aus Kradblatt 06/22 von Jochen Vorfelder

Bella Figura auch im Dreck!

Ducati DesertX im Sprung
Ducati macht mit der DesertX ernst

Nach der Multistrada, dem edlen SUV, hat Bologna jetzt einen Premium-Pickup fürs Grobe geliefert. Die DesertX soll jede Strecke und jedes Terrain meistern.

Ducati hat für die ersten Fahrkilometer mit der neuen DesertX nach Sardinien geladen, in die Region um Olbia. Wer die Insel nicht kennt: Hier lässt es sich aushalten und vor allem gediegen Motorrad fahren. Der Asphalt ist legendär. Entlang der Küste schlängeln sich kurvenreiche, griffige Landstraßen von einem mondänen Badeort zum andern. Dort tobt das Dolce Vita; hier fährt man nicht zu Lidl, sondern zu Gucci. 

Im sardischen Hinterland dagegen geht es rauer und rustikaler zu. In entlegenen Dörfern sitzen vor dem Café alte, knorrige Männer mit selbstgeschnitzten Gehhilfen. Genauso knorrig und unverwüstlich sind die Korkeichen, die unsere staubigen Schotterpisten und Knüppelpfade säumen. Außer unserem Rudel scheint hier niemand unterwegs zu sein. Hier kann man noch ungestört und herrlich am Kabel ziehen. 

Beide Facetten der Insel, sowohl das Edle als auch das Rustikale, passen perfekt, um das Wesen der neuen DesertX zu beschreiben. Mit der DesertX hat Ducati ein Werkzeug für knallhartes Gelände aufgelegt, mit dem man auch vor dem 3-Sterne-Fischrestaurant Eindruck schinden kann. 

Ducati DesertX offroad
Die DesertX ist keine weichgespülte Reiseenduro

Doch Stopp, keine voreiligen Schlüsse hier: Nein, das ist keine bessere Multistrada Enduro. Die DesertX ist von Grund auf eigenständig und als Geländemotorrad konzipiert. „Wir haben uns am Anfang nur auf den Motor, den Testrastretta 11° mit 937 Kubik, festgelegt. Aber alles, wirklich alles drumherum, wurde neu entwickelt“, sagt Filippo Marri, der zuständige Projektingenieur. 

Beschlossen wurde das Projekt, der Multistrada nach mehreren Anläufen endlich eine richtige Offroad-­Enduro zur Seite zu stellen, Ende 2019 nach der Mailänder EICMA. Dort hatte Ducati einen Designprototypen vorgestellt, der die Besucher begeisterte. Manche entzückten Ducati-Fans sollen die Entwickler unter Tränen angefleht haben, die Maschine bitte zu bauen, so schnell wie möglich und genauso wie gezeigt. Doch das war nicht so einfach wie gedacht: Unter dem weißen Kleid mit der aufregenden Taille, das jedem italienischen Laufsteg Ehre gemacht hätte, verbarg sich die Technik der damaligen Scrambler 1100 – also ein vergleichsweise limitiertes Fahrwerk und der an seine Grenzen gekommene luftgekühlte Zweizylinder. 

Die Ansprüche an Projektentwickler Marri und sein Team – und vor allem an die DesertX selbst – waren also extrem hoch: Ducati-Performance und brillante Fahreigenschaften auf der Straße sollten es natürlich werden, aber auch überragende Leistungen im noch so schweren Gelände. 

Das Ganze verpackt möglichst nah an der EICMA-Studie und nicht zuletzt in zwei schwierigen Corona-Jahren. In kurzen Worten: Der 30-jährige Filippo Marri und seine Entwickler:innen sollten die eierlegende Wollmilchsau für ein komplett neues Segment im Ducati-­Portfolio liefern, und zwar pronto.

DesertX Informatives TFT-Farb-Display
Informatives TFT-Farb-Display

Das Resultat: Raus zum Fahrtag unter strahlend blauem sardischen Himmel; im Offroad-Ornat ran an das Bike. Doch die flüssige Annäherung stockt, nicht nur wegen der fetten Stiefel. Wenige Meter entfernt hält man intuitiv inne, glotzt, schaut, glotzt wieder und denkt: Mein Gott, gar nicht rot und trotzdem so eine Schönheit! 

