Ducati-Hypermotorad-821-driftDucati Hypermotard, sprich „Iiehpärmotaah“ – oder so ähnlich, ist ein echter Brenner. Sicher kein Motorrad für Leute, die zu zweit in den Urlaub wollen. Obwohl, so als Zweitmoped…

 

 

aus bma 7/13
von Klaus herder

Ducati Hypermotorad 821Prolog: Wir befinden uns im Jahre 2013 n. Chr. Die ganze Motorradbranche baut Motorräder für alte, dicke Männer mit Klapphelmen. Die ganze Motorradbranche? Nein! Eine von unbeugsamen Enthusiasten bevölkerte Zweiradschmiede in Italien hört nicht auf, dem Seniorenmarkt Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die japanischen und nordeuropäischen Marken, die mit den Roten aus Bologna im Wettbewerb liegen…

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch ich habe mittlerweile solche Segnungen wie Heizgriffe und Textilanzüge mit Klimamembran kennen und schätzen gelernt. Nicht genug damit: Ich trage privat seit geraumer Zeit sogar Klapphelm. Jawohl, denn der neue Schuberth C3 pro ist in Sachen Aerodynamik, Windgeräusche, Belüftung sowie Bedienungs- und Tragekomfort einfach genial. Warum soll man sich das Motorradfahrerleben auch unnötig schwer machen? Eben. Aber manchmal, in wachen und unbeobachteten Momenten, frage ich mich schon, ob es denn im Sinne des Erfinders sein kann, wenn einem Leseranfragen auf den Schreibtisch flattern, in denen nach Zubehör-Auspuffanlagen gefragt wird, die leiser als das Serienteil einer BMW R 1200 GS sind. LEISER! Wo ist unsere Szene nur gelandet? Sind die vermeintlichen Outlaws, die ihre Freiheit liebenden Individualisten denn im Alter alle zu Warnwesten tragenden Volksbedenkenträgern mit Vollkasko-Mentalität mu­tiert? Oder waren wir eigentlich immer schon Lemminge, deren revolutionäres Potenzial in etwa dem der organisierten Kleingärtner und Kaninchenzüchter entsprechen dürfte?

Ducati Hypermotorad 821Ich hoffe und glaube nicht. Und dass es zwischen den ganzen unglaublich vernünftigen Reiseenduro- und Tourensportler-Neuheiten immer mal wieder ein paar total unvernünftige, ja sogar völlig bekloppte und absolut überflüssige Zweirad-Spielzeuge auf den Markt schaffen, bestärkt mich in dieser Einschätzung. Dass solche Geräte sogar recht erfolgreich sein können, macht die Sache noch erfreulicher. Der beste Beweis dafür heißt Ducati Hypermotard, gesprochen „Iiehpärmotaah“ – oder so ähnlich. 

Was Ende 2005 auf der Mailänder Messe als Concept-Bike vorgestellt und ab Frühjahr 2007 tatsächlich in Serie produziert wurde, entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte – nicht nur für Ducati-Verhältnisse. Die anfangs 90 PS starke Hypermotard 1100 mutierte 2009/2010 zur 95 PS starken Hypermotard 1100 Evo und bekam zeitgleich mit der 81 PS starken Hypermotard 796 ein kleines Schwesterchen zur Seite gestellt. Über 26000 Exemplare der Hypermotard-Baureihe fanden bis Spätherbst 2012 Käufer, dann war nach Ducati-Einschätzung Zeit für etwas Neues.

Ducati Hypermotorad 821Die komplett neue Hypermotard ersetzt die beiden bisherigen Modelle und liegt hubraummäßig dazwischen: statt 803 oder 1078 cm³ stehen nun sehr kurzhubige 821 Kubik zur Verfügung. Doch damit nicht genug: Zweiventiltechnik und Luftkühlung sind ebenfalls Geschichte. Fortan sorgt ein wassergekühlter Vierventiler aus der Testastretta-Baureihe für Vortrieb. Für noch dynamischeren Vortrieb, denn mit 110 PS bei 9250/min hat die neue Hypermotard satte 15 PS mehr als die 1100er zu bieten. Dafür aber auch etwas weniger Drehmoment: Stemmte das Hypermotard-Topmodell bislang maximal 103 Nm bei 5750/min auf die Kurbelwelle, stehen nun „nur“ noch 89 Nm bei 7750/min als Spitzenwert zur Verfügung.

Doch das ist alles graue Theorie, entscheidend ist bekanntlich auf dem Platz, respektive auf der Straße. Und genau dort wird schon bei der ersten Sitzprobe deutlich, worum es den Ducati-Technikern bei der Neukonstruktion vor allem ging. Das Motto lautete eindeutig „Unsere Hypermotard soll freundlicher werden“. Was nicht mit „seniorenfreundlicher“ verwechselt werden darf, denn in ihren Grundzügen blieb die Hypermotard gottlob genau das, was sie schon immer war: ein nur bedingt alltags- und noch weniger reisetauglicher Muskel auf zwei Rädern. Doch zurück zur Sitzprobe: Die extreme Vorderradorientierung des Fahrers ist Geschichte. War der Lenker bislang – zumindest gefühlt – in unmittelbarer Bauchnabelnähe untergebracht, herrscht nun bei der flacheren Tank-Sitzbank-Line deutlich mehr Abstand zwischen Sitzbank und Lenker. Die Fahrerfußrasten wanderten 70 mm nach vorn, mit 870 mm fällt die Sitzhöhe 20 mm niedriger als bisher aus. Alles zusammen nimmt deutlich Druck vom Oberkörper. Der Hypermotard-Treiber ist zwar immer noch recht angriffslustig, aber nicht mehr ganz so radikal-unbequem wie bisher untergebracht. 

