aus bma 2/12 – Fahrbericht

von Felix Hasselbrink (www.MOTALIA.de)

Panigale in Mailand, EICMA 2011Mit viel Spannung wurde es erwartet, das neue Ducati-Superbike. So manche Information war im Vorfeld an die Öffentlichkeit gelangt, aber erst auf der EICMA in Mailand konnte die Fachwelt die Maschine, mit der Ducati in vielen Bereichen Neuland betritt, bestaunen. Motor und Fahrwerk der 1199 Panigale sind komplett neu. Viele Details und Ideen wurden erstmals verwirklicht, trotzdem ist das Motorrad unverkennbar eine Ducati, die in vielen Bereichen Bestmarken setzen will – ein neuer Meilenstein in der Ducati-Geschichte.

Der Twin leistet stattliche 195 PS, damit ist die Ducati 1199 Panigale das leistungsstärkste Serienmotorrad mit einem Zweizylinder-Motor. Fast 200 PS aus zwei Zylindern, noch vor ein paar Jahren hätte man das für unmöglich gehalten. Selbst die Vierzylinder-Superbikes aus Japan oder Bayern haben nur unwesentlich mehr Power.

Zusammen mit einem sensationell niedrigen Gewicht ergibt sich ein Leistungsgewicht von weniger als einem Kilogramm pro PS. Vollgetankt (!) soll die 1199 in der ABS-Version nur 192 Kilogramm auf die Waage bringen. Bei 17 Litern Tankinhalt wäre das ein reelles Grundgewicht (fahrbereit inklusive aller Flüssigkeiten außer Benzin) von weniger als 180 Kilogramm. Viele andere Superbikes schleppen gut 15 Kilogramm mehr mit sich rum, sogar manche 600er aus Japan ist da deutlich schwerer.

Panigale 1199 MotorUm diese Werte zu erzielen, mussten sich die Entwickler in Bologna einiges einfallen lassen und brachen mit so mancher Tradition des Hauses Ducati. Viele Bauteile sind multifunktional ausgeführt, das heißt, sie übernehmen die Aufgaben mehrerer Bauteile, so dass auf diese Weise Material und Gewicht eingespart werden konnten.

Der Motor ist nicht nur das treibende Herz der Maschine, er ersetzt auch größtenteils den bisherigen Gitterrohrrahmen. Eine gegossene Aluminium-Airbox ist mit den Zylinderköpfen verschraubt und stellt die Verbindung zur Gabel her. Einen wirklichen Lenkkopf gibt es nicht mehr. Die Lagersitze der Gabel befinden sich direkt in dem Luftfilterkasten, und das Gabeljoch wird von der Ansaugluft umströmt. Auch die Drosselklappen sind im Inneren der Airbox plaziert. Die Unterseite des Tanks dient als Verschlussdeckel des Luftfilterkastens.

Zwei mit dem Motor verschraubte Aluminiumplatten stützen die Schwingenlagerung von außen ab und sind die Verschraubungspunkte für die Fußrastenanlage. Auch der gegossene Aluminiumheckrahmen als Sitzbankträger ist direkt mit dem Motor verschraubt. Das Gleiche gilt für die vordere Aufnahme des Stoßdämpfers, der fast waagerecht auf der linken Fahrzeugseite platziert ist.

Viele Bauteile sind direkt mit dem Motor verbunden, so konzentrieren sich die Massen dicht am V2. Der Schalldämpfer des neuen Superbikes befindet sich unter dem Motor, sorgt für einen tiefen Schwerpunkt und erlaubt einen leichteren Heckrahmen als bei der bisherigen Anordnung der Schalldämpfer unter der Sitzbank. Das erfordert eine neue Krümmerführung. Das Auspuffrohr des vorderen Zylinders lugt auf der rechten Seite aus der Verkleidung hervor und kann so seine Hitze gut an den vorbeistreichenden Fahrtwind abgeben. Der armdicke Krümmer des hinteren Zylinders vollführt einen Bogen unter dem Fahrersitz. Eine Kunststoffabdeckung soll vor Verbrennungen schützen. Beim Schalldämpfereingang befindet sich eine elektronisch gesteuerte Drosselklappe, wie sie ja mittlerweile bei vielen Motorrädern zu finden ist. Zwei Auspufföffnungen entlassen rechts und links vor dem Hinterrad die Abgase.

