aus Kradblatt 5/22, von Lutz Lindemann

Die BMW will nicht so wie ich …

In Kradblatt-Ausgabe 1/22 gab es den ersten Teil von Lutz’ Dakar-Strand-Desaster mit dem BackRoadClub. Das war aber ja noch nicht alles …

Da läuft die BMW noch …
Da läuft die BMW noch …

Afrika Rallye mit der BMW – das klang für mich schon mal extrem passend. Wenn dann noch dein Buddy dabei ist, der auch ’ne alte GS fährt, dann steigen die Chancen, dass man es auch wirklich durchzieht. Wenn du dann noch den Organisator in der Bar bei mir in St. Pauli kennenlernst und der sympathisch bekloppt ist, dann musst du es durchziehen. PayPal aufgerissen, 800 € Startgeld überwiesen und da die Welt in solchen Momenten nix kostet, ging das nächste Bier auf mich. In solchen Situationen wird aus einer fixen Idee Realität. Verdammt, ich steh da total drauf. Man folgt einer Sehnsucht und es gibt fast nichts, das sich stimmiger anfühlt. 

Zu diesem Zeitpunkt waren es noch fünf Monate bis zum Start im Mai 2021. Corona hat den Wahnsinn dann nochmal verschoben doch viele weitere kleine Hürden haben uns nicht davon abhalten können, Anfang Oktober afrikanisches Festland zu betreten. 56 lange Stunden Fähre und eine Anreise von Hamburg nach Genua lagen bereits hinter uns. In der Summe 4,5 Tage. Ob sich das lohnen wird? So denke ich nicht. 

Fahrspaß mit Gleichgesinnten
Fahrspaß mit Gleichgesinnten

Meine Afrika-Rallye hat in Altona begonnen, wo wir in den Autozug nach Innsbruck gestiegen sind –allein die Geschichten bis hier zum Hafen in Tanger waren schon so geil, aber dazu wann anders mehr im Haselrodeo-Blog. 

Ich habe mich vor der Reise mit meinem Buddy John beraten, welche Ersatzteile wie mitnehmen – letztendlich sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es fast alles vor Ort gibt und die BMWs ja recht robust sind. Wir hatten also nur den üblichen Kleinkram dabei: Werkzeug, Dichtungen, Racing-Schwimmerkammer, Ventildeckel und ich hatte noch einen Regler am Start. Flickzeug für Schlauchlosreifen, eine Auswahl Schrauben und Muttern und Kabelbinder, denn ich wollte Bushmechanic wie Toby Price sein, wenn es nicht anders geht. 

Wir hatten ganz Dakar-mäßig eine Liaison zum Start. 3-Tage Anfahrt zum Plage-Blanche, dem legendären Start des ersten Dakar Kapitels. Hier sollte es losgehen. Meine BMW war in nahezu perfektem Zustand. Trotz Gepäck ballerten wir durch jedes Offroad-Gelände, waren schnell auf den Bundesstraßen unterwegs und planierten den Tiefsand. Ich hatte zum ersten Mal Heidenau K60 drauf und war zufrieden, da wir auch viel Straße fahren mussten, um erst mal in den Süden von Marokko zu gelangen. Dort wurde es dann immer steiniger und offroadiger. 

Durch den CanyonPlage-Blanche. Tag vier in Marokko. Es standen 30 Kilometer Strandpassage auf dem Plan. Alter, das ist so traumhaft. Kann man schwer in Worte fassen, wie sich die Zeitreise anfühlt mit einer Karre aus den Achtzigern den gleichen Strand zu planieren, den die Dakar Fahrer mit den gleichen Bikes gefahren sind. Es schließt sich der Kreis, denn ohne die Dakar-Bilder von damals, hätten sich diese Rallye Bikes wohl nicht so in meine Großhirnrinde gemeißelt. Ergo, würde ich vielleicht gar nicht hier sein. Den Wahnsinn, der jetzt passierte, habe ich im ersten Bericht beschrieben. Es war ein Höllentrip. Dünen, Abschleppen und Planlosigkeit waren wohl irgendwann zu viel. Ohne „Die Pritsche“ der Belgier, wäre meine Rallye zu Ende gewesen. 

