aus bma 2/09

von Thilo Kozik

Ducati 1198 S Bj. 2009Vor der endlos langen, leicht hängenden Rechtskurve auf Start-Ziel hinaus bleibe ich lieber hinter dem Kollegen aus den USA. Der ist zwar einen Tick langsamer, aber das Risiko, ihn in voller Schräglage außen herum aufzuschnupfen, erscheint mir zu groß – wir sind ja nicht beim Rennen. Habe ich jedenfalls gedacht. Da saust mindestens zwei Meter weiter außen ein weißer Blitz vorbei und ist schon sechzig Meter weiter vorn, als wir unsere Motorräder eingangs der Geraden bei gemütlichen 190 Sachen langsam wieder aufrichten. Na gut, der schnelle Herr im weißen Leder ist niemand anderes als der amtierende Superbike-Weltmeister, Troy Bayliss himself. Anlass dieser fürchterlichen Herbrennung ist eine doppelte Premiere: Ducati lud die weltweite Journalistenschar, einer kam sogar aus Taiwan, zum ersten Fahrtest des neuen Flaggschiffs der roten Superbike-Armada, der 1198. Ort der Veranstaltung: Der frisch geschaffene Algarve Racetrack in Portimao, auf dem zwei Wochen zuvor der letzte Superbike-WM-Lauf stattgefunden hatte und den wir als erste „Non-Professionals” befahren dürfen. Und der erste Eindruck ist atemberaubend, das gilt für das Motorrad wie für die Strecke. Bei so vielen nicht einsehbaren Kuppen mit anschließenden kniffligen Kurvenverläufen ist es kein Wunder, dass sich die Superbike- und Supersport-Heroen bei ihrem Rennen so viele Fahrfehler leisteten wie sonst nirgendwo auf der Welt. Wie sollen denn da wir Journalisten-Würstchen zurecht kommen?

 

Also nimmt uns der Weltmeister im ersten Turn wie die Gruppenleiterin im Kindergarten an die Hand und führt uns behutsam an die kniffligen Köstlichkeiten des Kurses heran. Bayliss entpuppt sich als der beste Botschafter, den sich Bologna wünschen kann, immer nett und freundlich lächelnd, scheint dem Superbike-Weltmeister selbst das nasebohrende Rumötteln mit uns Journalisten an der Algarve Spaß zu machen. Eigentlich schade, dass sich der sympathische Australier jetzt zur Ruhe setzt.

In der ersten Pause zwischen den Testabschnitten geht es nur um den Streckenverlauf. Wie fährst Du die hängende Links nach der Gegengeraden an? Wann bremst Du am Ende der Start-Zielgeraden, vor der heimtückischen Senke oder mitten drin? Wo ziehst Du im Bogen bergauf vor der dritten Kuppe das Gas wieder auf? Jeder hat hier sein eigenes Patentrezept, und eins ist klar: Den Kurs lernen wir heute bestimmt nicht, selbst nach einer Woche intensivem Training wird der nicht langweilig.

