aus Kradblatt 11/22 von Monika „Mo“ Nagel

Mythos geknackt

Sie wird die Königin der Pässe genannt. Als MotorradfahrerIn muss man mindestens einmal im Leben dort hochgefahren sein, heißt es. Es wird in Motorradforen und am Stammtisch ein riesen Trara um diese Pass-Straße gemacht.

Mythos Stilfser Joch - Ziel ist die Passhöhe
Mythos Stilfser Joch – Ziel ist die Passhöhe

Die Königin der Pässe

So habe ich mich entschlossen, dem Mythos Stilfser Joch auf den Grund zu gehen. Da ich bekannterweise unter leichten Höhenproblemen leide, war meine Gegenmaßnahme eine Teilnahme bei einer Damen-Gruppen-Tour mit Coaching: Die Kurvenkönigin von Swiss Lady Rider. Auf der dreitägigen Tour durch die Schweiz und Italien wird man in entspannter Atmosphäre unter Gleichgesinnten auf die Königin der Pässe zum krönenden Abschluss vorbereitet.

Gegenverkehr - uiuiuiiii ....
Gegenverkehr – uiuiuiiii ….

Tageszeit ist entscheidend

Gestartet wird pünktlich um 8.30 Uhr am Hotel in Mals. Wir sind alle etwas aufgeregt. Es wird kurz abgesprochen, in welcher Reihenfolge wir uns auf den Weg machen. Coachin Conny startet ihre Road Glide und wir wie ihre Küken hinterher.

Die Tageszeit zur Befahrung des Stilfser Jochs spielt eine wichtige Rolle. Je eher, desto freier. So waren wir innerhalb von 15 Minuten schon in Prad. Dort startet die Strada del Passo dello Stelvio. Genau die Seite mit den sagenumwobenen 48 Kehren.

Es war, wie erwartet, nicht viel los. Im unteren Teil gibt es nichts spektakuläres zu fahren oder zu sehen. Ein paar ampelgesteuerte Baustellen lassen in der Wartezeit die Aufregung noch ansteigen.

Wann kommen denn die Kehren?

Gefühlt fährt man ewig seicht bergauf. Nach einer Einhausung kommen die ersten zwei Kehren, die genügend Platz zum Zirkeln geben, auch mit Verkehr aus der Gegenrichtung.

Stilfser Joch, Kehre 1

Und dann? Ja, dann kommt lange wieder nichts bis Trafoi. Das Display meines Navihandys am Lenker ist schwarz. Ich tracke mit, will aber den Streckenverlauf nicht sehen. Weiterhin murmle ich in meinen Helm: „Ich schaffe alles, was ich mir vorgenommen habe“. In Trafoi die nächsten zwei Kehren. Leider lässt die momentane Anspannung keinen Blick in die Landschaft zu. Nach Trafoi gibt es nämlich wieder nur einen leichten Anstieg, den man genießen könnte.

Trafoi - es geht los …
Trafoi – es geht los …

Stilfser Joch – Trafoi

Dann wieder zwei Kehren im Wald, die Straße wird schmaler. Einige RadfahrerInnen sind bereits schon länger auf ihrer Tour bergauf. Die lassen sich ganz easy überholen.

Nach einer weiteren flachen Strecke kommen sieben Kehren. Hier groove ich mich ein. Ich stelle fest, dass der Niveauunterschied in den Kehren gar nicht so groß ist, wie erwartet. Langsam entspanne ich mich und beginne, die Strecke zu genießen. Am Restaurant Zum weißen Knott halten wir kurz an, um auf den Rest der Truppe zu warten. Dann starten wir zur zweiten Hälfte den Berg hinauf.

Blickführung ist sehr wichtig
Blickführung ist sehr wichtig

Alles eine Frage der Technik

Wir nudeln uns von Kehre zu Kehre, Conny fährt eine beneidenswerte Linie mit ihrem Dickschiff. Meine Scout mutet dagegen an wie eine Gazelle. Es macht riesen Spaß, ihr hinterherzu fahren und ihrer Linie zu folgen. Wichtig ist die Beherrschung der richtigen Fahrtechnik. Stilfser Joch – Rechtskehre: Blick nach oben vor der Kehre, um den Verkehr zu checken. Bei Fahrzeugen von oben, unbedingt rechtzeitig anhalten! Richtiger Gang (in Rechtskehren brauche ich den 1. Gang, einige Linkskehren sind auch im 2. Gang fahrbar). Bei Rechtskehren ausholen, Kopf unbedingt bewusst nach rechts drehen und zum Kurvenausgang weit vorausschauen. Leichter Lenkimpuls nach links, um dann wie von Zauberhand in die Rechtskehre zu kippen. Nennt sich auch Neudeutsch Countersteering.

Belohnung: Conny übergibt das Zertifikat
Belohnung: Conny übergibt das Zertifikat

Mythos Stilfser Joch – Gedanken

Was soll ich sagen? Es wird mehr Tamtam darum gemacht, als es für mich schlussendlich war. Ja, mit ’nem Cruiser ist man etwas begrenzt unterwegs. Doch es ist nichts, was man mit ein wenig Fahrerfahrung nicht fahren könnte. Der Niveauunterschied in den Kehren ist nicht so groß, wie erwartet. Wer bereits Kehren fahren kann, wer schon das eine oder andere Mal in Österreich und Italien unterwegs war, der hat keine Probleme, die 48 Kehren des Stilfser Jochs zu knacken. Die kommen ja auch nicht alle wie am Fließband. 

Tageszeit mit Bedacht wählen! Entweder in der Früh oder am späten Nachmittag machen. Wir hatten kaum Autos, mal ein Lastwagen und ein Bus. Ich habe mir sagen lassen, es soll Wohnmobilisten geben, die da unbedingt mit ihrem fahrenden Kühlschrank hoch bzw. runter müssen.

Ich hätte jetzt auch kein Problem, das Stilfser Joch nochmals mit Schatzi zu fahren. Im Gegensatz zur Edelweißspitze, die ich aufgrund des Kopfsteinpflasters gar nicht mehr brauche. Bei dieser Tour wurde für mich die Königin der Pässe entmystifiziert. Been there, done that.

Das Coaching mit Conny konnte mir einiges weiterhelfen, mit meiner latenten Höhenangst auf dem Motorrad umzugehen.

Coaching in der Gruppe
Coaching in der Gruppe

Den kompletten Artikel zur Coaching-Tour könnt ihr online auf www.mosbike.blog nachlesen. Im Gegensatz zu den meisten Fahrsicherheitstrainings findet sie auf öffentlichen Straßen statt. Bei der „Kurvenkönigin“ geht es um die Pässe rund ums Stilfserjoch. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem korrekten Fahren der Kehren und auch die Überwindung von Höhenangst. Die Krönung ist am letzten der drei Tage die Erstürmung des Stilfser Jochs. Alle Infos zu Swiss Lady Rider findet ihr unter www.lady-rider.ch. Die nächste Tour findet im Juni 2023 statt.

Der Artikel erschien bereits in Mos Bikeblog, dort gibt es auch ein passendes „Kehren-Video“. Besucht Mo online unter www.mosbike.blog, auf Facebook unter www.facebook.com/mosbikeblog oder folgt Mo auf Instagram und Twitter.