aus bma 12/01
von Frank Schmiester
„Schade nur, dass in sieben Monaten schon wieder alles vorbei ist”, meint Alexandra im April, denn unsere Flat-Twins sind seit ihrer Erstzulassung mit Saisonkennzeichen und einem Zulassungszeitraum von April bis Oktober eines jeden Jahres ausgestattet. Dabei sind es genau genommen noch nicht einmal ganze sieben Monate, die unbeschwertes Motorradvergnügen ermöglichen. Denn spätestens ab Mitte September fällt der Regen in der norddeutschen Tiefebene erfahrungsgemäß so beständig und kalt, dass längere und genussvolle Ausfahrten nur noch sehr eingeschränkt möglich sind. Eine Saisonverlängerung bis in den Oktober hinein kann da nur eine Reise in den sonnigen Süden bieten, um für den Herbst und Winter noch einmal ausreichend Sonne zu tanken.
Sonniger Süden bedeutet Ende September aber eine nicht unerheblich weite Anreise, die zu dieser Jahreszeit dann auch schon ziemlich ungemütlich ausfallen kann. Aber wofür gibt es Autoreisezüge, die wir ohnehin immer schon einmal ausprobieren wollten. Gesagt, getan. Die Bahn bietet im September unter anderem noch Direktverbindungen nach Livorno, Avignon und Narbonne an.
Mit 1800 Kilometern ist Narbonne der entfernteste und zugleich auch der südlichste Zielbahnhof und damit bereits favorisiert. Die mühsam aus dem Prospekt herausgesuchten Bahn-Verbindungen sind bereits ebenfalls ein halbes Jahr im voraus ausgebucht. Sollte das also bereits das Ende unserer Saisonverlängerung sein? Doch der freundliche Schalterbeamte scheint Mitleid zu haben und beginnt, vehement auf seinem Computer herumzuhacken und etliche Telefonate zu führen. Das Ergebnis seiner Bemühungen: Die anvisierten Reisetermine sind möglich, allerdings nicht von und nach Bremen, sondern von Düsseldorf und zurück nach Hamburg. Das liegt zwar nicht so richtig vor der Tür, aber immerhin…
Als wir dann sechs Monate später im Düsseldorfer Hauptbahnhof auf den Autoreisezug fahren, erweist sich die für Motorradfahrer während der Verladung bestehende Helmpflicht als durchaus sinnvoll. Motorräder werden grundsätzlich in der nur 1,60 Meter hohen unteren Etage des doppelstöckigen Waggons verstaut und da stößt man schnell an einen Stahlträger. Also, gut gebückt ans Werk, damit auch der Helm keine Kratzer abbekommt.
Die Abteile in den Liegewagen erweisen sich als ebenso eng. Wir haben Glück und teilen uns unser Abteil mit einem netten, Cabriolet fahrenden Ehepaar aus Hameln und sind froh, dass Cabriolet-Fahrer weder Helm noch Schutzkleidung tragen. Zwei weitere Helme, Jacken, Hosen und Stiefel wären kaum noch im Abteil unterzubringen gewesen.
Um 9.20 Uhr erreichen wir dann tatsächlich am nächsten Tag fast pünktlich Narbonne. Wegen der nicht gerade ruhigen und etwas unbequemen Nacht im Schlafwagen nehmen wir zwar nicht richtig relaxed, aber auch lange nicht so k.o. wie nach 1800 Autobahn-Kilometern, die letzten Kilometer von Narbonne nach Moux unter die Räder. Dort ist man noch mit dem reichhaltigen Frühstück beschäftigt, so dass wir von Rosi und Rolf mit großem Hallo erst einmal aufgefordert werden, uns irgendwo dazu zu setzen, einen Kaffee zu trinken und etwas zu essen.
Am späten Vormittag kommt die Sonne heraus, und wir werden in den Nachbarort Montbrun zum Weingut von Madame Galy geleitet, das ruhig und verträumt in der Sonne liegend auf uns wartet. Dann steht weiteren Taten nichts mehr entgegen und ein erster Blick auf die Michelin-Karte Nr. 235 verheißt unendlich viele kleine Straßen, die meisten davon grün berandet.
Wir entschließen uns, als erstes nach Norden in die „Montagne Noire” zu fahren, die schon dem Namen nach eine Ähnlichkeit mit dem Schwarzwald ahnen lassen. Die durch das Tal der Aude Richtung Norden in die Montagne Noire führenden Sträßchen erweisen sich dann tatsächlich auch als Leckerbissen. Gerade einmal anderthalb Autos breit, winden sie sich durch die liebliche und von unzähligen Weinreben geprägte Landschaft. Bei Homps überqueren wir die Aude und wenig später den parallel verlaufenden Canal du Midi, der seit 1681 mit einer Länge von insgesamt knapp 250 Kilometern und mit über 60 Schleusen das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet.
