aus bma 03/07

von E. Grygas

B 37 am Neckar Deutschland ist groß, seine Landschaften vielfältig, die Straßen endlos, ihre Kurven ungezählt, weit und blau spannt sich der Himmel darüber, allenthalben wohnen Freunde und mittendrin beginnt der Urlaub. Pfingsten steht vor der Tür. Wir werden sehen, wer zu Hause ist und wohin der Weg uns führt.
Sachsen-Anhalt, an der Elbe zieht sich die flache Landschaft hin aber der Fluß bleibt verborgen. Nach Thüringen, Rudolstadt, zu Gerd ist es noch weit. Ich wechsele auf die Autobahn. Bernburg, Halle, der Verkehr wird immer dichter. Am Schkeuditzer-Kreuz ist Stillstand. Leipzig fährt ins lange Wochenende. Zeit, Gerd anzurufen, die Karte zu studieren, Pause zu machen. Auf dem einzigen schattigen Plätzchen des Rastplatzes, im Halteverbot unter den großen Kiefern lehnt ein Polizist an seinem Auto. Was der kann…
Ich breite die Karte aus und schraube die Thermosflasche auf, da kommt er gemächlich auf mich zugeschoben. „Na?”, denk’ ich, und er meint: „Kein Vorankommen mehr, was? Guckst nach einem Schleichweg? Wo soll es denn hin gehen?” „Nach Rudolstadt.” „Nach Süden reicht der Stau nicht weit. Dahinten nicht wieder auf die Autobahn, sondern ganz rechts halten.” Er zeigt in Richtung Leipzig. „Die Straße führt auf die B6, da dann zur A9. Ab Schkeuditz ist nach Süden alles frei.” Er tritt zurück. „Schöne Maschine, hätte ich auch gern so was. Also, dahinten nach rechts, ist nicht weit und besser, als zwischen den Autos durch. Gute Fahrt.” Er hebt zum Gruß die Hand und geht seinem Kollegen entgegen.

 

