aus bma 11/08

von Klaus Herder

Ducati 848Es fällt schwer, es zuzugeben, aber BMW war mal wieder Wegbereiter: Weiß als Motorradfarbe gab’s im großen Stil zuerst bei den Berliner Bayern. Je nach Modell und Baujahr lief die vermeintliche Unfarbe unter so blumigen Bezeichnungen wie „Perlsilber” oder „Perlmuttweiß-Metallic”, gemeint war aber immer das Gleiche: Spermaweiß.

Entsprechend lackierte K-Modelle der 80er und frühen 90er Jahre beleidigen in den einschlägigen Gebrauchtkauf-Foren immer noch das Auge, erfreuen dafür aber mit fast schon unanständiger Unkaputtbarkeit.

Bis zur Jahrtausendwende war Weiß dann aber zumindest in Deutschland nur die Farbe der Vertreter-Kombis und Kundendienst-Kastenwagen. Doch mittlerweile ist die Sanitärbereichs-Farbe für Fahrzeuge ganz schwer angesagt. Heerscharen von Jungdynamikern verstopfen die Straßen mit ihren schicken weißen Panzerkampfwagen namens Porsche Cayenne oder auch Audi Q7. Und nun endlich hat die Weißheit auch den Motorradmarkt erreicht.Doch noch gibt’s nicht alles und jedes in der Trendfarbe der Saison. Wer ab Werk einen weißen Ducati-Supersportler haben möchte, muß zur 848 greifen. Das ist die kleine Schwester der wunderbaren, in Rot, Gelb und Schwarz (S-Modell) lieferbaren 1098. Kleine Schwester? Das klingt womöglich nach zweiter Wahl. Oder ganz im Gegenteil: Nach frecher, lustiger und vielleicht sogar schärfer. Fangen wir mit den (vermeintlich) schlechten Nachrichten an: Wer für eine 848 exakt 14000 Euro beim Ducati-Händler läßt, zahlt damit 3450 Euro weniger als fürs Flaggschiff Ducati 1098. Und bekommt dafür auch weniger: Natürlich weniger Hubraum (nein, nicht 848 statt 1098 ccm, sondern 849 statt 1099 ccm; die Ducati-Modellbezeichnungen sind eines der letzten Rätsel der Menschheit), weniger Leistung (134 statt 160 PS), weniger maximales Drehmoment (96 statt 125 Nm) und weniger Ausstattung (keinen Lenkungsdämpfer, keinen Servo-Anlasser, keine Höhenverstellung an der Schubstrebe der Federbein-Umlenkung) und als Höchststrafe nur einen schmächtigen 180er-Schlappen anstelle des wichtigen 190er-Hinterradgummis.

 

Ducati 848Doch nun zur ersten guten Nachricht: Wer weniger zahlt, bekommt auch weniger Masse. Fahrfertig, also mit 15,5 Litern Sprit im Tank, nur 196 statt auch nicht gerade überfetter 201 Kilogramm. Fünf Kilo, merkt man das überhaupt? Gemach, nur soviel sei verraten: Man merkt es sogar ziemlich heftig. Von der hinteren Reifendimension abgesehen unterscheiden sich 848 und 1098 äußerlich so gut wie gar nicht, das Rahmenlayout, die Federelemente, Verkleidung und Sitzbank – das alles ist bei den Ducati-Schwestern weitgehend identisch. Wo setzte die Diät also an? Zuallererst am Motor, denn der ist kein heruntergebuchster 1098er-Twin, sondern eine komplette Neukonstruktion. Die 848 bekam die jüngste Entwicklungsstufe des „Testastretta Evoluzione” (Testrastretta = „Schmalkopf”, das steht für die sehr kompakte Zylinderkopfkonstruktion) verpaßt. Der Vau-zwo-Vierventiler besitzt ein Gehäuse, das in einem (für Ducati) neuen Vakuum-Druckgußverfahren gefertigt wurde. Während das Gußmaterial in die Form gespritzt wird, wird gleichzeitig Luft aus der Form gesaugt. Vorteil des von Ducati „Vacural” genannten Verfahrens: Lufteinschlüsse und Gußlunker werden zuverlässig verhindert, die Gehäuse-Wandstärke kann an weniger belasteten Stellen von sechs auf bis zu drei Millimeter verringert werden, ohne irgendwelche Stabilitätsverluste zu riskieren – ganz im Gegenteil. Diese Maßnahme sorgte zusammen mit den zwangsläufig etwas leichteren Innereien (Kolben, Ventile, Kurbelwelle) für eine Gewichtsersparnis von über drei Kilogramm. Gut anderthalb Kilo weniger brachte die Umrüstung von Trocken- auf Ölbadkupplung. Richtig gelesen: Bei dieser Ducati rasselt nichts mehr. Das mag in der Wolle gefärbten Ducatisti als Verrat vorkommen, die italophilen Pragmatiker dürfen sich über weniger Krach (Nein, Rasseln ist KEIN Sound!), längere Haltbarkeit und bessere Bedienbarkeit freuen. Eine zupackende Hand ist am Kupplungshebel dennoch gefragt, japanische Trennmittel flutschen deutlich leichter. Was die Hardcore-Fans der Roten wieder etwas besänftigen dürfte.