Exitus für den Boxer
Exitus für den Boxer

Ich spule direkt 20 Stunden weiter zum nächsten Tag, als ich versuchte mein abgekühltes Bike anzuschmeißen, in der Hoffnung, dass sie wieder anspringt. Ergebnis: nichts geht mehr! 

Fuck. Spannung war vorhanden, Anlasser drehte aber die Karre sprang nicht an. Es musste ein ernsteres Problem sein. 

Jetzt könnt ihr gerne klugscheißen und eure Tipps abgeben, aber ich bin mir fast sicher, dass ihr die Ursache nicht erraten werdet. Zündfunken fehlten auf jeden Fall und wir brauchten ewig, um zu finden woran es lag. Meine Begleiter (3 Autos und 5 Motorräder) wollten und mussten aber erst mal weiter zum nächsten Checkpoint. Also blieb mir nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die coolen Belgier mein Bike auf ihrem T4 Pritschenwagen mitnehmen. Ich gebe zu, dass sie kaum eine andere Wahl hatten, als mich mitzunehmen, da wir ja vorher großspurig verkündet hatten, dass wir niemanden zurücklassen. 6 Jungs hoben die BMW auf die Ladefläche, Spanngurte, Klappe zu und Gas! Wir waren schließlich schon spät und ich brauchte noch eine Werkstatt in der nächsten Stadt. 

Auf der Suche nach dem Zündfunken
Auf der Suche nach dem Zündfunken

Ab hier startete eine Odyssee, die mich so viele Nerven kostete, wie ich es nie erwartet hätte. Alle Details beschreibe ich dann in meinem nächsten Buch, oder der Netflix Doku. Heute reduziere ich es auf die Essenz dieser beschissenen Situation. 

1. Die Belgier haben meine Rallye gerettet! Sie haben die dicke BMW auf ihrem Wagen transportiert und dafür in Kauf genommen, selbst nicht mehr Offroad fahren zu können, mich Spacko an Board zu haben und ihre Reise ebenfalls für 5 Tage nur nach mir zu planen. DANKE. Ihr seid die geilsten und habt euch das Ticket zu unserem Haselrodeo mehr als verdient. 

2. Das Schrauberteam war so abartig geil. Alleine wäre ich komplett lost gewesen! Für die Diagnose brauchten wir Enrico (vor Ort) von Loose Screw und Markus (per Video-Chat) von Motorrad Ibbenbüren. Danke Jungs! 

3. Der Fehler war letztendlich die TCI Zündbox der digitalen Silent Hektik 

Zündung. Fuck Mann! Das einzige Teil, das ich umgebaut und damit verschlimmbessert habe. Hitzetod. 

4. Dieses Ersatzteil gibt es in Marokko mit 99 %-iger Wahrscheinlichkeit nicht. Ich Idiot. Kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich mich selbst ausgelacht habe für diese deutsche Idee, etwas gut Funktionierendes noch weiter verbessern zu müssen … 

Eine neue Zündbox
Eine neue Zündbox

Anyway. Jetzt hieß es problemlösend denken. Ich erinnerte mich an den alten Hallgeber, den wir damals im Bike gelassen haben. Enrico von Loose-Screw analysierte alle Anschlüsse und kam zu dem Schluss: „Ich bau dir den Scheiß auf die alte Zündung um!“ Geil. Aber nicht ganz so ein Selbstgänger, wie man im ersten Moment dachte, denn ich brauchte mindestens ein neues Steuergerät und etwas Kleinscheiß dafür. Und ganz sicher brauchten wir Know-How, um die sieben Steckplätze mit den richtigen Kabeln zu versorgen. Ach ja, dann muss noch der Zündzeitpunkt angepasst bzw. „mal eben“ im tiefsten Marokko eingestellt werden. Erwähnte ich, dass zu diesem Zeitpunkt meine Batterie dabei war, den Geist aufzugeben und der Luftfilterkasten, inklusive Vergaser eine Dreckansammlung von hartem Salzwasser und Dakarsand war? Aber in diesem Moment alles nur ein Nebenschauplatz. Wichtig war, dass wir einen realistischen Plan hatten. Zum ersten Mal sah ich meine Zukunft wieder als Teil des Fahrerfeldes. Euphorisch gingen wir pennen. 

