aus bma 07/98

von Günter Pfeifer

1976 benutzte der Hersteller Ducati zum ersten Mal die Bezeichnung 900 SS für eine Maschine mit Königs-wellenmotor. Doch mit der modernen Supersportserie haben diese Motorräder nichts mehrDucati 900 SS gemeinsam. 1991 wurde die 900 SS Supersport grundlegend überarbeitet. Danach folgten einige unwesentliche Neuerungen im Rahmen der Modellpflege. Auf der Motorradausstellung in Mailand 1997 konnte das Publikum dann zum ersten Mal eine völlig neu aufgebaute 900 SS bewundern. Nach kleineren Änderungen wurde das neue Modell am 15. April ’98 in Positano an der Amalfi-Küste Italiens vorgestellt und kurze Zeit später an die Händler ausgeliefert.
Eingefleischten Ducatifreaks wird beim Anblick der Neuen sicherlich ein kalter Schauer über den Rücken laufen, ist doch die klassische Linie völlig verschwunden bzw. den üppigen Formen der Vollverkleidung gewichen. Doch kein Grund zur Traurigkeit, das neue Kleid in gelb oder rot wurde vom Designer Pierre Terblanche geschneidert, der auch schon bei anderen Ducati-Modellen seine Hand im Spiel hatte und paßt hervorragend zum völlig eigenständigen Styling des neuen Renners.
Deutlich auffallend sind die Lufthutzen im vorderen Teil der Verklei-dung. Sie nehmen anströmende kalte Luft auf und leiten sie über Kanäle im Inneren der Schale auf den hinteren Zylinder. Da dieser Zylinder thermisch höher belastet ist, soll diese Maßnahme für zusätzliche Kühlung sorgen. Bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h soll dies eine Abkühlung um 20°C bringen.
Ducati 900 SSWas ist denn nun so anders an der Neuen? Da ist, wie schon gesagt, das neue Styling, ob es einem nun gefällt oder nicht. Desweiteren stecken jede Menge Änderungen im bekannten V2-Motor und im Fahrwerk. Die bisherigen Beatmungsorgane, 38er Mikuni-Gleichdruckvergaser, mußten einer Saugrohreinspritzung weichen, die, wie auch die Zündung, über ein elektronisches Motormanagement gesteuert wird. Diese kleinere Anlage schafft Platz für eine größere Luftfilterbox. Durch neue Nockenwellen bleiben Ein- und Auslaßventile bei gleichem Ventilweg länger geöffnet, was sich positiv auf die Brennraumfüllung und damit auf den Wirkungsgrad auswirkt. Ein neuer Drehstromgenerator liefert nun 520 Watt statt bisher 350. Im Fahrwerksbereich wurde der Radstand um 15 mm geringer und der Nachlauf von 103 auf 100 mm gekürzt. Der Lenkkopfwinkel wurde um ein Grad steiler. Die Upside-down-Gabel von Showa hat jetzt 43 mm Standrohrdurchmesser, und das Zentralfederbein weist mit 136 mm einen um 11 mm größeren Federweg auf. Als letzter Punkt der Reihe der Änderungen sei noch die modifizierte Vorderradbremsanlage erwähnt.

 