Doch damit nicht genug in Sachen Ergonomie-Optimierung: Die bislang serienmäßige, aber nicht unbedingt von allen Fahrern goutierte „Sitzbank-Heizung“, auch bekannt als Underseat-Auspuff, wurde durch einen Schalldämpfer ersetzt, der sich nun rechtsseitig eng ans Hinterrad schmiegt und gegen Aufpreis auch den gern genommenen Termignoni-Schriftzug trägt. Für’s Fahrer-Wohlbefinden noch zuträglicher ist allerdings, dass der Tank von indiskutablen 12,4 Litern nun auf immerhin 16 Liter zugelegt hat. Die nervöse Tankstellen-Sucherei nach noch nicht einmal 200 Kilometern entfällt damit, fortan sollten 300 Landstraßen-Kilometer am Stück machbar sein.

Ducati Hypermotorad 821 WheelieUnd die werden vermutlich sehr genussvoll ausfallen, denn der Wechsel zum Vierventiler hat der Hypermotard sehr gut getan. Zugegeben: Der bisherige 1100er-Zweiventiler konnte auch schon mächtig Spaß bereiten. Das üppige Drehmoment machte ihn durchzugsstark, über mangelnde Leistung konnte sich wirklich niemand beschweren. Doch der Luftikus hatte auch einen nicht zu verbergenden Hang zur Zickigkeit und konnte Fahrer, die am Gasgriff nicht ganz so sensibel agierten, mit ausgeprägten Lastwechselreaktionen nerven. In jedem Fall zeigte er seinem Herrn und Meister recht deutlich, in welchem Drehzahlbereich er sich wohl fühlte und in welchem eben nicht. Der neue 90-Grad-V-Twin (der nach Ducati-Lesart ein L-Twin ist) macht deutlich weniger auf Diva. Eigentlich gar nicht, wenn man Drehzahlen unter 3000/min meidet. Wer partout im tiefsten Drehzahlkeller unterwegs sein möchte, wird mit herzhafter Schüttelei bestraft, doch oberhalb dieser Marke ist nur noch und für sehr lange Zeit feinster und weitgehend vibrationsfreier Schub angesagt. Mit bester Laufkultur und ohne irgendeinen Durchhänger tobt der Twin durchs Drehzahlband. Wo es beim 1100er-Zweiventiler ab gut 7000 Umdrehungen langsam etwas ruhiger wird und bei 8000/min Feierabend angesagt ist, jubelt der 821er-Vierventiler noch munter weiter, um erst bei 10500/min vom Begrenzer eingefangen zu werden. Die Leistungsentfaltung des neuen Motors lässt sich deutlich einfacher beherrschen als die des alten Twins. Und auch das Drumherum stimmt: Die nun nicht mehr hydraulisch, sondern mit mehr Rückmeldung per Seilzug betätigte Antihopping-Kupplung verhindert beim schnellen Herunterschalten wirkungsvoll das Hinterradstempeln und lässt sich dabei mit sehr wenig Handkraft bedienen. Da ist zu verschmerzen, dass der Kupplungshebel – im Unterschied zum Handbremshebel – nicht verstellbar ist. Das Rühren im Sechsganggetriebe geht ähnlich geschmeidig vom Fuß. Unterm Strich also durchweg Bestnoten für die Antriebsseite, die mit den vollgetankt 200 Kilogramm (sieben Kilo mehr als bisher, was u. a. am vergrößerten Tankvolumen und am serienmäßigen ABS liegt) keinerlei Mühe hat.

Ducati Hypermotorad 821 CockpitDer von Haus aus schon sehr umgängliche Charakter des 821er-Motors lässt sich je nach Lust und Laune sowie Einsatzzweck übrigens noch feinregeln – Stichwort Fahr-Modi. Drei Programme stehen über die linke Lenkerarmatur zur Wahl: „Sport“, „Touring“ und „Urban“. Sport und Touring liefern mit leicht unterschiedlichem Ansprechverhalten die vollen 110 PS; im Urban-Modus stehen nur noch 75 PS zur Verfügung. Der tiefere Sinn dieser Aufteilung erschließt sich dem Hypermotard-Treiber aber nicht wirklich, denn das feine Ansprechverhalten des Motors sorgt dafür, dass man im Sport-Modus selbst unter widrigen Bedingungen nicht überfordert wird. Der Urban-Modus ist jedenfalls definitiv überflüssig, die Unterscheidung Sport/Touring ist zumindest diskussionswürdig. Oder anders gesagt: Wer seine Hypermotard ausschließlich unter Sport-Flagge segelt, macht nichts verkehrt und wird nichts vermissen.