Es gibt die DesertX nur in einer Farbe, in Star White Silk. Das war eine kluge Entscheidung. Die Farbe betont die zentralen Designelemente, den tief nach unten gezogenen 21 Liter-Tank und den in den Windschutz mit dem schwarzen Sprenkel-Design integrierten LED-Doppelscheinwerfer. Beides nimmt Anleihen bei den klassischen Enduros der 1990er-Jahre, speziell bei den Dakar-Cagivas mit dem 900er-Ducati-V2 Motor. Das optische Elefanten-Setup, die Balance zwischen historischer Reminiszenz und Zukunft, ist hervorragend gelungen, die Maschine mit etwas Retromasche wirkt gleichzeitig brandaktuell und modern. Ich muss konstatieren: Ein stimmigeres Motorrad habe ich dieses Jahr noch nicht gesehen. Grandios. 

Im Menü ausgewählte Baugruppen werden rot hervorgehoben
Im Menü ausgewählte Baugruppen werden rot hervorgehoben

Es geht los, wir fahren von der Küste Richtung Inland. Kein Keyless Ride, noch ein echter Schlüssel, ich mag das. Schon die ersten Kilometer geben positive Rückmeldung; hier bin ich zuhause, die Ergonomie stimmt. Schmales Tankende, schmale zweigeteilte Sitzbank mit luftigen 875 Millimeter Höhe, guter Knieschluss. Wenn es meine Eigene wäre, würde ich mich auf die Suche nach weißen Gummi-Pads für den Tank machen. Fahrposition und Lenkerhöhe sind ok. Einzig der Windschutz, der fest montiert und nicht verstellbar ist, könnte für große Fahrer über 185 cm besser sein. Zubehör wird’s richten.

Dafür entschädigt der Arbeitsplatz. Super aufgeräumt, sauber verarbeitet wie der Rest des Fahrzeugs und ein hübsches 5 Zoll TFT-Farb­display. 

Übersichtliche Schaltereinheiten
Übersichtliche Schaltereinheiten

Im Zusammenspiel mit einem 3-Weg-Kippschalter an der linken Griff-Armatur gibt der Bildschirm den Überblick über das ausufernde, aber in sich logische Einstellungsmenü. Zusammen mit der Ducati-Smartphone-App kann das Display auch Pfeil-Navigation; im Zubehör kann man eine zusätzliche Halterung für ein eigenes Offroad-­Navi oberhalb des Ducati-Instruments kaufen.

Wie gesagt: Im Hinterland dünnt der Verkehr aus, tendiert gegen Null. Zeit also, den DesertX-Motor aus dem Werk in Borgo Panigale zu fordern und zu prüfen. Ducati-Fans kennen das Aggregat aus der aktuellen
Monster, der Hypermotard, der SuperSport 950 und auch der Multistrada V2. Er bringt in der DesertX-Abstimmung 110 PS bei 9.250 und 92 Nm Drehmoment bei 6.500 U/min mit; er hängt in einem DesertX-Gitterrohrrahmen mit einer Aluminiumguss-Schwinge. Der Antrieb verschafft sich ordentlich Gehör: 94 dB (A) werden formal gemessen, man ist also gerade noch Tirol tauglich. 

In Fahrt schnattert der Motor im Schongang wie alle Testastrettas lustig mit den Ventilen; er läuft schön linear und ohne Löcher hochkultiviert durchs Drehzahlband. Ernst wird es erst, wenn man seine vorhandene unbändige Leistung abruft. Mit offener Ansauge und im Quickshifter-Powersprint schluckt der Achtventiler die Luft so lautstark wie ein brunftiger Elch. Eine herzerwärmende Freude also, so die Landstraßen entlang zu bolzen und sich dabei komplett zu entspannen. Klar ist: Dieses Borgo Panigale-Eisen hat alles, was sich sportliche Tourenfahrer wünschen.

