aus bma 8/09

Text: www.winni-scheibe.com
Fotos: Brigitte Haide, Winni Scheibe

Grenzerfahrungen in DeutschlandGut 20 Jahre nach der Wiedervereinigung lassen sich mitten in Deutschland, an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze in Nordhessen zu Thüringen, interessante „Grenzerfahrungen“ machen. Tief beeindruckt haben wir die Gegend von der Sababurg entlang an Weser und Werra bis Herleshausen „erfahren“.

Freundlich begrüßt uns Wolfgang Ruske, verteilt Informationsmaterial und kommt gleich zur Sache: „Das menschliche Gedächtnis hat geniale Eigenschaften, negative Erlebnisse lässt es schnell vergessen. Und darum ist unser Grenzmuseum hier in Schifflersgrund so wichtig. Für jetzt und für alle zukünftigen Generationen. Über 40 Jahre verlief mitten durch Deutschland eine fast unüberbrückbare Barriere. Dieser „antifaschistische Schutzwall” sicherte die ehemalige DDR gegen den Westen mit meterhohem Stacheldrahtzaun, Beobachtungstürmen, Selbstschussanlagen, Minenfeldern und Kraftfahrzeugsperrgraben wie einen Hochsicherheitstrakt ab. Wer über dieses Bollwerk in das andere Deutschland flüchten wollte, begab sich in Lebensgefahr. Diese Grenze teilte aber nicht nur Deutschland in Ost und West, sie teilte auch menschliche Schicksale. Nur verständlich, dass gleich nach der Wiedervereinigung keiner mehr etwas davon wissen wollte. Der Eiserne Vorhang wurde von Nord nach Süd abgerissen, nichts ist mehr davon zu sehen. Unser Museum und natürlich auch andere Gedenkstätten sollen die Erinnerung an die unsägliche Teilung und die Zeit des Kalten Krieges wach halten”, doziert Polizeidirektor a. D. und 1. Vorsitzender des Vereins Arbeitskreis Grenzinformation e.V. Wolfgang Ruske sachkundig, aber auch mit spürbaren Emotionen. Ein Teilstück im Grenzmuseum vermittelt einen Eindruck, was es bedeutete, dieses Bollwerk zu überwinden. Weit über 1000 Menschen sind am innerdeutschen Todesstreifen ums Leben gekommen. Die hier gezeigte Dokumentation jüngster deutscher Geschichte lässt so leicht keinen kalt, meinen Begleitern ist die Betroffenheit deutlich anzusehen, mir persönlich geht es tief unter die Haut.

 

Nur einen Steinwurf vom Grenzmuseum Schifflersgrund entfernt liegt Bad Sooden-Allendorf. Gegensätzlicher könnte der Zeitsprung kaum sein. Noch vor rund 20 Jahren lag dieser Teil Nordhessens am östlichen Rand der Bundesrepublik. Es war das „Zonenrandgebiet”, das mit staatlicher Hilfe wirtschaftlich unterstützt wurde. Nach der Wende hat sich vieles verändert. Für die Bevölkerung, die Wirtschaft, die Infrastruktur und den Tourismus. Besucher kommen längst aus allen Himmelsrichtungen, sie fahren jetzt in die Mitte Deutschlands hinein. Die Kurstadt ist weit über die Landesgrenze für ihr Gradierwerk, ein gewaltiges Holzgerüst zur Salzgewinnung, bekannt. Ebenfalls sehenswert ist die historische Altstadt mit Marktplatz, die fein heraus geputzten Fachwerkhäuser und der großzügig angelegte Kurpark. Natur pur lässt sich im Werra-Meißner-Land im Frühling in der Kirschblüten-Zeit erleben, die Farbenpracht ist überwältigend. Man sieht, riecht, schmeckt und erlebt förmlich, wie Fauna und Flora nach dem Winter wieder zum Leben erwachen.

 

Grenzerfahrungen in DeutschlandStart für die Tour „Grenzerfahrung” ist allerdings nicht ein verwaister Schlagbaum an der ehemaligen DDR-Grenze, sondern die Sababurg im Reinhardswald. Nordhessen ist schließlich auch für seine vielfältigen Sagen, Mythen und Märchen bekannt. Nach den Erzählungen der Brüder Grimm ist die Sababurg nämlich das sagenumwobene Dornröschenschloss. Kaum ein Besucher kann sich dieser Zauberwelt entziehen, schnell wird man von der mittelalterlichen Ursprünglichkeit gefangen genommen. Der Blumengarten mit seiner Rosenzucht ist einzigartig, der angrenzende Tierpark besuchenswert. Bewirtschaftet wird die Sababurg von der Familie Koseck, die Gastfreundschaft und das Ambiente, welches hier dem Gast geboten werden, verdienen das Prädikat „märchenhaft”. Das stilvoll eingerichtete Schloss mit Hotel und Restaurant versetzen die Gäste in eine andere, fantasievolle Welt. In eine Zeit, als es noch Kaiser und Könige, Prinzen und Prinzessinnen, Feen und wahrhaftige Kobolde gab.

