aus bma 08/01

von Dirk Mangartz

Ducati 750 SSIn den frühen Siebzigern waren italienische Motorräder charakterstarke Darsteller. Sie hatten zwar allerlei Schwächen wie knüppelharte Federelemente, eine launische Elektrik und waren meist lässig verarbeitet, aber ihre eigenständige Ausdruckskraft ließen ihre Piloten über so manch kleinen Perfektionsmangel hinwegsehen. Und: die Fahrwerke waren den damaligen Konkurrenten oft weit überlegen und die druckvollen Zwei- und Dreizylinder-Triebwerke zumindest ebenbürtig. Beinahe jeder der großen italienischen Hersteller führte als Krönung der Modellreihe ein rennbereites Topmodell im Programm, das nur an wenige, handverlesene Kunden vergeben wurde. Notdürftig gezähmt, meist höllisch laut und nur eingeschränkt alltagstauglich, verkörperten sie die Zweirad-Leidenschaft pur. Heute genießen diese kompromisslosen Athleten unter sportlichen Motorradfahrern einen absoluten Kultstatus. Wer hat nicht schon von diesen Perlen gehört? Laverda 750 SFC etwa, Moto Guzzi V 7 Sport „Telaio Rosso” oder eben Ducati 750 SS – die mit dem wunderschönen Rundmotor.
Die aktuelle Ducati 750 SS trägt in ihrem schlichten Namenskürzel also ein wahrhaft heiliges Erbe. Obwohl der 750 Kubik-V2 heute nur zur unteren Mittelklasse in der Modellpalette der Bologneser zählt, klingt die Typenbezeichnung „750 SS“ noch immer nach Oberklasse. So wie ein moderner Mercedes 300 SL dank seines mystischen Kürzels immer ein Spitzenmodell wäre, obwohl bereits ein 600er Daimler angeboten wird.

 

Ducati 750 SSWie aber benimmt sich dieses Mittelklasse-Topmodell, die aktuelle 750 SS? Schon beim Aufsitzen wird klar, dass es sich hier nicht um einen komfortablen Gleiter für die betuliche Kaffeefahrt handelt. Ein Großteil des Körpergewichts ruht auf den weit unten positionierten Lenker-Stummeln. Die extrem sportliche Sitzposition wird von der Lage der Fußrasten und der Härte der Sitzbank beharrlich unterstrichen. Der Beifahrer bleibt besser zu Hause, die Kampfhaltung auf dem harten Sitzplatz sorgt schon nach zehn Minuten für ernsthafte Verschleißerscheinungen beim Sozius.
Willig startet der Einspritz-Motor mit Unterstützung des Choke. Der Klang des „L-shaped Twins” ist markant. Nicht zu laut und dennoch kraftvoll tönt das wassergekühlte Herz aus den hochliegenden Alu-Schalldämpfern. Die spontane Gasannnahme nährt die Hoffnung auf ein sportives Fahrvergnügen. Der erste Gang ist rennmäßig lang übersetzt, dennoch spurtet die SS zügig von dannen. Die Gangstufen passen perfekt, und es folgt die Erkenntnis, dass man zumindest im Geschwindigkeitsbereich bis 130 km/h keine 900 Kubik und keinen Vierventiler vermisst. Die 750er geht insgesamt etwas zahmer, aber eben auch geschmeidiger zur Sache, ohne jedoch schwächlich zu wirken. Wie der 900er Motor fühlt sich auch der 750er unter 3000 Umdrehungen unwohl, tritt aber darüber nicht mit dem ungehobelten Twin-Schlag der 900er SS an, sondern drückt fein dosierbare Kraft ans Hinterrad.
CockpitAllerdings leidet auch diese Ducati unter starkem Spiel im Antriebsstrang, was in Verbindung mit der spontan ansprechenden Einspritzanlage zu deutlichen Lastwechselreaktionen führt. Gleichmäßiges Rollen, wie es zum Beispiel bei einer gemütlichen Tour auf geschwindigkeitsbegrenzten Überlandstrecken nötig ist, führt selbst bei sensiblem Umgang mit dem Gasgriff zu unwilligem Rucken. Die Duc will unter Last gefahren und trotz der nominell bescheidenen Leistung von 61 PS sportlich bewegt werden. Das geringe Gewicht von 197 kg und das wendige Fahrwerk verleiten regelrecht zu übermütiger Fahrweise, und trotz der schmalen Lenkerhälften sind wieselflinke Kurskorrekturen möglich. Sowohl die Upside-Down-Gabel als auch das hintere Federbein weisen eine gesunde Härte auf, sprechen aber dennoch feinfühlig auf Unebenheiten an. Die allerneuesten Modelle sind mit einem voll einstellbaren Federbein von Sachs ausgerüstet, dessen Einfluss auf das Fahrverhalten wir hier nicht überprüfen konnten.
Im Gegensatz zum Sport-Einsteigermodell 750 S ist die SS mit einer Doppelscheibenbremse im Vorderrad ausgerüstet. Die beiden Brembo-Stopper verzögern beeindruckend, schon mit geringer Handkraft kann die gelbe Bologneserin millimetergenau zusammengebremst werden. Auch wenn der Einfluss der hinteren Bremse auf die Gesamtbremsleistung nur gering bleibt, ist die Wirkung der Scheibe im Heck doch sehr müde. Nur bei beherztem Tritt auf das Bremspedal wird zaghaft Geschwindigkeit abgebaut.
VorderradbremseFür den Betrieb im Stadtverkehr gelten bekanntlich andere Regeln. Anders als bei Fitness über geschwungenes Asphaltband zählen hier die Qualitäten beim alltäglichen Umgang. Im Stop and Go schmerzen die arg belasteten Hände schon nach wenigen Kilometern, die Suche nach dem schwer zu findenden Leerlauf dämpft den City-Spaß, der gigantische Wendekreis ist beim Rangieren hinderlich, und der stuckernde Antrieb schreit nach freier Strecke.
Ducati-Händler Bernd Lohrig in Syke, der uns die Test-Ducati zur Verfügung gestellt hat, rüstet aus diesem Grunde auf Kundenwunsch jede SS mit bequemeren, weniger flachen Lenkerhälften aus. Die Alltagstauglichkeit gewinnt durch diesen kleinen Eingriff beträchtlich, und der Charakter der Supersport wird nicht im Geringsten verwässert. Wenn dann endlich die letzte Ampel hinter einem liegt, kann die fein ausgewogene Supersport auf kurvenreichen Nebenstraßen so manchem Gerät mit der doppelten Leistung das schöne Heck zeigen. Für den ernsthaften Einsatz an der Sportlerfront im gehobenen Geschwindigkeitsbereich ist die SS mit 750er-V2 natürlich nicht gemacht. Der dynamische, unverfälschte Fahrgenuss steht im Vordergrund, denn schnell genug ist die Duc allemal, und wer es brutaler haben will, dem stehen aus der Palette der Bologneser-Schmiede leistungsstärkere Alternativen in Form der 900 SS oder gar der 748/996 Superbikes zur Verfügung.
So kann die aktuelle 750 SS nicht mehr mit Superlativen aufwarten, allerdings macht die aktuelle Desmodue – ganz in der Tradition der alten Königswellen-SS – gewaltigen Spaß beim Kurvenswingen. Und sie liefert reichlich Diskussionsstoff beim immer wieder aktuellen Wettstreit zwischen Zwei- und Vierzylindersportler. Ganz wie früher.