aus bma 03/91

von Ulli Böckmann

Heute muß ich mit meinem Moped zum TÜV. Kein Problem, auch wenn viel Selbstgestricktes dran ist.
Es soll ja Leute geben, die sich vordiesem Termin völlig verrückt machen. Einige sollen sogar nicht mehr Herr ihrer Sinne sein und Dinge miteinander verwechseln. Habe ich kein Verständnis für. Echt nich‘!
„Jetzt dreh‘ nicht durch, Alter“, sage ich nachdrücklich zu dem etwas übernächtigten Typen, der mich aus meinem Badezimmerspiegel anblickt. Dann ziehe ich langsam den fettigen Stielkamm heraus, den ich mir, im Glauben es sei die Zahnbürste, schon relativ weit in die Backen geschoben habe. „Jetzt ist auch klar, warum es heute morgen mit dem Kämmen so lange gedauert hat”, murmele ich weiter vor mich hin und betrachte angewidert die dunkelblonden Haare, die sich lustig zwischen den Borsten meiner Zahnbürste verwickelt haben…
Ich darf mich nicht so verrückt machen, schließlich bin ich gut vorbereitet. Eigentlich kann nichts schief gehen, es sei denn… – verdammt, Schluß damit! Alles wird glatt gehen, reg dich ab, alter Junge, nur die Ruhe bewahren. „Kein Grund zur Panik”, beruhige ich mich ein letztes Mal, nachdem ich auch die Rasiercreme von dem Hornhautschaber abgewaschen habe und voller Tatendrang mein Bad durch die dafür vorgesehene Tür verlasse. Sie fällt hinter mir laut klappernd ins Schloß, und während ich mich noch kurz frage, wer wohl über Nacht meine Diele gekachelt hat, stelle ichresignierend fest, daß ich in meiner Duschkabine stehe…
Wie kann ein einzelner Mensch, von seiner Veranlagung her ja ein vernunftbegabtes Wesen, sich nur so verrückt m achen? Auch noch wegen einer solchen Lapalie. „So’n bißchen urdeutscher Normbehörden-Kram wird dich doch nicht aus der Bahn werfen, meinGutster”, feuere ich mich weiter an, während ich gleichzeitig die Tageszeitung aufschlage, um mich etwas abzulenken.
Ich beziehe eine gute Tageszeitung, welche über engagierte Mitarbeiter verfügt, die die Dinge auch beim Namen nennen dürfen, kurzum, soviel frustrierendeTatsachen kann kaum ein Mensch zu dieser frühen Stunde schon verarbeiten. Ich schaue nur das Titelbild vom Kanzler an und stelle dann die Zeitung so hinter die Kaffeekanne, daß mich der Bundeshelmut nicht sehen kann.
Doch er erinnert mich gleich an das Eigenbau-Fäßchen, welches als Öltank in seiner bauchigen Form hochpoliert im hinteren Rahmendreieck meiner Maschine hängt, wunderschön anzusehen aber auch durchaus geeignet, einem überzeugten Amtsschimmel den Sod in Brand zu setzen.
„Ich hätte es noch raus nehmen sollen”, schießt es mir durch den Kopf, bis ich merke das ich mir schon den vierten Löffel Zucker in den Mocca kippe…
Ich bin kurz davor, den TÜV-Termin abzuhaken und mich einfach wieder hinzulegen, da erwacht in mir der Held. „Plus! Plus. Plus! Plus! Plus!” stoße ich mehrfach konvulsivisch aus, denn ich will an etwas positives denken, was mir dadurch auch sofort gelingt. Dann schütte ich den Kaffee in einem Zug hinunter, stutze für einen Moment, schaue auf den Zuckerpott, auf dem in großen Lettem „SALZ” steht, gehe nochmal kurz ins Bad, halt um zu brechen, putze mir erneut die Zähne, spucke die Haare ins Becken und bin auch schon mit einem Satz an der Garderobe, um mich in Wachscotton zu kleiden.
Dies alles tue ich in völliger Ruhe, weil ich nur eines im Sinn habe:„Plus! Plus! Plus! Plus!”
Positives Denken! Kann sehr hilfreich sein in solchen Momenten, sagt jedenfalls mein Guru. Scheint auch zu klappen, denn ich war so positiv geladen, daß schon kleine Blitze aus meinen Ohren zuckten, mir konnte also nichts passieren.
