aus bma 09/07
von Klaus Herder
„Wir brauchen dringend Katzenstreu. Wäre schön, wenn du dann mal endlich etwas Zeit für deinen Sohn hättest. Der Rasen müßte auch mal wieder gemäht werden. Heute Abend sind wir bei Pasulkes zum Grillen eingeladen. Und morgen Nachmittag kommt meine Mutter zum Kaffeetrinken.” Wenn die Ansage zum Wochenende bei Ihnen so oder so ähnlich lautet, sind Ihnen ihr gut dotierter Job, ihr fast abbezahltes Reihenendhaus, ihr toller Audi A6-Firmenwagen und ihre ganze nette Familie möglicherweise schnurzpiepe egal. Denn Sie vermissen etwas ganz Wichtiges: Zeit für sich. Einfach mal allein sein, nichts machen müssen. Vielleicht das machen können, was Ihnen vor 15, 20 Jahren extrem wichtig war: Motorrad fahren.
Mit etwas Glück haben Sie eine Partnerin, die dafür Verständnis hat. Zumindest etwas. Aber mehr als ein, zwei Stunden kurze kleine Fluchten am Sonntagvormittag sind beim besten Willen nicht drin. Der 1400er-Megatourer (Ganz toll langstreckentauglich…), die 450er-Sportenduro (Zwei Stunden Anfahrt bis zum Sandkasten…) oder der neueste Supersportler (Die Bandscheibe macht Probleme und das Holstengeschwür ist im Weg…) kommen für Sie nicht in Frage. Was Sie brauchen, ist ein Spielzeug fürs Herz. Piekfein gemacht, mit leckeren Details, einem menschenwürdigen Arbeitsplatz und Druck aus dem Keller. Möglichst leicht muß es sein und darf in der Garage nicht viel Platz wegnehmen. Es muß die Nachbarn und Kumpels neidisch machen und bereits auf den ersten Kilometern für Adrenalinschübe sorgen können. Ganz wichtig: Das Gerät soll auch dann Spaß bringen, wenn man in der Garage einfach nur drum herum läuft, denn zum Fahren werden Sie sowieso kaum kommen.
Eine Honda Deauville scheidet demnach definitiv aus. Und für die Harley sind Sie einfach noch zu jung, denn Gerüchte besagen, daß Sie tatsächlich noch ab und an Sex haben. Was bleibt übrig? Ducati, ganz klar. Aber nicht irgendeine. Es muß die Hypermotard sein. Und bevor Sie jetzt zum Händler laufen und sich mit der Ansage „Ich brauche Infos zur Hüperrmotart”, blamieren, sei folgendes verraten: Der Name wird „Iiehpärmotaah” oder so ähnlich ausgesprochen. Die auf der Mailänder Motorrad-Messe Ende 2005 als Konzeptstudie gezeigte 1100er ist seit der Yamaha Vmax (1983) die vermutlich am sehnlichsten erwartete Motorrad-Neuheit. Man muß wahrlich kein Supermoto-Freak sein, um von dem Muskel auf zwei Rädern begeistert zu sein. Das kräftige und dabei ungemein schlanke, pragmatische Äußere macht einfach an. Schuld daran ist Pierre Terblanche, Südafrikaner und Ducati-Chefdesigner.
Die ersten Hypermotard-Überlegungen gab es schon 1998. Damals lief die Multistrada-Entwicklung auf Hochtouren, und die Idee eines extremeren Schwestermodells war nicht so abwegig. Es dauerte dann aber doch noch sechs Jahre, bis die Supermoto-Formensprache markttauglich war, und Terblanche die Idee wieder aus der Schublade holte. Für die Multistrada und die 999 hatte Terblanche derweil viel Kritik einstecken müssen, die Mike Hailwood-Evolution und die Sportclassic-Modelle begeisterten dafür die Ducatisti. Der sehr bodenständige, ausgesprochen höfliche und erfreulich ironische Ducati-Designer hat dafür eine ziemlich selbstbewußte Erklärung: „Die so genannten Erfolge habe ich immer mehr oder weniger allein gemacht und meist in ziemlich kurzer Zeit, nämlich in drei bis vier Monaten. Das gilt auch für die Hypermotard.” Auf den Hype um die Hypermotard angesprochen ruderte Pierre Terblanche in seiner zurückhaltenden Art aber gleich wieder etwas zurück: „Die Hypermotard bietet ein paar hübsche optische Lösungen, aber echte Neuerungen bringt sie im Grunde nicht mit. Sie vereint verschiedene Elemente, die man in dieser Kombination eben noch nicht gesehen hat.”
