aus Kradblatt 3/21 von Pastor Holger Janke, www.bikers-helpline.de

Bleibt mutig & stark!

Eine MZ TS 250 als Meditationsobjekt
Ab in Klausur mit der MZ

Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum: ein Jahr Corona! Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll? 

Der Motorradverkauf boomt jedenfalls. Wer hätte das gedacht? Wer nicht ins Ausland fliegen darf, scheint sich gerne (wieder) mit dem Zweirad innerhalb des Landes bewegen zu wollen. Mussten vorher aufwendig Frühjahrsmessen organisiert und „durchgestanden“ werden, um danach mit fröhlichen Händlerpartys zum Saisonstart weiter gezielt Jagd auf die Kundschaft zu machen, so verkaufen sich aktuell die „Mopeds“ wie von selbst. Selbst die Bekleidungsbranche ist bisweilen erfreut, denn der gesteigerte Versand toppt leicht die Verluste im präsenten Verkauf. Allein die Mitarbeiter:innen bekommen die Krise, weil statt freundlicher Kundenberatung nur noch aseptischer Digitalkontakt möglich ist. Irgendwann kann man den Arbeitskollegen Computer einfach nicht mehr sehen.

Ich gehöre zu den Corona-Verlierern, denn als Pastor gehöre ich auf einmal nicht mehr zur Gruppe der systemrelevanten Personen; eine narzisstische Kränkung! Zum Glück werde ich noch in der (Telefon) Seelsorge gebraucht, denn die Gottesdienste fallen auch im harten Lockdown aus. „Solidarität mit dem Frisör“, denke ich mir (etwas sarkastisch) und laufe mit aussagekräftiger Haarpracht herum. Wohl dem, der eine Frisörin im eigenen Haushalt hat! Auf den notwendigen Beerdigungen, die nicht ausfallen konnten, werde ich aufgrund meiner Frisur dann als Altachtundsechziger eingestuft. Dabei wurde ich Ende der Sechziger Jahre gerade mal eingeschult. Jedenfalls äußern sich meine Mitmenschen besorgt über die Tatsache, dass ich so schlecht aussähe. Das motiviert mich nicht unbedingt und trägt nicht zum sozialen Miteinander bei. Ehrlich gesagt: Wie ein Kolbenklemmer bei meiner MZ hinterlässt Corona auch Spuren in meinem Inneren zurück.

Schrauben & Beten, das passt zusammen
Schrauben & Beten, das passt zusammen

Aber ich denke mir, irgendetwas Positives muss doch zu finden sein in dem Schlamassel, denn es heißt doch so oft, dass nichts so schlecht ist, als dass man nicht auch etwas Gutes darin finden könnte. 

Ich strenge mich also an, etwas Positives inmitten der Corona-Krise zu finden. Kein ganz leichtes Unterfangen, denn auf den Beerdigungen häufen sich die Corona-Toten und auch ich sitze überwiegend fest in der Verwaltung – zusammen mit Kollege Computer. 

Auch die explodierenden digitalen Meetings befriedigen nicht mein Bedürfnis nach Nähe. Nicht mal das  Biertrinken vor dem Computer erfrischt, sondern hat eine schale Wirkung bei mir. Am späten Abend – oder war es sogar schon nachts – hätte ich mir beinahe beim digitalen Surfen im www eine BMW gekauft, nur weil ich endlich wieder etwas Freude haben wollte – wenn nicht im Leben so doch beim Fahren. Vielleicht kommen ja so die guten Verkaufszahlen zustande, denn ich bin sicherlich nicht der einzige, der mit diesen Umständen seine Schwierigkeiten hat. Ich bin jedenfalls niedergeschlagen – und sehe (offensichtlich) nicht gut aus.

Ein mitfühlender Bikerfreund gab mir dann den guten Tipp: „Schrauben entspannt!“ Als Akademiker habe ich mal ein Buch gelesen: „Ich schraube also bin ich“, aber meine Zeit zum Schrauben endete mit dem Studium. Das waren noch Zeiten! Ohne Corona, ohne festes Einkommen,  aber glücklich, denn das Bier erfrischte und schmeckte besonders gut in netter Runde. Das Schrauben und Pflegen eines Motorrades hat mich damals stets begeistert und mir auch eine tiefe Zufriedenheit beschert. Der Bikerkumpel hat recht! 

MZ TS 250 - ein tolles Motorrad zum Runterkommen
MZ TS 250 – ein tolles Motorrad zum Runterkommen

Ich kaufe mir also eine Kiste Bier samt Werkzeug und dazu eine alte MZ. Hatte ich nicht mit einer „Emme“ meine erste große Reise von Deutschland nach Griechenland unternommen? Erinnerungen beflügeln meinen Beschluss und meine Wertschätzung gegenüber diesem kleinen Zweitakter, der ehemals vom größten Motorradhersteller der Welt kam – made in Germany. MZ hat damals noch nach Asien exportiert! Nicht wie heutzutage, wo die Zweiräder mit Traditionsnamen bestückt sind, aber in Asien hergestellt werden. Manchen Herstellern geht es wie mir: früher habe ich noch selbst geschraubt.

Aber nun stehe ich da. Bier, Werkzeug und Therapieziel sind vorhanden, aber wo ist der Ort, um in Klausur zu gehen? Ich erinnere mich an die Tradition, dass stets die Kirche ein Ort der Besinnung war und viele Menschen ins Kloster gehen, um wieder zu sich selbst zu finden. Da meine eigene Kirche gerade leersteht, weil der Lockdown Versammlungen untersagt, schiebe ich also meine verwahrloste MZ in das einsame Gotteshaus und war mir gleich sicher, dass ich am richtigen Ort bin: Bei Kerzenschein und guter Musik – auffallend oft City und Udo Lindenberg – putze, schraube und öle ich so vor mich hin. Ich bestelle die notwendigen Teile online im Versand, bete und arbeite im Schweiße meines Angesichts. Der Haarschnitt passt auf jeden Fall zum Baujahr des Motorrades und die Praxis der Kultpflege wird traditionsgerecht in der Kirche vollzogen. So ist Corona positiv! 

Haltet durch & bleibt gesund!