aus bma 9/11 – Fahrbericht

von Klaus Herder

Ducati Diavel Modell 2011Mein Redaktions-Kollege Rolf brachte es im Frühjahr nach seiner Rückkehr aus Südspanien von der Ducati Diavel-Fahrpräsentation auf den Punkt: „Dieses Motorrad braucht kein Mensch. Und dieses Motorrad ist oberhammergeil!” Mittlerweile sind ein paar Monate vergangen, wir hatten die Chance, den Hingucker auch hierzulande und deutlich ausführlicher zu fahren, ihm dabei etwas genauer auf den Zahn zu fühlen, doch an Rolfs Einschätzung hat sich rein gar nichts geändert. Eine klar definierte Zielgruppe für den „Teufel” (dafür steht der „Diavel” und mit Betonung auf dem „a” gesprochene Name im bolognesischen Dialekt) ist nicht erkennbar, existiert vermutlich auch gar nicht – und trotzdem gibt es zur Zeit kaum ein anderes Motorrad, das nach einer Probefahrt einen vergleichbar starken Haben-wollen-Impuls freisetzt.

Vielleicht ist es aber ja gerade die völlige Abwesenheit jeglicher Marktforschungs-Vernunft, die dieses Macho- Bike, diese wilde Mixtur aus Power-Cruiser, Musclebike, Dragster und Streetfighter so begehrenswert macht. Die Ducati Diavel ist komplett anders. Sie ist wirklich neu, sie ist unvergleichlich, und sie wirkt an jeder Stelle so, als ob ihre Entwickler und Konstrukteure mit jeder Menge Herzblut und weniger mit dem Blick auf Marktanalysen drauflos bauen durften. Oder, wie es der 37-jährige Ducati-Projektmanager Giulio Malagoli formulierte: „Wir schafften etwas, was auf dem Markt noch nicht existierte. Natürlich ein sportliches, leistungsstarkes Motorrad – schließlich sind wir Ducati – dabei aber mit aufrechter Sitzposition, also bequem, und vor allem mit einer avantgardistischen, extremen Optik. Zentraler Punkt war der mächtige Hinterradreifen, das Motorrad wurde sozusagen um ihn herum gebaut.” Aus Malagolis Worten spricht echte Motorradbegeisterung. Aber im Nebensatz – Stichwort „aufrechte Sitzposition” – auch sehr gesunde Pro­- ­­fes­­sionalität, denn am Ende des Tages muss auch ein Laden wie Ducati Geld verdienen. Und so schauten sich die Italiener vor der Diavel-Kiellegung vermutlich sehr genau an, wo sich noch echte Marktlücken auftun könnten. Wie wäre es zum Beispiel in den USA? Dort verkaufte Ducati früher ziemlich gut und hat immer noch einen sehr guten Namen. Doch in den Staaten läuft die Entwicklung ähnlich wie in Europa: Der Motorradfahrer wird immer älter, dabei bequemer und verwöhnter und hat immer weniger Lust, als Gebückter durch die Gegend zu toben. Der Ami liebt den Dicke-Hose-Auftritt mit ordentlich Hubraum, ersatzweise auch ordentlich Leistung. Er mag es so be­- dienungsfreundlich wie möglich und hat prinzipiell auch nichts gegen „Fahrer-Assistenzsysteme” – sogar Harley-Davidson hat erkannt, dass ABS durchaus ans Motorrad passt.

Ducati Diavel Modell 2011Die US-Kompatibilität dürfte bei der Diavel-Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt haben, doch neben der imposanten Erscheinung des vollgetankt mit 241 kg erstaunlich leichten Motorrads sind es vor allem die Fahrleistungen und die Fahrbarkeit, mit denen die Diavel punktet – und das sind sehr, sehr europäische Ansätze.

Für den gewaltigen Schub sorgt ein alter Bekannter: der 1198 cm³ große Testastretta-Zweizylinder, der schon längere Zeit in der Multistrada Dienst tut und ursprünglich als Sportmotor für die hauseigenen Superbikes entwickelt worden war. Für den Einsatz in der Multistrada und folglich auch in der Diavel bekam der 90-Grad-V-Motor (Ducati nennt ihn „L-Motor”) zahmere Steuerzeiten verpasst, und die Brennräume und Kanäle wurden geändert. Während der wassergekühlte Vierventiler in der Multistrada 148 PS leistet, dürfen in der Diavel 153 Pferdestärken rennen. Die stehen bei 9500/min an, das maximale Drehmoment von 128 Nm wird bei 8000/min gestemmt. Den Unterschied zur Multistrada machen eine voluminösere Airbox und die üppigere Auspuffanlage mit ihren fetten und äußerst durchlassfreudigen 58-mm-Krümmern.