Das ist richtig – und doch grundfalsch. Natürlich basiert die Hypermotard auf der Multistrada, Rahmen und Motor sind nahezu baugleich mit den Teilen des zumindest in Deutschland nur mäßig erfolgreichen Schwestermodells. Dazu kommen das Getriebe des Supersportlers 1098 und ein paar edle, aber doch handelsübliche Zulieferteile – eben ein typisches Baukastenprodukt. Doch wie es Terblanche geschafft hat, mit so wenig Anbauteilen ein dermaßen eigenständiges Design hinzubekommen, ist einfach genial. Ganz nebenbei ist die Hypermotard vollgetankt 25 Kilo leichter als die Multistrada (196 zu 221 Kilogramm). Ums verringerte Tankvolumen bereinigt (12,4 zu 20 Liter) bleiben immer noch 19 Kilo Differenz übrig.
So muskulös die Hypermotard auf Fotos wirken mag, so überraschend zierlich kommt sie live rüber. Terblanche wollte ein Motorrad „mit der Optik einer 500er, aber der Power einer 1000er” – das ist ihm tadellos gelungen. Stilbildend sind der rote Gitterrohrrahmen mit dem filigranen Rahmenheck, die massige Alu-Einarmschwinge, der schmale Tank, die beiden hoch gelegten Auspuffrohre und das noch höher liegende LED-Rücklicht, dessen Anbauteile als Soziushaltegriff und Spoiler dienen, der breite Crosslenker, der kurze Frontschnabel und das Mini-Cockpit im Enduro-Stil. Mehr ist eigentlich nicht dran. Und wenn man in (für Supermoto-Verhältnisse) moderaten 855 Millimetern Sitzhöhe Platz genommen hat, kommt es einem eigentlich noch weniger vor. Die extrem schlanke Taille läßt eher einen Einzylindermotor vermuten, doch für Vortrieb sorgt natürlich ein luftgekühlter V-Twin (Ducati nennt ihn L-Twin, vonwegen 90 Grad Zylinderwinkel) mit Zweiventil-Zylinderköpfen und Einspritzanlage. Aus 1079 ccm holt der Motor 84 PS bei 7500 U/min und stemmt maximal 94 Nm, die schon bei 4750 Umdrehungen anliegen.
Die Sitzposition wirkt (zumindest kurzfristig) sehr bequem. Die abschüssige, sehr weit vorn eine Kuhle bildende Sitzbank läßt den Fahrer weit in Richtung Vorderrad rutschen. Angriffslustig und mit weit ausgebreiteten Armen hockt er ziemlich nah am Lenker, die breite Stange liegt gefühlsmäßig in Schlagdistanz zum Bauchnabel. Je größer der Fahrer, desto unangenehmer oder zumindest ungewohnter ist diese extreme Vorderradorientierung. Aber von der Sitzbank-Front gibt’s auch durchaus positive Meldungen: Das Sitzmöbel ist im hinteren Bereich recht breit und damit durchaus soziustauglich geformt. Die Beifahrerfußrasten sind ebenfalls menschenwürdig montiert. Ein herrliches Gimmick sind die klappbaren Rückspiegel, die gleichzeitig die LED-Blinker integrieren. Alles zusammen gehört zu den Handprotektoren, hinter denen verstellbare Hebel auf Fahrerhände lauern. Die Spiegel zeigen zwar erstaunlich klar das rückwärtige Geschehen, nur leider liegen sie völlig außerhalb des normalen Fahrer-Sichtfeldes, nämlich sehr weit unten und noch weiter außen. Mit üppigen 1,20 Meter Durchfahrtsbreite liegt die bespiegelte Hypermotard auf Goldwing-Niveau, was dem innerstädtischen Kolonnen-Durchschlängeln einen ganz besonderen Reiz verleiht. Aber egal, die Teile sehen einfach rattenscharf aus, und wir sollten uns beim Spiegel-Genörgel daran erinnern, für wen die Hypermotard eigentlich gemacht ist: Für Augen- und Genußmenschen, nicht für Fahrtenbuch führende Vielfahrer. Wer aber partout praktische Spiegel haben möchte, findet im Ducati-Zubehörprogramm passende Originalteile im konventionellen Stil. Den Genußmenschen wird es auch nicht weiter stören, daß das Cockpit zwar jede Menge Informationen bereithält (u. a. Zeit- und Stoppuhr, Öltemperatur, Reservekilometer-Anzeige) und das Umschalten sehr praktisch am linken Griff erfolgt, doch leider die Drehzahl-Balkenanzeige und auch überhaupt das ganze Cockpit arg klein und unübersichtlich geraten sind.