Wie schon bei dem Streetfighter verzichtet Ducati auf einen Ölkühler und verbaut stattdessen zwei große Wasserkühler und einen Öl-Wasser-Wärmetauscher.

Panigale von oben

Weil der Motor etwas nach hinten gekippt ist, konnte er weiter vorne im Fahrwerk positioniert werden. Das ermöglicht eine längere Schwinge, welche die Lastwechselreaktionen verringert und es ermöglichen soll, die Power des Twins besser auf die Straße zu bringen. Um 39 Millimeter hat die Schwinge in der Länge zugelegt, der Radstand wuchs aber nur um 7 Millimeter auf 1437 Millimeter.

Auch der Fahrer sitzt etwas weiter vorne, dafür sorgt der 30 Millimeter kürzere Aluminiumtank. Dadurch lastet nun mehr Gewicht auf dem Vorderrad. 52 Prozent gibt Ducati als Wert im Fahrbetrieb an. Im Vergleich zum Vorgängermodell ist die Sitzhaltung nicht ganz so gebückt. Die Stummel sind 10 Millimeter höher angebracht, und die Griffe liegen 30 Millimeter weiter auseinander. Mit der neu konstruierten Einarmschwinge kommt die 1199 den Wünschen der Ducati-Fans nach, die Zweiarm-Hinterradschwinge der 999 hatte ja nur wenig Anklang gefunden. Für die Vorderradfederung ist eine Upside-Down-Gabel zuständig. Zumindest bei den Radführungen vertraut Ducati auf bekannte und bewährte Konstruktionen.

In der Basisversion der 1199 Panigale stammt die Gabel von Marzocchi, und die Gleitrohre messen 50 Millimeter im Durchmesser. Die neu entwickelte Aluminiumgabel mit reduzierter Ölmenge soll ein Kilogramm gegenüber bisherigen Gabeln einsparen. Selbstverständlich sind alle üblichen Einstellmöglichkeiten vorhanden. Der S-Version spendiert Ducati feinste Öhlins-Komponenten mit 43 Millimetern Durchmesser und teilweise elektronisch gesteuerter Einstellung.

Panigale FederbeinDie Top-Modelle haben auch für die Hinterradfederung ein elektronisch verstellbares Öhlins-Federbein, während sich die normale Panigale mit einem konventionellen Sachs-Federbein mit mechanischen Anpassungsmöglichkeiten be­gnügen muss. Weil das Federbein nun sehr gut erreichbar ist, sollten Einstellarbeiten leicht und schnell zu erledigen sein.

Die Panigale rollt auf neuen Zehn-Speichen-Gussrädern, die knapp ein halbes Kilo leichter sind, als die bisher von Ducati im Superbike verbauten Felgen. Noch etwas leichter sind die ebenfalls neuen Schmiedefelgen der S-Ausführung mit drei Dreifachspeichen.

Die Pirelli-Reifen haben am Vorderrad die gängige Größe von 120/70 ZR 17, hinten setzt Ducati wie andere Hersteller auf einen fetten 200/55 ZR 17. Das ist der breiteste Reifen, der bisher serienmäßig auf einem Ducati Superbike zu finden war.

Während bei der 1198 vom Motor lediglich der Kupplungsdeckel zu sehen war, lässt die 1199 den Blick auf den hinteren Zylinder von beiden Seiten frei. Rund um den Deckel der Öl­badkupplung ist die Verkleidung ausgespart, und auch das Federbein wird offen zur Schau gestellt. Da hat die 1198 die Technik viel mehr unter dem Plastikkleid versteckt.