Ducati 1198 S Bj. 2009In der zweiten Runde wissen wir dann in etwa, dass es rechtsrum geht. Und mit dem bisschen Streckenkenntnis bleibt im Zentralspeicher noch ein wenig Platz für das, was uns um diesen wunderschönen Kurs trägt: Getaucht in die elegante Linie der 1098 zeigt auch das neue Desmo-Superbike das frisch-freche Gesicht mit den angriffslustigen Schlitzaugen über den darunter aufgespannten Nüstern. Auf den ersten Blick tun sich hier keine grundlegenden Unterschiede zur Vorgängerin auf, warum auch, das 1098-Design gefiel fast jedem und polarisierte nicht annähernd wie die Optik der fast schon vergessenen 999. Die Neuerungen verbergen sich vor allem hinter der roten Schale in Form des neuen, Testastretta Evoluzione getauften 90-Grad-Desmo-Twin. Der flüssigkeitsgekühlte Vau legt mit nominell 170 PS bei 9750 U/min rund 10 PS auf die Maximalleistung der 1098 drauf, beim Drehmoment sind es bei 131 gut 9 Newtonmeter mehr bei einer über den gesamten Drehmomentverlauf deutlich fülligeren Kurve. Dazu bedienten sich die Entwickler feinster Zweizylinder-Technologie, von der hauseigenen Rennabteilung im Sporteinsatz entwickelt und schon im limitierten Edelrenner 1098 R eingesetzt: Die 1198 bekam das gleiche, extreme Bohrung-Hubverhältnis mit handtellergroßen Schmiedekolben mit verstärkenden Doppelrippen im 106 mm-Format und einer neuen Kurbelwelle für 67,9 mm Hub. Auch die Drosselklappenkörper mit ovalem Querschnitt, die einem herkömmlichen Durchmesser von 63,9 mm entsprechen, stammen von der 35.000 Euro teuren Vorzeigemaschine. Parallel zur höheren Verdichtung sorgen die vier um je 1,5 Millimeter vergrößerten Ventile für optimale Strömungsverhältnisse bei oberflächenbehandelten desmodromischen Betätigungsorganen, die damit den hohen Drehzahlen widerstehen. Allerdings werden die Brennräume nur von je einer Einspritzdüse gefüttert statt zweier beim „R”-Modell, auch auf die sündhaft teuren Titan-Innereien muss die 1198 verzichten.

Ducati 1198 S Bj. 2009Neben dem modifizierten Innenleben bekommt die 1198 ein neues Kurbelgehäuse, bei dem mit Hilfe eines speziellen Druckgussverfahrens unter Vakuum die Gussqualität deutlich verbessert und die Wandstärken deutlich dünner ausfallen konnten. Dadurch spart allein der Motor drei ganze Kilo gegenüber der Vorgängerin ein.
Eingebettet ist die Kraftquelle in den charakteristischen Gitterrohrrahmen, der allen Ducatis Halt gibt; bei der hier gefahrenen 1198 S in Bronze, die Standard 1198 hat einen schwarzen Rahmen. Weitere Unterschiede sind der Carbon-Kotflügel vorn, das hochwertige Öhlins-Fahrwerk inklusive einstellbarem Lenkungsdämpfer und die leichten Marchesini-Schmiederäder, während die „S”-lose 1198 mit Showa-Federelementen und Zehnspeichen-Gussfelgen kommt.

Mit den edlen Zutaten und geringen ungefederten Massen, allein die Schmiedefelgen sparen zwei Kilo gegenüber den Standardrädern ein, bewegt sich die 1198 S geradezu leichtfüßig über den Asphalt. Umlegen, Einlenken, Wechselschräglagen gehen fast spielerisch von der Hand, da stört selbst der dicke 190er Schlappen nicht, der in der formschönen Einarmschwinge rotiert. Sehr feinfühlig schluckt die TiN-beschichtete USD-Gabel Bodenunebenheiten und liefert dazu ein neutrales, glasklares Feed-back. Schon auf wenige Klicks reagieren die voll justierbaren Elemente mit deutlich veränderter Charakteristik: Bei Parforce-Tempo sorgen sie so jederzeit für eine stabile, satte Straßenlage. Mit den eigens für die Testsession aufgezogenen Gummis der Marke Pirelli Supercorsa SC, den gleichen, die zwei Wochen zuvor noch in den WM-Rennen gefahren wurden, klebt die Duc förmlich am Boden. Durch die irrwitzigen Schräglagen und die wegen der zahlreichen Kuppen extrem softe Fahrwerksauslegung bekommen hier Motorradteile Bodenkontakt, die ansonsten bei Rennern aus Borgo Panigale ein vergleichsweise „ungeschliffenes” Leben führen dürfen: Seitenständer, Schalthebel und Bremshebel zeigen Spuren ihres innigen Verhältnisses zum Asphalt, und durch die enorme Schräglage in der endlosen Rechtskurve vor der Zielgeraden kommt beispielsweise der kleine rechte Zeh des Weltmeisters in den Genuss frischer portugiesischer Luft – Troy hat nicht nur seine Stiefel, sondern auch den Socken bis auf die Haut abgeschrabbelt!

