aus bma 03/05

von Klaus Herder

Die Italo-Fraktion in meinem Bekanntenkreis reagierte mittelschwer angesäuert: Verhunzt, potthässlich, Zeitgeist-Mist – so lauteten vor zweieinhalb Jahren einige Kommentare zur damals gerade brandneuen Ducati 999. Und das waren schon die wohlwollenderen Aussagen. Gefahren hatte sie natürlich noch niemand, aber eine Meinung hatte schon jeder. Das Design polarisierte, zumeist allerdings nur in eine Richtung. Das als 916er-Nachfolger gedachte Ducati-Topmodell wurde von vielen Ducatisti als Majestätsbeleidigung gesehen, denn schließlich hatte nicht mehr Gottvater, Konstrukteurs-Legende und 916er-Schöpfer Massimo Tamburini Hand angelegt, sondern irgendein junger Designer-Schnösel. Außerdem gehört es ja gerade in Deutschland zur Tradition, das Nachfolgemodell vermeintlicher Meilensteine in Grund und Boden zu verdammen. BMW-Motorradtechniker und Porsche-Konstrukteure können ein Lied davon singen, denn sie sind für Teufelzeug wie Vierventiltechnik und Wasserkühlung verantwortlich.
Mich interessierte die ganze 999-Diskussion damals herzlich wenig, italienische Motorräder waren noch nie mein Ding. Als Freund des gepflegten Vorurteils hatte aber natürlich auch ich eine Meinung zu italienischem Design. Die lautete „total überbewertet”. Wie so ein italienischer Designer aussieht, war mir ebenfalls völlig klar: kleinwüchsig, langhaarig (natürlich gegelt), mit Mini-Designerbrille (natürlich Horn, schwarz) und immer im schwarzen Rollkragen-Pullover. Halt so ähnlich wie ein Werbe- oder IT-Fuzzi. Das Thema 999 war damit für mich eigentlich erledigt.

 

