aus bma 08/06

von Klaus Herder

Ducati GT 1000 Mit dem Zitieren ist das so eine Sache. Wer nicht den richtigen Ton trifft, liegt schnell gewaltig daneben. Das mußten die Designabteilungen mancher Auto- und Motorradhersteller schmerzhaft erfahren. Zwar ist „Retro”, also das Verpacken moderner Technik in altmodischen Formen, seit ein paar Jahren kräftig angesagt, aber noch lange keine Garantie für einen Verkaufserfolg. Die vierrädrigen Flops sind zahlreich: VW New Beetle – eine verquollene Yuppie-Schleuder, die alles – aber auch wirklich alles -schlechter kann als ihre Technik-Basis VW Golf, dafür aber mehr kostet. In den USA funktioniert das Konzept zwar halbwegs, im alten Europa ist das Glupschauge aber glücklicherweise und völlig zu Recht ein Mißerfolg. Nächstes Beispiel: Chrysler PT Cruiser. Da nehmen wir mal ein etwas undefinierbares 20er, 30er Jahre-Design und einen Schuß 50er Jahre-Look, kombinieren es mit einem möglichst kleinen Innenraum und einem langweiligen Vierzylinder, und schon haben wir eine prima Standuhr, die – wenn überhaupt – nur mit Mörder-Rabatten loszuschlagen ist. Geht doch! Doch Mazda MX-5 (eine gelungene Lotus Elan-Kopie, was gern vergessen wird), der neue Mini und der aktuelle Ford Mustang beweisen, daß Retro auch ganz anders und zwar erfolgreich sein kann. Verpackung ist viel, aber eben nicht alles. Das Gesamtkonzept muß stimmen.
Retro-Erfolge sind auch bei den Motorrädern gar nicht so selten: Kawasakis Zephyr-Reihe zum Beispiel. Die Japaner zitierten sich auf zurückhaltende Art selbst und verkauften richtig gut. BMW und Harley-Davidson machen das schon seit Jahrzehnten so, die luftgekühlten Boxer und V-Twins waren schon Retro, als es das schicke Modewort noch gar nicht gab. Peinlich wird es aber dann, wenn es ausschließlich um die Verpackung geht und in fremden Revieren gewildert wird. Das abschreckendste Beispiel überhaupt: Kawasaki Drifter. Biedere VN-Technik mit schwülstigster Plastik-Verschalung auf Indian getrimmt – uaaaaah, das macht Gänsehaut und ist irgendwie schon wieder so schön schrecklich, daß man sich so ein Teil eigentlich in die Garagen stellen müßte (sehr günstige 1500er-Angebote bitte an bma, z. H. K. Herder; die Post wird auf Wunsch vertraulich behandelt).
Diese und noch viel mehr Gedanken schossen mir Anfang 2004 durch den Kopf, als ich auf der Leipziger Motorradmesse das Vergnügen hatte, den Ducati-Chefdesigner Pierre Terblanche bei der Deutschland-Premiere seiner SportClassic-Modelle auf offener Bühne interviewen zu können. Der sympathische Südafrikaner und ehemalige VW-Designer (Polo und nicht New Beetle!) hatte mit seinem 30-köpfigen Team fünf Jahre lang neben dem Tagesgeschäft (999, Multistrada etc.) an drei neuen Klassikern gestrickt, die dann auf der Tokyo Motorshow im Oktober 2003 Weltpremiere feierten. Terblanche zitierte mit den SportClassic-Modellen die wohl wichtigste Zeit der Ducati-Historie, nämlich die frühen 70er Jahre. Eine Phase, in der aus einem eher unbedeutenden italienischen Hersteller von Gebrauchsmotorrädern eine echte Sportmotorrad-Marke, ja fast schon ein „Mythos” wurde. Pierre Terblanche erklärte dem Publikum und mir, was es mit den Sportklassikern auf sich hat. Das machte ziemlich neugierig, doch Anfang 2004 mußten wir noch sehr viel Geduld haben.