Wenig später passieren wir das Örtchen Minerve, dessen Häuser spektakulär inmitten einer Schlucht am Abgrund stehen. Immer weiter kurven wir durch die Montagne Noire mit den zu dieser Jahreszeit diffusen Lichtverhältnissen, die durch das Spiel von Licht und Schatten unwirkliche Bilder entstehen lassen bis wir die Baumgrenze und schließlich den 1211 Meter hohen Pic de Nore erreichen. Von dort genießen wir den Ausblick zurück in die Niederung der Aude und ins Haute Languedoc.
Auf dem Rückweg nach Montbrun kurven wir durch die Gorges de la Clamoux nach Puicheric. Kurz vor Puicheric kreuzt die D 111 den Canal du Midi und unmittelbar neben der Straße befindet sich eine jener der über 60 Schleusen. Hier kann man den Hausbootkapitänen stundenlang beim Schleusen zusehen. Der besondere Reiz liegt darin, dass die meisten ihre Boote erst kurz zuvor übernommen haben und Puicheric damit zu den ersten Schleusen zählt. Es kann daher bei den meisten Bootsbesatzungen von einer gewissen Unerfahrenheit mit dem Schleusen ausgegangen werden. Diese Unerfahrenheit zusammen mit der Art, in der der französische Schleusenwärter die Bootsbesatzungen anweist, macht für den unbeteiligten Zuschauer den Reiz der Angelegenheit aus.
Nachdem die erste Ausfahrt in den Norden führte, soll es nun in südliche Richtung gehen. Sofern nicht gerade ein französischer Straßenbautrupp der Meinung ist, dass etwas „Gravillons” (Schotter) nicht schaden könnte, sind die Sträßchen südlich von Montbrun ebenso wie die Straßen in den nördlichen Montagne Noire mit außerordentlich griffigem Asphalt bedeckt. So griffig, dass einerseits zwar kecke Schräglagen möglich sind, andererseits aber auch die Profiltiefe – wie wir später feststellen – ungewöhnlich schnell abnimmt. Nervig sind allein die unzähligen Bodenwellen, die die ganzen Corbieren verunzieren. Die Motorräder werden dadurch immer wieder heftig durchgeschüttelt. Selbst 20 Zentimeter Federweg vorn und hinten können da oft nicht mehr viel glattbügeln. Aber durch das gute Wetter und die schöne Landschaft werden wir mehr als entschädigt.
Von Montbrun fahren wir auf kleinsten Sträßchen nach Cuiza, wo wir links auf ein Bergsträßchen nach Rennes le Chateau abbiegen. Oben bietet sich vom Schloss ein erster Blick auf die Pyrenäen. Nachdem wir uns satt gesehen haben, fahren wir auf der D 14, in deren Verlauf sich eine Kurve an die nächste reiht, zur bekanntesten Schlucht der Corbieren, der Gorges de Calamus. Dort schlängelt sich die einspurige Straße abenteuerlich in halber Höhe zwischen Gipfel und Abgrund eng am Felsen entlang. Wir sind von dem Kunstwerk, das die Natur hier in tausenden von Jahren geschaffen hat, beeindruckt und lassen daher die Boxer nur im Schritttempo laufen.
Nach Durchquerung der Gorges du Calamus kurven wir weiter zum Chateau de Peyrepertuse. Wie bei vielen anderen Schlössern in der Gegend auch, mussten die Bauherren des Chateau de Peyrepertuse die natürlichen Gegebenheiten des Bau- grunds bei der Planung und Errichtung des Schlosses berücksichtigen. Und weil das Chateau de Peyrepertuse auf einem langen aber ebenso engen Felsgrat errichtet wurde, ist zwangsläufig auch das Schloss lang und eng. Für die Rückfahrt nehmen wir die D 613, die sich mit schönen, zum Teil auch langgezogenen Kurven sportlich-dynamisch fahren lässt.
Bei unserem nächsten Ausflug lassen wir die Motorräder dann Richtung Osten rollen. Nach 30 Kilo- metern ist aber in Narbonne bereits die Mittelmeerküste erreicht, so dass wir den Kurs ändern und gen Südosten steuern. Hier fahren wir bis in Höhe von Perpignan an sogenannten „Etangs” entlang. Es handelt sich um mit Süßwasser gefüllte Seen auf der Binnenseite der Küstenstrände, die lediglich durch schmale Landstreifen vom Mittelmeer abgetrennt sind. Damit bieten sie idealen Lebensraum für Flamingos, und man kommt sich wie in die Carmargue versetzt vor. Ab Port-Vendres wird die bis dorthin etwas monotone Küstenstraße interessant. In immer engeren Kurven folgt sie gewagt der Linie zwischen Küste und Gebirge und bietet dabei immer wieder faszinierende Ausblicke. Ein unbestrittenes Highlight ist in dieser Hinsicht das unmittelbar hinter dem Grenzübergang nach Spanien liegende Cap Cerbere.
