aus bma 3/12 – Lesererfahrung

von Frank Leinemann

Ducati 900 SS KönigswelleDieser kleine Bericht über die Ducati 900 SS Königswelle wird auf jeden Fall eine Hommage an dieses außergewöhnliche Motorrad. Es ist schon viel über die königliche Diva geschrieben worden, aber der Reiz dieses einzigartigen Motorrades, mit seiner geduckten Formgebung, ist bis heute bei einer kleinen Gemeinde ungebrochen. Wer die Berichte des berühmten 200 Meilen Imola Rennens von 1972 kennt, der weiß um welches geniale technische Motorenkonzept es sich bei der Köwe handelt. Da haben die desmodromisch gesteuerten 750 ccm Königswellen L-Twins mit Paul Smart und Bruno Spaggiari Weltelitefahrern wie Giacomo Agostini auf den legendären MV Agusta Rennmaschinen das fürchten gelehrt. In Borgo Panigale entwickelte „Dottore“ Fabio Taglioni diesen Motor Anfang 1970 mit 750 ccm. Der dann bis 1986 auf 1000 ccm bei den Mille Motoren vergrößert wurde.

Wer diesem Motorrad mal zu nahe gekommen ist, wird dieses Erlebnis nicht mehr vergessen, oder viel schlimmer, er wird infiziert. Wie infiziert man sich überhaupt mit dem Königswellen Virus?

Um diese Frage beantworten zu können, drehe ich das Rad der Zeit um 37 Jahre zurück auf das Jahr 1975. Es war ein schöner Juli-Nachmittag. Der Himmel war wolkenlos und die Luft um die 25° warm und was dann geschah, sollte mein Leben 30 Jahre später beeinflussen. Ich war noch Besitzer eines Fahrrades und auf dem Fahrradweg zwischen Seesen und Neuekrug am Harzrand unterwegs. Plötzlich vernahm ich aus der ferne ein Donnergrollen und dachte an ein herannahendes Sommergewitter. Aber es war keine Wolke am Himmel zu sehen. Doch der Donner hörte nicht auf, kam sehr schnell näher und wurde viel lauter. Total neugierig sah ich ein Motorrad, auf dem zusammengekrümmt ein Fahrer hinter einer schmalen Silhouette zu erkennen war. Da ich auf meinen 16. Geburtstag hin fieberte, um endlich ein Kleinkraftrad fahren zu dürfen, hatte ich in den zwei Jahren zuvor die Zeitschrift „Das MOTORRAD “ nur so verschlungen. Auf Grund der Motorradberichte erkannte ich sofort, dass diese silberne Silhouette, die da auf mich zuflog, nur eine Königswellen-Ducati sein konnte.

Ducati 900 SS KönigswelleIch war überwältigt, als die italienische Oper aus offenen PHM Vergasertrichtern und Conti Rohren ihren klanglichen Höhepunkt neben mir erreichte. Dann wurde der Donner viel zu schnell leiser, und löste sich nach und nach auf. In diesem Moment muss der Königswellen Virus auf mich übergesprungen sein. In den folgenden Jahren kamen und gingen verschiedene Motorräder; eine BMW R 100/7 RS bleibt mir seit 25 Jahren treu; aber Königswellen sah man ab 1990 fast gar nicht mehr auf der Straße. Doch der Königswellen Virus brodelte im Verborgenen immer noch in mir.

Im Sommer 2005 ertappte ich mich immer öfter dabei im Internet nach gebrauchten Königswellen zu schauen. Der Virus, der 30 Jahre in mir schlummerte, brach so langsam aus. Es gab nur noch ein Mittel um die Symptome zu lindern. Eine Ducati 900 SS Königswelle musste unter mein Carport.

Die ersten Werkstatthandbücher wurden gekauft, denn noch kein Motorrad von mir hat jemals eine fremde Werkstatt von innen gesehen. Das sollte auch so bleiben.

Zwischen Weihnachten und Neujahr 2006 kam der Moment, in dem eine gebrauchte Ducati 900 SS Königswelle in meiner Werkstatt stand. Meine Freude war groß!!! Und der Umfang der Arbeit, die noch reingesteckt werden musste, war noch größer. Als die Temp­eraturen im März so langsam in den zweistelligen Bereich stiegen, mus­ste es geschehen… meine erste Probefahrt mit der Königswelle.

