Drama in mehreren Akten
Gedanken zu KTM-Insolvenz …

aus Kradblatt 1/25

Dunkle Wolken über KTM. Foto: Bridgestone – Präsentation des Battlax Hypersport S23 auf der 2024er KTM Duke 990 „The Sniper“
Dunkle Wolken über KTM. Foto: Bridgestone – Präsentation des Battlax Hypersport S23 auf der 2024er KTM Duke 990 „The Sniper“

Wie im Editorial erwähnt, kam die Meldung über die KTM-Insolvenz für die Dezember-Ausgabe zu spät. In Mattighofen erlebten viele KTM-Mitarbeitende ein böses Weihnachten und keinen guten Rutsch. Seitdem ist allerhand Wasser über die Mattig in den Inn geflossen und das Ausmaß des Debakels überrascht wohl selbst Kenner der Szene. Als Laie fragt man sich, wie blind, ignorant oder größenwahnsinnig ein Management sein muss, um Schulden in Milliardenhöhe anzuhäufen. KRADblatt-Leser Stefan Schrahe fragte sich das auch und tauchte in einen Berg an Zahlen ab. Hier lest ihr, was ihm dabei aufgefallen ist.

Ich habe mir mal den KTM-Geschäftsbericht von 2023 sowie ein paar andere Daten über meinen statista-Zugang angeschaut, weil mich interessiert hat, wieso KTM dermaßen in die Grütze reiten konnte. Wen es interessiert, hier meine subjektive Zusammenfassung:

KTM hat im Jahr 2023 36,7% seiner weltweiten Produktion in Europa und 26,5% in Nordamerika verkauft. Am Umsatz hat Europa einen Anteil von 50,9% gehabt und Nordamerika einen Anteil von 31,2%. Beide Märkte generierten also mehr als 80% des weltweiten KTM-Umsatzes. An dritter Stelle rangiert Indien mit 17%; die Wertschöpfung lag hier aber deutlich niedriger, weil die Fahrzeuge über Bajaj vertrieben wurden. Das steht etwas im Widerspruch zu der gern erzählten Geschichte von der Globalisierung und dem weltweiten Footprint des Konzerns. Ja, man ist überall vertreten – aber Geld wurde eigentlich nur in Europa und den USA/Kanada verdient.

Seinen Marktanteil konnte KTM 2023 leicht steigern – in Europa von 10 auf 10,5% (inkl. Husqvarna und GasGas). Auch in Nordamerika stieg der Marktanteil im Jahr 2023 auf 12,6% (Vorjahr: 11%). Im finanziellen Ergebnis drückte sich das aber schon vor einem Jahr nicht mehr aus: Schon 2023 war dies erheblich schlechter ausgefallen als 2022. So sank die EBIT-Marge von 9,7 auf 6% und statt 235,3 Mio. Euro wurden nur noch 160 Mio. Euro erwirtschaftet (EBIT). Der Cash-Flow aus der Betriebstätigkeit fiel von 280,3 Mio. Euro sogar auf -110,9 Mio. Euro; (EBIT: Abk. für „earnings before interest and taxes“ = „Gewinn vor Zinsen und Steuern“).

KTM hat also immer mehr Fahrzeuge verkauft, erzielte aber immer weniger Gewinn. Damit liegt nahe, dass ein Grund für die schlechte Performance der Produkt-/Modellmix war. Interessant (und von den Medien kaum beachtet): Als Gründe für die Misere gab KTM im Geschäftsbericht 2023 vor allem das schlechte E-Bike-/Fahrradgeschäft an, das nur 76,4 Mio. statt 170,6 Mio. Euro wie 2022 erwirtschaftete (EBITDA). Auf den Gesamtkonzern betrachtet war dieser Leistungsindikator von 381,1 (2022) auf 323,5 Mio. Euro (2023) zurückgegangen. Bei gleicher Performance des Fahrradgeschäfts wie im Vorjahr wäre das Betriebsergebnis 2023 vor Abschreibung also gestiegen statt gesunken.