Fünf Minuten später verließ ich mit ruppig brabbelnden Motor aber guten Mutes den Hof in Richtung TÜV. Das Moped ist „TÜV-gerecht” zu-, bzw. hergerichtet und läuft nur unwillig. Wer mag’s verdenken? Im festen Glauben, die Taschen voller Trümpfe zu haben, reihe ich mich mit meinem Krad in den allmorgenlichen Zug der Lemminge in Richtung Innenstadt ein. Beim Überwachungs-Verein ist erstmal anstehen angesagt. Schlange bei der Anmeldung, Vollabnahme, Teilstillegung, Eintragung, ASU, Brief, Schein, Gutachten, Bescheinigung. Eine gute halbe Stunde lang hört man kaum einmal ein anderes Wort. Natürlich bis auf den Typen, der sich direkt hinter mir in der Schlange einreiht und mir endlos ein Ohr abkaut von wegen seinem obergeilen Manta den er „jezz überm Tüff bringen will mit all die Spoilers un‘ die breiten Schluffen un‘ übahaupt tiefer, breiter, alu-alu un’Sporthocker un’so”.
Der Typ hat’n Kinn wie ein Kohlenkasten, seine Statur erinnert mich an die Firma Bauknecht, dazu Rudi-Völler-Frisur und säuerlicher Mundgeruch. So richtig zum liebhaben. Ich konnte ihn schließlich davon überzeugen, daß sein Fahrzeug für mich ohne jedes Interesse ist, indem ich ihn nach einigen Minuten darauf hinwies, daß ich ihm unheimlich eine reinhauen würde, wenn er nicht sofort die Schnauze hält. Meine eigene Statur erinnert zwar auch an die Firma Bauknecht, dort aber doch mehr an die KühlGefrier-Kombination, deshalb kommt von dem Klops kein Wiederspruch.
Er hält sein Maul, riecht aber weiter schlecht vor sich hin. Ich bin schon fast an der Reihe, als die Situation sich noch einmal zuspitzt. Der ältere Herr, der unmittelbar vor mir dran ist, hat bei dem langen Warten vergessen, warum er eigentlich gekommen ist. Die Dame gibt wirklich ihr Bestes, dem alten Knaben ein wenig auf die Sprünge zu helfen, da sie glaubt, aus seinen mitgebrachten Papieren erahnen zu können, was denn nun sein Begehr ist. Da er nur Behindertenausweis und Brillenpass mit sich führt, ziehen sich die Ermittlungen etwas hin, bis nach einigen Minuten schließlich jemand aus dem hinteren Winkel des Raumes fordert, man solle den alten Knacker endlich seinem Schicksal überlassen. Und da niemand wiederspricht, führen ihn flinke Hände an die frische Luft, wo er bis auf weiteres abgestellt wird. „Wie gemein”, denke ich noch.
Die Reihe ist nun an mir. „Normale Vorführung und sechs Eintragungen”, geht es mir spielend leicht von den Lippen, da sehe ich auch schon kleine Dollarzeichen in den Augen der Kasseuse blinken, wenn nicht sogar funkeln. Als sie mir die Endsumme nennt, verbrauche ich auf einen Schlag ziemlich viel positive Ladung. Der Kohlenkasten hinter mir grinst hämisch und atmet mir von schräg rechts ins Ohr. Ich steige ihm scheinbar ungeschickt mit dem Absatz meiner Stiefel auf die Adidas-Tumschlappen und entschuldige mich der Form halber, jedoch nicht ohne noch einmal kräftig durchzufedern. Sein Gesicht entschädigt mich für Vieles.
Raus aus der Anmeldung und wieder warten. „Sie werden dann aufgerufen”, piepst mir die Kasseuse noch hinterher. „Fein”, piepse ich zurück; jetzt hock‘ ich auf meinem Moto und freue mich, daß es anfängt zu hageln… Also das Krad vom Ständer genommen und in die TÜV-Halle geschoben, ganz vorne rechts in die Ecke, um niemandem im Weg zu stehen und trotzdem diesen Kirmeslautsprecher noch zu hören, der die Kennzeichen aufruft.
Ich habe die nasse Wachsjacke an den Lenker gehängt und fülle gerade ein gummiertes Stück Papier mit feingeschnittenem Tabak, da höre ich frontal von hinten den Satz: „Dassis hier aba keine Pausenhalle, junger Mann” Dreh‘ dich besser mal um, sag‘ ich zu mir. Ich blicke in ein Normgesicht nach DIN 1435, quadratisch, praktisch, gar nicht mal so gut. Mir fehlen die Worte. Ihm offensichtlich auch, denn er deutet nur stumm auf einen kleinen Metallkasten an der Wand, den ich wohl seiner Meinung nach zugeparkt habe. „Wie soll man denn da jetzt noch rankommen?”, entfährt es ihm dann doch noch.
„lch mach’dir die Räuberleiter, du Erdmännchen!”, sage ich natürlich nicht, sondern denke es nur, gleichzeitig pack ich meinen Brödel zusammen, wuchte das Bike vom Ständer und schiebe es zwei Meter weiter, um es dort abzustellen. Als ich mich wieder umdrehe, ist der Wichtel verschwunden. Er wollte nämlich gar nicht an den Kasten, aber es könnte ja sein, daß zufällig in fünf Minuten einer mal dran will… „Plus! Plus! Plus! Ich muß mich langsam wieder aufladen, mein Positiv-Akku wird zu stark beansprucht.