Ducati 1198 S Bj. 2009Dieses Spektakel allein würde jedoch die Differenz zwischen 17790 Euro der Standard 1198 gegenüber den 21990 Euro, die Ducati für die „S” verlangt, nicht rechtfertigen. Vielmehr bietet die 1198 S die erste serienmäßige Traktionskontrolle für Straßenmotorräder mit Zulassung. Das ausgeklügelte System ist eine Errungenschaft der Bologneser Rennsportabteilung Ducati Corse. Die Ducati Traction Control (DTC) werkelt mit den gleichen Algorithmen, die Casey Stoner, Troy Bayliss & Co. im MotoGP und bei der Superbike-WM zu Spitzenplätzen verhelfen: Zwei Drehzahlsensoren ermitteln die Geschwindigkeiten von Vorder- und Hinterrad und senden sie an den Zentralrechner, der die Informationen nahtlos an das Zusatz-Steuermodul des DTC weiterreicht. Dort vergleicht der Minicomputer die Werte, registriert etwaige Differenzen und greift bei Überschreiten eines kritischen Werts nach vorgegebenem Schema regelnd in die Motorelektronik ein. Je nachdem wie groß der Wheelspin ausfällt kürzt das DTC die Spritzufuhr und sorgt über eine Vorverstellung des Zündzeitpunkts für ein geringeres Drehmoment und weniger Zug an der Kette, dadurch bleibt die Traktion am Hinterrad gewahrt. Im Gegensatz zur 1098 R, bei der das DTC nur die Zündung modifiziert, kann hier kein unverbrannter Kraftstoff in den Auspuff gelangen und den Katalysator beschädigen. Wann und wie stark das DTC eingreift, lässt sich vom linken Lenkerende über die Anzeige im Cockpit in acht verschiedenen Stufen einstellen, vom Rennprofi bis zum Anfänger.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass nicht jeder den Eingriff der Traktionskontrolle am Kurvenausgang verspürt, dazu bedarf es einiger Erfahrung. Dafür wird das Eingreifen von Leuchtdioden im Cockpit visualisiert, die Auswirkungen sind am Pirelli-Pneu ersichtlich: Deutliche Zacken im randlichen Abrieb künden vom unterbrochenen Vortrieb.

Ducati 1198 S Bj. 2009Und der ist bei dem neuen Juwel aus Borgo Panigale in der Tat Ehrfurcht gebietend. Etwas hart geht der Desmo-Twin ans Gas, schiebt dann aber imposant und nahezu gleichmäßig bis kurz vor den Begrenzer bei 10500 U/min. Herzhaft gelupfte Vorderräder sind bei dem gigantischen Drehmoment keine Kunst mehr. Dem Spektakel bieten der kehlige Sound aus dem unter der Sitzbank verlegten Doppelschalldämpfer und das schlürfende Ansauggeräusch eine würdige Kulisse.

Glücklicherweise finden die wild preschenden Cavalli in den radialen Brembo-Monobloc-Festsattelzangen absolut adäquate Partner. Die von einer Radialpumpe betätigten Stopper fangen die wilde Rote vor jeder Kurve und nach jedem unvermeidlichen Fahrfehler sehr zuverlässig und punktgenau dosierbar wieder ein.  Ziemlich unerwartet finden sich praxis-taugliche Neuerungen wie ein in Abhängigkeit vom Umgebungslicht leuchtendes LED-Display und serienmäßiger Ausleger-Kit für die Spiegel. Ein Alltagsmotorrad wird die Ducati dadurch aber lange nicht, die 1198 gehört auf Rennstrecken wie die von Portimao. Nur da macht auch die Erfassung der Motordaten Sinn, die sich via USB-Port auf einem Laptop auslesen lassen.

Was bleibt am Ende des Tages? Zum einen Hochachtung für dieses tolle Motorrad und diese geniale Wahnsinnsstrecke, zum anderen Zweifel: Hat sich Troy Bayliss am Ende gar nicht wegen uns Journalisten sondern wegen des roten Renners so amüsiert? Und kommen ihm jetzt Zweifel an seiner Entscheidung, vom Rennsport zurück zu treten?