Einarmschwinge und Stoßdämpfer sind über eine verstellbare Schubstange und einen Zwischenhebel miteinander verbunden. Dieser verfügt über zwei Verschraubungspunkte für die Schubstange. Das ergibt je nach Positionierung unterschiedliche Progressionen. Für die Rennstrecke ist die geringere Pro­­­­gressions­kurve gedacht, während für den Straßenverkehr die stärkere Progression mehr Sinn macht.

Nicht verstellbar ist hingegen die Fußrastenanlage, aber es sieht so aus, als wenn beide Verschraubungen waagerecht ausgeführt sind. Mit Distanzen könnte man also zumindest die Fußrasten in gerader Linie nach hinten verschieben.

Ducati 1199 Panigale S im RevierDrei Bremsscheiben sind für die Verzögerung des neuen Ducati Superbikes zuständig. Vorne betragen die Durchmesser der Stopper stattliche 330 Millimeter. Größere Scheiben sind in einer 17-Zoll-Felge kaum unterzubringen. Die Innensterne sind sehr filigran ausgefallen. Auch die neuen Brembo-Monoblock-Bremssättel sind recht klein. Die Zangen sind eine Neuentwicklung und werden vorerst nur an der 1199 verbaut. Zum 50-jährigen Jubiläum von Brembo wurde diese kompakte Bremszange mit der Bezeichnung M50 ent­worfen. Das M steht für die 1994 von Brembo entwickelte Monoblock-Technologie, die 50 weist auf das Firmenjubiläum hin. Im Vergleich zum Vor­gängermodell soll dieser Brems­sattel sechs Prozent ungefederte Masse einsparen.

Die 1199 ist das erste Superbike aus Bologna, das weltweit wahlweise mit ABS bestellt werden kann. In Deutschland bietet Ducati die 1199 Panigale nur in den ABS-Versionen an. Und dieses abschaltbare ABS, welches Ducati zusammen mit Bosch entwickelte, hat es in sich: Es bietet Einstellmöglichkeiten, wie es sie bisher bei keinem anderen Motorrad gegeben hat.

Damit sind wir bei der umfangreichen Elektronik des neuen Superbikes angelangt. Diese ermöglicht die unterschiedlichsten Einstellungen je nach Ausführung für Motorsteuerung, Federungseinstellung und Bremsdosierung.

Ride-by-Wire und verschiedene Fahrmodi kennt man ja bereits von der Multistrada und anderen Motorrädern. Vorreiter war hier Aprilia gewesen. Auch die elektrisch verstellbare Öhlins-Federung hat die Multi­strada ja bereits. Bei der 1199 Panigale sind in der S-Version Gabel und Stoßdämpfer mit dieser Technik verbaut. Druck- und Zugstufe regelt hier der Computer, lediglich die Federvorspannung muss manuell mit Werkzeug eingestellt werden.

Neu ist die elektronisch gesteuerte Motorbremse, die recht einfach funktioniert: Im Schubbetrieb werden die Drosselklappen je nach gewählter Einstellung ein klein wenig geöffnet und so das Stempeln des Hinterrades verhindert.