Das erklärt jedoch noch nicht die massiv gestiegene Nettoverschuldung. Denn die stieg 2023 von 256,5 auf 775,9 Mio. Euro – bei 909,3 Mio. Euro Eigenkapital. KTM begründet die Erhöhung mit der Aufnahme eines Schuldscheindarlehens (300 Mio. Euro), einem Forschungsdarlehen der Europäischen Investitionsbank (100 Mio. Euro – möglicherweise für E-Mobilität) sowie einer Namensschuldverschreibung (50 Mio. Euro).

Wo ist das Geld geblieben? Der Bau einer neuen US-Zentrale war mit 55 Mio. Euro die größte Einzelinvestition in der Konzerngeschichte. Schon 2023 musste KTM außerdem Liquiditätseinbußen hinnehmen, weil die Zahlungsziele für die Händler aufgrund der hohen Lagerbestände verlängert werden mussten. Außerdem mussten die Händlerrabatte deutlich erhöht werden.

Tatsächlich hatte man auch für F&E (Forschung und Entwicklung) deutlich mehr ausgegeben als 2022 (195,1 statt 161,4 Mio. Euro). Sehr viel Geld floss anscheinend in die Entwicklung neuer Powerpacks für die Leistungsklasse zwischen 110 und 170 kW, die im Modelljahr 2029 starten sollte. Außerdem hat man viel Geld in neue Konnektivitätsfunktionen sowie den Serienstart der 1390 ccm-Modelle gesteckt.

Damit sind wir bei dem Produktmix, der bei KTM offensichtlich nicht gestimmt hat (zu dem KTM aber leider im Geschäftsbericht 2023 keine Angaben macht). Aus den wenigen, öffentlich zugänglichen Quellen lässt sich herauslesen, dass der „größte Motorradhersteller Europas“ im Jahr 2023 in Deutschland und der Schweiz mit keinem einzigen Modell in den Top 10 (> 125 ccm) vertreten war. In der Schweiz ist die einzige in den Top 20 platzierte KTM die KTM 125 Duke auf Rang 14 gewesen – für einen der profitabelsten Märkte der Welt ein Armutszeugnis. In UK ist KTM in keinem der wichtigen und ertragsreichen Segmente führend gewesen, im Gegensatz zu BMW (Adventure, Touring) oder Ducati (Modern Classic). Ähnlich dürfte es in den USA aussehen.

Die Aufteilung in die Segmente zeigt auch, dass KTM in wichtigen Motorradsegmenten (Scooter, Modern Classic) überhaupt nicht vertreten war und im Adventure-Segment, wo man mit Husqvarna sowie den 990er- und 1290er-Modellen vertreten war, nie an die entsprechenden BMW-Verkaufszahlen herankam. Auch die eindimensionale Styling-Orientierung hat den Markt für KTM eingeschränkt. Wer das Kiska-Design nicht mag, fand in Mattighofen nichts Passendes. Wer sich dagegen die Diversität im Design der Piaggio-Gruppe, von Triumph oder auch BMW anschaut (von den Japanern ganz zu schweigen), findet hier viel mehr Auswahl.

KTM hat also scheinbar sehr viel Geld in Technologien und die Entwicklung neuer Marken gesteckt (mit MV wollte man ja diesen Weg fortsetzen), mit denen man sich am Markt aber letztlich nicht durchsetzen konnte. Die 1290er, in deren Entwicklung sehr viel Geld floss, standen zuletzt wie Blei, während die 125er liefen wie blöd. Man gab wahnsinnig viel Geld für die MotoGP aus, hatte aber keinen Supersportler im Programm – anders als etwa Aprilia mit den RS-Modellen. Es drängt sich insgesamt das Bild eines „Scheinriesen“ auf: eines auf den ersten Blick mächtigen Konzerns, der aber nie wirklich dort erfolgreich war, wo es die hohen Deckungsbeiträge gibt.

Im Vergleich zu KTM erscheint mir der Piaggio-Konzern besser aufgestellt: Man besetzt mit Vespa, Moto Guzzi und Aprilia viele Segmente (z.B. auch Scooter und Modern Classic) und hat mit z.B. der Vespa GTS eine Cash-Cow (seit 19 Jahren wird nur noch modifiziert, aber nichts grundlegend neu konstruiert), deren wirtschaftlicher Erfolg oft nicht beachtet wird. Schließlich wurden 2023 mehr Vespa GTS in Deutschland verkauft als BMW 1300 GS! Piaggio tritt deutlich weniger breitbeinig auf und leistet sich – meiner Beobachtung nach – auch nicht die Prestigebauten wie KTM in Mattighofen und den USA.