Wir folgen der Küstenstraße weiter bis hinunter nach El Port de la Selva, wo wir eine Rundfahrt durch das Hinterland über Cadaques, Roses, Vilajuiga das Castell de San Salvador einlegen. Fast überall hinter der Küstenlinie ist die Vegetation jedoch Bränden zum Opfer gefallen und es stehen nur noch verkohlte Reste ehemaliger Bäume und Sträucher. Es riecht, als führen wir durch einen riesigen, mit Asche gefüllten Holzkohlegrill. Wir beschliessen daher, auf dem selben Weg bis zum Cap Cerbere zurückzufahren.
Hinter der Grenze nach Frankreich halten wir uns dann landeinwärts und schwingen nordwärts durch die Pyrenäen. Dabei entdecken wir bei Boulternere zufällig ein ganz witziges Verkehrsschild, denn ein Schild „kurvenreiche Strecke” wurde hier um den Schriftzug „Virages sur 43 km” (Kurven auf 43 km) ergänzt.
Vom Kurvenschwingen regelrecht „beschwippst” erreichen wir abends wieder unser Quartier auf dem Weingut von Madame Galy in Montbrun.
Nach der Küstenstraße im (Süd-) Osten, den Pyrenäen im Süden und Montagne Noire im Norden sind wir schließlich gespannt auf die Landschaft im Westen. Wir nehmen daher Kurs auf das Städtchen Carcassonne. Aber nicht auf direktem Weg, sondern über die vielen kleinen Nebenstrecken südlich der N 113 durch verträumte Orte mit so wohlklingenden Namen wie Camplong-d’Aude, Arquette-en-Val und Mas-des-Cours. Dabei ergeben sich immer wieder reizvolle Ausblicke auf das von Weinreben übersäte weite Tal der Aude. Da Ende September auch die Zeit der Weinernte ist, haben die südfranzösischen Weinbauern alle Hände voll zu tun und tuckern unermüdlich mit ihren Minitraktoren über die Wirtschaftswege und die Landstraßen, um die Ernte einzufahren. Ein bißchen Vorsicht ist daher auf den abgelegenen, unübersichtlichen Straßen immer angebracht.
Über Cazilhac steuern wir die BMWs schließlich nach Carcassonne, das mit seiner „Cite” – der mittelalterlichen Stadtmauer, den darin stehenden mittelalterlichen Häusern und zwangsläufig auch den Heerscharen von Touristen – das französische Rothenburg ob der Tauber zu sein scheint. Aber trotz der Touristenmassen ist ein Besuch in diesen historischen, aber gut erhaltenen bzw. restaurierten Gemäuern zu empfehlen.
Auf der Weiterfahrt zwischen Arques und Fourtou verabschiedet sich dann auch kurzzeitig der Asphalt und macht unerwartet einem traktionsstörenden und adrenalinfördernden Naturbelag Platz. Den ganzen Tag schrauben wir uns durch scheinbar unendliche Kurvenkombinationen, bis wir abends erschöpft aber zufrieden wieder unser Quartier erreichen.
Nach zwei Wochen Saisonverlängerung in Montbrun wissen wir jetzt, dass die südfranzösischen Corbieren von einem wollknäuelartigem Gewirr schönster Motorradstrecken durchzogen sind und sich Touren in alle Himmelsrichtungen unternehmen lassen, die sowohl ins Gebirge als auch ans Meer führen können. Die An- und Abreise mit dem Autoreisezug hingegen ist sicherlich nicht jedermanns Sache, bietet aber handfeste Vorteile. Man spart zwei volle Urlaubstage, indem man erst nachmittags auf den Zug rollt und bereits am nächsten Morgen sein Ziel erreicht. Damit ist der Autoreisezug zwar schnell, aber mit 1600 Mark für zwei Personen und zwei Motorräder auch nicht ganz billig. Berücksichtigt man jedoch, dass die Fahrt auf eigener Achse mit Benzin für 3600 Kilometer, Autobahngebühren und zwei zusätzlichen Übernachtungen (jeweils mal Zwei) – zu Buche schlägt, relativiert sich der Preis doch.
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