Ducati DesertX im Drift
Klassische Optik, modernste Technik

Die DesertX rollt auf Speichenfelgen und dem besten verfügbaren Kompromiss zwischen Straßenpneus und Geländegängigkeit: den Pirelli Scorpion Rally STR in den Größen 21 vorne und 18 hinten. Wir sind also mit der ersten modernen Ducati unterwegs, die sich in das 21 Zoll-Segment traut. Und dabei eine überaus glänzende Figur abgibt: Die DesertX, bestückt mit voll einstellbaren Gabel- und Federelementen von Kayaba und immerhin 230 mm Federweg vorne und 220 mm hinten, haut sich wie an der Schnur gezogen in die sardischen Kurven und Serpentinen. 

Auch auf der Straße geht die DesertX richtig gut
Auch auf der Straße geht die DesertX richtig gut

Schräglage, Bremslimits? Ach was, die Offroad-Fußrasten sitzen ziemlich hoch und es beschleicht mich der Verdacht, dass die DesertX mit klebrigeren Straßenreifen eine ernstzunehmende Konkurrentin für die Kurvenqueen Hypermotard wäre. Da geht richtig was und die DesertX ist pfeilschnell; auf den ersten Metern sowieso und auf dem Papier hoch bis auf 240 km/h. Und wenn es dann doch mal eng wird vor der Kurve, kommt die Brembo-Anlage mit zweimal 320 mm Scheibendurchmesser vorne sowie 265 mm hinten zum Einsatz. Die beißt alles weg.

Die enormen analogen Fähigkeiten werden unterstützt von elektronischen Systemen, die wie von Ducati nicht anders zu erwarten auch bei der DesertX vom Feinsten sind. Gesteuert wird die Fahrunterstützung von der zentralen Steuereinheit IMU, geliefert von Bosch. Die Traktionskontrolle ist in acht Stufen einstellbar; die Wheelie Control hat vier Level, die Motorbremse EBC drei. Auch das Kurven-ABS kann je nach Einsatz in drei Stufen nivelliert werden.

Überhaupt kann man sich bei Lust und Bedarf einen Wolf konfigurieren. Es werden sechs Riding Modes (Sport, Touring, Urban, Wet, Enduro, Rally) angeboten, die sich frei mit vier Power-Mappings Full, High, Medium und Low mit jeweils 3 Leistungsstufen kombinieren lassen. Im Enduro und im Rally Modus kann das ABS komplett ausgeschaltet werden. 

Mit anderen Worten: Die Einstellung und Feinjustierung von Serienfahrzeugen wird inzwischen eine neue Kunstform; aber gut zu wissen, dass die DesertX sich auch brillant schlägt, wenn man einfach aufsteigt und losfährt. Mit einer Tankfüllung kommt man realistisch bis zu 380 km weit; weil man gut sitzt,  ist die DesertX eine weitere Kandidatin für Kilometer fressende Enduristen. In dieser kritischen Zielgruppe bekommt Ducati sicher Zuspruch mit 48 Monaten Garantie ohne Kilometerbegrenzung, Service-Intervallen von 15.000 km/24 Monaten und 30.000 km für einen Ventilcheck.

Die optische Anlehnung an die Cagiva Elefant ist unverkennbar
Die optische Anlehnung an die Cagiva Elefant ist unverkennbar

Kommen wir noch einmal zurück zum sardischen blauen Himmel. Der hat nicht nur Vorteile. Wenn es im Frühjahr und Sommer wochenlang nicht regnet, sind die Pisten im Inneren der Insel und speziell die Strecken um Loell, wo regelmäßig eine Special Stage der World Rally Championship WRC ausgefahren wird, extrem heiß, hart und vor allem staubig. Das schlaucht den Piloten, ist aber genau das richtige Geläuf, um die Geländegängigkeit der DesertX zu erkunden. 

