aus bma 04/99

von Arno Grabosch

Jedes Jahr mache ich in der Zeit vor dem großen 24-Stunden-Rennen in Le Castellet (bekannt als Bol d’Or-Cup) mit meiner FJ 1200 für eine Woche einen „kleinen” Abstecher durch irgendeine Gegend von Südfrankreich, anschließend besuche ich als Abschluß das Rennen in Le Castellet, den Wallfahrtsort der Motorradfahrer.
Im letzen Jahr hatte ich mir eine Route über Lyon, Clermont-Ferrand, Bordeaux und von der Atlantikküste kommend durch die Pyrenäen ausgesucht. Von Bordeaux kommend machte ich bei meiner Fahrt durch die Pyrenäen dann ein paar Tage Station in dem Wallfahrtsort Lourdes, um mir die sagenhaften Prozeduren in der heiligen Grotte mal näher zu betrachten. In jedem Jahr sollen sich dort über 5 Millionen Pilger einfinden, die auch noch mit Namensschildern und Nationalitätskennzeichen versehen sind und sich bei der wöchentlich stattfindenden, mitleidserregenden Vorführungsprozedur der Krankenstuhlfahrer das Geld aus der Tasche ziehen lassen.
In der sagenumwobenen Grotte, in der am 1. Februar 1858 eine gewisse Bernadette Sobirous Marienerscheinungen gehabt haben soll, sprudelt wie schon vor langer Zeit immer noch das gleiche heilige Quellwasser, welchem auch noch eine heilende Wirkung andichtet wird. Bis dato wollte ich von solchen Märchen nichts wissen und habe über die Wirkung solch heiliger Dinge nur müde gelächelt, aber das sollte sich ändern.
Um den Nachweis für meine Daheimgebliebenen zu erbringen, daß ich in Lourdes gewesen war, wollte auch ich mir heilendes Wasser mit nach Hause nehmen, da es doch für jeden kostenlos zu haben war. Ich hatte allerdings nicht bedacht, daß man die Plastikkanister in diversen Größe und mit einem Aufdruck von dem Wallfahrtsort Lourdes in einem der umliegenden Souvenirläden für teures Geld kaufen muß. Ich besorgte mir einen Einliter-Kanister, weil es der kleinste und billigste war und auf meiner Yamaha am wenigsten Platz wegnahm, und stiefelte los.
Vor den Grotten der heiligen Quelle hatten die tüchtigen Geschäftsleute von Lourdes große Stände mit riesigen Kerzen aufgebaut – ohne Preise. Man konnte sich eine dieser Kerzen nehmen und diese in den Grotten aufstellen und anzünden. Dabei war es jedem selbst überlassen wieviel er im Gegenzug bereit war zu spenden. Hierfür waren an den Ständen Spendenbehälter mit einer Klappe angebracht – ähnlich wie Postkästen. Wenn ich mich recht erinnere, wurden hier fast nur Scheine in der Größenordnung deutscher Hundertmarkscheine hineingesteckt, bis das Geld aus den Steckschlitzen wieder herausquoll; alle fünf Minuten kamen daher Wärter und kassierten die Behälter ab. Meiner Ansicht nach könnte man diese als die eigentliche heilige Quelle bezeichnen, da aus ihnen das Geld nur so „herausquoll”.
Ich stellte mich also an eine der unzähligen Menschenschlangen an, um mit meinem Einliter-Behälter in der Hand an das heilige Wasser zu gelangen. Man hatte Wasserleitungen aus den Grotten herausgelegt, die an Steinmauern dann mit ca. zehn Wasserhähnen befestigt waren. Um die Behälter zu füllen, mußte man dann – wie z. B. auch auf Campingplätzen üblich – den Hahn hinunter drücken. Vor mir hatte sich ein jüngerer, männlicher Wallfahrer mit einer schwarzen Kutte und einem Riesenkreuz um den Hals plötzlich auf die Knie fallen lassen und rutschte die letzten zehn Meter bis zum heiligen Wasser auf den Knien über den steinigen Boden. Er muß wohl schon eine Menge Hornhaut gehabt haben, ich hätte das sicher nicht ohne Hautabschürfungen geschafft.
Ein anderer älterer Wallfahrer aus Spanien mit einem am Bindfaden umgehängten Eierbecher – wie bei Kohlfahrten üblich – war an einen der tröpfelnden Wasserhähne unmittelbar neben mir angelangt und nahm einen Schluck von dem heiligen Wasser. Auf einmal wurde er ohnmächtig und fiel rückwärts mit dem Hinterkopf auf eine der Steinplatten. Man hatte wohl in solchen Dingen schon Erfahrung, denn der Krankenwagen war innerhalb von 30 Sekunden da und transportierte den stark aus seiner Platzwunde blutenden Verunglückten schnellstens ab – wohl um den Geldfluß nicht zu unterbrechen, er war denn auch ausgerechnet vor einen Geldbehälter gefallen. Scheinbar war ihm das heilende Wasser nicht sehr gut bekommen.