Die KTM-Misere halte ich insgesamt nicht für eine kurzfristige Liquiditäts-Problematik, sondern für ein strukturelles Problem einer langfristig unausgewogenen Produkt-/Modellpolitik.

Stefan Schrahe

Vorstellung der KTM Duke 125 im Jahr 2011, da war die orange Welt noch in Ordnung
Vorstellung der KTM Duke 125 im Jahr 2011, da war die orange Welt noch in Ordnung

 

Wir bedanken uns bei Stefan für diese interessanten Gedanken. Der Zugang bei statista.com ist kostenpflichtig, mit einem Gratis-Account kann man leider nur 7% der sehr umfangreichen Statistiken einsehen. 

Wir hoffen sehr, dass KTM wieder auf die Füße bzw. Räder kommt. Die Marke, die Mitarbeiter, die Vertragshändler und die Fans haben es einfach verdient – ob mit oder ohne MotoGP. Stefan Pierer, Vorstandsvorsitzender der Pierer Mobility AG und damit verantwortlich auch für KTM, muss man sicherlich zugute halten, dass er Anfang der 1990er Jahre KTM aus der damaligen Insolvenz gerettet hat. Er muss und will jetzt, lt. Zitat in verschiedenen Medien, „um sein Lebenswerk kämpfen“. Das hinterlässt bei Laien zumindest ein dezentes Fragezeichen.

Während die KTM-Belegschaft ihre ausstehenden November- und Dezember-Gehälter aus einem Insolvenz-Entgelt-Fond bekommen soll (Stand 12/24), hunderte KTMler ihren Job schon verloren haben und Gläubiger durch die Insolvenz auf eine mickrige Quote von 30 Prozent hoffen dürfen, braucht Stefan Pierer (68) sich wohl keine Sorgen um seine persönliche Zukunft zu machen. In der Forbes-Liste der reichsten Menschen Österreichs rangierte er 2023 mit 1,6 Mrd. USD auf Platz sieben. Da bleibt sicher was für einen angenehmen Lebensabend übrig. Manchmal dürfte ein frisches Management die bessere Wahl sein, wenn man an die 1990er Jahre zurückdenkt …

Marcus Lacroix


Nachtrag vom 17.1.25 (mit Dank an unseren Leser Stefan P.).
Die KTM Fahrrad GmbH ist ein Familienunternehmen, unabhängig von der Pierer Mobility AG.

Hier die Info von der KTM-Fahrrad-Website:

Wichtige Mitteilung der KTM Fahrrad GmbH

Motorrad-Hersteller KTM AG, Teil der Pierer Mobility AG ist insolvent.
Das hat nichts mit der KTM Fahrrad GmbH zu tun.

Die KTM Fahrrad GmbH ist seit 1992 ein völlig eigenständiges Familienunternehmen, im alleinigen Besitz der Familie Urkauf und hat eine gesunde Finanzstruktur.

Wir stellen klar:

  1. Seit 1992 sind der Motorrad-Hersteller KTM AG und der Fahrrad-Hersteller KTM Fahrrad GmbH zwei voneinander komplett unabhängige und eigenständige Unternehmen. Somit gibt es weder wirtschaftliche noch gesellschaftsrechtliche Verbindungen zur Pierer Mobility AG oder zur KTM AG.

  2. Seit 1992 kommt jedes Fahrrad und E-Bike der Marke KTM ausschließlich aus dem Hause KTM Fahrrad GmbH.

  3. Weder die KTM AG noch die Pierer Mobility AG stellen Räder oder E-Bikes mit der Marke KTM her.
    Nur KTM Fahrrad GmbH macht KTM Fahrräder.

Sie können sich jederzeit ein KTM Fahrrad kaufen.
Sie haben die gewohnten Gewährleistungsansprüche.
Ihr KTM Fahrradhändler berät Sie wie in den letzten 30 Jahren, gerne, kompetent und mit größter Sorgfalt.