Die Lederhose wurde aus dem Winterschlaf geholt und das schweißtreibende Ankleiden nach monatelanger und kalorien­- reicher Ruhephase des Fahrers hat auch geklappt. Wie in jedem Frühjahr war meine Lederlatzhose wieder eingelaufen. Das Luftholen fiel mir in der noch engen Latzhose noch etwas schwer, aber der Rest der Hose passte nach einigen Verrenkungen der Glieder wieder ganz gut. Nachdem ich die Stiefel und Lederjacke angezogen hatte, näherte ich mich der Diva vorsichtig mit dem nötigen Respekt. Es gibt schaurige Geschichten über das Ankicken der Köwe; von gebrochen Mittelfußknochen bis zerborstenen Waden­beinen. Ob diese Geschichten alle wahr sind?

Ducati 900 SS Königswelle VegliaWie ging jetzt doch gleich das Königswellenstartritual? Die Benzinhähne wurden geöffnet und die offenen Vergaser geflutet. Dann wurde der Gasgriff zweimal voll durchgezogen und langsam wieder in seine Ausgangstellung gebracht. Jetzt musste der OT gesucht werden. Mein zu schnelles Atmen kam nur von der engen Lederlatzhose, wirklich! Die linke Fußraste wurde nach oben geklappt, der Kickstarter ausgeklappt und langsam nach unten bewegt. Es war ein dumpfes Plopp aus den offenen schlanken Conti-Rohren beim Auslasstakt zu hören. Dann war ein leises Schlürfen der Luft beim Ansaugen durch die nur mit Flammsieben bestückten Ansaugtrichter der 40er Dell’Orto PHM-Vergaser mit Beschleunigerpumpe zu ver­nehmen. Als ich den OT gefunden und den Zündschlüssel auf ON gedreht hatte, trat ich beherzt mit aller Manneskraft auf den Kickstarter. WOW! Was für ein Moment. Die Diva lief auf den ersten Kick. Die Conti Tüten blubberten im Takt der asymmetrischen Zündfolge des L-Twins, begleitet von dem Schlürfen der offenen Vergaser. Mit kurzen Gasstößen versuchte ich die Ducati bei Laune zu halten und die verschreckte Nachbarschaft drückte sich verstört die Nasen an den Fensterscheiben platt.

Diese Zeremonie des Startens genieße ich heute immer noch. Es hat was mit dem Gefühl der Erhabenheit über die Technik zu tun, falls ich die Diva unverletzt zum Laufen gebracht habe. Denn auch ich bin besonders am Anfang nicht ohne Blessuren davongekommen.

Dann zwängte ich mich auf die kurze Imola Höckersitzbank, meine Arme versuchten die Tomaselli Stummellenker über den langen Imola Tank aus Aluminium zu erreichen. Was mir dann auch irgendwann gelang. Ich hatte die typische Königswellen-Sitzposition fast eingenommen: Mein linker Fuß stand auf der Fußraste. Das Knie erreichte einen Winkel, der schon ein beklemmendes Gefühl in der Kniekehle hinterließ. Die Kupplung erforderte die ganze Kraft der linken Hand. Eine typische italienische Kupplung aus den 70er Jahren eben. Mit einem leichten Knack wurde der erste Gang eingelegt und los ging es in den Harz. Die 4,5 Liter Castrol Classik Öl 20 W 50 wurden erst vorsichtig warm gefahren, um die nadelgelagerten Pleuel auf ihrem gemeinsamen Hubzapfen zu schonen. Danach konnte ich dann richtig am Draht des Tomaselli Gasgriffes ziehen.

 

Meine Erfahrungen bis heute:

Ducati 900 SS KönigswelleRichtig wohl fühlt man sich ab 4000 1/min auf der Köwe, was bei der extrem langen Übersetzung des 1. Gangs in den Ortschaften nicht immer ganz einfach ist. 4000 1/min entsprechen im 1. Gang 50 km/h. Beim Anfahren und beim Stop-and-go merkt man schnell, dass es sich um eine echte Rennmaschine handelt.