Ducati Diavel Modell 2011Die Diavel hat satte Leistung, ein konventionelles Zündschloss hat sie nicht. Dafür aber einen Transponder, dessen ausklappbarer Schlüsselbart nur zum Öffnen des 17-Liter-Tanks und zum Entriegeln der Sitzbank benötigt wird. Ansonsten genügt es, wenn der Fahrer das Teil in der Tasche hat und seinem Gefährt näher als zwei Meter kommt, damit der Druck aufs Anlasserknöpfchen Wirkung zeigt. Mit einer gewissen Lässigkeit setzt sich der Anlasser in Bewegung und bringt die Kurbelwelle gemächlich in Wallung. Was dann folgt ist ein amtliches Donnergrollen, eine im Leerlauf geöffnete Auspuffklappe macht das imposante Sound-Erlebnis möglich. Das, was da dem Doppelauspuff entfleucht, ist in keiner Weise prollig, sondern einfach nur sonor und kernig.

Die nicht nur für Ducati-Verhältnisse gut dosierbare und leichtgängige neue Ölbadkupplung mit serienmäßiger Anti-Hopping-Funktion sorgt für sauberen Kraftschluss, die Fuhre rollt. Und das zunächst einigermaßen unspektakulär, was mit dem Fahrmodus „Urban” zu tun hat, doch dazu später mehr. Erst einmal bleibt Zeit, den Diavel-Arbeitsplatz zu würdigen.

Ducati Diavel CockpitDer Fahrer sitzt nicht auf, er sitzt im Teufel, was mit den sehr moderaten 770 mm Sitzhöhe, einer im vorderen Bereich stark taillierten Sitzbank und vor allem mit der ausgeprägten Sitzkuhle zu tun hat. Viel Platz zum Hin- und Herrutschen oder zum Turnen bleibt da nicht, dafür aber ein solider Rückhalt, der bei den später folgenden Beschleunigungs-Aktionen noch Gold wert sein wird. Der Sozius hat es nicht ganz so kuschelig, die Bezeichnung „Notsitz” kommt der Sache sehr nahe, wofür auch die extrem bescheidene Zuladung von gerade mal 159 kg spricht. Dafür ist es ein echter Designer-Notsitz; denn sowohl die mitsamt Halter komplett einklappbaren Soziusrasten als auch der im Heck integrierte und bei Bedarf herausziehbare Sozius­­- Haltegriff sind bildschön gemachte Teile. Das gilt auch für die flachen Ausgleichsbehälter am goldrichtig zur Hand liegenden und ziemlich breiten Alulenker. Die Spiegel machen einen perfekten Job und zumindest der obere Teil des Displays, der über die Grundfunktionen informiert, liegt gut im Blick. Das vorm Tankstutzen sitzende TFT-Display – Smartphone-Nutzer kennen solch einen bunten Bildschirm – liegt außerhalb des üblicherweise genutzten Fahrer-Sichtfeldes, was nicht weiter dramatisch ist, da die Informationen über die achtstufige Traktionskontrolle oder die drei Fahrermodi wirklich nicht permanent vor Augen sein müssen. Das gilt auch für die dort ebenfalls zu findenden Angaben zum Momentan- und Durchschnittsverbrauch oder zur Umgebungstemperatur.

Ducati Diavel HaltegriffAb 2500/min schiebt der Motor sauber und ohne Durchhänger ordentlich an, die Arbeit im präzise zu schaltenden Sechsganggetriebe geht leicht vom Fuß, und trotzdem stellt sich das ganz breite Grinsen nicht ein. Noch nicht; denn momentan sind wir noch im besagten Urban-Modus unterwegs, einer Abstimmung für nassen, rutschigen Belag oder für etwas loseren Untergrund. In dieser Fahrstufe stehen maximal 104 PS bei 8000/min zur Verfügung, und die Traktionskontrolle greift schon sehr früh ins Geschehen ein und nimmt die Power bereits vorm leichtesten Rutscher deutlich zurück. Zwischen den Fahrerprogrammen kann über einen Lenkerschalter jederzeit auch während der Fahrt gewechselt werden. Vom „Schisser-Programm” wechselt man in den Touring-Modus, in dem es spürbar munterer zur Sache geht; denn nun stehen die vollen 153 PS zur Verfügung, und die Traktionskontrolle greift nicht ganz so früh ein, regelt aber auch noch sehr spürbar. Das ganz große Kino wird dann aber im Sport-Modus gezeigt. Leistung gibt‘s zwar nicht noch mehr – die 153 PS sind wahrlich genug –, doch dafür verwandelt sich der Gasgriff in einen Schalter, der nur die Stellungen „null” und „voll” kennt. Die Befehle der Gashand werden nahezu digital in Vortrieb umgesetzt. Ab 5000/min holt die Diavel den ganz großen, extrem teuflischen Beschleunigungs-Hammer raus und spätestens jetzt weiß der Fahrer, wofür die Sitzbankkuhle gut ist. Der Schub des Motors ist gigantisch, die Diavel fährt einfach allem auf und davon, was auch nur ansatzweise zur Konkurrenz gehören könnte. Tschüss Harley V-Rod. Tschüss Suzuki Intruder M 1800. Mit einer Ausnahme: Die 47 PS stärkere, aber auch 73 kg schwerere und über 5000 Euro teurere Yamaha Vmax nimmt der Diavel bei der Beschleunigung und beim Durchzug ein paar Zehntel Sekunden ab. Aber 3,0 Sekunden von 0 auf 100 km/h für die Ducati sind auch nicht schlecht und wären zu unterbieten gewesen, wenn der erste Gang nicht nur bis 90 km/h ausgelegt wäre. Egal, dafür regelt die Vmax schon bei 220 km/h ab, für die Diavel ist erst bei 255 km/h Schicht.

