aus Kradblatt 4/23 von Jörg Braune

402 Meter purer Spaß!

Wie viel der Lauffläche eurer Reifen nutzt ihr eigentlich so? Bei mir sind es 100%! Allerdings ist mein Reifen flach und ich fahre nur gerade aus. Ganze 402 Meter um die Wette mit anderen Verrückten aus der Randgruppe der Dragracer.

Burnout am Vorstadt für mehr Grip
Burnout am Vorstadt für mehr Grip

Seit 2013 betreibe ich diesen Sport, ja das ist es wirklich, in verschiedenen Motorradklassen. Zu Beginn in der tschechischen Meisterschaft, mit einer seriennahen Harley-Davidson Sportster. Die sollte dann natürlich schneller werden, weil mir die Jungs mit ihren Turbo-Hondas und Lachgas-Aprilias dort mächtig um die Ohren gefahren sind. Also Leistungssteigerung! Nur wie?

Geschraubt wird immer
Geschraubt wird immer

In meiner kleinen Kellergarage begann ich dann zu werkeln, einige Erfahrungen hatte ich ja schon mit Straßenharleys gesammelt. Die ganze StVO-Ausstattung wurde entfernt, die Schwinge verlängert, Gewicht eingespart. Der Motor hatte nach diversen Umbaustufen knapp 1600 ccm, erleichterte Pleuel, 14/1 Verdichtung, selbst bearbeitete Kanäle und fast 130 PS. Damit fuhr ich dann zwei tschechische Vize-Titel ein.

Als nächstes sollte es für ein Jahr in die Europameisterschaft gehen. Zu diesem Zweck wurde die Maschine des britischen Meisters gekauft und eingesetzt. Das Bike war ein 120RX-Motor von Screamin’ Eagle, mit um die 140 PS in einem Spezialfahrwerk. Nach einem 6. Platz und dem Titel „Rookie of the Year“ wechselte ich in die deutsche Super Competition Meisterschaft.

Schräglage wird überbewertet
Schräglage wird überbewertet

Und da begann dann der technische Overkill so richtig Form anzunehmen. Leistung ist das Zauberwort und man kann natürlich auch schnelle Harley Dragster kaufen – oder eben selber machen, wenn die Haushaltskasse nicht so prall ist!

Die Überlegung war, einen Turbo anzubauen. Firmen in den USA werben da mit utopischen Leistungswerten und Preisvorstellungen. Inzwischen weiß ich durch eigene Erfahrung, da wird viel erzählt und verdient!

Meine Überlegung war, die chronisch überforderte Kurbelwelle zu verstärken, Kolben mit weniger Verdichtung und ein gescheites Getriebe einzubauen und einen Lader mit Ladeluftkühler zu verwenden. Nachdem das mit dem Austricksen des originalen Steuergerätes doch nicht funktionierte wurde auch noch ein boostfähiges Steuerteil nebst Sensorik fällig.

Ausbaustufe 2
Ausbaustufe 2

Ausbaustufe 1 lieferte bei moderatem Ladedruck auch gleich 260 Pferde auf dem Prüfstand ab. Diese erste Turbosaison war allerdings geprägt von defekten Krümmern, Ladeluftkühlern und Problemen mit der Ölversorgung und den Zylinderkopfdichtungen. Es gab nach jedem Rennen reichlich zu schrauben.

Ausbaustufe 2 bekam neue Kolben, dann eine verbesserte Ölrückförderung, einen verstärkten Ladeluftkühler, die Kurbelwelle bekam ein Stützlager auf der Steuerseite, die Kupplung wurde auch zusätzlich abgestützt. Die Zylinderkopfdichtungen wurden selbst gemacht. Kupfer ist das Material der Wahl, komprimiert durch Edelstahlringe, die in die Köpfe eingelassen wurden. Der Winter war also wieder sehr arbeitsreich.

Die folgende Saison lief wieder gemischt, gute Ergebnisse wechselten sich mit technischen Ausfällen ab. Die Zylinderstehbolzen längten sich im Betrieb und wurden durch dickere ersetzt. Final rissen die dann aus dem Motorgehäuse und zerstörten dieses damit.

Neue Kolben und Zylinder
Neue Kolben und Zylinder

Ausbaustufe 3 bekam nun ein verstärktes S&S Gehäuse, neue, größere Kolben nebst selbst gemachten Zylindern mit zusätzlichen Schraubpunkten für die Köpfe, dafür ohne Kühlrippen. Der Turbo wurde größer und wanderte von seinem Platz vor dem Kurbelgehäuse, rechts neben das Nockenwellengehäuse, damit entfiel auch die zusätzliche Ölrückförderpumpe. Ein modifizierter Ladeluftkühler musste dann noch sein und der Rahmen musste geschweißt und verstärkt werden.

Diese Version war recht erfolgreich, der 5. Platz in der Meisterschaft und keine großen Schäden während der Saison. Nur ein geänderter Kraftstoffdruckregler sowie Service und Abstimmarbeiten fielen an. Nun liegt das Bike wieder in Teilen in meiner Werkstatt. Der Rahmen muss erneut verstärkt werden, es sind wieder Risse an den hochbeanspruchten Motorhalterungen aufgetreten. Mal sehen was ich sonst noch so finde.

Sportlich soll es endlich wieder mal aufs Treppchen gehen. Das ist übrigens oft wirklich „sportlich“! Wenn man zum Beispiel nach durchschraubter Nacht, bei 35 Grad, eine Stunde im Vorstart steht und auf seinen Einsatz warten muss, weil ein Mitbewerber (meist ein Auto) Öl auf die Strecke gebracht hat. Welches natürlich erst beseitigt wird. Dann hochkonzentriert an der Ampel steht, bei 4000 Umdrehungen, genau im richtigen Augenblick die Kupplung schnappen lässt, um den Gegner schon in den ersten der 8,8 Sekunden, die der Lauf dauert, entscheidende Meter abzuknöpfen. Dann jedes mal exakt, wenn der Schaltblitz angeht, die Druckluftschaltung zu bedienen und das Gefährt nach 402 Metern aus mehr als 235 km/h, mit einen Hinterrad das nur 0,4 Bar Luft hat, sicher zum stehen bringen.

Wer das gern mal selbst in Augenschein nehmen möchte, kann gerne bei einem der Rennen der SCB Klasse vorbeikommen, inklusive Benzin quatschen im Fahrerlager.

Terminkalender SCB + SCJ 2023: 6./7. Mai, Airportdays Lärz (www.airportdays.de); 8.–11. Juni, L8Night Lausitzring (www.l8-night.de); 1./2. Juli sowie 5./6. August, Zerbst (www.amc-dessau.de); 25.–27. August, Nitrolympx Hockenheim (www.nitrolympx.de); 30.9/1.10, Zerbst (www.amc-dessau.de).

Ausstellungen: 3. Juni: Buell Treffen Mitteldeutschland;  22./23. Juli: Harley Days Dresden.

Dragracing: Familiensport inkl. Nachwuchsförderung
Dragracing: Familiensport inkl. Nachwuchsförderung