Bei der ersten Sitzprobe wird schon die betont sportliche Note der Maschine klar. Hier ist Ducati vom Alleskönner zum unbequemen Sportler zurückgekehrt. Die Lenkerstummel liegen, obwohl oberhalb der Ga-belbrücke angebracht, recht tief und sorgen für starke Belastung der Handgelenke durch eine mehr liegende als sitzende Position. Dabei bringen 82 mm Sitzhöhe für kleinere Fahrer Probleme mit dem Bodenkontakt. Allerdings wird dieses Problem durch den schmalen Tank etwas geringer, weil man leicht zur jeweili-gen Seite rutschen kann, und das relativ geringe Gewicht der 900 SS von nur 188 Kilogramm nimmt zusätzlich die Angst vor dem Kippen.
Ducati 900 SSDas Cockpit mit den drei Rundinstrumenten für Drehzahlmesser, Anzeige für Öltemperatur und Tachometer wurde von der 916 übernommen und liefert alle wissenswerten Informationen. Die helle und auch am Tage sehr deutlich sichtbare Kontrollampe für den Öldruck befindet sich im Drehzahlmesser. Alle anderen Warnleuchten für Leerlauf, Blinker, Fernlicht, Kraftstoffreserve und Batterieladung haben ein eigenes Gehäuse. Die Schalter und Bedienungselemente an den Lenkerenden entsprechen heutigem Qualitätsstandard und sitzen dort wo man sie auch vermutet. Die Handhebel für Kupplung und Bremse sind in vier Stufen einstellbar, der Chokehebel am lin-ken Lenkerende läßt sich gut erreichen, bedienen und dosieren.
Nach dem Druck aufs Starterknöpfchen nimmt der bullige 90°-V2-Viertakter seine Arbeit auf und glänzt von Beginn an mit einem gesunden Rundlauf. Die Warmlaufphase gestaltet sich dank Kraftstoffeinspritzung recht kurz und verläuft nahezu unbemerkt. Der Motor hat nach wie vor einen sehr schönen Klang und sein dumpfer, grollender Sound hört sich ähnlich an wie bei der 916. Das extrem laute Brüllen der Schalldämpfer gehört durch die heute gültige Lärmschutz-verordnung allerdings der Vergangenheit an.
Ducati 900 SSAlso Gang rein, Visier runter und ab geht’s vom Hofplatz der Firma Claus Carstens, Ducati Vertragshändler in Hennstedt, der so freundlich war, uns die erste gelieferte Su-persport 900 SS für einen Fahrbericht zur Verfügung zu stellen. Kraftvoll und gleichmäßig entwickelt sich die gewaltige Schubkraft und treibt die Maschine nach vorn. Pro-blemlos arbeitet das Getriebe, die sechs Gänge lassen sich leicht, schnell und exakt einlegen. Das Drehmomentverhalten ist beispielgebend, und wer mit der Gashand des Guten zu viel tut, der fährt recht schnell auf dem Hinterrad durch die Gegend. Weder in den Händen noch auf den Fußrasten ist ein Kribbeln zu verspüren, fast vibrationsfrei ver-richtet der Motor seinen Dienst, wenn man von den keineswegs unangenehmen V2-typischen Unru-hen einmal absieht. Auch die Untugenden des Vorgängermodells in Bezug auf das Ansprechverhalten des Motors sind verschwunden. Spontan steht die Leistung in vollem Umfang zu Verfügung und die Drehfreudigkeit auch aus niedrigen Drehzahlen heraus verblüfft.
Dabei sind 59 kW (80 PS) bei 7500 U/min Motorleistung sicher nicht die Welt, sie reichen jedoch völlig aus um so manchen Boliden das Fürchten zu lehren. Einen wesentlichen Teil trägt hierzu das Handling der Maschine bei. Durch die bereits erwähnten Modifikationen bei Radstand und Nachlauf ist die 900 SS handlicher geworden. Dazu kommt noch das geringe Gewicht bei guter Schwerpunktlage und die be-währte Reifengröße von vorn 120/70 ZR 17 und hinten 170/60 ZR 17, und die 900 SS folgt zielgenau und äusserst spurstabil den Lenkeingaben des Fahrers.
Bereits nach wenigen Kilometern fühlt man sich auf der Maschine trotz sportlicher Sitzhaltung recht wohl und gewinnt sehr schnell an Sicherheit. Wie sollte es bei einer Supersport auch anders sein, das Fahrwerk ist außerordentlich hart und weist den Fahrer auf jede Art von Bodenunebenheiten deutlich hin. Hier sollte der Besitzer einer 900 SS selbst tätig werden und eine Feinjustierung entsprechend seinen Fahr-gewohnheiten vornehmen. Die Standrohre der Upside-down-Gabel lassen sich am oberen Ende in Federvorspannung und Zugstufe einstellen und auch das hintere Zentralfederbein läßt sich in Zug- und Druckstufe und in der Federvorspannung verstellen. Wer also nicht nur rennmäßig unterwegs ist, der sollte sich das Fahrwerk weicher und damit komfortabler machen.
Über die Bremsen gibt es nur Gutes zu berichten. Auch hier wurde gegenüber den Vorgängermodellen einiges verbessert. Vorn verzögern zwei schwimmend gelagerte Bremsscheiben (320 mm) zwischen Vier-kolbensätteln und hinten übernimmt diese Arbeit eine 245 mm-Scheibe mit Zweikolbensattel. Bremswirkung und Dosierbarkeit sind, nicht zuletzt auch wegen der verbauten Stahlflex-leitungen, hervorragend. Lediglich eine leichte Aufstellneigung beim Bremsen in Schräglage ist spürbar. Sie ist jedoch für die Fahrsicherheit unerheblich und ihre Ursache liegt im Bereich der Physik.
Es macht einfach einen Riesenspaß mit diesem schnellen und handlichen Motorrad auf den kurvenreichen Landstraßen im schönen Schleswig-Holstein unterwegs zu sein. Es ist Balsam für die Seele, wenn man bei strahlendem Sonnenscheinwetter an blühenden Rapsfeldern vorbeifliegt und den Duft von frisch gemähten Wiesen einatmet.
Viel zu bemängeln gibt es an die-sem Motorrad wirklich nicht. Da wäre eigentlich nur der fehlende Hauptständer. Ein Motorrad mit Straßenzulassung muß hin und wieder geparkt werden. Ein schnell zurückklappender Seitenständer reicht hierfür einfach nicht aus. Bereits geringfügiges Aufrichten läßt den Seitenständer verschwinden und wenn die Maschine dann nicht von kräftigen Händen gehalten wird, kippt sie um. Beschädigte Blinker, Spiegel oder Verkleidungsteile gibt es auch bei Ducati nicht zum Nulltarif. Komplett kostet das Designerkleid über 3.000 DM. Auch Sicherheitsgründe sollten hier eine Rolle spielen, denn die Hinguckermaschine reizt auch Jugendliche zum Anfassen. Die Vorteile in der eigenen Garage bei Pflege- und Wartungsarbeiten wiegen sportlichen Eindruck oder Gewichtsersparnis allemal auf. Bei der 944 ST 2 ging es doch auch.
Doch der fehlende Hauptständer soll den insgesamt positiven Eindruck des Renners nicht stören. Wer nicht unbedingt viel mit seiner Sozia un-terwegs sein möchte, der findet in der 900 SS ein fast perfektes Motorrad vor. Qualitativ bis ins kleinste Detail bestens verarbeitet, vom Designer mit Schick und Charme ausgestattet und von einem modernen Hochleistungs-motor angetrieben, wird die Maschine zu einem Preis unter 20.000 DM ihrem Besitzer sicher viel Freude machen.
Um Probleme bei Lieferung und Ersatz-teilbeschaffung besser lösen zu können, hat der Hersteller Ducati umfangreiche Maßnahmen in der Um-strukturierung des Händlernetzes durchgeführt. So wurde nun von Ducati Motor Deutschland mit Sitz in Köln-Rodenkirchen ein zentraler Punkt für die gesamte Kommunikation geschaffen.