Vor einem Jahr begab es sich aber, daß ich im Rahmen einer Nebentätigkeit als Moderations- und Bühnenkasper wieder mit Ducati zu tun hatte. Ausgerechnet ich sollte bei der Präsentation dreier Neo-Klassiker warme Worte zu italienischem Design finden. Als Interviewpartner wurde mir der Ducati-Chefdesigner angekündigt. Na prima, das konnte lustig werden. Pierre Terblanche hieß der Mann. Aha, ein Franzose – egal, wahrscheinlich auch so ein eingebildeter Kreativling.
Doch dann kam alles ganz anders: Pierre Terblanche ist Südafrikaner, er spricht kein Französisch, dafür aber sehr gut deutsch und ist mindestens zwei Meter groß. Er trug keinen Designer-Fummel, sondern ganz normale Freizeit-Klamotten und eine zerwühlte Allerwelts-Frisur. Terblanche hatte Ende der 80er Jahre für VW und Seat gearbeitet und dort an Design-Ikonen wie Polo und Ibiza mitgeformt. Das Interview mit dem Ducati-Chefdesigner war ein einziger Genuß. Der Typ ist völlig natürlich und entspannt, hat null Star-Allüren, dafür aber Sinn für Ironie und ist ein rundherum sympathischer Zeitgenosse. Natürlich unterhielten wir uns auch über das 999-Design, und plötzlich konnte ich seine Gedankengänge durchaus nachvollziehen. Für ihn kam zuerst die Form der Technik, erst dann die Form der Verpackung. Die 999 war von Innen nach Außen entwickelt worden, nicht umgekehrt, wie meist zuvor. Zuhause wollte ich es wissen und organisierte mir eine Testmaschine. Und was soll ich sagen: Das Gerät machte tierisch Spaß. Ein rattenscharfer Zweizylinder in einem Top-Fahrwerk und alles zusammen mit einem brillanten Handling – die 999 machte die auch schon nette, aber viel weniger alltagstaugliche 998 fast vergessen. Ich war geläutert.
Entsprechend neugierig war ich jetzt auf die Zweitauflage des Ducati-Topmodells. Die Verkaufszahlen entsprachen in den letzten Jahren wohl nicht den Erwartungen, und so tat auch und besonders eine formale Überarbeitung Not. Die umstrittene Verkleidung ist nun deutlich glatter geworden. Die von vielen als besonders hässlich empfundenen oberen Luftführungsteile entfielen, die Luft-einlässe wurden neu gestaltet. Die Designer verbreiterten das Verkleidungsoberteil und montierten eine stärker gewölbte und damit 20 Millimeter höhere Scheibe. Eine verbesserte Spritzgusstechnik sorgt dafür, daß die Kunststoffschale nun etwas dünner ausfällt und damit etwas Gewicht, aber keine Stabilität eingebüßt hat. Ganz wichtig: Die Spiegel wanderten etwas weiter nach außen und nach oben. Wo bei der Erstauflage rein gar nichts vom rückwärtigen Geschehen zu erkennen war, ist jetzt ab und an sogar etwas zu sehen. Ein netter Nebeneffekt der Verkleidungs- und Spiegelneugestaltung ist übrigens, daß sich die 999 jetzt besser rangieren läßt, die Unterarme ecken bei eingeschlagenem Lenker nicht mehr so leicht an.
Der geometrisch unveränderte Gitterrohrrahmen ist nun rot statt silber lackiert. Silber ist bei Ducati ohnehin auf dem absteigenden Ast, denn auch die Räder, der unterm Bürzel hervorlugende Endschalldämpfer und die Schwinge tragen nun ein freundliches Schwarz. Stichwort Schwinge: Wo beim Vorjahresmodel noch ein eher unscheinbares Gußteil Dienst tat, ist nun eine aus zwei verschweißten Hälften bestehende Kombination von Stahlprofilen und Gußteilen montiert. Das üppig dimensionierte Teil wiegt etwas weniger und soll laut Ducati 27 Prozent steifer als das Vorgängermodell sein. Nun gab es an der Funktion der alten Schwinge eigentlich nichts zu kritisieren, und so ist wahrscheinlich das rennmäßigere Aussehen der Hauptgrund für die Modellpflege an dieser Stelle. Immerhin stammt das Teil aus den Rennsport-Basisgeräten 999 R und 749 R.
Die wichtigste und beeindruckendste Modellpflege ist auf den ersten und auch zweiten Blick nicht zu erkennen. Die spielte sich nämlich unter der Kunststoffschale ab und bescherte der 999 satte Mehrleistung. Wo vormals 124 muntere Pferd-chen trabten, sorgen nun 140 noch muntere PS für Vortrieb. Neue Nockenwellen bringen mehr Ventilhub und längere Steuerzeiten und damit 16 PS Mehrleistung. Die Kurbelwelle ist nun mit noch cleverer platzierten Ölbohrungen bestückt und damit etwas leichter als zuvor. Die Höchstgeschwindigkeit stieg von 265 auf 270 km/h. Die deutlich höhere Spitzenleistung ging etwas auf Kosten der Leistung im mittleren Bereich. So um 5000 U/min macht die 999 nun auf dem Papier etwas weniger Druck, was in der Praxis aber fast nicht zu merken ist. Den richtig bösen Biß gab es und gibt es ohnehin oberhalb von 7000 U/min, und genau dort ist die neue 999 nun noch böser geworden. Das maximale Drehmoment von ordentlichen 109 Nm liegt bei 8000 Touren an, die Spitzenleistung ist bei 9750 U/min fällig. Der Schaltblitz rät bei 10500 U/min zum Gangwechsel.
Die Techniker kümmerten sich aber nicht nur um die Mehrleistung, sie sorgten auch dafür, daß der wassergekühlte 90-Grad-V-Zweizylinder nun auch unter Extrembedingungen noch standfester arbeitet. Eine Zahnriemenbelüftung sorgt jetzt für kühle Riemen. Der Motor der Basis-999 ist nun mit dem tiefen Ölsumpf ausgestattet, der ursprünglich den edlen S- und R-Motoren vorbehalten war. Die trichterförmig zulaufenden Ölwanne mit einer Saugglocke im tiefsten Bereich des Trichters garantiert auch dann zuverlässige Schmierung, wenn sehr hartes Bremsen, volle Beschleunigung oder Wheeliefahren angesagt sind.
Was gut war, blieb gut, nämlich die sportliche und dabei doch erstaunlich komfortable Sitzposition, die durch Verstellbarkeit von Kupplungs- und Bremshebel sowie Fußrastenanlage ziemlich genau auf die individuellen Bedürfnisse des Fahrers abgestimmt werden kann. Das Sechsganggetriebe läßt sich immer noch exakt und geschmeidig schalten, allerdings ist auch die Kupplungsbetätigung unverändert schwergängig. Da sich bis auf die neue Schwinge nichts am Fahrwerk verändert hat, überrascht auch nicht die unverändert hohe Präzision und Leichtigkeit, mit der sich die mit 15,5 Litern vollgetankt 212 Kilogramm schwere Ducati extrem flott ums Eck schwenken läßt. Das Fahrverhalten der 999 ist einfach tadellos. Die Brembo-Bremsen sind in Wirkung und Dosierbarkeit ebenfalls Spitzenklasse. Zumindest die beiden vorderen, denn die Fußbremse braucht viel Kraft und ist ein eher grober Klotz. Über die Federelemente gibt es nichts, aber auch wirklich gar nichts zu meckern. Glasklare Rückmeldung, sauberes Ansprechen und beste Bügelarbeit – das gibt die volle Punktzahl. Die gewohnte Kritik gibt es aber für den 190er-Hinterrad-reifen. Da ist Ducati einfach stur und spannt das pralle Gummi unverändert über die mit 5,5 Zoll etwas zu schmale Felge. Kein Drama, aber bei ganz schräger Schräglage würde ein 180er einfach für noch mehr Ruhe im Fahrwerk sorgen. Vielleicht wird es bei der nächsten Modellpflege ja was.
Diese Überarbeitung ist aber auch ohne 180er hervorragend gelungen, denn jetzt hat die 999 den vielleicht besten Twin, den es momentan in einem Serienmotorrad zu kaufen gibt. War der alte Motor schon ein Gedicht, so ist der neue Zweizylinder einfach noch leckerer.
Das Aussehen der 999 ist nun deutlich gefälliger, ohne daß das eigenständige Design-Konzept des Pierre Terblanche verwässert wurde. Für’s gleiche Geld (16.795 Euro zzgl. NK) gibt es nun mehr Leistung, mehr Alltagstauglichkeit, mehr Standfestigkeit und bessere Verarbeitung (u.a. Schweißnähte).
Ob es auch mehr Fans für die 999 geben wird, bleibt abzuwarten. Verdient hätte sie es jedenfalls. Auch und gerade weil sie von einem solch sympathischen Menschen gestaltet wurde. Irgendwie mag ich italienisches Design…