aus bma 05/07

Text und Fotos: Frank Sachau 

Dolomiten - Passo di LavazeDauerbrenner Dolomiten: Jenseits des Alpenhauptkammes, zwischen Etsch und Piave, gehen Bikerträume in Erfüllung. Schräglagenakrobaten finden ihr Mekka auf den mitreißenden Berg- und Talstrecken, die tausend Kurven, aber kaum eine Gerade bieten. Fahrspaß und Adrenalinschübe werden selbstverständlich mitgeliefert. Altes immer wieder neu entdecken: Nach Lust und Laune kann man sich für die unscheinbaren Pässe abseits der Hauptstraßen entscheiden. Schmale, kurven- und kehrenreiche Strecken, die einen sicheren Fahrstil voraussetzen, und dunkle Wälder, die nur selten Bergblicke zulassen. Oder die klassischen Paßstrecken der Dolomiten wählen – große Namen, breite Straßen, romantische Bergseen und an Wochenenden überlaufene Scheitelhöhen.
Es war einmal: Zwergenkönig Laurin war stolz auf seinen Rosengarten, bis Feinde in sein Reich einfielen und den kleinen Kerl gefangen nahmen. Außer sich vor Wut stieß er einen Fluch aus: Die Blumen sollten sich in Felsen verwandeln und tagsüber nie mehr leuchten. An die Zeit der Dämmerung dachte König Laurin jedoch nicht. Seitdem leuchten die Bergspitzen zum Sonnenuntergang in zartem Rosa.
Wir genießen die gut ausgebaute Trasse zum Karerpass (1745 m) – rechts die Vajolet-Türme und die Rote Wand, links die Zinnen der Latemargruppe. Die Paßhöhe fliegt vorbei, dunkle Tannen säumen den Weg. Plötzlich reges Treiben im Nadelwald. Touristenschwärme steigen hinab zum Karersee. Mit 250 Metern Länge und 125 Metern Breite wahrlich kein Riese, glänzt er doch mit anderen Qualitäten – am Ufer angekommen, bietet sich uns ein romantisches Bild: Berge, Himmel und Wolken spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Übertroffen wird die Postkartenstimmung nur noch von der Sage vom Seejungfräulein, das einst den Regenbogen in den See gezogen haben soll.

 

Genug der Märchenstunde, rauf auf die Maschinen und los geht’s Richtung Birchabruck, dort links ab, Ziel: Cavalese. Die 23 Kilometer lange Verbindung zwischen Eggental und Fleimstal führt über das Lavazejoch (1808 m) und bietet so ziemlich alles, was Motorradfahren schön und spannend macht. Hände und Füße sind immer in Bewegung und die Stoßdämpfer werden auf’s Äußerste gefordert. In Cavalese angekommen, folgen wir auf der eher langweiligen Hauptstraße dem Flußlauf des Avisio stromaufwärts, um dann bei Predazzo ins Val Travignolo Richtung Rollepaß (1989 m) abzubiegen. Die Paßhöhe ist einen Besuch wert. Rastplätze laden zum Verweilen ein und bieten so ganz nebenbei den Prachtblick auf das „Matterhorn der Dolomiten”, die Cimone della Pala. Um den Passo Valles (2031 m) und den Passo San Pellegrino (1919 m) erstürmen zu können, müssen wir ein kleines Stückchen bis zur Abzweigung Falcade zurück fahren.
Ein paar Kilometer später lassen wir uns im Rifugio am Passo Valles mit typisch regionaler Küche verwöhnen. Gut gestärkt zirkeln wir zum Pelegrinopaß hinauf. Die zahlreichen Skilifte stehen still, Hotels und Geschäfte sind geschlossen, nur im Winter ist hier oben etwas los. Die Straße senkt sich ins Pelegrinotal – also Schußfahrt hinab nach Moena, wo wir auf die SS 48 treffen. Ganz gemächlich gewinnt die Straße durchs Fassatal an Höhe, wird zur „Großen Dolomitenstraße Bozen – Cortina” und schraubt sich ab Canazei in 25 Kehren hinauf zum Passo Pordoi (2239 m), um dann in unglaublichen 33 Kehren nach Arabba hinabzustürzen.
