aus bma 03/05

von Harald Meuser

Seit einiger Zeit fahre ich mit einem Schriftzug auf meiner Lederkombi durch die Welt. „Albatros” steht in großen Lettern auf meinem Rücken. Dabei handelt es sich nicht um den Werbeschriftzug eines Sponsors, sondern ganz schlicht und ergreifend um eine Warnung an andere Verkehrsteilnehmer.
Als ich im Mai 1996 meine TDM 850 in den Alpen zum ersten Mal unsanft auf die Seite gelegt hatte (nur Lackschaden), beschloss ich, ein Sicherheitstraining mitzumachen. Während einer solchen Session ließ ich mich dazu überreden, auch mal ein Kurventraining zu besuchen. Seitdem bin ich öfter auf diversen Rennstrecken anzutreffen. Ich wurde schnell immer mutiger und war (und bin) süchtig nach mehr.
So kam der Tag an dem ich mich für ein Fahrertraining in Spanien anmeldete. Am 2. Weihnachtstag ging es los. Wir stiegen in den Flieger und unsere Mopeds fuhren mit einem Lkw vor. Als wir bei angenehmen Temperaturen in Murcia ankamen, waren wir sehr guter Stimmung und voller Vorfreude auf die Rennstrecke. Abends auf dem Zimmer beschlich mich eine leise Vorahnung auf das, was kommen würde, und ich sagte zu meinem Zimmergenossen: „Ich glaube, in diesem Urlaub mache ich einen Adler.”
Am nächsten Tag war alle Vorahnung vergessen. Uns empfing eine ziemlich neue und sehr kleine Rennstrecke bei strahlendem Sonnenschein. Genau das Richtige für meine TDM und mich. Für alles war gesorgt. Es waren ein Streckenposten und ein Notarztwagen vor Ort, ein beruhigendes Gefühl (die blöde Vorahnung war doch noch da). Wir ließen unseren Mopeds freien Lauf. Welch ein Spaß!
Am Nachmittag war es dann so weit, es kam, was kommen musste. Ich machte gerade Pause und stellte plötzlich fest, dass gleich Feierabend war – oh Schreck. Also, rasch Helm auf und noch mal ein paar schnelle Runden drehen. Schon nach kurzer Zeit merkte ich, dass die Idee doch nicht so toll war, Mein Biorhythmus machte nicht mehr so recht mit. Aber zwei Runden sollten noch gehen.
Der (Ab-)Flug des AlbatrosIn der letzten Kurve vor Start/Ziel ließ ich mich ein bisschen zu weit an den Streckenrand tragen und das Unheil nahm seinen Lauf. Beim Beschleunigen im Kurvenausgang hatte ich einen Highsider (ja, mit der TDM) und der wilde Ritt begann. Die Maschine sprang in wilden Sätzen hin und her, keilte aus und versuchte mich abzuwerfen. Was genau passierte weiß ich nicht, ich kam mir aber vor wie bei einem Rodeo-Ritt. Ich hielt mich verbissen am Lenker fest, wild entschlossen, mich nicht abwerfen zu lassen. Doch es half nichts. Ich schlug mit meiner geliebten TDM hart auf dem Asphalt auf. Herzzerreißende Geräusche drangen an mein Ohr: Plastik und Aluminium wurden auf unsanfte Art mechanisch bearbeitet. Tapfer hielt ich immer noch den Lenker fest. Als ich dann irgendwann doch aufgeben musste und endlich los ließ, sah ich noch ein paar Funken fliegen; ein trauriger Blick noch auf die Maschine – dann war Ruhe.
Vor Wut blieb ich erst mal ein paar Minuten regungslos auf der Straße liegen. Schnell waren die Kumpels und Kumpelinnen da, um mir und der TDM auf die Füße zu helfen. Schlimm sah sie aus, die TDM. Ich bzw. meine Lederkombi sah auch nicht viel besser aus. Der Helm war zerkratzt, die Kombi stark ramponiert. Stiefel und Handschuhe konnte ich in die Tonne treten.
Alle sorgten sich um mich, fragten wie es mir ginge und schafften mein Motorrad zurück an die Box. Der Einzige der sich nicht blicken ließ, war der Arzt. Er saß seelenruhig in seinem Auto und beobachtete unser Treiben. Dass mir nichts passiert war, konnte er auf die Entfernung bestimmt nicht sehen. Naja, ich habe es überstanden und wurde wenigstens am nächsten Tag ein bisschen verarztet.
Als ich abends mit ziemlichen Schmerzen, geschwollener rechter Hand, einer Brandwunde und diversen blauen Flecken (ich sah aus wie die lila Kuh) im Hotelbett lag, konnte sich mein Zimmergenosse kaum halten vor Lachen. Als ich ihn ziemlich verwirrt ansah, sagte er nur: „Junge, das war kein Adler, den du da hingelegt hast, das war ein ausgewachsener Albatros!“ (bis 1,3 Meter großer, schneller Sturmvogel; ausdauernder Segler, bis 3 Meter Spannweite).
Trotzdem konnte man mich am nächsten Tag schon wieder auf der Rennstrecke beobachten. Mir schmerzte zwar die Hand beim Bremsen, aber ich musste unbedingt das Trauma mit dieser verflixten Kurve überwinden.
Nach einigen Wochen war meine Hand wieder okay, und ich fuhr zu einem Training in Geesthacht. Die mir selbst gestellte Aufgabe lautete, bei diesem Training Hanging-Off zu lernen. Es funktionierte super. Am Nachmittag wurde ich immer mutiger und drehte mehr und mehr am Gasgriff. Teilweise schüttelte sich die TDM ganz ordentlich, und die Reifen zeigten bereits die weiße Flagge. Aber ich schlug alle Warnungen in den Wind, frei nach dem Motto: Was Mick Doohan kann, kann ich schon lange. Sprach’s und drehte noch ein bisschen mehr am Gasgriff – gei…!
Zurück im Fahrerlager wurde ich ein paar Mal angesprochen, ob ich nicht mal andere Reifen montieren wolle, die seien doch an der Leistungsgrenze angelangt. Mein Kommentar war immer nur: „Ja, ja, das geht schon noch (pah, redet ihr nur).”
Meine Unbekümmertheit rächte sich dann am Nachmittag. Beim Beschleunigen aus einer engen Kurve verlor ich den Grip am Hinterrad und bekam eine unsanfte Berührung mit dem Asphalt (Hochmut kommt vor dem Fall). Welch peinliche Vorstellung, den ganzen Tag Mick Doohan und dann zum Feierabend noch eine Haga-Nummer hingelegt. Vielleicht hätte ich ausnahmsweise mal auf Andere hören sollen…
Außer einer abgebrochenen Fußraste war nichts weiter passiert und ich konnte, leicht behindert, meinen Heimweg antreten. Während der Fahrt gingen mir die Ereignisse von Spanien wieder durch den Kopf und dann war er gefasst, der Beschluss: Auf meine Kombi kommt ein Schriftzug „Albatros”.
Und was soll ich sagen? Es hilft! Seit dem habe ich keinen Abflug mehr gehabt. Und die Reifenmarke habe ich auch gewechselt…