Flaggschiff Ducati Panigale TricoloreDas komplette Elektronikpaket besteht aus: ABS, Ducati Traction Control (DTC), Ducati Electronic Suspension (DES), Ducati Quick-Shift (DQS), Engine Brake Control (EBC) und Ride-by-Wire (RbW). Fast alle Systeme sind in mehreren Stufen verstellbar. Damit sich der Kunde nicht in den schier unendlich vielen Möglichkeiten der elektronischen Einstellungen verirrt, hat Ducati bereits ein paar Fahrmodi vorprogrammiert. Selbstverständlich können aber auch eigene Einstellungen abgespeichert werden. Der Race-Modus stellt die volle Motorleis­tung zur Verfügung und lässt den V2 mit den motorgesteuerten Drosselklappen sehr direkt ansprechen. Die Traktionskontrolle greift erst sehr spät ein, und das ABS wirkt ausschließlich auf das Vorderrad. So kann der Fahrer das Hinterrad am Kurveneingang anstellen. In den Versionen mit elektrisch beeinflussbarer Federung wird die Dämpfung auf straff eingestellt. Dazu wechselt die Darstellung des Cockpits automatisch in den Race-Modus. In der Sport-Einstellung hängt der Motor nicht ganz so giftig am Gas und die Traktionskontrolle nimmt ihre Arbeit früher auf. Das ABS regelt nun die Bremswirkung an beiden Rädern, und die Federelemente stellen mehr Komfort zur Verfügung.

Die dritte Wahlmöglichkeit ist die Regeneinstellung. Sanfte Leistungsabgabe und eine Drosselung auf 120 PS sollen die Fahrbarkeit erhöhen. Die Traktionskontrolle wird automatisch auf sehr empfindlich eingestellt, und das ABS greift besonders früh ein. Dazu soll eine weiche Dämpfung für guten Grip sorgen. Gleichzeitig schaltet der Bordcomputer den serienmäßigen Schaltautomat aus.

Zur weiteren Ausstattung (serienmäßig bei der Tricolore, nachrüstbar bei den anderen Panigale-Modellen) gehört die neueste Variante des Ducati-Datarecordings mit integriertem Laptimer. Dieses arbeitet jetzt GPS-gesteuert und ermittelt so selbstständig die Rundenzeiten und diverse andere Werte wie Drosselklappenstellung, Geschwindigkeit, Drehzahl, Gang, Motortemperatur usw. Die Daten sind sowohl auf einem PC als auch auf einem Mac mit der passenden Software verarbeitbar.

Das neue Cockpit, das genauso wie bei der Diavel in bunter TFT-Bauweise ausgeführt ist, stellt jede Menge Informationen zur Verfügung. Diese Technik bietet nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Darstellung. Über die verschiedenen Anzeige- und Einstellmöglichkeiten des Cockpits könnte man einen eigenen Artikel schreiben.

Eine absolute Neuheit im Motorradbau ist das LED-Licht in der S-Version der 1199 Panigale. Erstmals wurden bei einem Zweirad Abblendlicht und Fernlicht in dieser Technik realisiert.

Dem aktuellen Trend folgend erhielt die Ducati ein kleines, zierliches, kurzes Heck mit zwei Luftdurchlässen. Das Doppelrücklicht ist mit einem hellen LED-Bremslicht ausgestattet. Für die Rennstrecke, und da gehört die Maschine eigentlich hin, lässt sich der Kennzeichenhalter mit Blinkern leicht entfernen.

Ducati wird das neue Superbike weltweit in fünf Versionen anbieten. In Deutschland kommen nur die drei ABS-Varianten in den Verkauf. Die normale 1199 Panigale verfügt über einfachere Federelemente ohne elektronische Verstellmöglichkeiten.

Die Gabel liefert Marzocchi, und Sachs steuert das Federbein und den Lenkungsdämpfer bei. In Deutschland beträgt der Preis 19.795 Euro. 24.795 Euro sollte man für die S-Version mit elektronischer Federungsanpassung, LED-Licht und Car­bon­schutzblech vorne einplanen. In der 1199 Panigale S Tricolore ist das ABS weltweit für knapp 29.000 Euro bereits enthalten. Als weitere Zugaben gibt es neben der schönen Lackierung das Ducati-Datarecording und einen Titan-Rennauspuff.

In den letzten zwei Jahren hat Ducati die Multistrada 1200 und die Diavel vorgestellt. Beide Maschinen wurden zu großen Verkaufserfolgen, und die 1199 Panigale hat das Zeug dazu, ebenfalls gute Verkaufszahlen zu erzielen.