Gerd ist nicht zu erreichen. Macht nichts, Thüringer Wald, er könnte sicher so manches zeigen. Aber alles ist neu, da hat auch der Zufall viel zu bieten. Von Stadtroda nach Kahla, früher Abend, es geht bergauf, wunderbar beleuchtete Kuppen, Wälder stehen dunkel zwischen leuchtenden Wiesen. Es geht an der Saale entlang. Am Römer-Castel bei WelsheimKlippen ragen auf, erst einzeln zwischen den dichten Bäumen, vereinen sie sich zu Felswänden deren Spitzen im Abendrot glühen. Rudolstadt, alte Industrieanlagen säumen die Einfahrt, verschlafen liegt die Innenstadt, die Hotels belegt, kein Hinweis auf einen Zeltplatz. Eine Frau wässert ihre Blumen. In Mörla, sagt sie, ein Gasthof, dort solle ich fragen. Abseits der Stadt klebt das Dorf hoch oben am Hang. Am Ende der schmalen Straße, Tische unter mächtigen Bäumen, Biertrinker auf der Veranda, freundlich leuchtende Fenster. Ein kleines Zimmer und eine kalte Schlachtplatte als Abendessen, wenn es mir genüge. Still liegt das romantische Haus schon beinahe im Wald. Ich geselle mich zu den Biertrinkern, verspeise genüßlich die üppige Schlachtplatte und trinke frisches Bier. Das Handy brummelt. Wann ich denn endlich komme, will Andreas wissen. Er hat sein Ferienappartment über Pfingsten frei gehalten. Ich hatte gemeint, ich schau’ auf eine Tasse Kaffee rein.
  Also Planänderung. Andreas wohnt in der Schwäbischen Alp. Abends wird er mich vor dem Bahnhof in Ehingen erwarten, aber noch glitzert der Morgentau im Thüringer Wald. Eng drängen sich Hügel aneinander, fallen steil ab. Unten eilen Bäche durch dichtes Gebüsch. Aus ihrem Bett steigt gleich die nächste Höhe auf. Die Straße windet sich an ihrer Flanke entlang. Bis zur B281 in Neuhaus hätte es so gehen sollen, nun treffe ich sie in Limbach. Es ist auch schön sich zu verfahren. Coburg, Bamberg, Höchststadt, asphaltfressen, Bad Windsheim. Es reicht, ab in die Frankenhöhe, war ich auch noch nie, und durchgekurvt nach Rothenburg. Durchs Stadttor gerollt kommt mir mit „Tärä” und „Dschingbumm” ein Umzug entgegen. Die Männer tragen Renaissance-Trachten. Warum? Bis ich den Helm vom Kopf habe, sind sie vorbei marschiert. Kurz die Karte befragt. Zeit für das Käffchen und den Stadtrundgang ist nicht. Eigentlich! Andreas wartet, und ich brummel auch noch bis Feuchtwangen durch die Landschaft. A7, Ulm, die B 111 führt wie es scheint über irgendwelche Hinterhöfe aus der Stadt. Im Westen erhebt sich ein riesiger Gewitteramboß, da drunter ist der Himmel schwarz. Dort liegt Ehingen, da soll ich hin. Es geht an der Donau entlang, während der Wind immer weiter auffrischt. Dicke Tropfen klatschen gegen den Helm. Wo ist der Bahnhof? Der Wind legt sich, es tropft nicht mehr, da sind der Bahnhof und Andreas. Noch ein Stück an der Donau entlang, es scheint finsterste Nacht. Munderkingen, Emmerkingen, Blitze zucken, Donner krachen. Andreas öffnet das Garagentor, der Himmel die Schleusen. Wir stehen beide im Trocknen und lachen.
Deutschland-TourDer nächste Tag ist verregnet. Wir besuchen das Ulmer Münster. Gegen Abend klart es auf. Die Luft ist lau, die Grillwurst würzig, das Bier süffig, die Nacht lang…und der Morgen hart. Kalte Dusche, kräftiges Frühstück und los geht es. Andreas, gewöhnlich fährt er Popperklo, sitzt hinter mir und lotst uns den 767 m hohen Bussen hinauf. Von hier könnte der Blick über die Donau hinweg bis weit in die Schwäbische Alp reichen, aber der gestrige Regen verbirgt alles mit grauem Dunst. Gleich wieder runter, rüber über die Donau, die Hügel hinauf und durch ein enges, kurviges Tal nach Zwiefalten. Mittagszeit, gemessenen Schrittes zieht die Prozession vorbei, die Sonne brennt, Pause im schattigen Biergarten. Beinah an allen Tischen sitzen Biker, und auf der Straße grummelt eine Rotte nach der anderen vorbei. Das verspricht viel Fahrspaß. Mein Sozius ist ganz sicher, wo es entlang geht. Er kümmert ich um die vielen „-ingens”, fast jeder Ortsname endet so. Ich genieße die Kurven. Abends beim Bier ist Andreas still. „Morgen kommt es dann raus, er will wieder ein Motorrad. Ich wett’ dafür! Ich hab’ mich schon lang gewundert”, schwäbelt seine Frau und prostet verschmitzt.
  Frühstück und Abschied, Andreas läßt nichts verlauten. Stuttgart östlich umfahren, erst quer über die Alp, bei Göppingen über den Neckar. Grad’ noch in weiten Schwüngen durch die frische Luft grüner Hügel, jetzt winden sich Serpentinen ins Tal. Gedrängt stehen Häuser, dichter Verkehr auf den Straßen, Menschengewimmel. Dann wieder Serpentinen hinauf zu weiten Hügeln. Das wiederholt sich bis die Hügel, es geht auf Welzheim zu, wieder steiler und die Straßen werden kurviger. Der Hunger bohrt, damit er ein Bauernfrühstück bekommt. Tanken, ein Blick auf die Karte, auf nach Welzheim. „Römer Castel”, ein braunes Schild am Rande der Stadt. Vielleicht haben die da auch eine Wurstbude. Eine große Wiese, Mauerreste, Säulenstümpfe, zwei Wachttürme sind wieder aufgebaut und mit einem hölzernen Wehrgang verbunden worden. In gebührlichem Abstand stehen Einfamilienhäuser, statt Imbißstand Stille und Hitze.