Die Elektronik-Begeisterung ging mit den Ducati-Ingenieuren auch an anderer Stelle etwas durch: Die serienmäßige Traktionskontrolle lässt sich in acht Stufen regeln, das ebenfalls serienmäßige und hervorragend regelnde Bosch-ABS neuester Generation erlaubt immerhin drei verschiedene Einstellungen und auch das Ride-by-Wire an sich kann dreifach feingetunt werden. Alles zusammen lässt sich frei mit den eingangs erwähnten Fahr-Modi kombinieren. Da ist es doch beruhigend zu wissen, dass sich über eine „Zurück-auf-Null-Funktion“ die Werkseinstellung relativ einfach auffinden lässt, sollte man sich im Einstellungs-Dschungel mal etwas zu heftig verfranst haben. Ich bin mir aber absolut sicher, dass die neue Hypermotard auch ohne diesen ganzen Spielkram bestens funktionieren würde. Andererseits stört der ganze Zirkus nicht weiter und befriedigt womöglich den Spieltrieb bekennender Computer-Junkies.

Ducati Hypermotorad 821 LuftführungFahrwerksseitig haben sich die Ducati-Verantwortlichen den Elektronik-Zauber verkniffen. Das wäre vermutlich zu teuer gekommen, denn die ferngesteuerte Verstellung von Federelementen ist nun mal deutlicher aufwendiger, als der fürs Motormanagement zuständigen Blackbox unterschiedliche Zünd- und Einspritzprogramme aufzuspielen. Die von Kayaba stammende Upside-down-Gabel kommt somit ganz ohne Verstellmöglichkeit aus; das direkt angelenkte Sach-Federbein lässt sich immerhin in der Federbasis und Zugstufendämpfung variieren. Die Gabel ist für den dynamischen Landstraßenbetrieb goldrichtig abgestimmt und reicht nur sehr grobe Schläge an den Fahrer weiter. Das Federbein geht da deutlich unsensibler zur Sache, ist zu straff gedämpft und sorgt dafür, dass auf welligem Belag in Kurven zusätzliche Unruhe ins Fahrwerk kommt. Doch keine Panik: Von der unter bestimmten Bedingungen recht ausgeprägten Kippeligkeit der bisherigen Hypermotard ist die Neue weit entfernt. Eine geänderte Fahrwerksgeometrie (50 mm längerer Radstand, 1,5 Grad flacherer Lenkkopfwinkel) und nicht zuletzt die gemäßigtere Sitzposition des Fahrers machen die Fuhre weniger frontlastig und damit weniger nervös. Der Begriff „Neutralität“ ist in Verbindung mit der frechen Duc zwar immer noch unangebracht, aber ganz so nervig-nervös wie bisher ist sie nun wirklich nicht mehr. Wer eine super Handlichkeit will – und auch die neue Hypermotard ist immer noch super handlich – muss an anderen Stellen halt gewisse Kompromisse eingehen.

Ducati Hypermotorad 821 Heck11190 Euro (plus 305 Euro NK) kostet die neue Hypermotard, und sie kann eigentlich alles besser als das (teurere!) 1100er-Vorgängermodell. Sie sieht noch schärfer aus, sie bietet die bessere Ergonomie, sie ist besser ausgestattet, hat längere Service-Intervalle (15000 Kilometer), sie fährt sich viel einfacher, und – das dürfte das wichtigste Kaufargument sein – sie macht einfach noch mehr Spaß als bisher. Doch bevor an dieser Stelle die falsche Klientel in Euphorie ausbricht: Sie ist immer noch eine waschechte Italienerin! Man muss sich um sie kümmern. Wer sie nicht artgerecht behandelt, wird gnadenlos bestraft. Sie verlangt nach einem aktiven Fahrer, der sich mit viel Engagement um sie bemüht. Auch und gerade im Winkelwerk. Ein dreiwöchiger Motorradurlaub würde mit ihr vermutlich zur echten Belastungsprobe werden. Der Sonntagmorgen-Quickie ist dagegen genau das, was mit ihr Spaß macht. Das war bisher schon so, und das ist jetzt nicht sehr viel anders. Mit dem Unterschied, dass sich die Zahl ihrer potenziellen Partner etwas vergrößert haben dürfte. Warnwesten- und Bedenkenträger zählen aber nach wie vor nicht dazu.

Wer dagegen nicht genug Hypermotard bekommen kann, wird auch weiterhin mit einer Über-Hypermotard versorgt. Das Teil heißt Hypermotard SP, kostet satte 3400 Euro mehr, leistet dafür zwar nicht mehr, glänzt aber mit geschmiedeten Marchesini-Rädern, Federelementen von Marzocchi und Öhlins, verlängerten Federwegen, anderen Reifen (Pirelli Supercorsa SP statt Pirelli Diablo Rosso II), diversen Kohlefaserteilen und einer Mehrfarblackierung. Das dürfte dann noch einen Tick unvernünftiger sein.