Als ich dann endlich an der Reihe gewesen wäre, meinen Behälter zu füllen, drängelte sich auf einmal ein „Lourdes-Wärter” mit einem großen 20-Liter Behälter vor und hielt die Öffnung unter den Wasserhahn. Auf dem Kanister stand „Wasser für Schwester Agathe”. Sie schien wohl sehr krank zu sein wenn sie 20 Liter braucht, dachte ich mir. Man hatte scheinbar vergessen, etwas mehr Druck auf die Leitung zu geben; einen so großen Behälter zu füllen, dauerte leicht zehn Minuten. Schließlich konnte auch ich meinen Kanister füllen und begab mich zurück zu dem vom ADAC empfohlenen Campingplatz, der etwas außerhalb von Lourdes liegt und zu Fuß in etwa 15 Minuten zu erreichen ist.
Am nächsten Morgen machte ich mich dann wieder auf den Weg Richtung Le Castellet. Meine Route führte unmittelbar an der spanischen Grenze entlang. Kurz vor Mittag kam ich durch eine kleine Ortschaft in unmittelbarer Nähe der spanischen Grenze und geriet unversehens in eine Verkehrskontrolle größeren Ausmaßes. Circa zehn Polizei-LKWs standen auf der rechten Straßenseite und circa fünf Polizei-Personenwagen auf der linken. Eine Hundertschaft Polizei stand bei den LKWs und eine Gruppe von circa zehn Uniformierten stand mit Maschinenpistolen bewaffnet an der rechten Straßenseite. Wie ich später erfahren habe, ist ausgerechnet die Straße zwischen der spanischen Grenze und diesem Ort bei Drogenkurieren sehr beliebt, daher der Aufwand.
Ein Uniformierter mit einem deutschen Schäferhund hielt mir die Kelle vor die Nase und forderte mich auf, anzuhalten. Ein Blick auf die Maschinengewehre sagte mir, daß ich wohl keine Wahl hätte. Der Uniformierte mit dem Hund, er war als Offizier zu erkennen, und ein Uniformierter mit einer Maschinenpistole nahmen mich in die Mangel, der Hund sollte mein Motorrad abschnüffeln – stattdessen biß er mir in den rechten Oberschenkel. Dank meiner Harro-Lederhose konnte er sich allerdings nicht richtig festbeißen. Dennoch wurde die Sache ernst. Die bewaffneten Uniformierten umkreisten mich sofort und das Maschinengewehr des ersten Uniformierten bohrte sich in mein rechtes Nasenloch. Ich kapitulierte sofort.
Der Offizier mit dem Hund fragte: „Where do you come from?“ Ebenfalls auf englisch antwortete ich ihm, daß meine letzte Station Lourdes gewesen sei. Inzwischen hatten mich die restlichen bewaffneten Uniformierten vollständig umkreist. Wenn sie alle abgedrückt hätten, hätten sie sich bestimmt alle selbst erschossen. Mein Tankrucksack wurde durchsucht und ich mußte meinen Rucksack öffnen. Als erstes kam ein großes Klapp-Messer, was ich bei Hein Gericke für 29,50 DM gekauft hatte, zutage. Der Uniformierte mit der Maschinenpistole holte schon seine Handschellen heraus. Der Offizier fragte weiter: „What’s your profession?”, und ich antworte, daß ich Fotograf sei und eigentlich zum Rennen nach Le Castellet wollte, um dort zu fotografieren und einen Bericht zu verfassen.
Da fand er in meinem Rucksack den Behälter mit dem Lourdes-Wasser. Sein Gesicht wurde freundlicher bis sehr freundlich, er packte den Behälter wieder in den Rucksack, machte ihn zu, hängte ihn mir sogar wieder um und machte eine Handbewegung, daß alles in Ordnung sei und ich weiterfahren könnte. Wie das bei der Polizei so üblich ist, hat das restliche Fußfolk der Uniformierten nichts mitbekommen und wollte es einfach nicht wahrhaben, wo mich doch der Hund gebissen hatte. Ich sah zu, daß ich diesen Ort schnellstens verließ, wobei mir der Kupferbolzen immer noch aus dem Hintern guckte.
Da soll noch mal einer sagen, daß Lourdes-Wasser keine Heilkraft hat…