noch hinter seinem Glimmstengel hervor grinsen – „Wie erklärt man jemandem, wie geil dieses Teil ist!?” Nun, ich will es versuchen. Ein Motor direkt aus dem Superbikebau begeistert mit sattem Bumms ab 3000 Umdrehungen. Der 1198 Testastretta wurde nur geringfügig verändert, indem man den Ventilüberschneidungswinkel von 41 auf 11 Grad setzte um von der brachialen Leistungsentfaltung des gebückten Renneisens auf eine homogene Leistungsentfaltung zu kommen. Gezähmt bleiben so immer noch 150 wilde Cavallos, die mit der Langbeinigen nach Belieben lostraben. Auf der Autobahn bedeutet das, dass man bei 180 noch mit einem im­mensen Schub durchziehen kann. Das sind die Geschwindigkeitsregionen in denen man sich endgültig von dieselbeseelten Bürgerkäfigen distanziert. Etwas Vergleichbares hat man unter Reiseenduros bislang nicht erlebt. Vorausgesetzt man ist im Modus „Sport” oder „Touring” unterwegs. Die beiden anderen Modi reduzieren die Leistung deutlich auf rund 100 PS.

Ducati Multistrada MTS 1200 S 2010„Urban” kann man getrost als Einstellung für Regenwetter klassifizieren. Reduzierter Schub, ein softes Fahrwerk und ein wachsames DTC schützen vor klitschnassen Gullideckeln und Co. „Enduro” hingegen hebt mittels hydraulischen Stellmotoren den Bock um zwei Zentimeter und stellt die Traktionskontrolle auf Durchzug. Im Gelände muss das System mehr Wheelspin zulassen, um zügig voran zu kommen.

Zum Gelände sei gleich etwas gesagt. Auch wir haben die Probe aufs Exempel gemacht und die MTS durch ein trockenes Flussbett geführt. Fazit: Das ist nichts für sie. Die ansonsten wirklich souveränen Pirelli Scorpion Trail haben einfach zu wenig gefühlsechte Noppen und überhaupt ist der Krümmer auch ziemlich schutzlos etwaigen Schlägen ausgeliefert. Auf alle Fälle macht es Spaß die Multi auf geschotterten Wegen ordentlich anstauben zu lassen. Auf diesem Terrain hat sie sich ja auch bereits bewiesen, indem Ducati beim legendären Pikes-Peak-Rennen in den USA einen MTS-Doppelsieg einfahren konnte.

Zurück zur Landstraße. In ihrem angestammten Habitat kommt der Multistrada der gleiche Status zu, wie ihn zu Urzeiten der Tyrannosaurus Rex inne hatte – sie braucht keine natürlichen Feinde zu fürchten. Klar, im ganz engen Kurvengeschlängel können kleine fiese Raptoren aus der Gattung der Supermotos böse zubeißen, wenn die MTS aber im freien Geläuf die Muskeln spielen lässt ist es vorbei mit den Quälgeistern. Und gegenüber potentiell stärkeren Gebückten hat sie den Vorteil der spielerischen Erhabenheit auf ihrer Seite. Aufrecht sitzend, die breite Reckstange aktiv vor der Brust, lässt sie sich spielerisch dirigieren. Noch nie habe ich vergleichsweise so aktiv und doch entspannt gesessen.

Ducati Multistrada MTS 1200 S 2010Das Beste zum Motor hätte ich darüber hinaus fast vergessen: Er klappert nicht mehr. Ducati hat mit der MTS die Trockenkupplung gegen eine im Ölbad liegende getauscht. Ein Affront für viele Traditionalisten, für mich die Erlösung. Zumal der V2 nach wie vor herrlich sonor bollert sobald der Anlasser in gewohnt behäbiger Manier ihn in Gang gesetzt hat. Aus zwei zierlichen Endtöpfen, die zudem den Blick auf das einarmschwingengeführte 190er Hinterrad herr­lich freigeben, schmettern italienische Engels-Chöre bis in höchste Lagen ihr Halle­luja.