Ducati ist sehr stolz darauf, „die Bedienkraft der Kupplung deutlich reduziert” zu haben. Zumindest im Vergleich mit älteren Ducati-Modellen stimmt das. Absolut gesehen ist der Griff zur linken Armatur immer noch etwas für zupackende Typen. Die Trockenkupplung trennt immer und überall perfekt, die Gänge des Sechsganggetriebes rasten auf mittellangen Wegen sauber und auf Anhieb. Allzu grobes Schuhzeug, womöglich sogar Cross-Stiefel, sollte der Hypermotard-Fahrer aber nicht tragen. Der Abstand zwischen Raste und Schalthebel ist eher etwas für italienische Tanzschühchen. Warum die mangelhafte Drehzahlanzeige überhaupt kein Problem darstellt, merkt man bereits beim ersten Durchsteppen der Gänge: Sie ist schlichtweg überflüssig, denn der herrlich am Gas hängende Twin schaufelt bereits im Drehzahlkeller fleißig Drehmoment ans Hinterrad, läßt einen nicht ganz so Gasgriff-sensiblen Fahrer aber auch ordentlich Lastwechselrucke spüren. In jedem Fall zeigt er dem Fahrer recht deutlich, wo er sich wohl fühlt. Ab 2000 Touren schiebt die Fuhre zügig voran, zwischen 3500 und knapp 7000 Umdrehungen sind dann ganz großes Kino und lustvolles Drehmoment-Surfen angesagt. Die 84-Papier-PS bekommen in der Praxis zehn gefühlte PS als Verstärkung. Auswringen lohnt sich aber nicht, denn über 8000 Touren fühlt sich der Zweizylinder nicht mehr wirklich wohl, bei 8500 U/min macht der Begrenzer dem Treiben ohnehin ein Ende. Der sechste Gang ist eine echte Fahrstufe, kein Overdrive, und damit die Schaltstufe, in der die Höchstgeschwindigkeit von 215 km/h erreicht wird. Zumindest theoretisch. Außer statistikgeilen Testfahrern wird sich auf der Hypermotard wohl niemand dieses Tempo antun. Es ist halt sehr, sehr windig und auf Dauer äußerst anstrengend, mit über 200 km/h und einer Armhaltung im Cinemascope-Format über die Bahn zu prügeln.
Beim besagten Einstunden-Sonntagvormittags-Ausritt wird aber wohl auch niemand die Autobahn als Hypermotard-Auslauf wählen. Das Gerät gehört natürlich auf die einsame Landstraße. Weite, schnelle Bögen sind ihre Welt. Unglaublich spurstabil gast die Duc mächtig an. Die traumhaft feinfühlige Marzocchi-Gabel bietet bestes Ansprechverhalten und macht die Hypermotard herrlich zielgenau. Je enger es wird, desto mehr Körpereinsatz ist aber gefragt. Vom sprichwörtlichen Fahrrad-Handling ist die Ducati ein ganzes Stück entfernt, sie braucht einen festen Griff am Lenker und klare Signale, dann geht es auch sehr zügig ums Eck. Schnelle Richtungswechsel im winkligsten Winkelwerk sind es auch, bei denen die Unterschiede zwischen Hypermotard 1100 und 1100 S am deutlichsten werden.
Die Standard-Hypermotard kostet 11500 Euro (plus 250 Euro Nebenkosten), für die zwei Kilogramm leichtere S-Schwester verlangt Ducati 2000 Euro mehr. Neben etwas mehr Kohlefaser-Anbauteilen (z. B. Gabelschutz, Zahnriemenabdeckung, Kotflügel-Hinterteil), kohlenstoffbeschichteten Gabelgleitrohren, Monobloc-Bremszangen (mit ein- statt mehrteiligem Gehäuse), und feinen Marchesini-Schmiede- statt Gußrädern machen vor allem die Reifen (Pirelli Diablo Corsa III statt Bridgestone BT 14) und das straff, aber nicht unkomfortabel abgestimmte Öhlins-Federbein den S-Unterschied. Schwester S rollt im Zweifelsfall noch etwas souveräner ums Eck und benimmt sich im Kurvenscheitelpunkt etwas weniger nervös und kippelig. In Sachen Bremse sind die Unterschiede praktisch nicht spürbar, die Brembo-Vierkolbensättel packen bereits in der Standardversion gnadenlos zu und sind referenzverdächtig. Trotzdem: Wem die 2000 Euro nicht wirklich weh tun, der sollte zur S greifen, ein nachträgliches Aufrüsten käme deutlich teurer.
Die Hypermotard, egal ob Standard oder S, hat einen wunderbar durchzugsstarken, drehmomentstarken Motor, ein superstabiles Fahrwerk, geniale Bremsen, tadellos funktionierende Federelemente und eine sehr gute Verarbeitung. Perfekt ist sie aber bei weitem nicht. Der kleine, nach spätestens 200 Kilometern trockene Tank, das mäßige Licht, die – vorsichtig formuliert – gewöhnungsbedürftige Sitzposition, die zumindest im unteren Drehzahlbereich spürbaren Lastwechselreaktionen, das leicht kippelige Lenkverhalten – all das sorgt dafür, daß es die Hypermotard nicht jedem recht machen kann. Als Fluchtmobil für genervte, gestresste Wenig-aber-Genußfahrer ist sie dafür ideal, denn die interessieren sich nicht für banalen Alltags-Kleinkram. Und als Zweit- oder Drittmaschine, als wunderschönes Spielzeug für große Jungs und Mädels taugt sie natürlich auch hervorragend. Am Sonntagvormittag ein oder zwei Stunden Hypermotard – und Sie brauchen keinen Therapeuten, um wieder fit für Familie und Job zu sein.
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