An- und Abreise fügen sich harmonisch in die Fabelwelt. Auf schmalen Sträßchen geht es beschaulich quer durch den Reinhardswald. Der, wer ihn nicht kennt, zunächst gespenstisch auf einen wirkt. Am Wegesrand liegt alles kreuz und quer, Hölzer vermodern, man glaubt sich im Urwald. Dieser Eindruck trügt nicht. Seit 1907 wird hier bewusst keine Waldwirtschaft mehr betrieben. Bäume werden nicht gefällt, totes Holz bleibt einfach liegen, die Natur hat sich in den letzten 100 Jahren ihren Besitz zurück geholt. Automatisch schießt es einem durch den Kopf: Haben sich in diesem finsteren Wald etwa Hänsel und Gretel verlaufen?

Mit der Fähre über die Weser. Nach der kleinen Abenteuertour durch Nordhessens Urwald ist der Spuk schnell wieder vorbei und das wirkliche Leben hat einen zurück. Allerdings nur fast. Um von Veckerhagen nach Hemeln über die Weser zu kommen, muss man auf eine Fähre. Wie von Geisterhand getrieben, gleitet das Gefährt von einer Uferseite zur anderen. Ohne Motorkraft und ohne Segel. Von Hexenwerk kann jedoch keine Rede sein. Die Fähre hängt an dicken Stahlseilen, die Wasserkraft von der Weserströmung sorgt für den erforderlichen Vorschub. Nur ein paar Minuten dauert der Spaß, einen Euro ist die Sache allemal wert. Ohne Fähre und ohne das gemütliche Gasthaus „Zur Fähre” würde den Ort Hemeln wohl kaum jemand kennen. Jedenfalls unter Bikern. Solange der Wirt denken kann, verrät er, gehören Motorradfahrer zu seinen Gästen. Früher waren es noch nicht so viele, seit in den 80er Jahren aber der große Boom eingesetzt hat, kommen in der Saison an schönen Wochenenden über tausend Motorradausflügler.

Bad Sooden-AllendorfNach den ersten „Grenzerfahrungen” mit Märchen, Sagen, einem Urwald, einer  Flussüberquerung und einer Kaffeepause an der Weser geht es von Hemeln aus über kurvige und verkehrsarme Seitenstraßen über Scheden, vorbei an Friedland nach Hohengandern. Genau hier verlief die frühere DDR-Grenze. Nichts ist heute mehr davon zu sehen, dafür sind ab hier die Straßen aber tiptop in Schuss, man folgt nun der „Deutschen Märchen Straße”. Wenige Kilometer weiter geht es rechts ab nach Bornhagen und zur Burg Hanstein nach Thüringen. Motorsportfans werden sofort aufhorchen und fragen, Hanstein, kommt da nicht der berühmte Autorennfahrer Huschke von Hanstein her. Richtig, was jedenfalls die jahrhundertealte Familienhistorie betrifft. Die Burgruine Hanstein wurde 1632 im Dreißigjährigen Krieg zerstört und ist seither unbewohnbar. Seit 1990 führte der rührige Heimatverein umfangreiche Renovierungsarbeiten an den alten Gemäuern durch, heute zählt sie zu den schönsten Burgruinen in Deutschland.
Auf Voranmeldung und für Gruppen werden historische Burgführungen angeboten, mit etwas Fantasie lässt sich das finstere Mittelalter gut vorstellen.
Am Fuß der Burg liegt Bornhagen, ein kleiner Ort mit historischem Charakter. Im Gegensatz zur zugigen Ruine ist man im Wirtshaus „Klausenhof“ zum Rasten und Übernachten gut aufgehoben. Auch hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Das uralte Gasthaus mit mittelalterlicher Schänke, Rittersaal und ursprünglicher Herberge lässt einen die moderne Handy,  und Internet-Welt schnell vergessen.