Spannung vor dem Startversuch
Spannung vor dem Startversuch

Morgens haben wir alle Beteiligten zusammengerufen. Es war mittlerweile der dritte Tag meines Ausfalls und einige waren schon genervt, da sich alles so stark um mein Bike drehte anstatt um die eigentliche Rallye. Trotzdem halfen sie mir bei der Mission, ein neues altes Steuergerät zu finden. Wir brauchten ein HACO 802! Die Mission war machbar, da dieses Gerät in vielen alten Autos verbaut war: Opel, Saab usw. Das Bike wanderte abermals auf den Pritschenwagen und ich stieg bei meinem Kumpel Tingel, dem Kameramann der Rallye, ins Auto. 

Nun hatten wir zwei Tage Zeit, um das Ersatzteil zu besorgen. Dann würden wir eine Werkstatt in Zagora finden und alles könnte gut werden. 

Ich spoilere mal eben, bevor es langweilig wird: John und Lotte fanden das Teil am ersten Tag, wir bauten es Abends ein und es passierte nichts! Fuck. Waren wir doch auf der falschen Fährte? Haben wir etwas übersehen? Es machte alles keinen Sinn mehr. Ich sah die Frustration in den gleichen Gesichtern, die morgens noch hoffnungsvoll auf das neue Teil gehofft hatten. Es bestand aber auch die Chance, dass das Teil im Arsch war oder wir es durch falsches Anschließen selbst zerstört hatten. Das wäre ärgerlich, aber da wir keine andere Erklärung hatten, musste es in Betracht gezogen werden. 

Geschafft, die BMW läuft!
Geschafft, die BMW läuft!

Unser Telefon-Joker hieß Yassid und war ein Kontakt über Instagram (@sahariano.rider). Leidenschaftlicher Motorradfreak und er hatte über drei Ecken von meiner Situation gehört und sich gleich auf die Suche gemacht. Als Marokkaner kennt er sich natürlich viel besser aus, als unser Touristenhaufen. Er sollte übermorgen Mittag eintreffen und das Ersatzteil mitbringen. Daumen drücken! 

In der Zwischenzeit hatte ich eine gute Zeit in Zagora. Barbier, gutes Essen, feines Riad zum Schlafen und endlich mal Zeit alleine – wenn man einen Monat mit 50 Leuten reist, dann ist sowas Wellness pur. 

Das Telefon klingelte früh morgens: „Yassid ist um 12 Uhr da! Treffen an der Werkstatt.“ Alles klar. Ich hatte also noch genug Zeit, um mich selbst verrückt zu machen mit dem Gedanken: „Was wäre, wenn das Bike trotz Ersatzteil nicht läuft?“ Mein Optimismus war offensichtlich in den letzten fünf Tagen verbraucht worden. 

Yassid, der Retter :-)
Yassid, der Retter 🙂

Ich machte mich auf den Weg zur Werkstatt. Kurz nachdem ich ankam, fuhr die Ducati Multistrada von Yassid auf den Hof und wir freuten uns riesig, uns endlich mal live zu sehen. 1060 km hat er zurückgelegt für mich und wollte kein Spritgeld. Hammertyp! Er drückte mir einen Karton mit dem brandneuen Originalteil in die Hand. Mein Steuergerät, wie es bei BMW selbst im Regal liegen würde. Dazu kramte er noch drei weitere, gebrauchte Steuergeräte aus seinen Gepäcktaschen: „It’s just a backup, if the first part doesn’t work.“ „Wow. Der Mann ist gut“, dachte ich direkt. 

Also los geht’s. Einbauen, anschließen und den Startknopf drücken. So einfach ist es. Zumindest theoretisch. In der Praxis ging mir der Arsch so dermaßen auf Grundeis, dass ich mich erst mal ans Bike gesetzt habe, alles langsam auspackte und immer wieder aus meinem Hinterkopf hörte: „… wenn das nicht funktioniert, kannst du nach Hause fahren, du Looser.“ Ich weiß ja, dass man manchmal einfach Pech hat. Aber man kann das Glück auch extrem begünstigen und darin bin ich normalerweise ziemlich gut. 