In der Halle ist Hochbetrieb angesagt. Aus allen Richtungen klingt hämmern umd klopfen, quietschendes Gummi und schlagende Metallplanken sind noch die akustischen Highlights. Schon nach gut einer Stunde bin ich an der Reihe, stehe sogar schon in der richtigen Spur. Ich nehme also nur die Jacke vom Lenker und harre in aktiver Gelassenheit der Dinge, die da kommen. Nachdem ich etwa fünf Minuten geharrt hatte, passierte es . „Stellen sie das Krad bitte hierher!”, schnitt es mir von hinten messerscharf in die Ohren. Das Normgesicht hatte sich wieder angeschlichen, schon wieder von hinten. Ich erfüllte seinen Wunsch, das Moped stand nun wieder genau an der Stelle, von der er mich noch kurze Zeit vorher vertrieben hatte, als prophyilaktische Maßnahme sozusagen.
Ich registriere außergewöhnlich hohe Entnahmen aus meinem Positiv-Akku. Er huselt dreimal um das Moped herum, wobei er sich jedesmal ducken muß, wenn er an dem Metallkasten vorbei geht. Aber er hat es ja nicht anders gewollt. Dann geht er neben der Maschine in die Hocke, federt drei- bis achtmal in den Knien, wahrscheinlich um sich warm zu machen oder sich zu motivieren (man kennt so etwas ja vom American Football…), um dann letztlich katapultartig hochzuschnellen.
Ich nehme an, daß er auch noch etwas sagen wollte, dies war zumindest seinem entschlossenen Blick und den schon gespitzten Lippen zu entnehmen. Doch er kam nicht mehr dazu, denn seine doch recht dynamische Aufwärtsbewegung wurde relativ abrupt gebremst. – Durch den Metallkasten, an den er wohl nicht mehr gedacht hatte. Der aber direkt über ihm hing, und den er jetzt wohl so schnell nicht wird vergessen können…
Es hat so dermaßen gescheppert, daß ich dachte, ich kriege nur vom Hinsehen eine Beule. Mein Positiv-Akku platzte aus allen Nähten, er war auf einen Schlag randvoll. Jetzt war mir auch klar, woher sein Kopf seine quadratische Form hatte. Und ich hatte miterleben dürfen, wie er wieder ein gutes Stück eckigerundvor allem oben flacher geworden ist. Muß gerade auf Stehparties ungemein praktisch sein, wenn man mal die Hände freihaben möchte und nicht weiß, wohin mit dem Bierglas. Wie gesagt stieg mein Stimmungsbarometer durch diese unfaßbare Darbietung gewaltig, zumal ich auch den Eindruck hatte, daß doch die Entschlossenheit seines Blickes etwas nachgelassen hatte. Er dreht sich etwa sechsmal im Kreis, eine Pirouette schöner als die andere, bis ihn die Wand rettet. Eigentlich ist dieser Tag für ihn gelaufen. Er weiß es nur leider nicht. Er rappelt sich wieder auf, doch sein Blick verrät eine tiefe innere Leere. Dann zieht er seine Abnahme durch, wobei es ihm am meisten Spaßmacht, zwischendurch mal kurz ums Moped zu hüpfen und mit ziemlich viel Spucke ein Motorgeräusch nachzumachen.
Schlagartig wurde mir einiges klar, ich erkannte meine Chance und nutztesie. Ich machte ihn darauf aufmerksam,daß er mir auch einige Eintragungen machen muß, worüber er sich riesig freute. Das muß nur schnell über die Bühne gehen, bevor die Kollegen merken, daß ihr Kleinster jetzt die Narrenkappe trägt… Er trägt mir anstandslos alles ein, offene Anlage, offene Trichter, offenen Tank, Leistungsreduzierung, einfach alles, was mir so in den Sinn kommt. Nur zehn Minuten später verlasse ich das Gelände, mein kleiner Freund winkt noch einen Moment hinter mir her, um sich dann neue Spielkameraden zu suchen.
Mein Fahrzeugbrief ist randvoll mit Eintragungen, unter anderem so sinnvolle Dinge wie die Freigabe für den Vierpersonenbetrieb, ein Cabrio-Verdeck und die Bestätigung, daß es sich bei meinem Motorrad um ein Campingfahrzeug handelt. Natürlich habe ich auch die neue TÜV-Plakette, er hat mir alle geschenkt, die er hatte; niedliches Kerlchen.
Ich weiß garnicht, warum sich einige Leute so vor dem TÜV fürchten. Ich freu‘ mich jetzt schon aufs nächste Mal. Denn wann und wo bekommt man so etwas sonst geboten? Doch nur in seiner Phantasie…