Ducati Diavel mit SoziusOkay, die letzten Sätze gehören zur Kategorie „pubertäres Imponiergehabe” oder taugen bestenfalls für Stammtisch-Diskussionen. Entscheidender ist auf dem Platz, also im Winkelwerk, beim täglichen Bewältigen der Hausstrecke, im prallen Leben eben. Doch auch dort ist die mit einem Gitterrohrrahmen aus Stahl antretende Diavel eine herausragende Erscheinung. Ihre Dynamik ist unglaublich, sie lässt sich locker und mit relativ wenig Kraftaufwand von einer Schräglage in die nächste legen, bietet üppige 41 Grad Schräglagenfreiheit und verdaut mit ihrem eher straff abgestimmten Fahrwerk mit der voll verstellbaren Marzocchi-Upside-down-Gabel und dem ebenfalls komplett verstellbaren Sachs-Zentralfederbein auch eine verschärfte Gangart über nicht ganz so ebenen Belag.

Das Geheimnis ihrer Handlichkeit liegt zu einem großen Teil in der speziellen Form und der ungewöhnlichen Größe des extra für sie entwickelten 240er-Hinterradgummis. Der 17-Zöller namens „Pirelli Diablo Rosso II” hat eine deutlich spitzere Kontur als die üblichen 18-zölligen 240er Breitschlappen anderer Show-Stars. Besagte Form beschert ein deutlich besseres Abrollen sowie mehr Reifenaufstandsfläche und damit Grip in Schräglage. Das Umlegen fällt diesem Breitgummi zudem viel leichter. Zusammen mit der perfekt abgestimmten Fahrwerksgeometrie sorgt das dafür, dass die Diavel in einer Dynamik-Liga spielt, in der sich sonst nur deutlich sportlichere Maschinen tummeln. Aber wie sagte der junge Projektmanager so schön: „…schließlich sind wir Ducati.” Das bedeutet im Umkehrschluss aber natürlich auch, dass der Begriff „Komfort” im Diavel-Wortschatz nicht wirklich vorkommt.

Dem überraschend sportlichen Fahrwerk stehen die Bremsen in nichts nach. Am Vorderrad verzögert die Diavel mit den aus Ducatis Supersportler-Baukasten entnommenen, wunderbar fein dosierbaren und auf Wunsch brachial zupackenden Monobloc-Bremszangen von Brembo. Mit nur zwei Fingern lässt sich einfach alles regeln. Das neu entwickelte, in der Diavel serienmäßige Bosch-ABS funktioniert zudem hervorragend und greift nicht zu früh ein. Mit einem Verbrauch zwischen knapp sechs und gut sieben Litern nimmt die Diavel das, was ihrem Sportmotor standesgemäß zusteht, gehört damit aber nicht unbedingt zu den harten Kampftrinkern. Einen gesunden finanziellen Background sollte der Diavel-Interessent aber trotzdem mitbringen, denn 16990 Euro für die Basisversion und noch 3000 Euro mehr für die drei Kilo leichtere, mit diversen Kohlefaserteilen behangene und mit geschmiedeten Marchesini-Leichtmetallrädern bestückte Diavel Carbon sind teuflisch viel Geld. Andererseits macht diese wilde Mixtur auch teuflisch viel Spaß. Da bleibt nur ein guter Rat: Machen Sie möglichst keine Probefahrt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Sie hoffnungslos an den Teufel verloren gehen.