In Sachen Ergonomie läßt die 848 keinen Zweifel aufkommen, um was es sich bei ihr handelt: Um ein reinrassiges Sportgerät (für das es im Unterschied zum Superbike 1098 und zum Vorgängermodell, dem Supersportler 749, aber keine passende Rennklasse gibt). Hohes Sitzkissen, tiefe Stummel, kompakter Beinwinkel – das ergibt dann eine nur sehr bedingt tourentaugliche Sitzposition, bei der der Oberkörper im Liegestütz auf den breit ausgestellten Lenkern lastet. Ohne Servo-Anlasser muß der Daumen etwas länger auf dem E-Starter-Knöpfchen verweilen, damit der von einer Marelli-Einspritzanlage befeuerte L-Twin (so nennt Ducati den 90-Grad-V-Motor offiziell) seine Arbeit aufnimmt. Aus den beiden rostfreien Endtöpfen tönt’s nicht ganz so aggressiv und wuchtig wie bei der 1098, das angenehm bassige Grummeln der 848 macht aber mindestens genauso an.

Ducati 848Wer die 1098 kennt, wähnt sich nun auf einem deutlich anderen Motorrad. Vom Unendlich-Drehzahlband der 1098, das zwischen gut 2000 bis über 10000 U/min Nonstop-Druck zur Verfügung stellt, hat die 848 nur einen Ausschnitt zu liefern. Der Kurzhuber benimmt sich unter 6000 Touren artig, erst darüber wird er zum Feuerzeug – dann aber auch bis zum Drehzahlbegrenzer bei 10800 U/min. Der flüssigkeitsgekühlte Vierventiler muß aber nicht lange überredet werden, um in diesen Drehzahlregionen aktiv zu werden. Mit feinster Gasannahme tobt der Twin sehr, sehr munter durchs Drehzahlband. Und ist dabei – jetzt bitte genau mitlesen – eigentlich viel praxistauglicher und Landstraßen-geeigneter als der Bollermann 1098. Wo die große Schwester immer mit etwas Nachdruck ums Eck gebeten werden möchte, wuselt die kleine Schwester leichtfüßig und fast von allein (Betonung auf „fast” – eine Ducati macht NIE etwas von ganz allein…) durch noch so enge Kurvenkombinationen. In Sachen Laufkultur hat der kleinere Testastretta-Motor ebenfalls die Nase vorn.
Es sind natürlich nicht nur die fünf Kilo Mindergewicht, die den Unterschied machen. Die Kombination bringt es, die 848 ist u. a. deshalb der bislang handlichste Ducati-Supersportler, weil auch geringere rotierende Massen im Spiel sind, weil das Hinterradgummi ein vernünftiges Format hat, weil unbändige Drehfreude, feinste Gasannahme, beste Fahrstabilität, höchste Zielgenauigkeit und nicht zu vergessen: 134 PS (die Fahrzeugpapiere nennen 125 PS, wir einigen uns daher auf echte 130 PS) und fette 96 Nm zusammenkommen. Am Stammtisch ist die 848 gegen ihre große Schwester chancenlos, doch im wirklichen Leben auf öffentlichen Straßen ist sie für die meisten von uns vermutlich die bessere Partie.

Ducati 848Das gilt auch und besonders dann, wenn Bewegungs- in Wärmeenergie umgewandelt werden muß. Wo bei der 1098 nämlich radial montierte Monobloc-Sättel von Brembo brachial um 330er-Scheiben packen und praktisch nur von Profis wirklich ausgereizt werden können, wirken bei der 848 nicht ganz so bissige, dafür aber von Otto Normalheizer besser dosierbare Stopper auf kleinere 320er-Scheiben ein. Für die normal zügig angegangene Hausstrecke sind die 848-Bremsen goldrichtig. Wer partout auf die allerletzte Rille Ankern will, muß halt etwas kräftiger reinlangen.
Bei der Abstimmung der voll einstellbaren Federelemente und damit auch in Sachen Fahrkomfort schenken sich 848 und 1098 nichts, hier sind die gleichen Showa-Bauteile am Werk. Das durchaus stramm arbeitende Federbein gesellt sich zu einer etwas freundlicher agierenden Gabel. Komfort ist aber irgendwie anders. Und wo wir gerade so schön bei den Sekundär-Tugenden sind: Die Soziusrasten-Ausleger eignen sich prima dazu, Gepäckhaken einen stabilen Fixpunkt zu bieten. Sonst noch Fragen zum Thema Soziustauglichkeit? Wartungsfreundlichkeit war früher ein Thema, das man bei Ducati gern ähnlich schnell hätte vergessen sollen. Doch die Zeiten haben sich geändert: Wartungsintervalle von 12000 Kilometern und deutlich verkürzte Arbeitszeitvorgaben machen die italienische Zweirad-Lebensart nun auch für Normalverdiener erschwinglich. Dabei muß man kein schlechtes Gewissen haben, wenn man zum vermeintlichen Sparmodell 848 greift. Ihr präzises Fahrwerk, das sehr flotte Handling und der harmonische, dabei mächtig muntere Motor sind eine wunderbare Mischung und im direkten Vergleich mit der 1098 die bessere Wahl. Ganz abgesehen davon, daß es nur die 848 in Weiß gibt (ersatzweise natürlich auch in Rot).

Apropos Weiß: Der nette Herr in der weißen Rennkombi, der bei der 848-Präsentation auf der Rennstrecke von Almeria eindrucksvoll zeigte, was mit der 848 machbar ist, heißt Ruben Xaus. Der 30-jährige Spanier war 2008 hauptberuflich in der Superbike-WM unterwegs und fährt im nächsten Jahr für BMW, was vermutlich mit Geld und nicht mit einer Ducati-Allergie zu tun hat. Oder ist BMW mal wieder Wegbereiter für irgendetwas?