Sobald man sich auf der Landstraße befindet, kann das gesamte Drehmoment-Spektrum genutzt werden. Bei den 900 ccm Motoren liegen schon die vollen 79 Nm Drehmoment bei 4500 1/min an. Die 73 PS Leistung werden bei 7200 1/min erreicht. Mit leichtem Druck der Fußspitze rasten die Gänge präzise ein. Die Nadel des weißen Veglia Compenzione Drehzahlmessers kommt der enormen Beschleunigung fast nicht nach. Die 280 mm Grauguss-Doppelscheibenbremse mit Stahlflex-Leitungen und den goldenen Brembo P8 Zweikolben Festsattel-Zangen bringen die Maschine mit einem festen Druckpunkt am Handbremshebel in kürzester Zeit zum Stehen. Die hintere ebenfalls 280 mm messende Bremsscheibe braucht man so gut wie gar nicht.

Langgestreckte Kurven sind ein Eldorado für das straffe italienische Fahrwerk mit seinem langen Radstand von 1500 mm, dem flachen Lenkkopfwinkel von 61°, und einem Nachlauf von 145 mm. Das Fahrwerk hält was es verspricht. Die moderne 18 Zoll Bridgestone BT 45 Bereifungen auf den Akrond Alu-Hoch­­­schulter­­­­- felgen, in der Breite von 100/90 vorn und 120/90 hinten, tragen da sicherlich einiges zu bei. Eine einmal angepeilte Kurven-Linie wird genau durchfahren. Kanaldeckel und Bodenwellen in Schräglage können das Fahrwerk nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen. Das liegt sicher viel an der nachträglich mit progressiven Wirth-Federn bestückten 38 mm starken Marzocchi Gabel. Die hinteren ebenfalls nachträglich montierten 3-fach in Zug und Druckstufe verstellbaren Koni-Federbeine geben keine Schläge an das heiligste des Fahrers ab.

Ducati 900 SS Königswelle MotorDas Fahrwerk begeistert nicht nur in den schnellen langen rechts/links Kurvenkombinationen, auch in engen Serpentinen benimmt es sich sehr gutmütig. Dank der enormen Verzögerung des Motors beim Schließen der Gasschieber, brauchen Kurven selten angebremst werden. Man kann es einfach laufen lassen. Wenn Ross und Reiter eine Einheit gebildet haben, werden auch die kürzesten Geraden zur „Ewigkeit“. Der Hintern des Fahrers merkt in jeder Situation immer genau was unter ihm passiert.

Durch den Einbau einer digitalen Sachse-Zündung mit 9 verschiedenen Zündkurven ist der Motorlauf im Bereich bis 4000 1/min um einiges verbessert worden. Durch die verschiedenen Zündkurven kann eine Frühzündung bis 39° erreicht werden, wodurch die Leistung im oberen Drehzahlbereich noch optimaler ausgeschöpft wird. Das Ankicken ist auch entspannter, da auf 2° Spätzündung beim Starten zurückgeschaltet wird. Der Benzinverbrauch des Ducati L- Twins liegt auch bei scharfer Fahrweise nie über 6,5 Liter/100 km. Der Motor gibt sich auf längeren Touren auch mit einem Liter weniger zufrieden. Allerdings sollte Super Plus mit Bleizusatz gefahren werden.

Jetzt nach 10.000 km mit der Diva, genieße ich immer noch das tolle Motorrad und ehrlich gesagt auch das Interesse der Menschen, die oft die Ducati umlagern und mit mir fachsimpeln. Ich habe mich an die gestreckte Sitzposition gewöhnt. Die Nackenmuskulatur, die Ober- und Unterarme und auch der Hintern haben sich an die Ergonomie der Königswelle angepasst. Es ist ein Super-Bike ohne überflüssigen Schnick-Schnack wie High Tech Gabel, Traktionkontrolle, Carbonteilen und digitalen Steuergeräten. Und es ist trotzdem ein wirklicher Genuss, diese Diva zu bewegen. Die Königswelle war in erster Linie gedacht bei bestem Wetter mal eine Runde durch den Harz zu drehen. Aber mittlerweile jagt mich meine Freundin mit ihrer Honda GB 500 Clubman auch bei Regenwetter durch die Berge. Wenn ich nach einer schönen Runde mit der Diva wieder zuhause angekommen bin, streichele ich der Duc zärtlich über den Imola Bürzel und bedanke mich im Stillen bei ihr für den Spaß, den sie mir bereitet hat.

Dieses schöne Motorrad ist einfach zu schade, um sich im Wohnzimmer die Reifen platt zu stehen. Die Königswellen müssen dorthin, wo sie hingehören, …auf die Straße. Die Königliche Diva ist eine wirkliche FAHRMASCHINE.