Und noch ein Satz zur elektronischen Höhenverstellung. Diese vollzieht sich recht diskret, wirkungsvoll aber ohne Showeffekt. Wer erwartet hätte, dass die Duc wie ein getunter Low-Rider auf und ab hüpft wird enttäuscht sein. Rapper werden weiterhin andere Karossen neben rhythmisch mit dem Popo wackelnden Schokotörtchen parken müssen.

Gibt es an diesem Motorrad denn gar nichts zu bemängeln? Doch, sicherlich. Auf unserer Fahrt begegneten wir immer wieder anderen Multitreibern, deren fachkundige Frage immer der Hinterradbremse galt. Ich gebe zu, mir selbst wäre da nix aufgefallen. Das Bremspedal ist für mich ein überflüssiges Bauteil, da ich überwiegend vorne ankere. Aber auch Klaus hat den fehlenden Bremsdruck hinten moniert. Das Problem läge am Verlauf der Bremsleitung am heißen Kat vorbei. So komme Luft ins System, weiß ein Ducatieigner, der am Stilfser Joch neben uns seinen Ferrari geparkt hat. Einfach die Bremsflüssigkeit vollständig gegen Racingfluid tauschen und gut ist, meint er.

Ducati räumt ebenfalls ein, dass man das Problem kennt und diesem zu Leibe rücken wird. Ebenso wie der noch nicht zufriedenstellenden Abstimmung des ABS. Bei Reibwertsprüngen senkt das System den Bremsdruck stark ab und baut nicht entsprechend wieder auf. Da musste man erst noch Erfahrungswerte sammeln und hat es wohl zu Gunsten des Überschlagschutzes sachte angehen lassen. Für 2011 stehen Korrekturen in diesem Bereich an, die allen MTS-Fahrer vergönnt sein werden.

Zurück aber zu den Vorzügen der Multistrada. Ein derart vielseitiges Motorrad hat es noch nie gegeben. PUNKT! Sie hat die Gene eines Sportlers und das Reichweitenpotential, um den Erdball zu umrunden. „Eines der schnellsten Motorräder auf der Landstraße”, hat Domenicali gesagt – ich sage, sie ist die Schnellste! Zum Beleg hier­über kann man in der Infozentrale sogar Rundenzeiten aufrufen. Das Kombiinstrument liefert eine Datenflut, die erstmal sortiert sein will. Kaum zu glauben, dass man noch vor wenigen Jahren von „Mäusekino” gesprochen hat, sobald eine Digitaluhr im Cockpit verbaut wurde. Heute haben wir „Dash­boards“ auf denen man wohl ohne weiteres 100 digitale TV-Kanäle empfangen oder einen Raketenstart programmieren könnte. Jedenfalls kann man sich bis zu den Tiefen des Ducati-Setups durchklicken und sämtliche Einstellungen nach eigenen Vorlieben konfigurieren. Zug- und Druckstufen, Federvorspannung, aber auch das Level der Traktionskontrolle, mit oder ohne ABS. Wer also der Meinung ist, jeden Slide, gleich ob Ölspur oder Schneeglätte, locker einhändig zu reiten, kann gerne alle Helfer deaktivieren und so seinen eigenen „Helden-Modus” komponieren.

Lange Rede kurzer Sinn: Diese Ma­schine ist schlicht genial. Den kleinen Nachbesserungsbedarf an der ABS-Brem­se ge­schenkt. 2011 wird dieser Tadel wohl behoben sein und der Titel der Alpenkönigin ist der Ducati so gut wie sicher.

Die gute Nach­richt für alle, deren Garage zu klein ist für ein weiteres Motorrad: Ihr könnt – genug Bares vorausgesetzt – die Moppedsammlung getrost auflösen. Es braucht in meinen Augen nur noch ein Motorrad auf allen Straßen – die Ducati MTS 1200S Multistrada.