Gelernte Lektion: Verschlimmbessern geht immer, lohnt aber nicht!
Gelernte Lektion: Verschlimmbessern geht immer, lohnt aber nicht!

Also, als erstes habe ich Markus angerufen. Mein Mechanikergenie-Kollege. Den Mofessor persönlich. WhatsApp Video Standleitung, wie so oft in den letzten Tagen. Er hatte die richtige Belegung der Steckplätze rausgesucht und da die Kabelfarben nicht mehr Original waren, mussten wir alles nochmal durchmessen. Da kamen Herzi und Degen ins Spiel. Ihre Multimeter-Magie sorgte für die richtigen Anschlüsse des Steuergerätes. Enrico war leider nicht am Start in dem Moment, als ich den Startknopf drückte – diesen triumphalen Moment hätte ich gerne geteilt, da er so viel Zeit in die Reparatur gesteckt hat, aber er hatte mit seinem Bike woanders zu kämpfen. In der einen Hand das Zündkabel, in der anderen Hand den Startknopf. Batterie voll aufgeladen. Wenn ich jetzt den Knopf betätige, erwarte ich einen Zündfunken, der zur verdammten Zündkerze springt und mir so zeigt, dass die BMW wieder einsatzfähig ist. Die marokkanische Werkstattmannschaft war versammelt, bestimmt waren wir acht Leute und Markus auf Video. Jaboud murmelte ein „Inshallah (so Gott will)“, ich drückte auf den Starterknopf! Erschrocken von dem schlagartigen Funken, der sich über zwei Zentimeter zur Kerze brutzelte, ließ ich das Kabel fallen. Ich schaute mit weit aufgerissenen Augen um mich. Stille. Dann Jubel! Verdammt, wir hatten es geschafft. Es war das Steuergerät. Es waren jetzt die richtigen Anschlüsse und der Zündzeitpunkt passte nach zwei Jahren immer noch perfekt. 

Epilog: Es war pure Euphorie, als das Bike wieder wummerte, als sei nichts gewesen. Ich sprang rauf mit Badeschlappen und Shirt und fuhr eine Runde. Alles fühlte sich so stimmig an und ich merkte, dass die BMWs einfach geil sind. Man sollte aber wirklich nur das verbessern, was zum jeweiligen Anwendungsfall passt. Da würde ich immer den Pros vertrauen. Manuel SWT sagte gleich, dass es klüger ist mit dem Hallgeber nach Afrika zu fahren – mittlerweile bin ich auch schlauer.

Danke an Tom, Henriette, Yassid, Marvin, Jeremy und Timo. An Enrico von Loose Screw, Mofessor Markus, SWT-Sports, Herzner & Degen und Lukas. John und Lotte für das Auftreiben der ersten Ersatzteile. 

Die coolen Bilder hier sind alle von @Affe_auf_Bike – die anderen wahrscheinlich von mir. Außerdem Dank an Andrea SWT, für die Korrektur meiner Texte! 15 Leute … krass.

BackRoadClub: Der BackRoadClub ist Veranstalter für verschiedene Rodeos bzw. Low-Budget Abenteuer. Da geht es dann z. B. mit weniger als 50 PS nach Afrika, mit einem 50 ccm Moped durch Österreich oder mit einem 500 Euro Auto quer durch den Balkan. Das Ziel ist es, mit geringem Budget ein Abenteuer zu bestreiten und dabei auch immer einem karitativen Zweck zu dienen. Im Vordergrund stehen die Gemeinschaft der Teilnehmer und das Kennenlernen unterschiedlicher Kulturen. Alle Infos gibt es unter www.backroadclub.com

Lokaler Offroad-Spaß: Lutz Lindemann kennt ihr evtl. vom Haselrodeo, einer Offroad-Rallye in den Steinbrüchen bei Ibbenbüren. Am 4. Juni 2022 drehen hier 60 Fahrer und Fahrerinnen wieder am Gasgriff, wobei die Bikes nicht jünger als Bj. 1998 sein dürfen. Alle Infos und die Anmeldemöglichkeit dazu gibt es online unter www.haselrodeo.de oder live im Bikerhof Haselroth, Rheiner Straße 395, 49479 Ibbenbüren (www.haselroth.de)