 

Ducati GT 1000 Doch das Warten hat ein Ende. Die halbverschalte Paul Smart 1000 und die ebenfalls einsitzige und ultraflache, dafür aber unverkleideten Sport 1000 sind bereits seit Ende des vergangenen Jahres im Handel. Als drittes und mit 10050 Euro (inkl. NK) günstigstes Modell ist nun endlich auch die GT 1000 zu haben. Mit ihrem historischen Vorbild GT 750 begann 1971 die Ducati-Neuzeit. Die bis 1974 gebaute Maschine war Ducatis erstes serienmäßiges V-Zweizylindermodell, zuvor gab es eigentlich nur Einzylinder-Kost. Der mittlerweile zum Markenzeichen gewordene 90-Grad-V-Zweizylindermotor (im Ducati-Sprachgebrauch „L-Twin”) war auch 1971 schon obligatorisch, doch die heutzutage als Ducati-typisch geltende Desmodromik, also die Zwangs-Ventilsteuerung, hatte die GT 750 noch nicht. Je eine oben liegende Nockenwelle wurde über eine Königswelle in Rotation versetzt und kümmerte sich nur um das Öffnen der beiden Ventile. Das Schließen erledigten damals konventionelle Ventilfedern. Die GT 750 leistete zwischen 55 und 60 PS bei 7800 U/min. Damit war sie zwar deutlich schwächer als die japanischen Vierzylinder, doch ihre bullige Motorcharakteristik mit einer absolut praxistauglichen Drehmomentabgabe und vor allem ihr stabiles, den Japanern haushoch überlegenes Fahrwerk machten sie für Sportfahrer durchaus interessant. Die GT 750 ist ohne Übertreibung ein Wendepunkt, ein Meilenstein in der Ducati-Geschichte. Und damit ein würdiges Vorbild für das auf den ersten Blick vielleicht unscheinbarste, im Hinblick auf mögliche Verkaufszahlen aber ganz sicher wichtigste Modell der SportClassic-Reihe.
Zwei konventionelle Federbeine, je einen Auspufftopf links und rechts – damit unterscheidet sich die GT 1000 von ihren beiden SportClassic-Schwestern und kommt dem 70er Jahre-Design der GT 750 und deren Schwestermodellen auch deutlich näher. Drahtspeichenräder, Stahlrohrrahmen und ein luftgekühlter Zweiventilmotor, das sind die weiteren Gemeinsamkeiten mit der GT 750. Rohrlenker, Rundinstrumente, Rundscheinwerfer und rundes Rücklicht sind ebenfalls stilecht. Mit sehr viel Wohlwollen kann man auch noch Parallelen bei der Tankform erkennen, doch damit hat es sich auch schon. Wo bei der GT 750 eine schmale, nur minimal gestufte Sitzbank thronte, ist heute ein sehr breites und leicht wurstiges Etwas montiert. Offene Conti-Tüten, Kickstarter und Hauptständer gibt es auch nicht mehr. Wo früher Dellortos schnorchelten, kümmert sich heute eine Einspritzanlage um die Gemischbildung. Und wer genau hinschaut, erkennt sofort, daß der hintere Zylinder im Vergleich zu früher „falsch herum” montiert ist. Bei der GT 750 und ihren Schwestern zeigten beide Krümmer in Fahrtrichtung, der GT 1000-Auslaß bläst zum Hinterrad. Königswellen? Fehlanzeige, hinter den Abdeckungen werkeln Zahnriemen. Dafür hat die GT 1000 aber die obligatorische Desmodromik.
Ducati GT 1000 Das alles dürfte nicht wirklich überraschend sein, denn für die drei SportClassic-Modelle spendierte Ducati natürlich keinen neuen Retro-Motor, sondern griff in den Baukasten. Dort fand sich der bewährte, luftgekühlte 992-Kubik-Twin, der auch in der Monster, Multistrada und Supersport Dienst tut. Wer jemals das Vergnügen hatte, mit einem flüssigkeitsgekühlten Ducati-Vierventiler um die Kehren des Stilfser Jochs zu zirkeln, ahnt vielleicht, daß der technisch vermeintlich rückständigere Motor in gewissen Situationen vielleicht die bessere Wahl ist. Nämlich dann, wenn es um möglichst harmonische Gasannahme und eine homogene Leistungsabgabe im engen Winkelwerk geht. Anders gesagt: Die Motoren-Wahl für die GT 1000 war perfekt. Dieses mit 16 Litern im Kunststofftank vollgetankt rund 200 Kilo leichte Motorrad ist wie gemacht für enge, kurvige Landstraßen. Und genau dort braucht man keinen Motor, der nur in höchsten Drehzahlregionen jubelt, sondern einen bodenständigen Partner mit viel Druck in der Drehzahlmitte. 92 PS bei 8000 U/min und üppige 91 Nm bei relativ frühen 6000 U/min passen perfekt für die Holsteinische Schweiz, den Harz, das Weserbergland und natürlich für die urlaubsmäßige Alpentour.
Maßgeblichen Anteil an der ausgeprägten Landstraßen-Tauglichkeit der GT 1000 hat die konventionelle, fast schon konservative Sitzposition, die man hinter dem leicht erhöht montierten und nicht zu breiten Lenker einnimmt. Um ans verchromte Rohr zu kommen, muß sich der Fahrer nur ganz wenig verbeugen. Die Fußrasten für Fahrer und Beifahrer sind relativ weit vorn und auch erstaunlich tief, also saubequem montiert. Menschen unter 1,70 Meter Gesamtlänge sind beim Ampelstop aber schon am Limit. 830 Millimeter Sitzhöhe und das breite, auch auf Dauer erstaunlich bequeme Polster fordern ihren Tribut. Fahrer mit sehr langen Gräten stören sich womöglich an den etwas knapp bemessenen Tankausbuchtungen. Wer aber normal verteilte 1,80 bis 1,90 Meter mißt, sitzt auf der GT 1000 hervorragend und darf sich über eine verschärft kuschelnde Sozia freuen. Die muß nämlich zwangsläufig etwas aufrücken. Ihr Sitzplatz ist zwar ebenfalls angenehm gepolstert, doch dafür etwas kurz bemessen. Macht nichts, in den 70er Jahren war das auch nicht sehr viel anders.