Um von Bornhagen nach Bad Sooden-Allendorf zu kommen, gibt es zwei Möglichkeiten. Flott über die B27 immer an der Werra entlang durchs Hessenland, oder über eine Thüringer Nebenstraße durch den Naturpark Eichsfeld. Wir empfehlen die gemütliche Route über Gerbershausen, Fretterode und Dietzerode zum Grenzmuseum Schifflersgrund (siehe oben).
Wie bereits erwähnt ist es vom Museum bis nach Bad Sooden-Allendorf nur ein Katzensprung. Dennoch sollte man den kurzen Umweg durch die kleinen Ortschaften Sickenberg und Asbach nach „BSA” wählen. Die Nebenstrecke  führt durch eine hügelige Landschaft, bis 1989 verlief genau hier die ehemalige Zonengrenze. Nichts erinnert mehr daran und trotzdem, das sollte nicht vergessen werden, war für die DDR-Bürger damals hier die Welt zu Ende.

Blick vom Hohen Meißner  Wer die Nordhessische/Thüringische Grenzgegend zum ersten Mal bereist, wird kaum solche wunderbaren, kurvenreiche und bergige Wegstrecken vermuten. Nur wenige Autos sind hier unterwegs, die Fahrdynamik bestimmt jeder selbst, Motorrad fahren pur ist angesagt. Dass es auch richtig bergauf und bergab gehen kann, merkt man spätestens, wenn es über gut ausgebaute Serpentinen auf den Hohen Meißner hinauf geht. Die 754 Meter hohe Erhebung wird auch „König der hessischen Berge” genannt. Seit Menschengedenken umgeben den Meißner Mythen und Sagen. Bei den Brüdern Grimm kommt der Meißner im Märchen über Frau Holle vor, beim Bettzeug ausschütteln beginnt es da zu schneien. Das kann natürlich nur im Winter passieren, in der Motorradsaison und bei gutem Wetter hat man vom Meißner einen gigantischen Fernblick.

Doch zurück zur „Grenzerfahrung”. Die nächsten Ziele sind die Nachbarorte Altenburschla und Großburschla, direkt an der Werra bei Eschwege gelegen. Für die Fahrstrecke bieten sich mehrere Möglichkeiten an, wir empfehlen vom Meißner aus über Vockerode, Reichensachsen, Weißenborn, Volkershausen und über Wanfried nach Altenburschla. Schon deswegen, weil die Straße immer schön geschwungen vorbei an satten Wiesen, weiten Feldern und durch dichte Wälder führt. War vor der Wende stets von Ost und West die Rede, tickten hier die Uhren anders. Das hessische Altenburschla liegt geografisch gesehen in einer Landzunge im Osten, Großburschla, ebenfalls in einer schmalen Landzunge eingebettet, im thüringischen Westen. Für die beiden Orte bedeutete der Standort Sackgasse – Endstation. Jedoch mit unterschiedlicher Auswirkung. Für Altenburschla war die Ortslage von Vorteil, der Tourismus blühte. Die Leute in Großburschla waren dagegen doppelt bestraft. Nicht nur, dass der Ort damals nur über ein Nadelöhr zu erreichen war, er lag auch mitten im streng überwachten Grenzsicherheitsstreifen. Wer zu Besuch kommen wollte, brauchte eine Sondergenehmigung, Ein- und Ausreise wurden streng kontrolliert.

Burg HansteinAuch das ist längst Schnee von Gestern, den einstigen Todesstreifen gibt es nicht mehr. Beide Orte sind besuchenswert, wobei Altenburschla mit seinem malerischen Ortskern mit prachtvollen Fachwerkhäusern und dem biker- und gastfreundlichen Landgasthaus der Wirtsfamilie Gehl klar die Favoritenrolle zugedacht bekommt. Im Biergarten direkt am historischen Anger könnte man stundenlang die Seele baumeln lassen. Das Dorf, das schon mehrfach Bundessieger im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden” wurde, strahlt eine relaxte Atmosphäre aus.

Die nächsten Kilometer führen direkt an der Landesgrenze Hessen/ Thürigen oder neben der ehemaligen DDR-Grenze entlang. Von Altenburschla verläuft gleich neben der Werra ein schmaler Verbindungsweg nach Großburschla, in wenigen Minuten ist die Nachbargemeinde erreicht. Hier prallen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander. An manchen Ecke sieht es noch wie zu DDR-Zeiten aus, anderswo ist man kräftig am renovieren.

Die ehemalige einzige Zufahrt zum Ort gibt es auch noch. Eine Holperpiste, die über den 504 Meter hohen Heldrastein nach Schnellmannshausen führt. Für Endurofahrer ein wunderschönes Erlebnis, für restliche Biker eine Herausforderung. Ab Schnellmannshausen und auf der gut ausgebauten B250 ist die Welt wieder in Ordnung. Ruckzuck ist man in Creuzburg und wenig später in Herleshausen, dem ehemaligen Grenzübergang und somit beim Abschluss der Tour „Grenzerfahrungen mitten in Deutschland”.