SonnenuntergangNur ein kleiner Rundgang, der Hunger brüllt wie ein Löwe. Kleiner Salat und großes Eis statt Bauerfrühstück, dabei die Karte studieren. Westlich, an Backnang vorbei, kräuselt sich verheißungsvoll eine gelbe Linie. Danach sich dann irgendwie nach Norden durchschlagen. Tatsächlich, eine Straße wie eine Achterbahn und kaum Verkehr. Die Dicke zeigt, was trotz ihrer Länge alles geht, nur kräftig schalten. Das Herz jubelt, einer mit Hut biegt auf die Straße. Der betagte Diesel qualmt, geschaltet wird nicht und abgebogen schon gar nicht. Auf der schmalen, kurvigen Straße ist an Überholen nicht zu denke. Ich mach’ ein Weilchen Pause und hab ihn doch bald wieder eingeholt. Also gut, biege ich ab, richte mich nach der Sonne und fahre nordwärts. Kurven gibt es noch, aber keine Achterbahn mehr. Schade. Stetig geht es bergauf. Die Straße verläuft auf den Bergen, sehr nah an der Sonne. Kein Lufthauch regt sich, die Hitze flimmert. Ein großer Marktplatz, Fachwerkhäuser, Biertrinker unter bunten Sonnenschirmen, dahinter ein kleines Hotel, man kocht griechisch und hat eine Garage für das Moped. Ich bestelle ein Weizen und verbringe den Abend unter den Sonnenschirmen.
Träge windet sich der Neckar. Die B37 folgt als Uferstraße seinem Lauf. Lastkähne tuckern stromauf, Burgen halten gelassen ihre Wacht auf bewaldeten Hügeln. Die Frische des Morgens, als es über Kocher und Jagst ging, wandelt sich in schwüle Mittagshitze. Flußab, in Heidelberg, steht die Luft. Ein kurzer Imbiß und hinauf in den Odenwald. Zwischen den Bäumen angenehme Kühle. Auf den Feldern sticht die Sonne. Ich kurve auf gut Glück durch die vielgestaltigen Hügel, grobe Richtung Frankfurt. Es ist eine wahre Freude. Allmählich bezieht sich der Himmel, mit dem Wolkenschleier kommt die Schwüle, und im Westen wird es finster. Anruf genügt, Klaus holt mich an einer Autobahnabfahrt ab.
Der Himmel hat sich verfinstert, heftiger Wind reißt Blätter von den Bäumen. Feierabendverkehr, zu viele kennen den Schleichweg auf dem Klaus uns vor dem Unwetter schnell in Sicherheit bringen will. Dicke Tropfen klatschen herab, machen handtellergroße Flecken auf dem Asphalt. Wir biegen nach rechts ab, der Wind beruhigt sich, gleich wieder nach links, ein gewaltiges Grollen läßt die Luft beben. „Jetzt geht es los,” denke ich und suche Bushäuschen. Mit blinkenden Lichtern verschwindet ein Flieger in den blauschwarzen Wolken. Klaus hilft mir Abpacken, da dringt ein Sonnenstrahl herab. Der Himmel wird blau. Der Abend endet mit Äpplwoi auf der Terrasse.
Über den Vogelsberg und durch den Knüllwald Richtung Kassel hätte ich fahren wollen, aber es schüttet. Den lieben langen Tag bleibt nichts als ein kummervoller Blick zum Himmel. Am Freitagmorgen droht es finster aus strahlendem Blau. Nun los, fahren, fahren, fahren auf der Autobahn. Aber so schön, wie es sich in dem Lied anhört, ist es nicht. Immer wieder Staus und heftige Schauer. Donner, Blitz und Wassermassen bei Hamburg, und die Fahrt endet unter einem prachtvoll vergoldeten Sonnenuntergang.