Wo vor 35 Jahren aber nur das Einhalten eines genauen Startrituals das Anspringen (des Motors, nicht der Sozia) sicherte, genügt heute ein Druck aufs Knöpfchen. Jede Menge Elektronik kümmert sich darum, daß der Twin unter allen Betriebsbedingungen sofort Gas annimmt. Der Griff zur hydraulisch betätigten Kupplung sollte herzhaft sein, führt auf Dauer und im Unterschied zu früher aber nicht zu einer Sehnenscheidenentzündung. Die Arbeit im eher lang übersetzten Sechsganggetriebe läßt sich ohne Folgeschäden auch mit italienischen Designerschuhen erledigen. Der mit Doppelzündung und geregelten Katalysatoren bestückte Motor grummelt dumpf und angenehm bassig aus den Edelstahl-Auspufftöpfen, die allerdings etwas zu weit abstehen. Okay, Contis klingen amtlicher und sehen besser aus, aber für das, was heute noch legal möglich ist, geht der GT 1000-Sound in Ordnung und ist allemal besser als das, was aus dem etwas merkwürdig designten Doppelauspuff der beiden SportClassic-Schwester tönt.
Ducati GT 1000 Bereits ab 2500 U/min darf digital an der Kordel gezogen werden, ohne daß es ruckelt. 1500 Umdrehungen später wird der Twin richtig munter und jubelt vibrationsarm bis zum Begrenzer bei 9000 U/min. In der Praxis hält man sich aber deutlich darunter auf. Wer es mit Tempo 100 im sechsten Gang rollen läßt, treibt die Drehzahlmessernadel gerade mal auf 3500. Zweimaliges Runterschalten läßt immer noch bescheidene 4500 U/min anstehen. Die GT 1000 ist ein herrlicher, durchzugstarker Drehmoment-Surfer. Mehr als 6500 U/min braucht sie eigentlich nie, um fernab der Autobahn durchaus flott unterwegs zu sein.
Der Motor sorgt bereits für viel Fahrspaß, das goldrichtig abgestimmte Fahrwerk steigert ihn noch. Die mit einer fetten, nicht einstellbaren Upside-down-Gabel von Marzocchi (120 mm Federweg) und in der Federbasis verstellbaren Sachs-Federbeinen (133 mm) bestückte Ducati pflegt eine typisch italienische Auslegung: Hart, aber gerecht. Dabei jederzeit gut berechenbar, zielgenau und handlich, ohne nervös zu sein. Die Gratwanderung zwischen sportlicher Straffheit und tourentauglichem Komfort beherrscht die GT 1000 hervorragend. Vorausgesetzt, man behandelt sie artgerecht. Wer sich in Oschersleben renntrainingsmäßig ins Kiesbett legen möchte oder Hamburg-Hannover in unter 60 Minuten erledigen will, kauft mit der GT 1000 natürlich völlig falsch. 120/70 R 17 vorn und 180/55 R 17 hinten und die sauber dosierbare 320-Millimeter-Doppelscheibenbremse würden zwar auch zu einem Supersportler passen, doch das GT für „Gran Turismo” in der Typenbezeichnung hat durchaus seine Berechtigung. Die Letzte der SportClassic-Retros ist etwas für Genießer, die vielleicht schon alles in ihrem Motorradfahrerleben gefahren haben und auf der Suche nach etwas Feinem für die letzten aktiven Jahre sind. Die GT 1000 ist dabei kein Sensibelchen, dessen fehlende Alltagstauglichkeit mit „Charakter” entschuldigt werden muß. Ganz im Gegenteil: Sitzposition und Motorabstimmung sorgen dafür, daß auch eine halbstündiges Tour durch den Hamburger Berufsverkehr nicht zur Tortur wird. Der anschließende Landstraßenspaß ist unbezahlbar. Die auch im Detail sehr ordentliche, teilweise sogar liebevolle Verarbeitung kann sogar Motorradfahrer bekehren, die Italienerinnen bisher aus Prinzip nicht gekauft haben und macht die Ducati auch dann noch attraktiv, wenn sie einfach nur in der Garage steht. Und um zum Ausgangspunkt dieser Geschichte zu kommen: Die Ducati GT 1000 ist auch unabhängig von ihrem Retro-Design ein sehr gutes, toll funktionierendes Motorrad. Man kann sie wegen ihres historischen Bezugs und Designs gut finden und kaufen, aber man muß es nicht. Bei der GT stimmt einfach das Gesamtkonzept, und so wird Retro ganz sicher zum Erfolg.