DolomitenDas im Herzen der Dolomiten gelegene Hotel Evaldo der Familie Lezuo kennen wir aus vergangenen Motorradreisen, in den Sommermonaten ist es fest in den Händen der Zweiradfahrer. Nach einem hervorragenden Menü lassen wir den Tag an der Bar ausklingen. Am frühen Morgen, die Quecksilbersäule verharrt bei 6 Grad Celsius, schieben wir unsere Motorräder vor die Hotelgarage. Die Sonne versteckt sich noch hinter den Bergkämmen, der Atem läßt das Visier beschlagen. Die Vergaser bekommen den weit gezogenen Choke zum Frühstück, und die Heizelemente in den Griffgummis nehmen den Kampf gegen die Kälte auf. Noch im Ort beginnt die Serpentinensinfonie über den Passo di Campolongo (1875 m) nach Corvara. Später begleiten wir den Gaderbach auf seinem Weg nach St. Martin, wo wir die Hauptstraße verlassen und links in den bewaldeten Weg zum Würzjoch eintauchen. Die stark befahrenen Strecken der Dolomiten sind weit weg, hier sagen sich Hase und Fuchs noch persönlich „Gute Nacht”. Eiskalte Luft mogelt sich am Halstuch vorbei bis unter die Jacke. Da kommt eine Teepause in der Würzjochhütte am Passo delle Erbe (1987 m), dem wenig bekannten Paß zwischen Gader- und Eissacktal gerade recht. In uns keimt die Hoffnung auf angenehme Temperaturen und etwas Sonne unten im Villnösser Tal.
Kaum haben wir Klausen erreicht, bummeln wir ein paar Kilometer parallel zur Autostrada, um bei Waidbruck ins Grödner Tal einzureisen. Nachdem Wolkenstein durchfahren ist, können wir Traumblicke auf die berühmten Bergriesen Sella und Langkofel erhaschen. Am Hotel Miramonti stoßen wir auf die beliebte Sellarunde: Grödner- und Sellajoch sowie Pordoi- und Campolungopaß bieten eine 56 Kilometer lange Dolomitenetappe, die ihresgleichen sucht. Kommt die Westrampe hinauf zum Passo di Gardena (2121 m) recht zahm daher, verlangt die Abfahrt hinunter in den Talkessel von Corvara mit seinem alles überragenden Sass Songher sicheres Handling und eine gesunde Portion Vorsicht. Wir halten uns links, um nach knapp fünf Kilometern unsere Reise durchs malerische St. Kassiantal und Abteital hinauf zum Valparolajoch fortzusetzen. Die Paßhöhe (2192 m) wird auf der linken Seite von bizarren Felsformationen überragt, auf der rechten liegt die zerschossene Ruine des altösterreichischen Sperrforts mit seinem an eine Mondlandschaft erinnernden Trümmerfeld. Graue Wolken scheinen die Dolomitengipfel zu berühren, Schnee liegt in der Luft, Mitte September keine Seltenheit.
DolomitenAm Passo di Falzarego (2105 m), dem höchsten Paß der östlichen Dolomiten, treffen wir wieder auf die „Große Dolomitenstraße” und halten uns rechts, um über zwanzig Kehren und durch dichte Lärchenwälder hinab ins Buchenstein zu wedeln. Immer wieder tauchen Hinweise auf Museen und Soldatenfriedhöfe auf, die Dolomitenfront war im ersten Weltkrieg stark umkämpft, ganz besonders der über uns aufragende Col di Lana. Das als Nachschubstraße angelegte Teerband gilt noch heute als Meisterwerk der Straßenbaukunst. Leicht fröstelnd fällt mir ein beliebter Bikerspruch ein: „Lieber kalt und trocken, als warm und naß”. Da ist was dran! In Gedanken schon im heißen Whirlpool, spulen wir die letzten Kilometer bis zum Hotel ab.
Am nächsten Morgen machen wir bei Kaiserwetter dort weiter, wo wir am Vorabend aufgehört haben. Hinter uns knistern die abkühlenden Motoren, als wir über die Falzaregopaßhöhe zur Seilbahnstation schlendern. Kaum haben wir unsere Tickets gelöst, drängen wir uns mit zahlreichen Kniebundhosenträgern in die Minigondel. Ich suche nach einem Hinweisschild. Der Bundesminister der Motorradfahrer warnt: Biker, die Angst vor großen Höhen haben, oder Unbehagen in engen Räumen empfinden, sollten diese Tour meiden! In wenigen Minuten legen wir einen Höhenunterschied von fast 700 Metern zurück und betreten die Aussichtsplattform auf dem Kleinen Lagazuoi. Unsere kleine Gruppe ist für einen Moment völlig sprachlos – der Blick über die umliegenden Dolomitengipfel ist einfach überwältigend! Wir beschließen, den in der Sonne blinkenden Firnfeldern der Marmolada am Nachmittag einen Besuch abzustatten. Der abgedroschene Spruch „der Weg ist das Ziel” hat seine Berechtigung, denn wir planen einen Umweg über Cortina d’Ampezzo ein. Die Olympiastadt der Winterspiele von 1956 liegt malerisch in einem Talkessel, umgeben von zwei- bis dreitausend Meter hohen Granittürmen mit klangvollen Namen wie Monte Pelmo, Tofana di Mezzo und Monte Cristallo. Einen schönen Blick auf das hölzerne Olympiastadion haben wir von der Auffahrt zum Passo Tre Croci (1809 m), wo der Sage nach eine Mutter mit ihren beiden Kindern in einem fürchterlichen Schneesturm ums Leben gekommen sein soll.