1991 kam die Cagiva Elefant 900 i.e. Lucky Explorer
1991 kam die Cagiva Elefant 900 i.e. Lucky Explorer

Die beiden Gelände-Modi Enduro und Rally, die Ducati serienmäßig ins Paket packt, unterscheiden sich vor allem in der Motorleistung. In Enduro bringt der Twin nur 75 PS ans Hinterrad, reagiert softer, ist quasi die Wahl für technische Etappen und trialartige Passagen. Das ABS ist in diesem vorkonfigurierten Zustand ebenfalls speziell abgestimmt. Die Traktionskontrolle lässt ein leicht wanderndes Hinterrad zu, verhindert aber den vollen Ausbruch.

Der Rally-Modus dagegen liefert vollen Stoff und 110 PS: Hier ist die Gasannahme aggressiver und direkt. Ein entschlossener Gasstoß genügt und die 203 kg leichte Fuhre (223 kg vollgetankt) geht sofort steil und tänzelt auf dem Hinterrad. Richtig Laune macht es dann, wenn man das ABS vollständig abschaltet. Gleichwohl kann der erste echte Ducati-­Offroader auch diffizile Schleichfahrt; technische Tracks werden durch die fein dosierbare Kupplung, den niedrigen Schwerpunkt und die exzellente Stehposition sehr erleichtert.

Im Sand und Staub bei Loell hat sich die DesertX jedenfalls von ihrer besten Seite gezeigt. Man merkt sofort, wo die Entwickler hin wollten und dass die Testastretta 11°-Version im Fahrzeug auf den speziellen Dual Use-Einsatz Straße und Schotter zugeschnitten ist. Auch das Getriebe spielt mit: Für die DesertX wurde es mit einem kurzen ersten und zweiten Gang bestückt. Im Vergleich zur Multistrada V2 etwa ist der erste Gang 14,3 Prozent kürzer. Hier haben die Italiener die Balance optimal getroffen. 

Eine Menge Zubehör - inkl. Zusatztank - gibt es für die Ducati DesertX ab Werk
Eine Menge Zubehör – inkl. Zusatztank – gibt es für die Ducati DesertX ab Werk

Der einzige (subjektive) Kritikpunkt sind die Bremsen. Hier muss man Kompromisse eingehen. Weil die sportlichen Brembo-Stylema-­Bremszangen auf Asphalt scharf und knackig greifen, sind sie in Staub und Schmodder nicht die optimale Wahl. Abseits der Straße sind sie vor allem hinten schwer dosierbar; für mein Empfinden stottern sie mit Enduro-ABS zu unvermittelt und blockieren im Rally-Modus zu schnell.

Ich bin gespannt auf die ersten Vergleichstest mit dem Platzhirschen in dieser speziellen 21 Zoll- und Kubik-Klasse. Meine Prognose: Es ist Zeit für eine Ablösung auf dem Thron, denn so viel gefühlte Power und betörender Charme ist schwer zu schlagen. Mit der DesertX hat Ducati auf Anhieb die Nase vorne in der oberen Enduro-Mittelklasse – mit einem reisetauglichen Geländeeisen ganz ohne Chichi, aber jeder Menge Charakterstärke.

Die Auswahl an DesertX ist wie bereits erwähnt extrem überschaubar: Es gibt sie nur in Weiß und sie kostet in der Grundausführung 15.990 Euro. Lieferbar ist sie ab Juni, auch als gedrosselte 48 PS-Version, für den Führerschein A2. 

Etwas unübersichtlich ist dagegen das Zubehör: Ducati bietet mehrere Performance-, Sport-, Enduro- und Rally-Pakete an, ebenso die obligatorischen Sport-Auspuffanlagen und Touring-Ausstattung wie Sturzbügel, verstärkter Unterfahrschutz sowie Koffer und Topcase. Interessant ist vor allem der 8 Liter-Zusatztank, der am Heck angebracht wird und mit einer eigenen kleinen Benzinpumpe den vorderen Tank per Menübefehl nachfüllt und für über 500 km Non-Stopp-Reichweite sorgt. 

Ich habe online am Ducati-Konfigurator den Preis meiner Wunsch-DesertX auf finale 23.000 Euro hochgeschraubt. Aber so ist es mit den guten Dingen: Sie kosten, aber sind es halt auch wert. Mein dringender Hinweis also: Anschauen beim Ducati-Händler und unbedingt testen.