Seilbahn zum Sass PordoiWenig später sitzen wir am Misurinasee beim obligatorischen Cappuccino und zweifeln an unseren Zählkünsten, denn von den berühmten Drei Zinnen sind nur zwei zu entdecken. Der Gastwirt weiß Rat und empfiehlt uns die mautpflichtige Straße hinauf zur Auronzo-Hütte, von dort aus wären sie in ihrer vollen Schönheit zu bewundern. Wir feiern die Kurven und Kehren wie sie fallen, also anlassen und los! Glaubt man den Gerüchten, werden in naher Zukunft die wichtigsten Dolomitenpässe nicht mehr kostenfrei passierbar sein. Denn in Zukunft sollen am Stilfser Joch, Timmelsjoch und Staller Sattel Gebühren fällig werden. Später vollenden wir die Umrundung der Cristallogruppe und verlassen Cortina über eine anmachende Serpentinenkombination mit Kurs auf den Falzaregopaß. In Pocol biegen wir links in die bewaldete Bergstrecke zum Giaupaß ein. Wie überall setzen Schnee und Eis den Bergstraßen kräftig zu, nur das Nötigste wird im kurzen Sommer ausgebessert, und so springen wir von einem Frostaufbruch zu nächsten. Egal, die Trasse über den Passo di Giau zählt zu den schönsten Motorradtouren in den Dolomiten und sollte in keiner Sammlung fehlen. Ist erst die recht unübersichtliche Waldstrecke durchfahren, warten jede Menge Kehren mit hohem Spaßfaktor auf die gepflegte Schräglage. Auf der Scheitelhöhe (2236 m) ist Anhalten Pflicht! Es locken das Gasthaus, das Panorama der imposanten Bergriesen und eine himmlische Ruhe. Von nun an geht’s bergab! Gut gestärkt setzt sich der Fahrspaß hinunter nach Rocca Pietore nahtlos fort, kritisch beäugt von am Wegesrand wiederkäuenden Rindviechern.
Wir gelangen in das Paradies der Holzschnitzer und Kunstschmiede. Ob klitzekleine Rehe oder mannsgroße Bergsteiger, hier gibt es alles, was man aus Holz schnitzen kann. In unmittelbarer Nachbarschaft warten eiserne Vögel, Schmetterlinge und skurrile Krabbeltiere auf ihren Käufer. Am kleinen Ort Sottoguda konnte man bis vor kurzem die Hauptstrecke verlassen und in die gleichnamige, rund zwei Kilometer lange Schlucht eindringen. Die steilen Felswände, die scheinbar in den Himmel wachsen, lassen kaum Platz für den schmalen Fahrweg und den wildromantisch dahinplätschernden Gebirgsbach. Hier unten läßt sich die Sonne nur erahnen, ein Paradies für Moose und Farne. Doch nun versperrt ein Poller die Zufahrt. Völlig gefrustet halten wir auf der Brücke nach dem Ort an und werfen einen Blick in die schwindelerregende Tiefe der Schlucht. Wir reißen uns los und nach wenigen Fahrminuten erreichen wir den Fedaiapaß (2054 m) und den daran anschließenden Stausee. Die am Westende gelegene Staumauer ist legal befahrbar und führt direkt an den Fuß der mächtigen, eisgepanzerten Marmolada, die nicht zu Unrecht ihren Beinamen „die Schimmernde” trägt. Vorfreude ist die schönste Freude – ganz lässig genießen wir auf der Sonnenterrasse des kleinen Cafés warmen Apfelstrudel mit Vanilleeis und Schlagsahne, bevor der Kurventanz über den Passo Pordoi (2239 m) beginnt. Zwischen Canazei und Scheitelhöhe wollen 25 Kehren mit Hingabe bezwungen werden. Dann wird die dicke Kette ums Vorderrad geschlossen und die Fahrkarte für die Seilbahn auf den Sass Pordoi gekauft. Es knackt gewaltig in den Ohren, wenn die Kabine erst zaghaft Fahrt aufnimmt, um dann plötzlich an den steilen Berghängen emporzuschießen. 700 Meter in paar Minuten! Auf dem Aussichtsbalkon des Sass Pordoi angekommen, lassen wir uns von der 360º-Panoramasicht über die gesamten Dolomiten verzaubern. Bei besonders klarem Wetter kann man von hier, links an der Marmolada vorbei, sogar ein Stückchen der Adria erkennen. Mit der letzten Gondel kehren wir zu unseren Bikes zurück und genießen anschließend jede der 33 Kehren hinab nach Arabba mit allen Sinnen, quasi als Vorspeise zu dem hervorragenden Menü, daß uns im Hotel Evaldo erwartet.